Kategorie-Archiv: Literatur

WilliZ Welt der Literatur

Robert Walser: Mädchen

Es war im Jahr 1978, also vor nun 42 Jahren – ich war im noch zarten Alter von 24 Jahren -, da gönnte ich mir als Werkausgabe Edition suhrkamp (ja, die mit dem Reihendesign in Spektralfarben) das Gesamtwerk in 12 Bänden von Robert Walser (erste Auflage zum 100. Geburtstag). Irgendwie muss ich über Hermann Hesse auf Walser gestoßen sein. Aber gleich das Gesamtwerk?

    Robert Walser (1878 - 1956)
    Robert Walser (1878 – 1956)

Nun, es war nicht nur Hesse, der sich für Robert Walser einsetzte. Walser hatte auch einen zumindest heute prominenten Leser: „Wenige seiner Leser von 1909 dürften so klar und sicher wie Kafka in einem Brief geurteilt haben: ‚Ein gutes Buch.‘ (Auch Max Brod hat bezeugt, ‚Jakob von Gunten‘ [ein Roman von Robert Walser] sei ein Lieblingsbuch seines Freundes gewesen.)
aus dem Nachwort zu Jakob von Gunten – ein Tagebuch (1909)

Nun, um es vorweg zu nehmen: Die Investition hat sich gelohnt. Robert Walser fällt dermaßen aus dem Rahmen, den die Schriftsteller um die Zeit 1900 bis 1935 gebildet haben, dass es mich eigentlich wundert, Walser auch heute noch im Olymp deutschsprachiger Dichter zu wähnen.

Aber komme ich endlich zur Sache. Hier ein Gedicht von ihm, das im März 1927 im „Prager Tagblatt“ erstmals erschien. Max Brod war Mitarbeiter der Zeitung und hat Walser dadurch unterstützt, dass er von seinem Werk vieles veröffentlichen ließ (so schließt sich dann auch der Kreis Walser-Brod-Kafka):

    Das eine dieser beiden Mädchen
    sieht zierlich aus wie ein Salätchen
    von duftenden und zarten Blättchen
    und hat die schönstgeformten Wädchen
    und schaut zum Fenster still hinaus
    ins morgendliche Landschaftshaus.
    Des andern Mädchens Haar ist kraus
    wie ein zerzauster Blumenstrauß.
    Unangefochten steht die eine
    als Ungezwungene und Reine
    auf ausgesprochen feinem Beine,
    im Mieder vor dem Sonnenscheine.
    Die andre küßt und flüstert: „Du!“
    Besinnung schließt sich ganz ihr zu,
    sie zittert, knistert, lodern, puh,
    von Leidenschaft bis in die Schuh`
    und kennt im Herzen keine Ruh‘.
    Die erste weiß nichts von Genüssen,
    wofür noch jed` hat büßen müssen,
    sie gleicht mit jedem Atemzug
    dem wonnenangefüllten Krug.
    Die zweite ist von sündigfrommen,
    lüsternen Flammen eingenommen,
    von Ungenügsamkeit umglommen,
    und hat sie nicht mehr wegbekommen.
    Wie fröhlich, selig ist ein Leben,
    das heiter uns aus uns kann heben.
    Das ist`s ja eben, daß wir kleben
    am Körpers Nöten, statt zu schweben
    in unherabgezognem Streben,
    wie Reben, die im Trieb, zu geben,
    sich wohlbefinden an den Stäben.

Zu seiner Zeit wurde Walser Geschwätzigkeit vorgeworfen (bezog sich vor allem auf seine Romane). So ganz kann das nicht bestritten werden. Aber es ist eine besondere Geschwätzigkeit. Und besonders die Gedichte von ihm zeugen von einem Wort-Klang-Spiel von kindlichem Ernst. Wie das Gedicht ‚Mädchen‘ so sind viele mit „ziemlich gewollten, unglücklichen Reime[n]“ ausgestattet. Aber darin liegt der Reiz: Vielleicht sollten wir etwas kindlicher sein.

Hier nur ein kleines, weiteres Beispiel Walser’scher Dichtkunst:

“Schnee liegt vergnügt auf allen Dächern
wie längst vergeßne Brief in Fächern”

„Wie ich zum Dichten kam, weiß ich selber nicht recht. Das gab sich, wie sich sonst etwas gibt. Ich habe mich oft gefragt, wie es anfing. Nun, es fing bei einem Zipfelchen an und nahm mich fort. Kaum wußte ich, was ich tat. Ich dichtete aus einem Gemisch von hellgoldenen Aussichten und ängstlicher Aussichtslosigkeit, war immer hlb in Angst, halb in einem beinah übersprudelnden Frohlocken.“
Robert Walser

Kurz und spitz (01): Polterer

    Die Deutschen sind Polterer, ob von links oder von rechts. Es fehlt ihnen das Vermögen zur feinen Spitze, zur eleganten Ironie, die den Gegner bloßstellt, ohne ihn zu vergrößern.
    Dirk Kurbjuweit

Kurz und spitz: Polterer
Kurz und spitz: Polterer

Hier entsteht eine neue Rubrik, eine neue Kategorie (wie es in Blogs auch genannt wird), in der kurz, dafür möglichst spitz, Gedanken formuliert werden, die Anstoß zum Überdenken geben sollen.

