Kategorie-Archiv: Ei, wie witzig

Deutschland sucht den Super-Witz-Schrott

Der Witzableiter (19): Von Claudias neuen Kleidern

Fortsetzung von: (18): Den können Sie echt vergessen

Im heutigen Teil (und auch im nächsten) der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es um Sexwitze, also um die Anzüglichkeiten, die gern die Herren der Schöpfung hinter vorgehaltener Hand erzählen, um dann lauthals in Gelächter auszubrechen. Der heutige Beitrag zeugt von einer gewissen Prüderie, die für das Jahr 1984 sicherlich noch typisch war.

Aus dem Brief eines Logierbesuchs: „Ich danke Ihnen sehr, liebe gnädige Frau, daß ich wieder in ihrer Mitte haben weilen dürfen.“ Ja, ich gestehe es gleich nach dieser Kostprobe, heute und das nächste Mal will ich mich den Sexwitzen zuwenden. Sie sind, meist von Männern gemacht, oft aggressiv und kränken Frauen. Für die Männer sieht die Sache etwas anders aus. Die drücken mit solchen Witzen zweierlei aus: ihre Gier nach dem weiblichen Geschlecht und zugleich ihren Haß und ihre Angst, zu versagen.

Claudia hat ein neues Kleid. Es ist schön, es sitzt phantastisch und ist auch noch selbstgemacht. Sebastian ist hingerissen. Abends bei ihr zu Hause sagt er: „Wir haben uns nun ausgiebig über das Kleid unterhalten, beim Essen, in der Theaterpause und dann auf der Fahrt hierher. Wollen wir das Gesprächsthema jetzt nicht endlich einmal fallen lassen?“

Mit dieser Art Witze habe auch ich meine Schwierigkeiten, darum habe ich andere Leute zu Rate gezogen, welche Beispiele ich überhaupt wählen soll. Die Meinungen gingen weit auseinander, auch zwischen Frauen. Wo für die einen Angst und Abscheu überwogen, dominierte bei den anderen Testlesern noch Freude und Lust.

Die junge Schauspielerin hat in ihrer ersten Rolle nur einen Satz zu sagen. Sie muß den eintretenden Diener unwillig fragen: „Was willst du schon wieder?“ Bei der Premiere hat sie einen unerwarteten Erfolg, als sie im Lampenfieber sagt: „Was, willst du schon wieder?“

Gerade Sex-Witze jedenfalls wecken durchaus unvereinbare Gefühle, die – wie Anziehung und Abstoßung – in uns heftig konkurrieren.

Der Frauenheld des Dorfes steht wegen eines Vaterschaftsprozesses vor Gericht. Die Resi ist als Zeugin geladen, ihre Freundin Zensi ist mitgegangen und wird vom Richter gefragt: „Hast du denn auch eine Ladung bekommen?“ „Nein“, antwortet sie, „mich hat er nur geküßt.“

Was passiert mit unseren Gefühlen , wenn ein Witz bei uns wirkt? Vor drei Wochen (Witzableiter 16) habe ich über das Lachen geschrieben und dabei habe ich Ihnen erzählt, daß viele Psychologen hier Herbert Spencers These von 1860 folgen. Er meinte, im Lachen reagierten wir den kleinen Schrecken ab, den uns der Witz einjage. Die psychische Energie, vom Alarm mobilisiert, werde, weil überflüssig, abgeführt.

Mißmutig sagt der Ehemann zu seiner Frau: „Manche Frauen können eben anziehen, was sie wollen, ihnen steht einfach nichts.“ Da gibt sie zurück: „Manche Männer können ausziehen, was sie wollen – da ist es genauso.“ (Immerhin ein Witz, bei dem die Frau Siegerin bleibt.)

