Kategorie-Archiv: Ei, wie witzig

Deutschland sucht den Super-Witz-Schrott

Loriot gestorben

Es ist schon einige Zeit her, da feierten wir seinen 85. Geburtstag. Jetzt ist er am Montag im Alter von 87 Jahren ganz friedvoll entschlafen: Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von Bülow, noch viel kürzer: Loriot, Deutschlands bekanntester, beliebtester und ohne Frage bester Humorist. Damit folgt er der bereits im Oktober 2007 nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 65 Jahren in ihrer Geburtstagsstadt Hamburg verstorbenen Evelyn Hamann, seiner kongenialen Partnerin in so manch herrlichen Sketchen (Jodeldiplom, „Das Bild hängt schief“, Die Nudel, Opa Hoppenstedt uvm.), in die ewigen Humoristenjagdgründe. Endlich hat auch der Himmel wieder etwas zu lachen.


Loriot – Das schiefe Bild („Das Bild hängt schief“)

Was wäre ich ohne Loriot. Was habe ich über ihn, und damit insgeheim auch über mich selbst, lachen müssen. Welchen Stellenwert dieser unvergleichliche Humorist in meinem Leben hat, zeigt der Blick auf meinen Schreibtisch. Dort steht in einem Schuber mit 6 DVDs, immer griffbereit, Loriots vollständige Fernseh-Edition. Wenn mir danach ist, brauche ich nur eine Scheibe zu greifen, diese in den Rechner zu legen … und selbst in schlechtester Stimmung finde ich die nötige Aufheiterung.

Bemerkenswert finde ich die enorme Resonanz anlässlich seines Todes, überall trauert Deutschland um ihn, ob jung, ob alt – so viele Menschen haben ihn und seinen ganz speziellen Humor gemocht. Ruhe in Frieden, Loriot!

Auf die Frage, wer ihn geprägt habe, antwortete Loriot 2007: „Ich weiß, als ich anfing zu studieren, wohnte ich zwischen dem Irrenhaus, dem Zuchthaus und dem Friedhof. Allein die Lage wird es gewesen sein, glaube ich.“

metronom versus GDL

Die GDL glänzt wieder durch Einfallslosigkeit im Arbeitskampf. Die dumpfsinnigen Funktionäre sitzen mit ihren fetten Bäuchen im Warmen und rufen das Fußvolk zum Streik auf. Und dieses folgt prompt – wie es sich fürs liebe Vieh gehört. Keiner macht sich wirklich Gedanken darüber, mit welchen Aktionen man vielleicht sinnvoller agieren könnte. Und bei der metronom Eisenbahngesellschaft harrt man weiterhin der Dinge, die da kommen. Notfalls schiebt man sich gegenseitig ‚den schwarzen Peter’ zu. Währenddessen schlagen sich Tausende von Pendlern mühselig zur Arbeit durch. Er ist erbärmlich, was sich da beide Seiten leisten. Ein Ende dieses absurden Theaters ist nicht in Sicht.

Zum Teufel mit metronom und GDL

Die nachfolgenden Passagen dieses Beitrags habe ich auf polizeilichem Druck hin entfernt, da sie angeblich einen Aufruf zu einer Straftat beinhalten. Mich besuchte im Auftrag der Bundespolizei zwei Polizisten aus meinem Wohnort und forderten mich auf, diesen Artikel zu löschen, was ich hiermit tue.

Nachschlag zum Ex-Ex

„Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!“ heißt es im Sprichwort. Ex-Verteidigungsminister Ex-Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg sorgte zuletzt für reichlich Spott. Seinen Rücktritt werden manche Kabarettisten bedauern, denn da verlässt eine lichte Glamourgestalt die politische Bühne, die immer wieder Anschauungsmaterial für Satire und Parodie bot, um „durch den Kakao“ gezogen zu werden. Aber es bleiben ja noch Politiker genug, die Merkels, Westerwelles und Seehofers. Den Satirikern und Karikaturisten wird der Stoff schon nicht ausgehen.

Eine Arbeitskollegin machte mich auf folgendes Video aufmerksam, in dem Volker Pispers, ein bekannter Kabarettist, unseren fränkischen Lügenbaron noch einmal voll ‚aufs Korn’ nimmt und alles gekonnt auf ‚den Punkt bringt’. Viel mehr ist zu diesem Ex-Ex nicht zu sagen:


Volker Pispers: Guttenberg

Die witzigsten Bilder im Netz

Drei Tagen Lehrgang – da habe ich heute nur leichte Kost anzubieten. Da gibt es sie, die witzigsten, die kuriosesten und sonst wie außergewöhnlichsten Bilder und Videos, die die Welt je gesehen hat. Abendfüllende Sendungen werden mit solchen Videos im Fernsehen gezeigt. Und im Netz kursieren sie allerorten. Die Website der Süddeutschen Zeitung biete gleich mehrere Sammlungen solch witziger Bilder an: Der Louvre des LachensDas doppelte LolchenPrado des Prustens

Einige kennt man bereits, andere sind dann schon ‚so was von …’. Wie auch immer. Ein Durchblättern bis zum ‚bitteren’ Ende sei meinerseits empfohlen, denn die minikleine Auswahl dieser Schnappschüsse und Momentaufnahmen aus dem Kuriositätenkabinett, die ich hier zeige, ist längst nicht der Höhepunkt:

Die witzigsten Bilder im Netz

Die witzigsten Bilder im Netz

Die witzigsten Bilder im Netz

Die witzigsten Bilder im Netz

Die witzigsten Bilder im Netz

Der Witzableiter (25): Abschied vom Witz, mit Humor

Fortsetzung von: Der Witzableiter (24): Das Tabu, das alte Ekel

Mit der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute zu Ende: ein Abschied vom Witz … mit Humor. Wer über sich selbst lachen kann, wer über sich selbst Witze zu machen versteht, der besitzt Humor. Denn nicht jeder Witz ist voller Humor …

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Die junge Kellnerin stolpert und gießt einem Gast etwas von der heißen Soße über die Glatze. Der Gast fährt herum, betastet seinen Kopf und fragt erstaunt: „Glauben Sie wirklich, daß das noch helfen könnte?“

Der Mann hat Humor, und genau der soll auch die letzte Station unseres Weges durch die Witzlandschaft sein. Ja, auch der Witz kann Humor haben! Aber bitte erwarten Sie jetzt nicht von mir, daß ich Ihnen Witz und Humor definiere. Auf der Suche nach abgrenzenden Formeln sind schon ganz andere verunglückt. Nur so viel: Im Witz schäumen die Gefühle mächtig (und therapeutisch sinnvoll) auf, im Humor sehen wir sie schon überwunden, abgeklärt und vergoldet.

„Sie treffen ja ständig daneben!“ mault der Förster. „Macht doch nichts“, meint der Sonntagsjäger, „die Hasen sehen jedenfalls meinen guten Willen.“

Die Menschheit hat eine steile Entwicklung durchmachen müssen, bevor sie zu jenem feinsinnigen Witz fand, mit dem einer über sich selbst lacht. Angefangen hat das Lachen in der menschlichen Urhorde wahrscheinlich als Triumphgeheul des Siegers in einem Zweikampf. Das ist die These amerikanischer Wissenschaftler aus den zwanziger Jahren. Dieses Hohnlachen war wiederum ein Nachklang des Kampfgebrülls; daran erinnert noch heute das Zähnefletschen beim Lachen. Man zeigt den anderen die Zähne. Heute ist Lachen in seiner feinsten Form ein Lächeln über eigenes Unglück.

Die ältere Dame kommt aus dem Irland-Urlaub, auf den sie sich so lange gefreut hatte. Zufrieden meint sie: „Der Regenwechsel hat mir gut getan.“

Bis vor hundert Jahren lachte man ziemlich ungeniert über Krüppel und Idioten. Da haben wir uns doch gebessert. Im deutschen Kaiserreich beschränkte man sich später auf die sogenannten Witzblattfiguren, auf den Grafen, den Leutnant, Frau Neureich oder den zerstreuten Professor. Nun waren es doch wenigstens „die da oben“, über die man sich amüsierte. Liebenswürdiger ist es noch, wenn man sich selbst verspotten kann.

Der Chef zu seinem kaufmännischen Lehrling: „Jetzt sind Sie zwei Jahre bei uns und haben viel gelernt. Und heute machen wir Pleite, damit Sie auch das lernen.“

Ausgerechnet „Exzellenz“ Kuno Fischer, vor hundert Jahren Professor in Heidelberg und wegen seiner Eitelkeit weltberühmt, rang sich am Ende seiner Betrachtung über den Witz zu der Erkenntnis durch: „Das Höchste und Tiefste, was der Mensch an sich vollbringen kann, ist es, sich selbst lächerlich zu erscheinen, die komische Vorstellung der anderen heiter über sich ergehen zu lassen“. So ist es. Humor hat nur derjenige, der seinen Witz auch gegen sich selbst richtet.

Witzableiter (25)

Als der Freund ihrer Tochter anruft, ist die Mutter am Telefon, ohne daß der Freund das gleich merkt. Da unterbricht sie ihn: „Tut mir leid, mein Junge, aber hier ist nicht Ihr Luxusschiffchen, hier spricht der alte Schraubendampfer!“

Bescheidenheit hat man bei anderen auch gern. In seinem Atelier wird der Bildhauer gefragt: „Ist es nicht wahnsinnig schwer, einen Löwen zu meißeln?“ „Überhaupt nicht“, antwortet der Meister, „man schlägt vom Marmorblock einfach alles weg, was nicht nach Löwe aussieht.“

Nun haben wir den Humor genug herausgestrichen. So weit aber wollen wir nicht gehen, daß wir den Witz seinetwegen schlecht machen. Nein, der Witz ist das entladende Gewitter, der Humor ist die Ruhe nach dem Sturm. Ein bißchen heile Welt sogar. Das mag man nun auch nicht immer. Aber manchmal.

Hochwürden repariert eigenhängig den Gartenzaun. Ein kleiner Junge kommt vorbei, als sich der Pfarrer gerade auf den Daumen gehauen hat und verzweifelt aufstöhnt. „Gelt, Hochwürden“, sagt der Kleine, „jetzt sollt man halt fluchen dürfen.“

Oder nehmen wir diese rührende Geschichte als Beispiel für den Humor Marke lieblich. Das junge Liebespaar kommt aus der Disco. „Bist du müde?“ fragt sie zärtlich . „Ja“, antwortet er. „Bist du schrecklich müde?“ „Ja.“ „Bist du zu müde?“

Frauen hätten die größere Chance, die Reifestufe, die man Humor nennt, zu erreichen als Männer. Das meint der amerikanische Psychotherapeut Martin Grotjahn. Ich schließe mich ihm gerne an.