Ja, feine Spitzen der Ironie gegen den Unverstand, die Ignoranz braucht das Land. Denn was mich immer wieder wundert, gar ärgert, ist, wie es bei uns immer wieder geschafft wird, den Gegner größer dazustellen, als er es ist. Wir müssen wohl noch einiges lernen.

Albert Camus: Der Fall (1956)

    «Wenn die Zuhälter und Diebe immer und überall verurteilt würden, hielten sich ja alle rechtschaffenen Leute ständig für unschuldig! Und meiner Meinung nach muss gerade das verhindert werden.»
    Albert Camus: Der Fall (1956)

In diesem 1957 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Roman Der Fall schildert Camus den Fall des Pariser Anwalts Johannes Clamans, der seine Karriere als erfolgreicher und beliebter Strafverteidiger der Pariser Hautevolee freiwillig aufgibt, um als um als Winkeladvokat und „Bußrichter“ unter den Asozialen im Amsterdamer Hafenviertel unterzutauchen. Clamans war aus seiner Selbstzufriedenheit und dem vermeintlichen Einklang mit der Welt gestürzt, als er eines Nachts an der Seine den Hilfeschrei einer Selbstmörderin gehört und nicht beachtet hatte. Damit beginnt sein Gewissenskonflikt; und in einer atemberaubenden Beichte voll eisiger Ironie und lateinischer Klarheit bekennt er, daß Selbstgefälligkeit und Opportunismus die Triebfelder seines Gerechtigkeitssinnes waren. (aus dem Klappentext)

Ich habe diesen gerade einmal 120 Seiten umfassenden Roman in folgender Ausgabe vorliegen: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg – 1044, 184.-193. Tausend Februar 1979 – aus dem Französischen übertragen von Guido G. Meister – Originalausgabe erschien unter dem Titel „La Chute“

Albert Camus: der Fall (1956)
Albert Camus: der Fall (1956)

Die Geschichte ist in Amsterdam angesiedelt und wird als Monolog vom selbsternannten „Bußrichter“ Jean-Baptiste Clamence erzählt, der einem Fremden seine Vergangenheit als erfolgreicher Anwalt offenbart. In seiner Lebensbeichte berichtet er von seiner Krise und seinem Fall, der als individuelle säkulare Version des Sündenfalls gesehen werden kann. Das Werk erkundet Themen wie Bewusstsein, Freiheit und die Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens.

Die Besonderheit dieses Romans liegt darin, dass der Protagonist, der die Beichte ablegt, im ganzen Werk als Einziger zu Wort kommt. Der Verzicht auf einen allwissenden Erzähler, der auch Camus’ 14 Jahre zuvor erschienenen Roman Der Fremde prägt, nimmt dem Leser die Möglichkeit, das Geschehen zu objektivieren.

Nebelverhangene Grachten, kleine Brücken und unzählige Fahrradfahrer bestimmen das Bild von Amsterdam. 1954 entdeckte Albert Camus die niederländische Hauptstadt und empfand sie als klassisch und frech, aber auch düster – der ideale Konterpart zu seiner Melancholie. In Amsterdam siedelte der zukünftige Literaturnobelpreisträger seinen Roman „Der Fall“ an: die poetische Irrfahrt eines Mannes, der von der Schuld zerfressen wird. (Quelle: arte.tv)


Der Fall: Albert Camus und Amsterdam

Hier einige kurze Textpassagen, die teilweise allein für sich sprechen:

„… gepflegter Stil und Seidenhemden haben miteinander gemein, daß sie nur allzu oft einen häßlichen Ausschlag verbergen.“ (S. 8)

    „Wer keinen Charakter hat, muß sich wohl oder übel eine Methode zulegen.“ (S. 12)

„Wenn einer nicht umhin kann, Sklaven zu halten, ist es dann nicht besser, er nennt sie freie Menschen?“ (S.- 40)

    „Sie wissen ja, was Charme ist: eine Art, ein Ja zur Antwort zu erhalten, ohne eine klare Frage gestellt zu haben.“ (S. 48f.)

„Ich habe keine Freunde mehr, ich habe nur noch Komplicen. Dafür hat ihre Zahl zugenommen, sie umfaßt das ganze Geschlecht der Menschen. Und unter den Menschen kommen Sie an erster Stelle. Der just Anwesende kommt immer an erster Stelle.“ (S. 62f.)