Witzableiter (19)

Von einer „Abfuhr“ spricht auch Sigmund Freud. Aber für ihn fließt im Witz kein Schrecken ab, sondern im Gegenteil die aufgestaute Lust. Das ist nun etwas ganz anderes, leuchtet uns aber ebenfalls ein. Der verdrängte Trieb wird befreit und abgeführt. Was mir an beiden Abfuhr-Modellen von Spencer und Freud jedoch nicht ganz behagt, ist, daß der Ausdruck „Abfuhr“ nicht recht erklären kann, warum im Lachen die Gefühle zunächst einmal hochschießen, ehe sie allmählich abflauen.

„Heute nacht habe ich wunderschön von Ihnen geträumt“, sagt der Abteilungsleiter zu der neuen Kollegin. „O“, sagt sie kühl, „haben Sie?“ „Nein“, meint er bedauernd, „ich bin vorher aufgewacht.“

Um das Hochschießen der Gefühle erklären zu können, sollte man Spencer und Freud kombinieren. Ich meine, der Witz weckt sowohl Angst wie Lust. Beides! Nur weil er beide Gefühle, die sich gewöhnlich gegenseitig blockieren, zugleich weckt, kommt es zu diesem explosiven Aufschaukeln.

Angst und Lust jagen sich gegenseitig hoch. Zwischen ihnen entsteht eine „positive Rückkopplung“. Diesen Begriff übernehme ich aus der Systemtheorie und der Nachrichtentechnik. Gemeint ist damit die Rückwirkung der Ausgangs- auf die Eingangsgröße eines Systems. In der Elektroakustik kommt es dann zu den bekannten Pfeifgeräuschen. Man spricht hier auch so schön anschaulich von „Entdämpfung“ und sogar von „Selbsterregung“. (Ich glaube, mein Schwein pfeift.)

Der geschiedene Ehemann hat sich den Arm gebrochen. In seiner Not bittet er seine ehemalige Frau um Hilfe. Sie ist auch bereit, ihm in der Badewanne den Rücken einzuseifen. Als sich bei ihm etwas regt, ruft sie: „Ist das nicht süß? Er kennt mich noch.“

Etwas gewagt, aber doch ganz erwünscht. Eben Angst und Freude zugleich. Der amerikanische Psychologe John H. Willmann, den ich schon einmal erwähnt habe, hat im Jahre 1940 erklären wollen, warum sich im Witz die Gefühle Angst und Freude verstärken und nicht hemmen. Er hat sich dafür auf den russischen Physiologen Iwan Pawlow (den mit dem Hund) berufen, der das „Prinzip der positiven Induktion“ eingeführt hat. Das würde man heute als „positive Rückkopplung“ bezeichnen. Da sehen Sie es – fast alle guten Ideen waren schon mal da.

Ein Zebra besucht eine Farm in Afrika. Lang sieht es sich die Hühner an und fragt dann: „Wozu seid ihr da?“ „Wir legen Eier für die Menschen“, sagen sie. Das Zebra kommt in den Kuhstall und fragt die Kühe dasselbe. „Wir geben Milch für die Menschen“ ist die Antwort. Im nächsten Stall fragt das Zebra: „Und wer bis du?“ „Ich bin der Stier.“ „Und was machst du?“ „Zieh deinen Pyjama aus, dann zeig ich’s dir!“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 46/1984

[Fortsetzung folgt]

WilliZ ‚Gedankenspitter‘ (6): Twitter

Ach ja: Twitter – Wer etwas auf sich hält, der twittern, facebookt oder nutzt andere soziale Dienste. So sind z.B. auch die Fußballvereine der Bundesliga hier vertreten. Nun ich selbst bin schon seit über einem Jahr bei Twitter und habe dort genügend Murks fabriziert. Jetzt habe ich ein weiteres Mal einige meiner Tweets, wie man die maximal 140 Zeichen langen Beiträge nennt, gesammelt, damit sie nicht ganz der Nachwelt verloren gehen 😉

Es gibt gewisse Rituale bei Twitter – wie im echten Leben auch. Und dazu gehört z.B. die morgendliche Begrüßung – hier einige Beispiele:

Ave Jupiter – seid gegrüßt Legionen! (… oder wie man hier sagt: Moin, moin!)