Die jungen Eheleute müssen sehr sparen. Statt des Gänsebratens steht zu Weihnachten nur ein falscher Hase auf dem Tisch. „Ein Weihnachten ohne Gans gab es bei uns zu Hause nicht“, mäkelt er. „Aber Liebling, dafür hast du doch jetzt mich.“

Der 70jährige Sigmund Freud hat sich noch einmal mit dem Humor beschäftigt und ihn dabei einen „Triumph des Ichs“ genannt. Das Stichwort „Triumph“ kommt uns bekannt vor, damit hatte das Lachen in der Urhorde angefangen. Statt über den unterlegenen Gegner lacht der humorige Witz über die eigenen Schwächen und Nöte.

Der Feldwebel brüllt: „In zwei Minuten steht der ganze Kompanie auf dem Appellplatz!“ Ein Rekrut, ganz sanft: „Herr Feldwebel, dürfen wir, wenn wir wollen, auch früher kommen?“

Und zum friedlichen Schluß noch diesen: Der Börsianer im Spielkasino: „Croupier, drehen Sie ein bißchen fixer, so langsam kann ich mein Geld auch an der Börse verlieren.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 52/1984

[das war’s]

Der Witzableiter (24): Das Tabu, das alte Ekel

Fortsetzung von: Der Witzableiter (23): Mein Gott, auch das noch

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um ‚Dinge’, die durch Magen, Darm und Blase wandern und daher als unappetitlich empfunden werden. Warum wir trotz des Ekels lachen? Das Eklige hat seinen Reiz und im Witz hat es wie so oft etwas ‚Befreiendes’.

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Ein Schotte bittet auf dem Sterbebett seinen Freund: „Nimm die Flasche Whisky, die ich dreißig Jahre gehütet habe, und schütte sie später bis auf den letzten Tropfen auf mein Grab.“ Der tiefbetrübte Freund fängt an zu schluchzen und sagt: „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich aufgrund unserer Freundschaft den Whisky erst durch meine Kehle rinnen ließe?“

Das geht ja noch. Aber richtige Fäkalien sind für viele Menschen völlig indiskutabel. Das war nicht immer so. Vom Mittelalter bis in die Aufklärungszeit hinein reichte „die bloße Nennung eines unappetitlichen Vorganges“ aus, „um wieherndes Gelächter auszulösen“, wie der Germanist Richard Alewyn notiert hat. Diese Quellen der Lust sind heute tabu.

Ein schwäbischer Weingärtner kommt zur Herbstzeit betrunken nach Hause und ruft seinem Weib zu: „Karlene, breng mr schnell de Kübel, i muass spucke!“ Dann, als sie mit dem Kübel ankommt: „ Breng mr lieber a frische Hos, i hao omdisponiert.“

Diese Scherze gehören so sehr in die Vergangenheit wie die hygienischen Verhältnisse, in denen sie spielen. An einem Furz (medizinisch: Flatus) haben aber Kinder noch ein ungeniertes Vergnügen. Martin Grotjahn hat beobachtet, daß „kleine Kinder bei einem unfreiwilligen oder imitierten Flatus vor Vergnügen kreischen“. Manchmal kann, was eklig ist, auch Erwachsene reizen:

Klein Erna und Heini küssen sich leidenschaftlich. Da unterbricht Heini und sagt: „Jetzt hab’ ich gerade dein Kaugummi verschluckt.“ „Nee“, sagt Klein Erna, „das war kein Kaugummi. Ich hab’ ja man bloß so’n Schnupfen.“

Martin Grotjahn hat, schließlich ist er Analytiker, den Flatus „den infantilen Vorläufer des späteren Lachens“ genannt. Das muß man nicht glauben, aber mit einer anderen Beobachtung wird Grotjahn recht haben: Lachen ist vor allem Ausatmen. Beim Anhören eines Witzes dringen böse Erinnerungen in uns ein – „im zweiten Teil des Witzes werden sie freigelassen, ausgeatmet“. Ich finde das richtig. Im Lachen will man etwas loswerden, zum Beispiel seinen Ekel.

Der neue Kurgast weiß nicht, daß es unerwünscht ist, über Krankheiten bei Tisch zu reden. Er spricht seinen Nachbarn an: „Welche Wirkung beobachten Sie eigentlich nach dem Brunnentrinken!“ Der Nachbar wehrt ab: „Psch-psch!“ Da nickt der neue Gast und sagt: „Ja, ja, bei mir auch.“

Einatmen ist bedrückend (seufzend atmet man ein), Ausatmen ist befreiend (beim lustvollen Stöhnen atmet man aus). Schon Goethe sagte vom Ein- und Ausatmen: „Jenes bedrängt, dieses erfrischt, so wunderbar ist das Leben gemischt.“ (Quelle: Divan, Buch des Sängers, Talismane) Bei manchem Witz hat man ja tatsächlich etwas wegzusprudeln.

Witzableiter (24)

Im ersten Weltkrieg schrieb eine deutsche Soldatenzeitung einen Preis aus für die beste Kurzgeschichte, die nicht mehr als zweihundert Worte umfaßte. Den ersten Preis bekam diese: „Am Ende unseres Laufgrabens befand sich eine Latrine. Der Balken war angesägt. Das sind zwölf Worte. Die übrigen 188 sagte Feldwebel Huber, als er sich daraufgesetzt hatte.“

Auch das Lachen ist also ein Hin und Her. Darin läuft eine Bewegung aus, die wir auf allen Ebenen des Witzes beobachtet haben: beim Verstehen, bei der Rückkopplung der Gefühle – und nun bei den körperlichen Folgen.