    „… geben wir ihnen ja keinen Vorwand, […] uns zu richten!“ (S. 65)

„Glücklich und gerichtet oder freigesprochen und elend.“ (S. 67)

    „… und bliebt in einem Leben auch nur eine Lüge verborgen, verlieh der Tod ihr Endgültigkeit.“ (S. 75)

„… die Lobreden wurden mir je länger desto unerträglicher. Mir schien, die Lüge nehme damit immer mehr zu …“ (S. 76)

    „Um dem Lachen zuvorzukommen, verfiel ich also auf die Idee, mich der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben.“ (S. 76)

„… es genügt nicht, sich anzuklagen, um seine Unschuld zu beweisen …“ (S. 79)

    „… der Dreck verleiht uns Haltung.“ (S. 82)

„… die Wahrheit […] ist zum Sterben langweilig!“ (S. 85)

    „… daß die echte Ausschweifung befreit, weil sie keinerlei Verpflichtung schafft.“ (S. 86)

„Es ist kein Gott vonnöten, um Schuldhaftigkeit zu schaffen oder um zu strafen. Unsere von uns selbst wacker unterstützten Mitmenschen besorgen das zur Genüge.“ (S. 92)

    „… daß die einzige Nützlichkeit Gottes darin bestünde, die Unschuld zu verbürgen …“ (S. 92)

„Es fehlt nie an Gründen, einen Menschen umzubringen. Im Gegenteil, es ist unmöglich, sein Weiterleben zu rechtfertigen.“ (S. 93)

    „Keine Entschuldigung [,,,] Ich lasse nichts gelten, weder die wohlmeinende Absicht, noch den achtbaren Irrtum, den Fehltritt oder den mildernden Umstand.“ (S. 109)

„Die Anklagerede ist zu Ende. Im selben Augenblick wird das den Mitmenschen vorgehaltene Porträt zum Spiegel.“ (S. 115)

Willis Plaudereien (8): Die ‚große Freiheit‘

    Wie Hamburg habe ich meine „Große Freiheit‘. In allem. Ich halte mich nicht einmal an den Kalender. Wieso Neujahr feiern? An jedem Tag beginnt ein neues Jahr.
    Tomi Ungerer

Der Mann hatte gut reden. Natürlich kann jeder sich, anders als die anderen, an eigene Regeln halten, und übliche Gesetzmäßigkeiten außer Acht lassen. Irgendwann soll endlich die Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit entfallen. Da soll es aber schon heute Leute geben, die das gar nicht interessiert. Die haben immer Winterzeit (die Normalzeit übrigens). Bei denen ist es nicht 15, sondern erst 14 Uhr. Auf diese Art leben die Guten eine Stunde ‚länger‘.

Und ab einem bestimmten Alter wollen einige wiederum nicht mehr älter werden. Die bleiben 39 oder 49 oder 59 und eines Tages ‚vergessen‘ sie ganz einfach ihren Geburtstag (entsprechende Daten bei Facebook, Twitter usw. beizeiten löschen). Und wer mit Geschenken kommt, wird erschlagen.

Willi mit Helm - unscharf (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)
Willi mit Helm – unscharf (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)

Und für viele ist jeder neue Tag nicht nur der Beginn eines neuen Jahres (wie bei Herrn Ungerer), sondern sogar der Anfang eines neuen Lebens. Da wärst Du platt, lieber Tomi!

Russische Wochen (4) – Michael Bulgakow: Meister und Margarita

Komme ich zum vorerst letzten von mir gelesenem Buch meiner ‚russischen Wochen‘. Es ist ein Geschenk meines ältesten Sohnes und seiner Freundin, die russisch und vor allem weißrussisch als Muttersprache spricht, zum Vatertag. Der Autor, Michail Bulgakow, ist zwar in Kiew geboren, der heutigen Hauptstadt der Ukraine (bei seiner Geburt gehörte Kiew zum russischen Kaiserreich), er schrieb aber in russischer Sprache und gilt als einer der großen Satiriker der russischen Literatur. Seinen aberwitzigen Roman „Das hündische Herz“ habe ich bereits kurz vorgestellt. Heute geht es um sein Meisterwerk, an dem er zwölf Jahre (bis zu seinem Tode 1940 im Alter von 48 Jahren) schrieb: Meister und Margarita (dtv14301, vollständige Ausgabe 2014 – 7. Auflage 2019 – Мастер и Маргарита [Master i Margarita], 1966 – neu übersetzt und kommentiert von Alexander Nitzberg – mit einem Nachwort von Filicitas Hoppe).

Michael Bulgakow: Meister und Margarita
Michael Bulgakow: Meister und Margarita

Michail Afanassjewitsch Bulgakow, geboren am 15. Mai 1891 in Kiew, studierte Medizin, war Autor, Dramatiker, Übersetzer und Theaterregisseur. Berühmt wurden seine Romane und Erzählungen sowie seine Theaterstücke. Ab 1930 wurden die Werke Bulgakows in der Sowjetunion nicht mehr veröffentlicht. Der Schriftsteller stellte mehrfach Ausreiseanträge, die ihm jedoch verwehrt wurden.

Moskau um 1930: Zusammen mit seinen Gehilfen geht der Teufel um und wirbelt die Stadt mächtig durcheinander. Im Varietétheater richten sie ein heilloses Chaos an und stellen das Publikum – Bürger der Stalinzeit – mit all ihren Schwächen bloß. Die Behörden scheitern kläglich mit rationalen Erklärungsversuchen. Nur zwei Personen entgehen Schreck und Unbill: Der Meister – ein Schriftsteller, der seine Tage in der Psychiatrie zubringt – und Margarita, seine Geliebte, die sich in ihrem gutbürgerlichen Leben nach ihm sehnt.
Bulgakows Meisterwerk in der frischen und poetischen Neuübersetzung von Alexander Nitzberg ist eine auch heute noch hochpolitische Gesellschaftssatire – grotesk, aberwitzig und skurril: einer der schönsten Klassiker der Moderne.
(aus dem Klappentext)

Der Roman schildert in einer allegorischen und witzigen, satirischen Weise das Leben in Moskau zu dieser Zeit. Viele Kritiker zählen den Roman zu den wichtigsten russischen Erzählungen des 20. Jahrhunderts und halten ihn für eine der besten Satiren der Zeit, gerichtet gegen die starre, von Willkür geprägte Bürokratie sowie die Überwachungspraktiken und die Versorgungsengpässe in der dogmatisch atheistischen Sowjetunion.