Seid gegrüßt, himmlische Heerscharen, ihr Legionen an Seraphim und Cherubim – und auch ihr kleinen Teufelchen!

Ave Caesar, ich grüße Euch, die Todgeweihten dieser Erde (resp. wünsch ich ’nen schönen Freitagmorgen …)

Seid gegrüßt, edle Recken und holde Maiden – Freitag ist’s, welch angenehmes Rauschen des Windes, verkündet es Wochenend, gar Sonnenschein?

Hi Ihr Hübschen, hocke schon auf der Arbeit … Aber erst einmal wünsche ich einen schönen guten Morgen (die Sonne blinzelt leicht)

Endlich wieder ein Freitag, der 13.: Mein absoluter Glückstag! Moin, Gemeinde!

Bereits in vielen Begrüßungstweets sind Hinweise auf das Wetter enthalten und bilden so gewissermaßen den Übergang zu der Deutschen Lieblingsthema, dem Wetter:

… so isses, Moin! (das Wetter trüb, der Willi müd …)

Ziemlich frisch, aber die Sonne scheint – immerhin … So wünsche ich denn einen schönen guten Morgen, Ihr Bagaluten (http://is.gd/eofyq)!!!

Mesdames et messieurs – isch wünsché ainen guten Morgen! Nach Regen kommt Sonnenschein, falsch: weiterhin Regen bis zum Abwinken!

Das Wetter ist ja wieder einmal ‚allerliebst‘ (ein Mistregenwetter ist das!), trotzdem wünsche ich allen einen ‚Guten Tag‘!

Ja und dann das Wetter selbst. Als das Schnee-Tief Daisy über Deutschland erwartet wurde, gab es Anlass genug, dies entsprechend zu würdigen:

Ich hab alles hergerichtet: Appetitliche Happen, lieblichen Rosé, schummriges Licht, leise Musik! Nur Daisy kommt einfach nicht! noch nicht?

Moment. Es hat geklopft … Kommt Daisy doch noch?

Äh, eine dumme Frage … Habt Ihr etwa auch eine Verabredung mit Daisy? (Dieses Luder …!)

MEINE DAISY? Auch schon mit zwei Kreuzen markiert, wie Schlachtvieh

Endlich: Daisy kommt gerade hereingeschneit …

Daisy: Ich liebe ihr Glitzern in den Augen, ihren kühlen Hauch und das Weiß ihrer samtenen Haut ..

Und auch sonst spielte das Wetter in vielen Tweets die Hauptrolle:

Noch dunkel ist’s, gar kühl und mager – noch ziert die Gans die Haut; schon bald das Mütchen, frisch gewässert, zu neuen Taten streitet …

Man darf doch wohl noch träumen dürfen … http://twitpic.com/1ouvtv

Trüb‘ ist’s nicht nur im Gebüsch, nein, wolkenverhangen zeigt sich der Tag – trübes Süpplein ich löffle still, trüb ist auch mein Trachten..

Ein Blick durchs Fenster sagt mir: Noch hat der Tag Lust, denn er lacht mir ins Gesicht (wie lange das wohl hält?)

Ansonsten trachtet man natürlich, Humor und Geistreiches sinnvoll-sinnig zu kombinieren, wie hoffentlich die nächsten Tweets aus meiner Feder beweisen:

#Neologismus (1) Übelfall: plötzlicher Anfall von Erbrechen, Brechreiz
#Neologismus (2) Bahnsinn: (wer öfter mit der Bahn fährt, weiß was ich meine …)
#Neologismus (3) Mutanfall: plötzliches Auftreten von Mutigsein
#Neologismus (4) Iststück: unangenehmer Menschen, wie er wirklich ist
#Neologismus (5) Ahnehäubchen: 1. Glied in einer Vorfahrenkette, Stammvater, Adam

Wenn R. anruft, dann mache ich das Fenster sperrangelweit auf – in der Hoffnung, das auch R. friert und bald auflegt

„Störungen im Betriebsablauf“ bei der Bahn – ist das so etwas wie „Ich habe keinen Bock auf Arbeit!“ bei mir?

