Kategorie-Archiv: WilliZ Welt

WilliZ kleine (eigene) literarische Welt

Lob des Aufenthalts im Freien – ein PER

Vorbemerkung: Manchmal entscheidet der Anfang eines Romans darüber, ob wir das Buch zu Ende lesen oder nicht. Manche Romane sind geradezu bekannt für ihren Beginn. Mancher Schreiberling und Schriftsteller ist aber über den Start einer Geschichte, ob sie nun als Kurzerzählung oder Roman enden sollte, nicht hinausgekommen. Andere schreiben Romananfänge und nur diese. Die weitere Geschichte interessiert sie nicht.

Ich versuche mich hier an einer neuen Gattung der Prosa und nenne es „plötzlich endender Roman“ (PER), neu-deutsch: „suddenly ending novel“ (SEN), weil’s so schön klingt, wobei ein Hauptmerkmal auf eine möglichst längere Einleitung wie bei einem Romananfang liegt. Die Einführung soll dem Leser suggerieren, dass es eine lange Geschichte werden könnte, die da erzählt wird. Möglichst viele Handlungsstränge werden miteinander verwoben, alles spielt vielleicht auf verschiedenen Zeitebenen (Rückblenden sind bestens geeignet). Aber nach bereits einer Seite soll dann der Paukenschlag kommen: das plötzliche Ende … Schluss und vorbei!

Also wie ein Aufsatz ohne Hauptteil, nur mit Einleitung und Schluss. Wichtig ist vielleicht auch der Titel eines PERs, der möglichst abstrus sein sollte, um den Leser schon hier in die Irre zu führen.

Von meinem ersten PER (ach wie schön können Abkürzungen sein) erhebe ich keinerlei literarischen Anspruch. Die neue Gattung muss erst noch wachsen. Auch gestehe ich, dabei einfach ‚drauflos’ geschrieben zu haben – und dass mir zunächst ‚etwas ganz anderes’ vorschwebte. Vielleicht ist dieses intuitive Schreiben eines der Kennzeichen des PERs.

Der Bruch in der Geschichte, die Stelle, die das plötzliche Ende einleitet, ist sicherlich sehr klischeehaft (ein Vorhang, der zerreißt) – und das Ende ist eher ordinär. Aber, ich hoffe, das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Hier also mein erster PER, plötzlich endender Roman:

Lob des Aufenthalts im Freien

Leisen Schrittes erstieg er den Gipfel, der ihn eine weite Sicht über die anderen Berge eröffnete. Nie zuvor war er so hoch gestiegen, noch nie blickte er so frei auf das Land seiner Ahnen. Die Milch im Sack war sauer geworden, aber er mochte Saures – und war schon allein der Windzug erfrischend, so schmolz die Flüssigkeit wie Eis in seiner heißen Kehle. Das tat gut. Der Aufstieg hatte ihn durstig gemacht. Und Hunger verspürte er nun auch. Appetit kommt beim Essen oder hier beim Trinken. Das Brot war schimmelig, aber mit dem Messer kratzte er die fauligen Stellen wie eine Wunde sauber, brach sich erst ein Stück mit den Fingern heraus, steckte es in den Mund, und biss dann Stück für Stück aus dem Brot wie ein Wolf das Fleisch aus dem Körper seines Opfers.

Sein Blick war auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Das musste das Gehege sein, in dem der Hirt am Abend seine Schafe zur Nachtruhe treibt. Hier hatte er vor zwei Tagen Quartier zwischen den warmen Körpern der Tiere und nach einem langen Fußmarsch tiefen, traumlosen Schlaf gefunden. Der Hirt hatte ihm am nächsten Tag mit Milch und Brot versorgt. Geld wollte er dafür nicht. Ein Handschlag zum Abschied genügte ihm.

Jetzt stand er also hier oben, nagte am Brot und trank von der sauer gewordenen Milch. Er musste plötzlich an den Bauern denken, der ihn von seinem Hof gescheucht hatte. Mit Herumtreibern, die nur von der Hand in den Mund leben, die vielleicht das Vieh schänden, wollte dieser nichts zu tun haben. Dabei suchte er nur eine Unterkunft für eine Nacht in dem Stroh der Scheune. Einmal ein Dach über dem Kopf haben, nur das wünschte er sich.

So war der Himmel seit Tagen sein Dach in der Nacht.

Vor genau zwei Wochen war er mit der Fähre auf diese Insel gekommen. Im Gepäck, das jetzt in der Hauptstadt in seinem Hotelzimmer auf dem Bett lag, waren die Briefe, die sein Bruder ihn nach Übersee geschrieben hatte, zurückgeblieben. Dieser hatte ihn gebeten, so schnell wie möglich hierher auf die Insel zu kommen. Der Grund war ihm nicht ganz klar. Es sollte aber um viel Geld gehen.

Als er vor 14 Tagen die Reling der Fähre hinabstieg, sein Blick suchte den Bruder auf dem Kai, überkam ihn ein unbeschreibliches Gefühl. Von diesem Hafen aus war er vor mehr als zwölf Jahren in die Welt aufgebrochen. Hier hatte er Kindheit und Jugend zurückgelassen, um in einem fernen Land sein Glück zu suchen.

Als er auf dem Kai stand, den Koffer mit den wenigen Sachen und mit den Briefen des Bruders in der Hand, war von diesem nichts zu sehen. Urplötzlich breitete sich Panik in ihm aus. Warum war sein Bruder nicht da, der ihn doch ausdrücklich von der Fähre abholen wollte? Er versuchte sich zu beruhigen. Der Bruder war sicherlich aufgehalten worden und wird in wenigen Augenblicken mit lachenden Gesicht vor ihm stehen und begrüßen. Als aber auch nach einer vollen Stunde kein Bruder zu sehen war, stieg dieses von ihm so bekannte Gefühl von existenzieller Angst erneut und in voller Wucht in ihm auf.