Die Bäuerin fragt ihren Feriengast, wie es ihm auf dem Hof gefalle. „Sehr gut“, gibt der zur Antwort, „nur die vielen Fliegen auf dem Klo stören mich arg.“ „Dann müssen Sie halt in der Mittagszeit aufs Klo gehen“, meint die Bäuerin, „dann sind die Fliegen alle in der Küche.“

Zu Recht sagt man im Deutschen, man „schütte sich aus vor Lachen“. Zu den Dingen, die wir ausschütten möchten, gehören die Ekelgefühle, die uns einst bei der Sauberkeitsdressur antrainiert worden sind. „Igitt-igitt!“ Aber ein bißchen Lust am Schmutz ist uns heimlich doch geblieben und will im Witz zum Vorschein kommen.

Zwei Sperlinge halten ihre Mahlzeit auf einem Haufen Pferdeäpfel. Sagt der eine: „Ich weiß einen tollen Witz!“ Piepst der andere: „Aber bitte keinen unappetitlichen, jetzt beim Essen.“

Vom Lachen sagt Anthropologe Helmut Plessner, es sei eine Reaktion auf eine Lage, „auf die es keine andere Antwort gibt“. Eine Kapitulation also. Und das kann ja sehr entspannend sein.

Zwei Lebemänner machen Rast in einem Gasthaus und müssen zur gleichen Zeit die Toiletten aufsuchen. „Ach, Kalle“, ruft der eine seinem Freund in der Nachbarbox zu, „kannst du mir etwas Klopapier rüberreichen, hier ist nichts“. „Hier ist auch keins“, tönt er zurück. „Irgendeine Zeitung?“ „Nein, nichts.“ „Hast du einen alten Umschlag? Oder eine Drucksache?“ „Leider nichts!“ „Na schön, kannst du mir dann einen Hunderter wechseln?“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 51/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (23): Mein Gott, auch das noch

Fortsetzung von: Der Witzableiter (22): Mein Witz, mein unbekanntes Wesen

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, kommen wir heute zum Witz, der religiöse Tabus berührt und je nach dem religiösen Sinn des Einzelnen diesen unberührt lässt oder gar verletzt.

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Eine junge Frau klagt dem Priester Eheschwierigkeiten. „Und wenn es nicht anders geht“, sagt sie, „laß ich mich scheiden!“ „Was?“ sagt der Priester, „scheiden wollen Sie sich lassen, bloß weil Ihr Mann Sie verprügelt? Prügeln Sie in Gottes Namen zurück, aber kommen Sie mir nicht mit so sündhaften Gedanken!“

Wird ein religiöses Tabu tangiert, so kann sich nur der darüber freuen, der ein bißchen Sinn fürs Religiöse hat. Wer dafür gar keinen Sinn hat, bleibt unberührt; wer allzu sehr am Religiösen hängt, ist nur verletzt. Für viele ist die Grenze hier schon überschritten: Nach dem letzten Abendmahl erscheint der Kellner und fragt: „Alles zusammen?“ „Nein“, sagt Judas, „bitte getrennt.“

Getroffen sein und doch genießen können – das geht beim Witz nur, wenn wir auf der Grenze zwischen Gleichgültigkeit und innerer Beteiligung stehen. Schapiros Sohn hat sich taufen lassen. Der Rabbiner macht dem alten Schapiro Vorhaltungen. „Wenn einst der Allmächtige Sie fragen wird: ‚Wie konntest du es zulassen, daß dein Sohn sich taufen lässt?’ Was werden Sie denn antworten?“ „Nun“, sagt Schapiro, „ich werde antworten: Und Ihr Herr Sohn?“

Der deutsch-amerikanische Psychiater Martin Grotjahn hat die Wirkung des Komischen an einem religiösen Scherz verdeutlicht. Er habe, schreibt er, einmal eine Definition gelesen, die mit den Worten begann: „God is the man …“ In ihm sei bedrohlich aufgestiegen, was er in der Kindheit über Gott gelernt habe. Doch dann sei der Aphorismus so weitergegangen: „… who saves the Queen.“ Also offenbar ein Jux! Seine Erleichterung beschreibt Grotjahn so: „ Alle Geister der infantilen Introjektion sind plötzlich zerstört. Wir sind von ihnen befreit, und wie Fledermäuse fliegen sie aus uns heraus.“

Ein Jesuit, der Archäologe ist, kommt in großer Aufregung zu seinem Ordensgeneral und erstattet Bericht über Ausgrabungen, die er in Jerusalem gemacht hat. Er habe das Grab Jesu entdeckt. „Das ist ja wunderbar“, sagt der General. „Ja, ja“, entgegnet der Archäologe bedrückt, „aber das Grab war nicht leer. Das Skelett Jesu lag drin.“ „was Sie nicht sagen“, antwortet der Ordensgeneral erstaunt, „dann hat er also wirklich gelebt?“

Das Komische ist, glaube ich, immer diese Abfolge von Betroffenheit und Befreiung. Das gilt von allem, worüber wir lachen. Der Hannes war beim Baumausputzen von der Leiter gefallen. Am Krankenbett besucht ihn der Herr Pfarrer. „Trotz allem“, meint er, „hatten Sie ja noch einen Schutzengel.“ „Wie man’s nimmt“, gibt Hannes zu denken., „gescheiter wär’s, er hätte mich gleich auf der Leiter gelassen.“

Witzableiter (23)

Hans Strotzka, Psychiater in Wien, hat sich mit dem Komischen beschäftigt und dabei das „Nicht-ernst-Nehmen“ als den zentralen Punkt erkannt. Alle Komik nimmt das nicht ernst, was wir eigentlich als bedrohlich empfinden. Selbst das Religiöse wird durch „Nicht-ernst-Nehmen“ erträglich. Eine Dame betritt die Buchhandlung und sagt, sie suche etwas für einen Kranken. „Etwas Religiöses?“ fragt die Buchhändlerin. „Nein“, sagt die Dame, „es geht ihm schon wieder besser.“