Die Aschenbecher leeren, die Gläser spülen, um ein neues Leben zu beginnen.

Am Shlimmstän sind die Schraibfäller. hat man den Twiet ersteinmol abgeschickt, dann ist man ouf ewwige Zait gebrandtmarkd als Analalfabett

Weihnachtschaos ist, wenn der Weihnachtsmann sich ‚verwunschzettelt‘ …

@FrauKulli Weihnachtsmänner sind im Dezember die allerschönsten. 🙂 … solange ich nicht mit „Sie, Weihnachtsmann!“ angesprochen werde

„Ein Wal am Morgen bringt Twitter nur Sorgen“ (Edgar Allen Poe)

Gestern sagte mir einer, dass ich viel Humor hätte! Der kennt mich bloß noch nicht!

Müllabfuhr ist erst morgen – sammelt aber schon mal eure Tweets zusammen

Wo Ihr Eure Tweets der Nachwelt erhalten könnt http://de.wikiquote.org/wiki/Hauptseite

http://twitpic.com/106q0c – Ouilli Ben Herman: Kamele, billig Kamele

Allen einen sinnverfremdeten guten Morgen: Wo Unsinn sinnt, der Sinn versinnt (oder so ähnlich)?!

Wer reitet da durch Nacht und Wind … ’s ist nicht Nacht, ’s ist zwölf am Tag, aber dunkel ist ’s, und kalt am Arsch

Ich habe früher auch schon ‚mal gedichtet, es hat zwar gehalten, sich aber nicht gereimt …
Was haben Lyriker und Klempner gemeinsam – beide dichten! #Kalauer
Hast du Löcher in den Socken, dann nimmt Schokolade, die stopft … #Kalauer

Das laute Lästermaul mault lästernd laut … (Hilfe, ich bin im falschen Film!)

Allein Gewissheit den Sinn belebt, freie Tage vor der Türe stehn, die Freiheit bieten frei vom täglich Zwang, wenn’s zwei dann auch nur sind
Aber noch ist es nicht soweit, noch wartet Arbeit auf den Held: Der nimmt’s Schwert und teilt die Last, damit für jeden ‚was zu tun bleibt
Nun doch der Tatendrang mich überkömmt; die Arbeit will getan, erledigt sein, bevor die Kurv ich kratz, ins Weekend mich begebe

Wer des Wartens geduldgeübt, dem Zeit gefühlt kübelweis‘ überschüttet nie zur Neige geht

HOCH, ja HOCH hinaus mein Sinn mich führt, wie fürchterlich ein Sturz muss sein – ich bin gerührt (und nicht geschüttelt) und bleib am Boden

Mir steht kein Hut, nur Übermut!
Übermut tut vielen gut!
Mut kommt vor Übermut!
Übermütig mutmaßt der Mutige über Mut …

Scheiße, mein Freund, das Arschloch, leidet an Koprolalie!

Nilpferd in Burgunder: Man nehme ein Nilpferd, 500 l Burgunderwein, 500 g Salz, 200 g gemahlenen schwarzen Pfeffer, eine Prise Majoran …

Also auf ans Werk – unverzagt, voller Zuversicht (was in die Hose gehen muss, geht in die Hose – dafür ist die Hose schließlich da)

Wenn ich den Zwirn durchs Nadelöhr bekomme, dann schaffe ich es auch, einen Elefanten in der Garage neben dem Kamel zu stapeln …

Wenn Unsinn Spaß macht, was macht dann Sinn?