Das zweite Hauptthema des Romans ist mit den menschlichen Werten wie Gut und Böse, Gott und Teufel, Leben und Tod verbunden. Die Erlösung aller Beteiligten, deren freiwilliges Werkzeug auch der Teufel ist, steht hierbei im Mittelpunkt. Einige Kapitel enthalten eine auf historische Glaubwürdigkeit bedachte Erzählung über Pontius Pilatus während der letzten Tage Jesu Christi, der in der Erzählung mit seinem hebräischen Namen Jeschua genannt wird.

Aus beiden Handlungssträngen ergibt sich das dritte Hauptthema: Keine größere Sünde als die Feigheit. Keiner der Moskauer Beteiligten ist wirklich bereit, sich der höheren Macht – teils der Staatsmacht, teils der des Satans (in Gestalt des Zauberkünstlers Voland) – zu stellen. Auch Pontius Pilatus verzichtet angesichts der Konsequenzen auf die Freilassung Jeschuas.
Ein weiteres Thema des Romans ist das des Künstlers und der Kunst.

Die Figuren des Romans

Keine Frage: Es ist ein herrlich skurriles Buch, das auch heute noch Bestand hat und uns tief in die russische Seele blicken lässt – nicht nur der Stalinzeit, sondern auch der Putin-Ära. Nicht umsonst hat der Roman jede Menge Adaptionen erfahren, wurde verfilmt, kam als Hörspiele heraus oder wurde in diversen Theaterausführungen verarbeitet.

„Es ist an der Zeit, Bulgakows Werk als große epische Dichtung zu entdecken – dafür hat Nitzberg den Weg freigemacht … man muss sich Satz und Satz auf der Zunge zergehen lassen.“ ‚BuchMarkt‘

„Sensationell! Kongenial!“ Felicitas von Lovenberg in ‚Literatur im Foyer‘

Mit diesem Roman enden für mich erst einmal die ‚russischen Wochen‘. Ich kann Bulgakow, aber natürlich auch die Werke Dostojewskis (und der vielen anderen russischen Autoren) nur wärmstens empfehlen. Jetzt in der Urlaubszeit sollte genügend Muße zum Lesen vorhanden sein.

siehe auch:
Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche
Russische Wochen (2) – Michael Bulgakow: Das hündische Herz
Russische Wochen (3) – Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Russische Wochen (3) – Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Komme ich heute zum 3. Buch meiner ‚russischen Wochen‘. Es ist der 1873 veröffentlichte Roman Die Dämonen von Fjodor M. Dostojewski, den ich in folgender Ausgabe vorliegen habe: Deutscher Taschenbuch Verlag, München – 5. Auflage Juni 1982 – 31. – 36. Tausend – dtv weltliteratur – Dünndruck-Ausgabe – Vollständige Ausgabe. Aus dem Russischen übertragen von Marianne Kegel [Marianne Kegel: Die Teufel – Leipzig: Hesse & Becker 1924]. – Titel der Originalausgabe: Бесы ‚Besy‘ (Petersburg 1971/72)

Über dieses Buch:
Der Roman >Die Dämonen< ist eine der machtvollsten, beziehungsreichsten Schöpfungen Dostojewskijs. Seine Romantechnik erreicht hier in der Verbindung von packender Handlung mit tiefster philosophisch-religiöser Thematik ihren Höhepunkt. Ein >Buch des großen Zorns< hat ein russischer Kritiker >Die Dämonen< genannt. Das ist der Roman zweifellos in dem heftigen Angriff Dostojewskijs auf die „nihilistische“ Generation der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts.
Wie in Turgenjews >Väter und Söhne< steht sich die Welt der Väter und der Söhne gegenüber. Der Vater Stepan Trofimowitsch Werchowenskij ficht Dostojewskijs Kampf gegen den Utilitarismus der jungen Genaration aus. Vor seinem Tod läßt er sich aus dem Lukas-Evangelium die Geschichte von der Austreibung der Teufel vorlesen, die dem Roman den Titel und seine religiöse Entschlüsselung gibt. Die Teufel, die Dämonen Russlands, sind die Handlanger der Zerstörung um der Zerstörung willen, vertreten durch den Sohn und Mörder aus politischen Motiven, Pjotr Stepanowitsch, durch die Hauptfigur Nikolaj Stawrogin und seinen Kreis der Nihilisten. Stawrogin ist ein von Machtgier und Zerstörungslust Besessener, der ein Leben voller Ausschweifungen und Grausamkeiten führt und sich schließlich, innerlich gescheitert, erhängt.