Hier oben auf dem Gipfel erschien ihn seine Ankunft auf dieser Insel wie ein Traum, eher ein Alptraum, an den man sich plötzlich wieder erinnert, der aber schon Monate zurückliegt. Als der Bruder auch nach einer weiteren Stunde nicht erschienen war, suchte er in der Nähe nach einem Taxi. –

Er stand vor einem völlig verwahrlosten Haus und fragte noch einmal den Taxifahrer, ob das wirklich die Straße wäre, die der Bruder in seiner Adresse angegeben hatte. Straße und Hausnummer stimmten. Völlig ratlos betrat er das Grundstück. Die Pforte war nur angelehnt, der in Stein gefasste Weg zum Haus überwuchert von Unkraut. Es war schon nicht mehr Panik, was ihn beschlich. Es war eine Faust, die sein Herz umklammerte. Sein Atem stockte.

Die Sonne begann zu brennen. Obwohl es auf dem Gipfel des Berges kalt war, fing die Sonne an, ihn zu wärmen. Sein Gesicht rötete sich. In diesem Augenblick zerriss der Vorhang. Vor ihm stand sein Bruder und fasste ihm am Arm. Wie benommen blickte er auf.

„Wach endlich auf, du Schlafmütze! Es wird Zeit für uns. Ich kann nicht länger warten.“

Was gibt es Beschisseneres als diesen Traum, als diesen Traum im Traum. „Mach die Fliege, ich will noch eine Runde schlafen!“

Wilfredo A.: Gegen Windmühlen kämpfen

Nachdem Kretakatze den Mut gefasst hat, uns einige Lieder vorzusingen, habe ich alte Musikkassetten hervorgeholt, entstaubt und teilweise digitalisiert (soweit das überhaupt noch ging), die u.a. Aufnahmen von mir aus grauer Vorzeit enthalten – nicht nur selber gesungen und gespielt, sondern auch noch mit Herzblut selbst verfasst.

Im Jahre 1980 hatte ich zum ersten Mal Miguel de Cervantes Saavedras „Don Quixote“ gelesen. Das Buch habe ich in drei Taschenbuchbänden, die insgesamt immerhin über 1300 Seiten ausmachen und liebevoll von Grandville illustriert wurden. Dieses Epos wurde (neben anderen Romanen von Bedeutung) zum Ausgangspunkt für mich zu einer kleinen Sammlung von Liedern.

Das hört sich hochtrabend an, ist es aber nicht. Es sind damals, eben im Jahre 1980, lediglich einige Lieder entstanden, die nur für meinen Privatgebrauch gedacht waren. Schon bald habe ich mich dann auch daran gemacht, sie mit einem 2-Spur-Tonbandgerät aufzunehmen. Der einfacheren Handhabung wegen habe ich die Aufnahmen dann auf Musikkassette überspielt. Die Tonbänder sind zwar noch vorhanden, das Tonbandgerät allerdings ist längst verschrottet worden.

Die erste Aufnahme von damals habe ich nun als Video bei youtube eingestellt. Um dem möglichen Betrachter und Zuhörer die Sorge, hierzu eine Bewertung oder gar einen Kommentar abgeben zu müssen, zu ersparen, habe ich Bewertungs- und Kommentarmöglichkeiten von vorn herein abgeklemmt. Man mag die Qualität entschuldigen (u.a. ist die Aufnahme etwas übersteuert). Aber genug der Vorrede:

Gegen Windmühlen kämpfen

Es ist schwer allein
Gegen Windmühlen zu kämpfen.
Es ist schwer allein
Seinen Weg zu finden.
Es ist schwer, unverstanden
in die Welt zu ziehen, einem Traume nach.
Es ist schwer, in fremden Landen
Träume zu bewahren, nur den Himmel als Dach.

Don Q., der einsame Ritter
Zog im schwersten Gewitter
allein mit Pferd und Knappen
Um den Kopf den feuchten Lappen
Der gegen die Hitze ihn kühle
Zog er los gegen die Mühle
Zog er alleine los, um gegen Windmühlen zu kämpfen.

Belächelt und für irre gehalten
Kämpfte er gegen unsichtbar‘ Gestalten.
Die Sonne brannte heiß
Auf den blanken Sand, wer weiß
Wo sein Ziel in der Ferne lag
Es lag in der Ferne, wer mag
schon gegen Windmühlen kämpfen, die sich im Winde drehen.

Aufgenommen am 03.04.1980 in Bremen


Willi singt: Gegen Windmühlen kämpfen

Ahooga Nonsen – Frühlings Erwachen oder Dreck am Stecken – Teil 2

Hier nun die Fortsetzung und auch bereits das Ende eines Kriminalromans, über dessen Einleitung ich nicht hinaus gekommen bin. Dies Stück Weltliteratur stammt aus meiner ‚weißen Phase‘ etwa im März 1993, also vor inzwischen vielen Jahren, als ich auch noch in Hamburg hauste und mir diese Stadt als Kulisse dieses gerade zu kafkaesken Romanfrakments diente. Am Ende verliert sich dieser poetische Erguss in einigen Randnotizen, die ich gut ein Jahr später (welche Hoffnung war in mir, diesen Roman vielleicht doch noch zu Ende zu schreiben) verfasste und die vielleicht Ausfluss Aufschluss (welcher ‚Freud‘ reitet mich hier) bieten, wie alles hätte enden sollen. Genug – viel Spaß auch hier beim Lesen:

Ahooga Nonsen heißt eigentlich nicht Ahooga. Wie er zu diesem Namen kam, weiß er wohl selbst nicht mehr genau. Ahooga klingt wie ein Ausruf – von Tarzan, der von Liane zu Liane springt, könnte dieses Ahooga stammen. Aber Ahooga Nonsen weiß es besser: Tarzan schreit: Ahaha! Wie Ahooga wirklich heißt, verrät er nicht. In seinem ureigenem Personalausweis könnte man seinen tatsächlichen Vornamen finden oder in seinem Führerschein. Aber beides hat er vor einiger Zeit eingebüßt, als er als zweiter Sieger aus einer tatkräftigen Auseinandersetzung hervorging mit blutendem Maul, zerrissenen Hosen und fehlender Brieftasche, in der noch die drei Hunderter steckten, die ihn zuvor ein Klient für verauslagte Kosten gegeben hatte – und seine Papiere. Das gigantische Schlüsselbund war ihm aber erhalten geblieben. Und obwohl sich in diesen kalten Wintertagen kein neuer Auftrag auftat, saß er lieber in seinem warmen Büro, als von Behörde zu Behörde zu rennen, den Verlust seiner Papiere zu melden und neue zu beantragen. Ahooga Nonsen heißt Ahooga Nonsen, wenn er im Dienst ist, wie er es nennt, wenn er im Büro sitzt. Sobald er aber sein Büro verläßt, nimmt er andere Namen an. Als Privatdetektiv muß man Vorsorge treffen. So hat er ein Arsenal an Visitenkarten, hat sich auch beizeiten gefälschte Papiere besorgt, um bei entsprechenden Eventualitäten versorgt zu sein. Als er in die Schlägerei geriet, da war er außer Dienst, wollte sich lediglich seine Zutaten für sein Abendessen besorgen und hatte seine Originalpapiere bei sich. Manchmal ist es wie verhext. Da benimmt man sich wie ein Amateur, läßt sich die Nase polieren, strauchelt und am Ende verliert man gewissermaßen seine wahre Identität. (01.03.94)


Ahooga Nonsen für einen Privatdetektiven halten, darauf würden auf Anhieb nur die wenigsten kommen, wenn überhaupt einer. Nicht das er schmal und schmächtig, zart oder gar schwächlich gebaut ist. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ahooga ist klein und breit. Fast quadratisch. Und wenn er durch die Straßen geht, die Kneipen der Stadt abklappert in seinem verschlissenen Mantel und der dazu ziemlich unpassenden Schottenmütze, dann wirkt sein Gang behäbig, geradezu schwerfällig. Man sollte sich aber nicht täuschen lassen. Schon mancheiner hat ihn unterschätzt und dafür Lehrgeld kassiert. Vielleicht weil er so klein ist – und in seinem Mantel mit Mütze noch kleiner wirkt -, sind seine starken Arme schneller um die Ecke dank der kürzeren Hebel. Wenn er so durch die Kneipen geht, ob auf der Suche nach einem untreu gewordenen Ehegatten oder einem lustsüchtigen Töchterlein, mit dem Foto in der Hand, dann könnte man ihn eher für einen Hamburg-Touristen halten, der irgendwo vom Lande kommt und in Hamburg nichts Eiligeres zu finden hat als die Reeperbahn, wenn auch nicht nachts um halb eins. In einigen Kneipen kennt man ihn natürlich schon, besonders in den einschlägigen, in denen sich schon einige der Gesuchten auch tatsächlich aufgabeln ließen. Aber selbst dort nimmt man es ihm immer noch nicht so recht ab, daß der ein Schnüffler ist. Und das ist ihm auch ganz genehm.


Das Büro ist nicht gerade ein Schmuckkästchen. Neben dem Fenster, das in Richtung Norden weist und kaum Licht in das ohnehin kleine Zimmer läßt, steht ein großer Aktenschrank, schon altersschwach wie man ihn heute noch höchstens in Finanzämtern, und dort auch nur noch in staubigen Kellern, findet. Dieser Schrank ist zweigeteilt und durch Rolläden, die aber an allen Ecken und Kanten haken, verschließbar. Der obere Teil enthält jede Menge Aktenordner; der untere enthält die Zutaten für sein Mittagessen, daneben eine Unmenge an leeren und vollen Bierflaschen. Neben dem Kochtopf mit dem Tauchsieder steht eine Dose mit Tee und eine Tasse, deren Inneres zu leben scheint. Und eine Flasche besten Jamaica-Rums, mit dem Ahooga seinen Tee an kalten Tagen wie diesen zu würzen trachtet. Ahooga ist ein ausgesprochener Teetrinker. Wenn er nicht gerade seine Bierchen zischt. Und mit einen Schuß Rum ist der Tee für ihn das Getränk, für das er jedes andere Getränk dieser Welt stehen läßt. Ebenfalls im unteren Teil des Aktenschranks befindet sich weiteres Geschirr, Messer, Gabel und Löffel, die ein oder andere geöffnete oder noch verschlossene Dose mit irgendeinem Fertiggericht. Um sich zu waschen oder das Geschirr zu spülen, befindet sich zur anderen, der linken Seite des Fensters ein Waschbecken. In diesem Waschbecken wäscht er oft seine Socken, denn er hat das, was man qualmende Füße nennt. Wäsche, also auch frische Socken, ein Hemd und auch eine von ihm persönlich gebügelte Hose, befinden sich im unteren Teil eines ebenfalls antiken Schreibtisches, der mitten im Raum steht. Zwischen Schreibtisch und Fenster steht der Ledersessel mit den Armlehnen, über denen er von Zeit zu Zeit seine Beine baumeln läßt, wenn er den Rücken zur Tür gekehrt aus dem Fenster blickt. Links neben der Tür dem Aktenschrank gegenüber steht der Garderobenständer mit den Spiddelfingern. Auf der anderen gibt es dann noch eine Sitzmöglichkeit für Klienten. Wie anders sollte man dieses Möbelstück nennen, daß selbst für den Sperrmüll zu schade ist. Es handelt sich dabei um eine Art von Gestell auf meist vier Beinen. Sollte es einer der Klienten einmal wagen, sich auf diesen Sitz zu setzen, so stellt es sich bestimmt als dreibeinig heraus – das vierte Bein liegt dann wie der Klient am Boden. Aber auch das hat Vorteile. Der Klient ist gezwungen zu stehen, während ihn Ahooga von unten aus seinem Sessel heraus, das Fenster im Rücken, betrachten kann. Klienten, die stehen, halten sich meist kurz und nerven nicht mit langen Vorreden.