Hans Strotzka ist Österreicher, und denen sagt man schließlich nach, sie lebten nach dem Motto: „Die Lage ist verzweifelt, aber nicht ernst.“ Den Schrecken ins Lachen wenden, das scheint mir das Wesen aller Komik zu sein. „Mein Gott“, sagt die Dame zu ihrem Mann, „wir haben vergessen, Tante Magdalene zu unserem Gartenfest einzuladen. Ruf sie doch gleich mal an!“ Der Ehemann tut es und entschuldigt sich ausführlich. „Ich wußte davon“, unterbricht ihn die Tante, „aber ich komme nicht. Es ist zu spät. Ich habe schon um Regen gebetet.“

Das Komische ist immer ein Umkippen. Die religiöse Ehrfrucht zum Beispiel kippt in ein amüsiertes Nicht-ernst-Nehmen. Diesen Klimawechsel können wir mit zwei Ausdrücken Sigmund Freuds bezeichnen, die er selbst allerdings noch nicht auf den Witz angewandt hat: die Bedrohung durch ein „Tabu“ wechselt plötzlich zu einem Sieg des „Lustprinzips“.

Ein Betrunkener liegt im Rinnstein wie tot. Ein Passant beugt sich über ihn: „Soll ich den Arzt holen?“ Keine Antwort. „Oder lieber die Polizei?“ Der Mann rührt sich nicht. „Oder lieber den Priester mit der Letzten Ölung?“ Da richtet sich der Mann auf und ächzt: „Um Himmels willen, jetzt bloß nichts Fettes!“

Noch eine letzte Frage: Was läßt die Stimmung kippen? Es ist die Absurdität des Dargestellten. Erst erschreckt sie uns besonders, dann merken wir: das ist ja übertrieben, das kann ja gar nicht sein! Und schon wechselt Bedrückung in Befreiung, Ehrfrucht in Spott.

Jesus und die Apostel werden zu einem Sterbenden gerufen. „Rette ihn“, bittet Petrus. Jesus legt dem Sterbenden die Hand auf und sagt: „Steh auf und geh!“ Der Sterbende steht auf und geht. – Nach drei Wochen kommen Jesus und seine Jünger in dieselbe Gegend und werden wieder in das Haus gerufen. Dem Kranken geht es schlechter als je zuvor. Jesus beugt sich über ihn, schüttelt aber gleich den Kopf und murmelt: „Dann war es also doch Krebs.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 50/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (22): Mein Witz, mein unbekanntes Wesen

Fortsetzung von: (21): Die Lust an der Angst

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um Traumata und Triebe, also um Wunden, die uns das Leben schlägt – aber auch um Wünsche, die vielleicht unerfüllt bleiben – mit denen wir uns aber im Witz beschäftigen und uns dadurch gewissermaßen selbst therapieren.

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Die Geliebte des kaiserlichen Leutnants schluchzt: „Es war der schrecklichste Augenblick meines Lebens, Otto, als ich deinen Trennungsbrief bekam. Ich wollte mich erschießen, aber ich hatte kein Geld, mir einen Revolver zu kaufen.“ Darauf er: „Aber Liebste, hättest du nur ein Wort gesagt.“

Die zynische Kälte des Leutnants hat es mir angetan. Aber ich weiß zugleich, daß ich mich durch meine Begeisterung nur schützen will, weil mich nämlich Zynismus eigentlich besonders verletzt. Mit Zynismus gegen die Angst vor Zynismus? Es scheint so zu sein! Mit Witzen wollen wir ein Trauma kurieren. Auch dieser Junge rührt mich:

Der kleine Patrick kommt mit einem blauen Auge aus der Schule. „Einer von den Großen aus unserer Klasse war das“, klagt er. „Morgen bringst du ihm eine Tafel Schokolade mit, dann werdet ihr bestimmt Freunde“, meint die Mutter. Am nächsten Tag kommt der kleine Patrick mit einem zweiten blauen Auge nach Hause. „Wer war denn das schon wieder?“ fragt die Mutter. „Wieder der große Junge. Er mag keine Schokolade.“

Einer der frühen Schüler Freuds, der Amerikaner A. A. Brill, der Freuds Buch über den Witz bereichert und ins Englische übersetzt hat, veröffentlichte 1940 selbst eine Arbeit über den Humor. Darin berichtet er, es sei ihm zur Gewohnheit geworden, seine Patienten nach ihrem Lieblingswitz zu fragen. Von einem jüngeren Wissenschaftler hörte er diesen: Der zerstreute Professor stellt sich ans Klobecken, knöpft seine Hose auf, zieht die Krawatte heraus und pinkelt in die Hose.

Brill meint, der Witzerzähler habe damit seinen Vater verspottet, unter dessen Dominanz er litt. Der hatte ihn früher getadelt, wenn er in die Hose machte. Außerdem symbolisierte die Krawatte hier den größten Wunsch des Sohnes, der einen Komplex wegen seines zu kleinen Penis gehabt habe.

Fünfzehn Jahre später veröffentlichte ein anderer amerikanischer Therapeut, Israel Zwerling, ohne Brill zu kennen, ebenfalls eine Studie über den Lieblingswitz in der Therapie. Eine Patientin hatte ihm diesen erzählt: Ein Mann wird gefragt: „Wer war die Dame, mit der ich Sie gestern abend gesehen habe?“ Und er antwortet: „Das war keine Dame, das war meine Frau.“ Die Patientin habe daraufhin zu weinen begonnen und gesagt, der erste Eindruck, den sie von ihrer Mutter gehabt habe, sei der Anblick gewesen, wie sie das Klo geputzt habe. Sie selbst wollte niemals so erniedrigt werden. Offenbar war der Witz ein bitterer Spott über das, was die Patientin am meisten fürchtete.