War der Ausgangspunkt Dostojewskijs zunächst weltanschaulicher Natur – der Konflikt zwischen den atheistischen, westlich orientierten Revolutionären und seiner nationalen, christlich-orthodoxen Überzeugung -, so wird immer mehr zum eigentlichen Thema, was der Dichter in einem Brief über den Romanplan schrieb: „Die Hauptprobleme, durch alle Teile des Romans hin, werden die gleichen sein, von denen ich bewußt und unbewußt während meines ganzen Lebens gequält worden bin – die Existenz Gottes.“

Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen
Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Das ist kein Buch, das man liest, das ist ein Abgrund, in den man hineinstürzt. Mir schien damals, ich habe durch diese Lektüre endgültig erfahren, was Leben wirklich ist: sich hilf- und heillos verstricken und schuldlos schuldig werden. Verzweifelt wie alle Personen des Romans bot sich mir als Ausweg jener an, den Kirillow und Stawrogin wählten: Selbstmord. So ein Buch ist das. Ein gefährliches Buch, wenn man es nicht ganz zu Ende liest.
[…]
Bei der Sitzung eine[s diese]r „Fünferkomitees“ legt ein Mitglied, Schigaljow, sein Buch vor, in dem er das Bild der künftigen sozialistischen Gesellschaft entwirft, ein Bild, gegen das, so sagt er, alle Gedanken früherer Reformer nichts als törichte Träume seien. Jedoch: er bekennt, sich selbst in seinen Ideen verirrt zu haben, und er müsse sehen, daß seine Propagierung der unbeschränkten Freiheit des einzelnen geradewegs in den unbeschränkten Despotismus führen. Es gebe keinen andern Weg als die Teilung des Volks in zwei Gruppen: ein Zehntel erhalte die unbeschränkte Freiheit und damit die absolute Macht, der Rest müsse entmündigt und damit in den „ursprünglichen Zustand der Lämmerunschuld zurückgeführt werden“. Das Ideal der totalen Diktatur, die Vorwegnahme des Faschismus und Stalinismus. (Quelle: zeit.de)

Aber damit endet Dostojewskis Hellsicht noch nicht. Es ist Pjotr Werchowenski, dem das Charisma eines Stawrogin abgeht, der diesen daher als ’neuen Zaren‘ auserkoren hat. Warum erinnert mich das so sehr an Putin, der mit seiner Scheindemokratie eine neue Form des Zarentums begründet hat. Stawrogin wollte nicht und nahm sich das Leben, Putin will dafür um so mehr …

Personenverzeichnis als PDF-Datei

siehe auch:
Heute Ruhetag (16): Fjodor Michailowitsch Dostojewski – Die Dämonen (nachzulesen bei zeno.org)

sowie:
Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche
Russische Wochen (2) – Michael Bulgakow: Das hündische Herz

Sommerfrische

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil`s wohltut, weil`s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.

Und lass deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.

Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz

Tun wir es dem Dichter gleich und denken nicht weiter als einen Grashüpferhupf. Mit einer Eistüte auf dem Gewissen und Sonne im Kopf frönen wir dem Sommer und Joachim Ringelnatz. Und mit seinen Gedichten. Wenn nicht jetzt, wann dann …

Russische Wochen (2) – Michael Bulgakow: Das hündische Herz

Zum Vatertag bekam ich von dem älteren meiner beiden Söhne und seiner Freundin ein Buch geschenkt, das ich inzwischen gelesen habe. Es ist der Roman Meister und Margarita von Michail Bulgakow. Dazu später mehr. Inzwischen hat mir mein Sohn zwei weitere Bücher dieses Autoren ausgeliehen und ich habe mir das deutlich kleinere Buch, den Roman Das hündische Herz: Eine fürchterliche Geschichte [Собачье сердце, 1925], aus dem Russischen übertagen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Alexander Nitzberg – dtv, München – vollständige Ausgabe 2014 – 3. Auflage 2017, zu Gemüte geführt.

Michael Bulgakow: Das hündische Herz
Michael Bulgakow: Das hündische Herz

Hundeherz, in der neuen Übersetzung: Ein hündisches Herz (Originaltitel russisch Собачье сердце, transkribiert Sobatschje serdze) ist eine Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Sie ist eine zynische Satire auf den von der Sowjetunion propagierten „neuen sowjetischen Menschen“ und handelt von einem durch ein Experiment entstandenen grobschlächtig-ruchlosen „Hundemenschen“, der sich zum Alptraum für seinen Schöpfer entwickelt.

Verfasst wurde das Werk 1925, zur Zeit der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), als in der Sowjetunion kapitalistische Wirtschaftsmechanismen teilweise wieder eingeführt wurden, was heftige politische Auseinandersetzungen und Kämpfe mit sich zog und auch einen grundlegenden Wandel in der Partei selbst zur Folge hatte: Der kommunistische Idealist trat in den Hintergrund zugunsten des kommunistischen Bürokraten. Obschon die NÖP zu einer relativ gemäßigten Haltung gegenüber Schriftstellern und Künstlern führte, wurde Hundeherz, mit seinen unverkennbaren allegorischen Anspielungen auf Widersprüche zwischen ursprünglichen revolutionären Hoffnungen, offizieller Propaganda und den Realitäten der NÖP-Zeit, verboten. Erst 1987, 47 Jahre nach dem Tode des Autors, konnte die Erzählung in der Sowjetunion erscheinen.