Nonsens Büro

Eigentlich schmuddelig ist es nicht in Ahoogas Büro. Dafür ist Ahooga in seinem Sinne ordnungsliebend. Das muß allerdings näher erläutert werden. Ahooga hat nämlich seine ureigenste Auffassung von Ordnung. Diese entspricht nicht ganz dem Motto: „Wer Ordnung schafft, ist nur zu faul zum Suchen!“, kommt dieser aber sehr nahe. Sein Hirn hat Ähnlichkeit mit einem Computer. Er speichert vieles im Kopf, das dem normalen Menschen nicht einfiele zu speichern. So merkt er sich gewissermaßen seine Unordnung, was im Bezug auf seine Akten heißen kann: Die für den Normalmenschen chaotische Unordnung in seinen Aktenordnern ist für Ahooga Nonsen ein selbstgeschaffenes Ordnungssystem. Fragte man ihn, wo z.B. ein bestimmter Artikel aus einer bestimmten Zeitung eines bestimmten Datums zu finden ist, so wird er es auf Anhieb finden, während Otto Normalverbraucher, der den gesuchten Artikel mit Sicherheit nach einem allgemeingültigen System (je Zeitung ein Ordner und dort nach Datum abgeheftet oder nach Thema usw.) suchen wird, den Artikel wahrscheinlich nie finden wird. Und so ist Ahooga Nonsen in allen Dingen. Benötigen wir z.B. ein bestimmtes Paar Socken, so werden wir diese in einer Schublade suchen, in der alle Socken, die wir haben (bis auf die, die wir tragen bzw. die sich in der Wäsche befinden), befinden. Ahooga Nonsen wird die benötigten Socken allerdings – und das schneller als wir in der Sockenschublade – irgendwo in einem Haufen zwischen Hemden und Hosen finden. (02.03.94)

Antik wäre aber auch nicht das richtige Wort.

(01.03.94)

[Verhältnis zu Frauen eher gestört – er hatte eine Liebhaberin, ein eher ältliches Fräulein, das ihm aber die Liebhaberei aufgekündigt hat, weil es mit seinem Lebenswandel und seiner Arbeit „nicht klarkam“. Irgendwie schwebte ihr ein im deutschen Sinne „gemütliches“ Eheleben vor – der Mann als arbeitsamer Arbeitnehmer, der morgens sich, von der Ehefrau verköstigt, zu seinem Büro aufmacht, um abends zu gewohnter Stunde heimzukehren zu Herd und Frauchen … – Jetzt läßt er sich sein ohnehin eher sporadisch aufflammendes Liebesbedürfnis von den handgreiflichen Fesselungskünsten einer Prostituierten befriedigen.]

[Ahooga haßt Gewalt. So trägt er keine Waffe bei sich, weder Pistole, noch Messer, noch sonstiges Schlag-, Stich- oder Schießinstrumentarium. Ahooga leicht grün angehaucht …] (24.03.94) [… höchstens einen Zahnstocher, den er immer bei sich trägt, um eventuelle Reste der Imbißnahrung (Frikadellen, Currywurst u.ä.) zwischen den Zähnen hervorzuholen. Dieser diente ihm allerdings einmal als Waffe, als er – wie so oft – unversehends in eine Keilerei geriet. Viel hatte ihm der Zahnstocher aber nicht geholfen … Er brach unvermittelt ab …] 04.05.94)

[Was er haßt, Zeit zu verschwenden. Für was er sich liebensgern Zeit läßt, ist zu schlafen…] (24.03.94) [Der Schlaf als „kleiner Bruder des Todes“ … Dabei ist Ahooga nicht todessehnsüchtig – nur, so meint er wenigstens, macht ihm der Tod, d.h. der eigene Tod, nichts aus. Wie sollte er auch – wenn es tot ist, so ist er tot. Und im Leben Furcht vor dem Tode zu haben, hält er für absurd. Anders ist es mit Schmerzen! Sollte sein Tod mit großen Schmerzen verbunden sein, so wünscht er sich natürlich einen leichten Tod. Notfalls würde er auf Sterbehilfe zurückgreifen. – Solche Gedanken macht er sich, wenn er kurz vor dem Schlafen dahindöst. …] (4.5.94)

Der Hund als Widersacher -> Chiquisnaque (vergl. Cervantes – „Rinconete und Cortadillo“)

Der Typ, der Kafka liest und zitiert (aber in anderen Sprachen – z.B. Isländisch) (1.8.94)

Ahooga Nonsen – Frühlings Erwachen oder Dreck am Stecken – Teil 1

Es war im März 1993, da brach bei mir wieder einmal die poetische Ader auf und ergoss sich in Form einer Einleitung zu einem Kriminalroman aufs weiße Papier (eigentlich doch eher in kleinen Bits bzw. Bytes auf die Festplatte meines Rechners). Über diesen Anfang bin ich nie hinweg gekommen (in des Wortes doppelter Bedeutung), denn schon sehr bald versiegte die schöpferische Quelle und es blieb mir nur das folgende Roman-Fragment, dessen ersten Teil ich hiermit zum Besten gebe. Immerhin hat es geradezu Kafka’sche Qualität und sollte nicht in einer Schublade meines Schränke verstauben (respektive Festplatte). Und auch thematisch passt es in die jetzige Jahreszeit. Also viel Spaß beim Lesen:

1 Tauwetter

Tauwetter – Sauwetter! Es kommt tja schon selten vor, daß der Schnee in Hamburg liegen bleibt. Und wie der Schnee alles unter seiner weißen Decke verschwinden läßt, alles gewissermaßen verhüllt, so daß Schritte, der Autolärm und alle anderen Geräusche, die eine Stadt alltäglich hervorbringt, dämpft und sogar, wenigstens teilweise, zum Schweigen bringt … man könnte denken, daß Leben kommt zum Erliegen … so schwieg auch das Telefon von Ahooga Nonsen, der tagelang allein in der weißverhüllten Stille des Winters in seinem Büro hockte, sprungbereit, um beim nächsten Klingeln des Telefonapparats den Hörer aufzunehmen, z.B. die Zigarre lässig zwischen Daumen und Mittelfinger der linken Hand drehend – absolute Sendepause! Es gab für ihn nichts zu tun. Und irgendwie war er froh darum, nichts tun zu müssen und stattdessen seinen Blick aus dem Fenster auf die fallenden Schneeflocken richten zu können. Als dann die Dämmerung einsetzte und das Telefon immer noch nicht zu klingeln wagte, als wäre es eingeschneit, da drückte Ahooga seine längst schon erkaltete Zigarre im rettungslos überfüllten Aschenbecher aus; die Zigarettenkippen samt Asche quollen wie aufgeschäumter Kunststoff hervor und mehrere fielen dann auch über den Rand auf den mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln übersäten Schreibtisch. Tagsüber bevorzugte Ahooga Zigaretten, die er sich wie beiläufig selbst zu drehen pflegte. Stand der Abend vor der Tür, dann gönnte er sich eine Zigarre, nicht die billigste, beileibe aber auch nicht die teuerste. An einen Tag wie diesen rauchte er viel, während er in den Zeitungen blätterte und den einen oder anderen Artikel, der ihm interessant erschien, mit der angerosteten Schere ausschnitt, er rauchte zu viel, wie sein Arzt ihm sagen würde. Und der Kippen sammelten sich zusehends. Als interessiere ihn der übergequollene Aschenbecher nicht, ließ Ahooga alles liegen und stehen, stand aus seinem abgestoßenen Ledersessel auf, schlich langsam und bedächtig auf den Garderobenständer zu, der einen in den Ärmeln ausgebeulten hellen Mantel und seine schottengemusterte Schlägermütze wie auf gegen die Zimmerdecke ausgestreckte Spiddelfinger barg, um beides aufzunehmen, zuerst den Mantel mit der rechten Hand, um ihn über den linken Arm zu hängen, dann die Mütze ebenso mit der rechten, um sie sogleich über den Kopf zu stülpen, wobei die linke Hand, durch den in der Armbeuge eingeklemmten Mantel behindert, beim Richten der Mütze nachzuhelfen suchte, was aber nicht auf Anhieb gelang. Erst beim dritten Versuch schien es zu klappen, zumindest dachte Ahooga Nonsen das, aber die Mütze knüllte einen größeren Haarbüschel des Hinterkopfes, so daß die ansonsten vermeidlich geordnete Frisur durcheinander geriet und die Mütze am Hinterkopf unmäßig beulte. Den Mantel zog er erst im Hausflur an, nachdem er die Türe zu seinem Büro mit dem Schlüssel, den an einem mit unzählig vielen Schlüsseln unterschiedlichster Art übersäten Schlüsselbund, verschlossen hatte. Wie ein Magier fand er aus dem Metallknäuel in Sekundenschnelle den richtigen Schlüssel, schloß mit der linken Hand ab, um gleichzeitig mit der rechten den Mantel aufzunehmen, diesen gewissermaßen in die Luft warf, um mit dem rechten Arm in den durchaus richtigen rechten Ärmel hineinzuschlüpfen. Und kaum war die Tür verschlossen, war auch schon das Schlüsselknäuel in der linken Hosentasche verstaut. Im Hinuntergehen zog er sich dann den Mantel vollständig an. Unten an der Haustüre, zwei Stockwerke unterhalb seines Büros, nesselte er am Mantelkragen herum, noch bevor er die Tür zur Straße geöffnet hatte. Ein Kälteschauer fuhr ihn über den Rücken. Er knöpfte auch den obersten Knopf schnell zu, öffnete die Tür und mit einem kleinen Sprung, so als wäre er gestoßen worden, hüpfte er auf den Gehweg, der, obwohl vor kurzem gefegt, wieder fast vollständig beschneit war. Als er auf das Pflaster aufsetzte, mußte er mit den beiden Armen balancierend seinen Schwung ausgleichen, um nicht ins Staucheln zu geraten. Das Pflaster war glatt, zumal er nicht die für diese Witterung richtigen Schuhe anhatte. Er hatte keine anderen Schuhe außer diese schwarzen, deren rechter Schürsenkel schon vor längerer Zeit gerissen und dann von Ahooga notdürftig zusammengeknotet war, um weiterhin seinen Dienst zu verrichten. So kam Ahooga Nonsen bei fast jedem Schritt, den er tat, ins Rutschen, mußte einmal den einen, dann den anderen, meist aber beide Arme zu Hilfe nehmen, um seinen Gang auf dem glitschigen Grund aufrecht zu halten. Fast wie ein Seiltänzer balancierte er auf Eis und Schnee.