Witzableiter (22)

Auch Gershom Legman (das ist der Mann, der über den unanständigen Witz ein Buch geschrieben hat) meint, der Lieblingswitz könne „das tiefste Problem“ eines Menschen verraten. Der Witzerzähler werbe unbewußt um Verständnis für sein Trauma. Legman nennt das Beispiel einer Engländerin, die im Krieg ein Bein verloren hatte und daran litt, daß sie dennoch vorübergehend die (perverse?) Aufmerksamkeit von Männern erregte. Als man sie in Gesellschaft drängte, einen Witz beizusteuern, fiel ihr nur dieser ein: „Jeder kann sich irren“, sagte der Igel und kletterte von der Haarbürste.

Diese Frau scheint ihr Trauma tapfer benennen zu wollen. Man könnte vermuten, in Witzen, die bei uns zünden, gehe es immer um Probleme. So einseitig muß man das aber nicht sehen. Jedenfalls ist nicht immer Angst im Spiel. Auch Wünsche zeigen sich. Ein deutscher Professor, der sich mit Witzen auskennt, erzählte in der Zeit nach den Studentenunruhen keinen so oft wie diesen: „Auf dem WC der Uni trifft ein Student seinen Professor und sagt zu ihm: „Endlich kann ich mir Ihnen gegenüber mal etwas herausnehmen.“ Aber der Professor erwidert: „Machen Sie sich keine Illusionen. Sie werden auch diesmal den kürzeren ziehen.“

Dieser Lieblingswitz, das darf man vermuten, führt die unverhüllte Wunscherfüllung des Professors vor. Wir haben es also nicht nur mit Traumata, auch mit Trieben zu tun; nicht nur mit Wunden, auch mit Wünschen.

Der amerikanische Analytiker Heinz Kohut schreibt, wenn sich der Patient gegen Ende der Therapie selbst mit Humor sehen könne, so sei das „als ob die Sonne unerwartet durch die Wolken bräche“. Die Besserung scheint stabil, die Heilung in Sicht.

Man nennt es wohl Galgenhumor, wenn jemand über sein Unglück, wo er es schon nicht zu ändern weiß, wenigstens spotten kann. Diesen Humor hat Sigmund Freud im hohen Alter einen „Triumph des Ichs“ genannt. Mit einem Beispiel dieser Gattung, makaber wie es sich gehört, will ich schließen.

Ein Mann ist aus dem zehnten Stockwerk gefallen. Viele Leute umdrängen die Unglücksstelle. Einer drängelt sich zum Opfer vor und fragt, was passiert sei. „Ich weiß es nicht“, sagt der Verunglückte mit letzter Kraft, „ich bin gerade auch erst angekommen.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 49/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (21): Die Lust an der Angst

Fortsetzung von: (20): Die Angst vor der Lust

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um makabre Witze – und damit um die Lust an der Angst. Herr Hirsch kannte da noch keine Schlitzerfilme, wie sie heute im Programm stehen. Was hätte er dazu wohl geäußert?

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Schwere Panne bei den Außenaufnahmen zu einem Western. Aus Versehen wurde ein Revolver verwendet, der scharf geladen war. Der Hauptdarsteller sinkt tödlich getroffen zu Boden. Da springt der Regisseur auf und schimpft: „Stopp, stopp! Charly, laß dich doch nicht einfach umkippen wie ein Sack Hafer.“

Witze, das weiß man, treiben mit Entsetzen Scherz. Sie machen uns Angst und Lust zugleich. Das letzte Mal hatten wir ja nur die harmlose Angst vor Strafe am Wickel. Bei den grausamen und gruseligen Witzen aber steht auch unser eigener Tod zur Debatte. Fragt sich nur, warum wir ihn zum Thema machen.

Zwei Patienten beschweren sich bei der Nachtschwester, daß ihr dritter Mitpatient so entsetzlich röchelt. Sie machen den Vorschlag, den Schwerkranken ins Sterbezimmer zu verlegen. Da lächelt die Nachtschwester etwas verwirrt und sagt: „Aber, meine Herren, das ist doch das Sterbezimmer.“

Wie der Witz das Kunststück fertig bringt, ein angstbesetztes Thema zum Lustspiel zu machen, ist nach wie vor ein Rätsel. Vielleicht liegt es an der Freude, die wir empfinden, wenn wir bemerken, daß der Schreck doch harmlos war, die Angst nachläßt. „Tut mir leid“, sagt der Chirurg, „aber ich muß Ihnen beide Beine abnehmen.“ „Herr Doktor, wenn Sie das tun, setze ich nie wieder einen Fuß über Ihre Schwelle!“

Das ist es wohl: Scherze erleichtern uns, die Befangenheit abzuschütteln. Man sagt von jungen Medizinstudenten, sie machten sich im Seziersaal über die Leichen lustig, um das Gruseln zu vertreiben. Solch ein Lachen ist wie das Pfeifen im dunklen Wald. Aus dem gleichen Grunde lachen Kinder manchmal über eine Behinderung, die sie erschreckt. Der holländischer Soziologe Anton Zijderveld kommt in seinem Buch über den Humor auch auf den makabren Witz zu sprechen und erzählt diesen:

Ein Mann, der gerade Vater geworden ist, hört vom Arzt, daß nicht alles nach Wunsch verlaufen sei. Der Vater will sofort sein Kind sehen und wird in eine Sonderabteilung gebracht. Dort haben die Neugeborenen alle schwere Behinderungen, aber keins davon ist sein Kind. Auch nicht das Baby ohne Gliedmaßen. Das nächste Bett beherbergt nur einen Kopf. Der Doktor teilt mit, auch das sei nicht sein Kind, und führt ihn zum letzten Bettchen. „Hier ist es“, sagt er. Der Vater sieht nur ein Auge, das ihn anstarrt. Er gibt sich einen Ruck, beugt sich über das Bettchen, winkt mit den Armen und sagt: „Tralalalala!“ „Das hat keinen Sinn“, sagt der Arzt, „Ihr Kind ist blind.“

Dieser Witz verletze „einige fundamentale Tabus“, meint der Soziologe Zijderveld; aber er entschuldigt Leute, die so etwas erzählen, mit den Worten: „Wenn wir wirklich grausam wären, würden uns Gruselwitze wahrscheinlich kaum ansprechen.“ Man könnte hinzufügen: Gerade wer Angst vor Grausamkeiten hat, will sich mit solchen Geschichten an die Angst gewöhnen. Etwa mit diesem Beispiel: „Mutti, wann gibt’s mal wieder Zunge zu Mittag?“ „Hng, hngg, hngg!“

Witzableiter (21)

Daß man seine Angst genießen kann, ist uns allen aus Krimis und Gruselfilmen geläufig. Der „Angstlust“, etwa bei Achterbahnfahrten, hat der Psychoanalytiker Michael Balint sogar eine eigene Untersuchung gewidmet. Solche Angstpartien gäben Gelegenheit, ein Trauma „in erträglichem Ausmaß zu wiederholen“, schreibt Balint. Eben, „erträglich“ muß die Dosierung der Angst sein, das ist die Quelle der Lust.

Ein Passagier zu seinem Nachbarn: „Haben Sie das gelesen? Die Zeitung berichtet von einem weiteren Flugzeugunglück.“ „Ja, ich habe es gelesen. Wir stehen auf der Liste der Toten.“

In einer Diskussion über die „Lust an der Angst“ meinte der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter, es sei eben „entlastend“, wenn man eine Lage aktiv herbeiführe, von der man, erlebt man sie passiv, überwältigt würde. Darum seien Schauergeschichten so beliebt.

In der gleichen Debatte erinnerte sich Konrad Lorenz sogar an reale Gefahren: „Meine Freude am Tauchen in Florida beruht zum Teil auf meiner entsetzlichen Angst vor Barracudas. Es ist wunderschön, mit ihnen zu spielen. Wann werden sie böse, wie weit darf ich hin?“ Wir anderen Sterblichen begnügen uns damit, die Existenzangst im Witz anklingen zu lassen. Auch wir wahren dabei die Fluchtdistanz.

Im Krankenhaus sagt der Elektriker zum Patienten, der in der Eisernen Lunge liegt: „Atmen Sie bitte tief durch, ich muß mal für zehn Minuten den Strom abstellen.“

Ich glaube, dieser kleine Schrecken, diese Existenzangst ist lustvoll, weil wir nur betroffen, aber nicht wirklich getroffen sind. Wir spüren das gleiche wohlige Kribbeln, das angenehme Grauen wie im Fernsehsessel. Eine Art Verhaltenstherapie, eine dosierte Impfung. Mehr nicht.

Der Schwerverbrecher Joe aus dem Zentralgefängnis von Illinois darf mit seinem Anwalt telefonieren. „Hören Sie, Boß, hier geht was Komisches vor“, sagt er, „heute früh haben sie mir die Hosenbeine an der Seite aufgeschnitten und die Rockärmel an den Handgelenken auch. Was hat das zu bedeuten?“ „Danke, ich verstehe schon, mein Guter“, sagt der Anwalt. „Da kann ich Ihnen nur den Rat geben: Wenn man Ihnen morgen einen Stuhl anbietet, bleiben Sie stehen!“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 48/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (20): Die Angst vor der Lust

Fortsetzung von: (19): Von Claudias neuen Kleidern

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute nochmals um Sex-Witze. Dabei erfahren wir zusätzlich etwas über die Prüderie von vor 25 Jahren.

Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens

Die allzu üppige Stewardeß steckt den Kopf durch die Tür zum Cockpit und fragt den Kapitän: „Would you like coffee or milk?“ Der Kapitän dreht sich herum, starrt auf den Busen der neuen Kollegin und fragt: „Which one is coffee and which one is milk?“

Der einzige Autor, der sich ausgiebig mit dem schmutzigen Humor beschäftigt hat, der Amerikaner Gershon Legman, ist der Meinung, Sex-Witze seinen für den, der sie macht, nicht das reine Vergnügen. Sie dienten vor allem dazu, latente Ängste zu lindern. Es sei eine Art Selbsttherapie mit dem Zweck, die „tiefe Angst“ vor der Sexualität „loszuwerden“. Das klingt dann so:

Ein Börsenmakler sagt leise unter der Bettdecke zu seiner Frau: „Die Aktien steigen, der Kurs ist fest.“ „Nein“, antwortet sie, „die Börse ist geschlossen.“ Brummend dreht sich der Makler auf die Seite. Nach einer Weile hat es sich die Frau überlegt und sagt: „Liebling, die Börse ist jetzt geöffnet, ich nehme die Aktien zum Höchstpreis“. „Zu spät“, brummt der Ehemann, „ich habe sie gerade unter der Hand verschleudert.“

Vielleicht ist Legmans These von der männlichen Angst auch nur Ausdruck von Selbstmitleid. Die streitbare Autorin Karin Huffzky hat ihn jedenfalls einen Frauenhasser genannt. Kein Wunder, denn viele dieser Witze machen nun wiederum Frauen angst. Also scheint Angst so oder so im Spiel zu sein.