Um 1925. Der renommierte Moskauer Chirurg Professor Preobraschenski nimmt einen Straßenköter mit nach Hause – nicht aus Mitleid, sondern um seiner Experimente willen: Sein Ziel ist der >neue Mensch< ... Bugakows bissiger Klassiker, erstmals nach der letzten Fassung des Autors neu übersetzt, ist nicht nur eine moderne Mixtur aus russischem Faust, Frankenstein und Pygmalion, sondern auch eine aberwitzige Parabel auf die neue Sowjetgesellschaft, auf die Grenzen der Wissenschaft sowie die menschliche Natur im Allgemeinen. (aus dem Klappentext)

Moskau um 1925: Der hoch angesehene Chirurg Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski ist auf berjüngende Eingriffe spezialisiert. Aber heimlich experimentiert er – mit Hunden. Bei Lumpi, dem Straßenköter, scheint das Experiment endlich erfolgreich …

„Ich bin vom Stuhl gefallen. Ein Buch, das auf abgründige Weise das Bild des biotechnisch hergestellten Neuen Menschen so vernichtend darstellt – das ist ungeheuerlich.“ Rüdiger Safranski im >Literaturclub< (Schweizer Radio und Fernsehen) „Es ist die erste Übersetzung ins Deutsche, die Geist und Gestus des radikal modernen Werkes wirklich erfasst …“ Eckhard Stuff in rbb kulturradio

siehe auch:
Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche

Russische Wochen (1) – Tschingis Aitmatow: Frühe Kraniche

Urlaubszeit oder gar die Zeit des Rentnerdaseins ist auch immer eine Zeit des Lesens. Für mich sind es in diesen Wochen nicht nur die Bücher, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, sondern auch das eine oder andere, das sich lohnt, erneut gelesen zu werden. Zuletzt hatte ich ‚russische Wochen‘, habe also Romane gelesen, die aus Russland stammen oder zumindest in russischer Sprache erschienen sind. Ich mag die russische Kultur, die uns besonders in der Literatur, aber auch durch die Musik (ich denke da an Modest Mussorgski, Sergei Prokofjew, Sergei Rachmaninow oder Dmitri Schostakowitsch, um nur einige zu nennen – ja, ich höre auch gern so genannte E-Musik) Werke von unbezahlbarem Wert geschenkt haben. Ich mag weniger die russische Politik. Dazu aber später einmal mehr, wenn es hier um Dostojewskis ‚Die Dämonen‘ gehen wird.

Beginnen möchte ich mit einem kleinen Roman eines kirgisischen Autoren, der hauptsächlich in russischer Sprache schrieb: Tschingis Aitmatow. Ihn habe ich hier schon einmal vorgestellt mit einem ebenfalls dünnen, aber gehaltvollen Büchlein: Dshamilja, der wohl schönsten Liebesgeschichte der Welt. Aitmatow war eine bemerkenswerte Person. So war er von 1988–1990 Vorsitzender des kirgisischen Autorenverbandes. In der Zeit der Perestroika war er als parlamentarischer Vertreter (Oberster Sowjet der UdSSR) aktiv, seit Ende 1989 auch als Berater Michail Gorbatschows. 1990 wurde er der letzte sowjetische Botschafter in Luxemburg. Bis März 2008 war er Botschafter für Kirgisistan in Frankreich und den Benelux-Staaten und lebte in Brüssel.

Tschingis Aitmatow
Tschingis Aitmatow

Frühe Kraniche heißt der kleine, gerade einmal 120 Seiten starke Roman, der zuerst 1975 unter dem Titel > Ранние журавли (Ranni Zurawli)< in der Zeitschrift Nowy Mir in Moskau erschien. Ich habe ihn aus dem Russischen übersetzt von Charlotte Kossuth in einer Ausgabe des Fischer Taschenbuch Verlages 5327 aus dem März 1984 vorliegen.

Rußland 1943: Sultanmurat, ein halbwüchsiger Kirgisenjunge und Anführer einer Gruppe gleichaltriger Jungen, wartet in der menschenleeren Steppe, wo sie die Saat vorbereiten, auf die ersten Zeichen des Frühlings, den Kranichzug. Dieses Zeichen der Hoffnung auf eine gute Ernte läßt sie für einen Augenblick die Schrecken des Krieges, die Unerbittlichkeit des Winters und die Anstrengungen der bäuerlichen Arbeit vergessen. Sie wissen nicht, daß in den nahen Bergen eine große Gefahr auf sie lauert. Sulranmurat aber bewährt sich in einer schier aussichtslosen Situation.
Aitmatow erzählt mit großer Anteilnahme und Einfühlung von Sultanmurat und seinen Gefährten. Eben noch Kinder, die die Schulbank drücken müssen, sind sie von heute auf morgen dazu ausersehen, die Grundbedürfnisse des Lebens für ihr Kolchosendorf zu sichern. Es ist eine dunkle Zeit, in der sie leben, Krieg und ein scheinbar endloser Winter, Tod und Hunger sind ihre Begleiter, doch die Jungen geben nicht auf.
(aus dem Klappentext).