Tauwetter ist Sauwetter! dachte sich Ahooga Nonsen. Denn nach einer Woche der Eiseskälte hatte eine Westströmung plötzlich wärmere Luft über Frankreich aus dem Mittelmeerraum um Spanien herum auch nach Hamburg gebracht, die innerhalb kürzester Zeit den angehäuften Schnee zum Schmelzen brachte. Ahooga hatte sich extra für dieses unverhofft eingebrochene Winterwetter feste Stiefel mit Fellimitat und Profilsohle gekauft, weil seine schwarzen Schürschuhe förmlich im Schnee ersoffen waren und mit Zeitungspapier ausgefüttert zum Trocknen unter der Heizung seines Büros standen. Einen halben Tag lang war er mit nassen, eiskalten Füßen durch die Innenstadt Hamburgs gelaufen, die ersten Anzeichen eines Schnupfens hatte er halbwegs erfolgreich mit einem Tee, der verdächtig nach Rum roch, bekämpft, um sich dann endlich zu diesem Kauf zu entschließen. Wie zufällig kam er an einem Schuhgeschäft vorbei, das diese dunkelbraunen Stiefel mit dem Plastikfell in Massen zu einem herabgesetzten Preis: besonders preisgünstig – der Sommerschlußverkauf nahte – an den Käufer zu bringen suchte. Eigentlich war er am Schuhgeschäft schon vorbei, da schmerzten ihn plötzlich seine halberfrorenen Füße, so daß er kehrt machte, ein Paar seiner Größe am Eingang des Ladens aufnahm und unter die linke Achselhöhle stopfte, den Laden betrat, Ausschau noch nach dicken Socken hielt, keine passenden auf Anhieb finden konnte, so zur Kasse schritt, um den Preis zu entrichten. Das Anprobieren vergaß er dabei, bereute es sehr bald, denn die Schuhe waren zu groß. Zunächst erschien das kein Problem zu sein. In seinem Büro zurückgekehrt, suchte er im rechten unteren Schreibtischschubfach nach Socken, konnte keine finden und nahm so bereits getragene, die auf der Heizung zum Trocknen lagen. Sie waren noch etwas klamm, er zog die alten Schuhe samt nassen Strümpfe aus, stülpte sich die lauwarmen Socken über und schlüpfte in die neuen Stiefel. Da diese zu groß waren, ergänzte er sein Fußkleid um die kaltnassen Strümpfe, was aber auch nicht viel half, denn er rutschte mit den Füßen hin und her, wobei sich die Hacken am rauhen Stiefelleder rieben. Zunächst kein Problem, wie gesagt. Als er aber vom Büro nach Hause kam, unterwegs noch schnell Zutaten für sein Abendessen einkaufte, sich auch noch in seiner Eckkneipe mit einem Grog stärkte, da verspürte er bereits ein Stechen in beiden Hacken, das in ein Brennen überging, nachdem er sich von den Stiefel befreit hatte, und nicht wie der Schmerz eisiger Füße vorübergehen sollte. Nachdem er sich die Füße rundum wund gelaufen hatte, diese mit Salben behandelt und Pflästerchen unterschiedlichster Größe verbunden hatte, da setzte das Tauwetter ein. Seine schwarzen Schuhe standen im Büro und er saß auf seiner Couch mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher, um sich ein Bundesligaspiel mit dem HSV anzugucken, obwohl er alles andere als ein HSV-Fan war.

Am nächsten Tag ging er dann zum letzten Mal mit diesen quälenden Stiefeln in sein Büro. Das lauige Lüftchen aus dem Mittelmeerraum hatte dem Schnee nun gänzlich den Garaus gemacht. Die bisher tiefgefrorene Hundescheiße lag häufchenweise quirlig-frisch und von besonders weicher Konsistenz an fast jedem Straßenrand und nicht nur gelegentlich, auch mitten auf dem Bürgersteig. Ahooga mußte es also passieren, daß er voll in einen solchen braunen Stinkhaufen hineintrat. Und wäre er nicht so gut bei Training und Balance, so hätte er sich bestimmt noch hingelegt, denn er rutschte auf dem Scheißmist aus, ruderte mit den Armen verzweifelt in der Luft, fand aber schnell das Gleichgewicht, um fluchend Ausschau zu halten nach einem Herrchen oder Frauchen mit Hundeseele, um dieser sein Leid zu klagen. Aber er war allein auf weiter Flur und kratzte den Hundedreck am nächsten Bordstein notdürftig ab. Im Büro angekommen zog er schnell die Stiefel aus, um sie in Richtung Papierkorb zu werfen. Da dieser aber mit zusammengeknüllten alten Zeitungen bereits übervoll war, einzelne Papierschnipsel lagen zerstreut daneben, so trumpften die Stiefel lediglich einzeln auf dem Korb auf, um sich in Richtung Garderobenständer zu verflüchtigen. Hier sollten sie noch einige Zeit liegen bleiben, obwohl von dem an ihnen haftenden Hundekot ein etwas übelverursachender Gestank ausging.

Fortsetzung folgt …

WilliZ ‚Gedankenspitter‘ (4)

Hier ein weiterer Gedankensplitter aus dem Juli 1983, in dem ich aufführe, was ich mag und was ich nicht so mag. Man kennt ja diese eher dämlichen Fragebogen, die in eine ähnliche Richtung gehen. Aber ‚man’ kann durchaus ersehen, was der Beantworter zu äußern gedenkt. Nach immerhin 23 Jahre würde ich heute sicherlich die Prioritäten etwas anders setzen. Im Großen und Ganzen bliebe es aber doch bei vielem. Außerdem fallen Antworten dieser Art von Zeit zu Zeit nie wirklich gleich aus, denn diese sind von augenblicklichen Stimmungen abhängig. Aber trotzdem …:

aus: WilliZ Tagebuch 1983

Was ich mag … Was ich nicht mag …
Fast jede Art von Musik, besonders aber Folk und Barockmusik (Bach, Händel usw.); die ersten Schallplatten von Joan Armatrading; „Bourree“ von Jethro Tull; Raggae; kahle Landschaften; Sonne; Wehmut im Herbst; Kafka; Camus’ Dramen; Prag und Berlin; das ausdrucksstarke, wandlungsfähige Gesicht einer Frau/eines Mädchens; Gefühle; Natur und Natürlichkeit (besonders bei Frauen); Besinnung und Sinnlichkeit; Frieden und Freiheit; indische Küche; bürgerliche Küche (das einzig Bürgerliche, das ich liebe); Menschen, Kinder, Liebe; seine Ängste zeigen; Leben und Tod; den Zwiespalt der menschlichen Seele (oder wie Goethe sagt: die zwei Seelen in der Brust); Glauben (auch wenn ich nicht glaube …); Hoffnung; Menschlichkeit (nicht Mitleid!); Erzählungen von Hermann Hesse; Glück(lichsein); sich selbst lieben (auch wenn ich es nicht kann); Humor; Zärtlichkeit; die zarte Haut eines Mädchens; Empfindlichkeit und Zartgefühl (auch wenn es manchmal negative Folgen hat); Po; Freude, vor allem, wenn man anderen noch eine Freude machen kann; Anspruchslosigkeit, die Freude dennoch kennt; Wärme; Schlafen und Träumenkönnen; französische Filme, besonders Krimis (Truffaut und Chabrol); Anderssein, auch Perversion (soweit es keinen anderen schadet); die Nacht; Anarchie; Minderheiten; Schottland; Spanien; Marokko; die deutsche Sprache; Kultur (wenn sie nicht unterdrückt); und alles Schöne … Sich vermarkten müssen, um leben zu können; Krieg, überhaupt jede brutal-gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Menschen; Geld; Macht, die keine Grenzen kennt; Rücksichtslosigkeit; Kosmetik, besonders Make-up, das die natürliche Ausstrahlung einer Frau „übertüncht“; Atomenergie (weil sie nicht zu „bändigen“ ist); Grenzen und Schranken; Vorurteile (auch oder gerade weil ich viele habe); Angst, besonders meine (im Grunde unbegründete) Angst (Existenzangst); Abhängigkeit (ob von Geld, Drogen oder Menschen); Ideologien und Eingleisigkeit; Schmerzen zu haben; Standpunkte und Prinzipien (mögen sie noch so gut sein, weil es meist nur „Entschuldigungen“ sind); Humorlosigkeit (zuviel Ernst, auch wenn ich oft zu ernst bin); Grobheit; Dummheit, aber auch zu viel 
Intellektualismus/Intellektualität (was der Dummheit gleichkommt); Freundlosigkeit; alles erklären zu müssen; Kälte (außer weiße Schneelandschaften); graue Wolken; zu realistisch sein; amerikanische Krimiserien; Gleichschalterei; Schuld; Menschenmengen (Massen); Diktatur (auch die Diktatur der Mehrheit = Demokratie genannt, die Minderheiten unterdrückt!); Zivilisation (wenn sie unterdrückt); und alles Hässliche im Menschsein ..