Diese Behauptung, bei Witzen sei immer Angst dabei, mag Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wundern oder gar ärgern. Ich habe mich darüber, als ich zuerst davon hörte, auch gewundert. Inzwischen glaube ich es. Bei diesem Beispiel geht es etwa um die Angst der Frauen vor zu großer (und um die Angst der Männer vor der eignen geringen) Potenz:

Im Zoo zeigt der kleine Junge auf einen Elefanten: „Was ist das, was da so runterhängt?“ Das junge Kinderfräulein sagt: „Das ist der Rüssel.“ „Nein, ich meine hinten.“ „Das ist der Schwanz.“ „Nein, da so unterm Bauch!“ „Ach“, sagt das Kindermädchen verlegen, „das ist gar nichts.“ „Oha“, brummt ein Herr, der dabeisteht, „mein Fräulein, Sie sind verwöhnt.“

Natürlich machen Witze auch Lust. Das ist sogar die Funktion, die wir an ihnen allein wahrnehmen. Gerade das Thema Sexualität ist an sich schon lustvoll. Freilich darf man auch nicht vergessen, daß uns allen diese Lust auch einmal ausgetrieben worden ist. Mehr oder weniger gilt sie im Alltag als verpönt. Das macht Sex-Witze zugleich begehrt und gefährlich. Strafangst kommt auf. Bei diesem Exemplar habe ich besondere Hemmungen, es Ihnen vorzuführen:

„Stell dir vor“, sagt die ältere Krankenschwester zu ihrer jungen Kollegin, „der Seemann auf Zimmer acht ist tätowiert, sogar auf dem Glied. Da steht ‚Rumbalotte’ oder so ähnlich.“ Die junge Schwester kommt nach einer halben Stunde zurück und sagt: „In Wirklichkeit steht da: ‚Ruhm und Ehre der Baltischen Flotte’.“

Witzableiter (20)

Alles, was Spaß macht, ist entweder verboten, macht dick oder ist unmoralisch. Dieser moderne Stoßseufzer läßt sich gut auf Witze abwandeln. Alles, wovon Witze handeln, macht Spaß und ist doch verboten. Wenn wir für einen Augenblick das heutige Thema Sex verlassen, können wir schnell mal aufzählen, wovon Witze sonst noch handeln: vom lustigen Unsinn, von Haß und Grausamkeiten, von Schadenfreude und unserem Wunsch nach Überlegenheit. Alles lustvoll und unerlaubt. Daher die Angst.

Die Straßenbahn ist überfüllt. Die junge Dame dreht sich um und sagt zu dem Mann hinter ihr: „Bitte, drängen Sie nicht so!“ „Entschuldigen Sie“, sagt er, „aber ich habe heute eine Zulage in Hartgeld ausgezahlt bekommen.“ „Nun sagen Sie bloß noch“, zischt die Frau, ohne sich umzudrehen, „Sie hätten seit der vorletzten Haltestelle auch noch eine Gehaltserhöhung bekommen.“

Vielleicht ist Ihnen die These, alle Witze handelten unbemerkt auch von der Angst, nun nicht mehr so fremd. Diese Ansicht wird jedenfalls seit Jahrzehnten von mehreren Forschern vertreten. Dabei wird immer vorausgesetzt, daß das Ferment Angst die Lust nur noch steigern kann. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, daß Angst-Lust das Gefühlspaar ist, das letztlich jeden Witz bestimmt. In diesem Fall scheint das besonders deutlich:

Ein älterer Herr, offenbar stark angetrunken, steht in der Toilette des vornehmen Hotels und wühlt in seiner Hose. Dabei murmelt er immer wieder etwas vor sich hin. Der Toilettenwärter geht näher ran und hört: „Komm raus, du Feigling, du brauchst nur zu pinkeln.“

Was verboten ist, das macht uns gerade scharf. Das gilt auch von der verdrängten Lust. Die verbotenen Früchte sind auch im Witz die süßesten. Selbst das Lachen wird erst recht unwiderstehlich, wenn man es unterdrücken muß. So paradox das klingt: ohne Erziehung und Tabus hätten wir kaum was zu lachen.

Knecht Ruprecht kommt nach alter Sitte durch den Schornstein und landet in einem Zimmer, wo eine wunderschöne Frau nackt auf dem Sofa liegt. Er legt die Geschenke ab und ist unschlüssig, ob er sich der Frau nähern soll. „Tu ich’s, dann komme ich nicht wieder in den Himmel“, sagt er sich, „tu ich’s nicht, komm ich nicht wieder durch den Kamin.“

Ich schließe mit einer Geschichte, die bei meinem kleinen Test besonders umstritten war. Der Fabrikant kommt nach Hause und muß seiner Frau erklären, woher er das blaue Auge hat. „Mir fehlte ein Hosenknopf. Da habe ich unsere Hausmeistersfrau gebeten, ihn mir anzunähen. Das tat sie auch, ich behielt natürlich die Hose an.“ „Das ist doch kein Grund für ein blaues Auge!“ „Nein, natürlich nicht, aber ihr Mann kam rein, als sie gerade den Faden abbiß.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 47/1984

[Fortsetzung folgt]