„Es geht mir um die Liebe und die Kriegszeit. Der Krieg brandet irgendwo … Und hier, gleich daneben, ist die Liebe die Entdeckung der Welt. Zwischen Krieg und Liebe entstehen zwangsläufig unsichtbare Beziehungen und Brücken.“ Tschingis Aitmatow

André Gide: Die Schule der Frauen

Die Stellung der Frau in Ehe und Gesellschaft und der Kampf um die Freiheit ihrer Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt dieser drei, nun schon klassischen psychologischen Erzählungen, die sich wie die Tafeln eines Triptychons miteinander verbinden. Wir lesen das Tagebuch einer jungen Frau, deren frisches und klares Urteilsvermögen die vorgetäuschte moralische Überlegenheit ihres Mannes als raffinierten Egoismus entlarvt und die an dieser Erkenntnis zerbricht. In der zweiten Erzählung versucht der Beschuldigte eine Rechtfertigung, in der dritten nimmt, in Form eines Briefes, die Tochter des Ehepaares (inzwischen selbst eine junge Frau) zu den Ereignissen Stellung. Dabei erweist sich, daß die gesellschaftlichen Veränderungen zu einer Befreiung geführt haben: die Tochter nimmt für sich jenes Recht auf die eigene Persönlichkeit ganz selbstverständlich in Anspruch, das der Mutter versagt blieb.

André Gide, am 22. November 1869 in Paris geboren und dort am 19. Februar 1951 gestorben, der seinen Zeitgenossen und vielen seiner konservativen Autorenkollegen als gefährlich, als der große Seelenverderber galt, hat längst seinen Platz in der Weltliteratur. Der Nobelpreisträger (1947) zählt zu den wichtigsten französischen Schriftstellern seiner Generation. Er hat das geistige Gesicht des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt. Die Erzählungen >École des Femmes< erschien 1929 (dt. 1929), >Robert< 1930, >Geneviève< 1936 (dt. zus. 1950). "Ein scharfzüngiges Manifest für die Frau. Doch bei allem Engagement zum Thema >Emanzipation< geht Gide nie der Charme aus. Schon allein die Komposition ist äußerst reizvoll ... Darüber hinaus jedoch besticht Gide durch seinen überaus eleganten Stil, in dem Einfachheit und Ironie sich raffiniert brechen." (Norddeutscher Rundfunk) André Gide gemalt von Paul Albert Laurens (1924)
André Gide gemalt von Paul Albert Laurens (1924)

Ich finde es schon erstaunlich, wie sich André Gide als Mann vor über 85 Jahren in die unterschiedlichen Rollen der Mutter, des Mannes und dann der Tochter hineinfühlt: André Gide: Die Schule der Frauen [L’École des Femmes] – Erzählungen – dtv 1751 – 3. Auflage 1983. Die Mutter, die zunächst dem Charme ihres späteren Mannes erliegt, erkennt bald, wie perfide ihr Ehegatte ist, wie er nicht nur sie, sondern seine ganze Umwelt hintergeht. Der Mann schiebt in seiner Rechtfertigung alles auf seine Frau und dann auch auf die Tochter. Der Brief der Tochter offenbart dann das ganze Dilemma, dem ihre Mutter ausgesetzt war.

siehe auch: André Gide: Die Falschmünzer

Ingomar von Kieseritzky: Das Buch der Desaster / Anatomie für Künstler

Ende der 1980-er Jahre hatte ich mir zwei Bücher von Ingomar von Kieseritzky gekauft – und natürlich auch gelesen. Bei der Durchsicht meiner Bibliothek bin ich wieder auf diese zwei kleinen Romane gestoßen und habe sie in diesen Tagen erneut vorgenommen. Kieseritzky war ein Verfasser experimenteller Prosa, die stets eine Tendenz zum Grotesken und Absurden aufweist. Sein Humor war grimmig und handelte vorallem von den passionierten Neurosen von Männern. Er war ein überaus stilsicherer Wortakrobat, der es nach meinem Geschmack oft etwas zu dick auftrug. Aber irgendwie passte das stilistisch zu dem von ihm Geschriebenen.

Kieseritzky, der im letzten Jahr gestorben ist, war bei Kritikern durchaus beliebt. So erhielt er viele Auszeichnungen in Form von Stipendien und Literaturpreisen, z.B. 1989 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen. Ein großes Publikum zu finden, fiel aber nicht ganz so leicht.

Willi liest Kieseritzky
Willi liest Kieseritzky

Das Buch der Desaster (1988)

Wenn ich meinen Kalziumhaushalt saniert habe, werde ich Anna-M. heimsuchen und eine stille, feuchte Feier über die vielen Tode begehen und mit ihr diese Papiere verbrennen. Allzu romantischer Pla; sie hat bestimmt Zentralheizung. Sollte mich nicht, Schwur am chromierten Schreibtisch, der Lungenkrebs krepieren lassen, bliebe nach genügend Sinnstiftung noch Brants Geburtstagsgeschenk, die Mauser-Westentaschenpistole, ein handliches Ding im .kal. 6,35, ausreichend, um das ewige Flattern zu tonisieren.