WilliZ ‚Gedankensplitter’ (3)

Blick aus dem Fenster

Ich blicke aus dem Fenster, vor dem Haus steht ein grünes Kraftfahrzeug, Fabrikat: …. – Baujahr: unbekannt, ein reger blonder Kopf mit zwei seitlichen Zöpfen spricht zu einem Unsichtbaren, der Hinterkopf unterhält mich lautlos, nur ein Nicken, Seitwärtsbiegen und Schütteln, am Schulterzucken erkenne ich Sprache. Ich bin nicht gemeint, aber will mich angesprochen fühlen, ich lausche – genauer: beobachte.

Es beginnt zu regnen. Dicke Tropfen kullern die Fensterscheibe hinab. Der blonde Zopfkopf verliert seine Aussage. Ich wende mich ab.

Neues Leben

Die Aschenbecher leeren, die Gläser spülen, um ein neues Leben zu beginnen.

Das Unbedeutende

Kein Tag ist wie der andere, auch wenn es uns so vorkommt. Was die Tage so gleich erscheinen läßt, liegt in unserer Bewegungsunfähigkeit, sowohl im Geiste, als auch in unserer sinnlichen Wahrnehmung. Das Unbedeutende streift unser Gehirn, wir nehmen es nicht wahr. Aber gerade das ist es, was einen Tag vom anderen unterscheidet: das Unbedeutende.

WilliZ ‚Gedankensplitter’ (2)

„An der Ecke bellt der Hund, bin ich nicht ein schöner Expressionist,
so voller Ausdruck. Die Katze zieht den Schwanz ein, sie, die
Impressionistin, ist beeindruckt. Natürlich kommt da gleich der Herr
des Hundes, Naturalist seines Zeichens, aber schneller als er ist –
wirklich – der Hundefänger, Realist, fängt den Hund ein. Da träumt ein
Romantiker eine saubere Geschichte, von neuer Innerlichkeit. Der Hund
beim Punkte Null heult und läßt sich schnell bekehren. Klassisch ist
die Geschichte nicht. Ein romanischer Rundbogen, der die Tür umrahmt,
ist erschüttert, als die Tür ins Schloß fällt, das Ende.
Da, da ist doch noch ‚was zu erwähnen? Oder?“ [11.09.81 23:35]

Knüppel zwischen den Beinen

Knüppel zwischen den Beinen

Immer irgendwie das Gleiche. Da wirft man Knüppel zwischen deine Beine, und du wunderst dich, daß du stolperst. Und immer aufpassen, daß dir das nicht passiert, das kannst du eben nicht. Wo, kommen wir denn auch hin? Aber gerade, wenn du gut drauf bist, garantiert, dann passiert dir das. Du legst dich lang hin, guckst ganz verduzt, die Schnauze blutet dir schon, und höhnisches Grinsen aus höheren Lagen kommt dir entgegen und macht alles noch schlimmer. Du willst dich aufrappeln, aber es fehlen dir plötzlich die Kräfte. Und wenn du es wirklich ‚mal schaffst, dann spürst du schon den Ellenbogen in deinen Rippen, die Luft geht dir aus und du liegst wieder lang. Und falls du dem Ellenbogencheck tatsächlich ausweichen kannst – du wirst ja langsam clever und ahnst den Hinterhalt; man muß ja mit allem rechnen -, dann ist da immer noch der Knüppel zwischen deinen Füßen, der dich erneut zu Fall bringt. Shit, man kann nicht auf alles achten! Aber, gesetzt den Fall, du kommst auf deine Beine, kannst den Knüppel von dir stoßen und selbst dem Ellenbogen kontern, was nützt dir das alles: An der nächsten Straßenecke, wenn du die Kurve gekratzt hast, wartet der nächste Knüppelleger. – Und noch einen Schritt weiter: Du stehst also auf den Beinen, hast jedlichen Angriff abgewehrt, ja, du gehst selbst zum Angriff über. Schon schreit der Knüppelleger Mord und Totschlag, und alle Welt kommt ihm zur Hilfe, schlägt dich mit allem, was sie in Händen hält, mit Schirmen, Gehstöckern und Handtaschen, was bleibt dir dann? Es hilft nur Eines, oder? Werde selbst zum Knüppelleger! …

(6.10.92)

Mein erstes Word-Dokument

Sicher, ob es nun wirklich mein erstes mit MS-Word erstelltes Dokument ist, bin ich mir nicht. Ich denke nicht. Aber es ist mit Sicherheit eines der ersten Dokumente, in denen ich eine Grafik eingebunden habe. Datiert ist die DOC-Datei mit dem 9. August 1995:

    ... ein altes Word-Dokument aus 1995

Mythos Kafka – Mythos Camus

Im Juni 1996 schrieb ich in mein analoges Homelog (Tagebuch nannte man das damals) den folgende Eintrag zu Kafka und Camus. Anlass war die Veröffentlichung von Albert Camus’ ‚Der erste Mensch’, einem Roman aus seinem Nachlass:

Franz Kafka Albert Camus
Franz Kafka Albert Camus

In diesem Jahr habe ich ja einiges von und über Franz Kafka und Albert Camus gelesen. Camus’ (fast) biographischer Roman „Der erste Mensch“ (als Fragment) ist sicherlich höchst interessant, aber das Bild vom „armen Kind“, das in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen ist, kann ich nicht teilen. Sicherlich waren die Camus’ arme Leute, seine Mutter war fast taub und konnte nicht lesen – aber man hatte doch ein Dach über dem Kopf und ein halbwegs ausreichendes Einkommen, wenn auch mühsam erwirtschaftet, um damit die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Da Sonne und Meer nichts kosten, konnte Albert Camus davon reichlich viel „in sich“ aufnehmen, wie es seine Bücher ja beweisen. Und gerade weil er aus diesen bescheidenen Verhältnissen stammte, hat er sich immer dieses Maß an Bescheidenheit bewahrt – und den Dank für jene, die ihm geholfen haben, seinen Weg zu finden und zu gehen.

Ähnliches empfinde ich auch bei Franz Kafka. Immer wird Kafka als der arme Mann aus Prag dargestellt, der gewissermaßen von der weiteren Welt abgeschnitten sein Dasein fristete. Zunächst waren seine Verhältnisse (sowohl familiär und damit dann auch finanziell) alles andere als bescheiden. Zum anderen hatte er viel Kontakt mit anderen literarischen Zeitgenossen (u.a. auch mit Rilke usw.). Seine Bücher wurden veröffentlicht. Wenn es nicht mehr war, so lag es an Kafka selbst, der eben nicht mehr zu bieten hatte (zu Lebzeiten verkaufen sich Romanfragmente schlecht). Daß seine Romane Fragmente geblieben sind (und gewissermaßen bleiben mußten), ist ein Punkt, der hier nicht zu diskutieren ist. Daß Kafka aber zu Lebzeiten unbeachtet blieb, kann man nicht behaupten. Viele haben sich um sein Werk bemüht. Es war Kafka selbst, der nicht mehr „hergab“.

Den ganzen Mythenkram um diese beiden (von mir gern gelesenen, ja geliebten) Autoren halte ich für völlig verfehlt. Camus hat sich hinaufgearbeitet, weil er das Zeug dazu hatte. Aber seine Herkunft ist kein von Mythen umrankter Hain, auch wenn uns Algier als Deutsche wie eine exotische Landschaft erscheint. Ebenso Kafka – er war kein verkanntes Genie. Im Gegenteil: Schon zu Lebzeiten wußte man sein hellseherisches, in klarer Prosa geschriebenes Werk zu würdigen (und eben nicht allein Max Brod gebührt die Anerkennung, Kafka „ans Licht“ gehoben zu haben, wenn er sich bestimmt immer wieder so gesehen hat). Sicherlich läßt sich das Werk eines Autors nicht von seinem Leben trennen (gerade bei diesen beiden nicht). Aber viel Aufsehens um die Personen Camus und Kafka hat am Ende die Sicht auf das Werk dieser beiden eingeschränkt, so finde ich; z.B. wenn ich Kafka las, so schwebte über mir und dem Buch in der Hand das Bild Kafkas als den armen Versicherungsangestellten, der im Hinterstübchen bei bescheidenem Kerzenlicht seine Romane schreibt. Und Camus sieht man so in der noch kärglicher beleuchteten Küche, von einer verständnislos starräugig glotzenden Mutter und Großmutter umgeben, auf dem Tisch neben dem Heftchen, in das er gerade Notizen zu einem seiner Werke schreibt, die Teller mit angetrockneten Speisereste. Mythos!

WilliZ ‚Gedankensplitter‘ (1)

Ich mag gern Alliterationen. Darunter versteht man den gleichen Anlaut der betonten Stammsilben zweier oder mehrerer aufeinander folgender Wörter, so der Duden. Solche Wortfolgen kennen wir in der Form des Stabreims. Beliebt sind Alliterationen auch in der deutschen Umgangssprache: mit Kind und Kegel, bei Nacht und Nebel. Oder in der Werbung: Katzen würden Whiskas kaufen!

Daneben stellt der Aphorismus eine besondere literarische Form dar. Es sind zugespitzte Formulierung eines Gedankens, auch Gedankensplitter genannt (Wahlspruch, Losung, Devise, Aperçu, Bonmot usw.).

Ich habe mich immer für Literatur intererssiert und auch selbst jahrelang eine Art Skizzenbuch geführt (daher wohl auch meine ‚Anwandlung’, dieses Weblog zu führen). In einem dieser Hefte habe ich (neben viel ‚krausem Zeug‘) nun folgende Gedankensplitter gefunden: WilliZ Gedankensplitter aus dem Jahre 1981 (schon etwas älter) …

    WilliZ Gedanken-Welt

Eine Sprache finden, die unserem Leben entspricht, so absurd und so durchtrieben – dabei mit einem Quanten Mißtrauen, Verfolgungswahn, aber auch Rechthaberei! usw. (28.03.81)

Ich kann mich entsagen, wie ein Zwerg sich dem Riesen entsagt – wie sich ein Meerestier dem Land entsagt. (17.04.81)

Wenn ich schon nicht dazu fähig bin, mich zu entscheiden, dann muß ich Entscheidungen provozieren, vielleicht entscheiden sich dann andere für mich – Schwachsinn, sie werden sich immer gegen mich entscheiden … (20.04.81)

Einfach so (ohne Grund) in den Hungerstreik treten, trotzdem nebenbei das tun, was [man] immer getan hat – bis man es [das Leben] nicht mehr schafft … Material für eine Geschichte (Kafkas Hungerkünstler, nur ohne Publikum …) (02.05.81)