So endet der Roman „Das Buch der Desaster“ von Ingomar Kieseritzky (dtv/Klett-Cotta 11379 – Mai 1991)

„Magdalena erbrach sich verschnupft und sagte, ich sei ein Trottel“, erinnert sich Kelp auf seiner Reise mit Brant. Und: „Mein Duell mit Anna dauerte genau zwei Jahre, drei Monate, vier Tage.“ Brant wiederum weiß zu berichten: „Es war meine Frau, meine über alles geliebte, wunderbare, sanfte und schöne Natalia, die von dem Kerl geschändet wurde.“ – Frauen, Cognac, und alle sonstigen Freuden und Lieden des Leibes spielen eine große Rolle bei dieser Reise nach Frankreich, die Kelp trotz aller Kalamitäten und Mißgeschicke nur als „sanftes Fiasko“ einstufen mag. „Die erotische Obsession und das ihr automatisch folgende Desaster – darum geht es in Kelps katastrophischen Plaudereien“, schreibt Volker Lilienthal im >Rheinischen Merkur>. „Das Buch der Desaster ist vor allem ein Buch über Männer und ihre lächerlichen Anstrengungen, ans Ziel ihrer sexuellen Begierden zu gelangen. Ich wüßte keinen zweiten Autor, der so köstlich ironisch über das eigene Geschlecht geschrieben hat.“ (aus dem Klappentext)

Eine mit brillantem Sprachwitz erzählte Frankreichreise. 93 Romankapitel über Theorie und Prxis der Alltagskatastrophe; oder: Eine kleine Enzyklopädie des täglichen Flops.
Im „Buch der Desaster“ vereinigen sich Esprit und Informiertheit, Freude an der Theoriebildung und Lust am erotischen Detail. Hohe Zeit, Kieseritzky zu lesen.

„Damit empfiehlt sich dieses Buch als Nachtlektüre für alle, die keine Panne im Leben auslassen. Denn dieses Buch ist für Katastrophenspezialisten das Trostvollste, was seit dem ‚Vaterunser‘ geschrieben wurde.“ Der Stern

„Kieseritzky meistert ein Vokabular vom grob ordinären Ausdruck bis zur kühl objektivierenden wissenschaftlichen Bezeichnung. Ich habe seit langem kein Buch mehr mit so großem Interesse und Vergnügen zweimal gelesen.“ Neue Zürcher Zeitung

„Unerschöpflich scheint Ingomar von Kieseritzkys Phantasie zu sein, wenn es darum geht, Mikrodesaster und Miniaturdebakel kunstvoll in trostreiche Anekdoten zu verpacken … Seine Desaster halten nicht nur jeden Vergleich mit der Wirklichkeit aus, sie sind vor allem viel amüsanter.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Anatomie für Künstler (1989)

Im Roman Anatomie für Künstler – Klett-Cotta, Stuttgart 1989 (Erstausgabe) steht Maximilien Marun im Mittelpunkt. Er erzählt seine aberwitzige Geschichte, von eimem Symposion zur Rettung der Erde, bei der einer der Teilnehmer dank Marun ums Leben kommt. Irgendwo ist es auch so etwas wie ein Liebesroman.

Schon Thomas de Quincey feierte ihn: den Mord als eine schöne Kunst; die elegante, zweckfreie „Herbeiführung ewigen Stillschweigens“. In diesem Buch wird sie in allen Variationen durchgespielt – eine Geschichte, die in einem stillen Antiquitätenladen beginnt. Erzählt wird sie von Max Marun. Der sitzt in einer Klinikzelle und denkt nach über die Fragmente seiner früheren Existenz: die heillose Obsession für Laura; die mit privaten Überlebensprojekten beschäftigte Berliner Szene; die kryptischen Briefe des Onkels aus Schloß Painwood, England. Dort kommt bei ienem „Badeabenteuer“ ein Wissenschaftler ums Leben, Teilnehmer eines prominent besetzten Symposiums zur Rettung des Planeten. Maruns marodes Gedächtnis produziert einen Comic-Strip der Anschläge, mit einer Handlung, die bis zum Schluß ihre Auflösung für sich behält. (aus dem Klappentext)

„Kieseritzky hält seine Leser in Bewegung … Amüsements und Schocks lösen einander ab, hingerissen zwischen Sprachwitz und Denklust wird die Lektüre zum Ereignis.“ Die Zeit

„… ein deutscher Woody Allen.“ Deutsche Welle

„Stilsicherheit und technische Brillanz, Fedankentiefe und historische Geistesgegenwart – da ist alles, was große Literatur ausmacht.“ Süddeutsche Zeitung

Ich fürchte, dass man Kieseritzky heute vorwerfen würde, nicht unbedingt politisch korrekt zu sein. Und irgendwie sexistisch ist das Ganze dann auch noch. Aber das waren Ende der 1980-er Jahre noch keine handelsüblichen Vokabeln. Und irgendwie liegt da auch der Reiz beim Lesen dieser beiden Romane.