ACHTUNG: Mit TWITTER geschehen zz. seltsame DINGE: Wie es aussieht, so ist TWITTER wohl GEHACKT (14:22) …
… Mit Twitter zum Porno – Sicherheitslücke leitet Nutzer automatisch weiter (18:08)

Der Witzableiter (18): Den können Sie echt vergessen

Fortsetzung von: (17): Das Mitleid beim Eigentor

Nein, die Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, habe ich nicht vergessen. Nach fast fünf Monaten hier endlich der nächste Teil. Heute geht es u.a. um die Frage, warum wir Witze immer wieder vergessen. Hier eine Erklärung.

„Sagen Sie, was ist Chuzpe?“ „Das ist jiddisch und heißt Frechheit. Chuzpe ist es, wenn ein Mann, der verurteilt werden soll, weil er Vater und Mutter erschlagen hat, um ein mildes Urteil bittet, denn er sei schließlich Vollwaise.“

Auf deutsch gesagt, Frechheit siegt. Solch ein Erfolg löst in uns mal wieder recht gegensätzliche Gefühle aus, ich vermute: Empörung und Bewunderung zugleich. Der zum Tode Verurteilte wartet auf die Hinrichtung. Ein Priester kommt in seine Zelle. „Mann Gottes“, schreit der Delinquent, „was soll ich mich lange mit Ihnen abgeben, in einer Stunde stehe ich vor Ihrem Chef persönlich!“

Mal zwischendurch eine ganz andere Frage: Warum können Sie eigentlich keine Witze behalten? Das haben Sie sich wahrscheinlich auch schon mal gefragt. Heute werden Sie darauf vielleicht eine Antwort bekommen. Ob Sie diesen hier auch vergessen werden?

Der Student wird in Zoologie geprüft. Der Professor hat neben sich einen Vogelkäfig, der aber so zugedeckt ist, daß man nur die Krallen des Vogels sieht. „Was für ein Vogel ist das?“ will der Professor wissen. „Da muß ich schon mehr zu sehen bekommen“, sagt der Student. „Durchgefallen!“ donnert der Prüfer. Als der Student schon an der Tür steht, ruft der Professor: „Welcher von den Kandidaten sind Sie überhaupt?“ Da zieht der Student ein Hosenbein hoch und sagt: „Raten Sie mal.“

Ich glaube, in unseren Tagträumen sind wir oft solche Helden. Aber im Alltag haben wir Angst davor, so kühn zu sein. Da tritt unsere Abwehr auf den Plan, und wir sagen uns: „So darf man nicht sein. Das tut man nicht!“ Mit dieser Ambivalenz der Gefühle hören wir dann auch solche Witze, mit Bewunderung und Empörung. Der große Therapeut zum Patienten: „Als erstes muß ich Ihnen sagen, daß eine Konsultation bei mir hundert Mark kostet.“ „Ich weiß“, sagt der Patient resigniert. „Zweitens: Für dieses Honorar kann ich Ihnen nur zwei Fragen beantworten.“ „Hundert Mark für zwei Antworten – finden Sie das nicht etwas teuer?“ „Mag sein“, antwortet der Therapeut, „und wie lautet Ihre zweite Frage?“

Jeder gute Witz scheint (Sie erinnern sich) zwei gegensätzliche Gefühle in uns zu wecken. Meist sind es Lust und Angst. Hier handelt es sich, genauer gesagt, um Bewunderung und Empörung. „Verflucht“, schreit der Ehemann, „du küßt mich nur, wenn du Geld brauchst!“ „Na“, sagt sie, „ist das etwa nicht oft genug?“

Eigentlich antwortet man so nicht, obwohl wie es alle können möchten. Unsere Einsicht in diese Ambivalenz paßt gut zu einer Grundannahme der Psychoanalyse. Kaum eine Lehre Freuds hat sich so bestätigt wie die von den Abwehrmechanismen. Die treten in Aktion, wenn ein Wunsch in uns unterdrückt werden soll, weil seine Ausführung zu gefährlich wäre. Auf unser Beispiel angewendet: den Wunsch nach Frechheit (nach Chuzpe) unterdrücken wir, indem wir den Gegen-Impuls entwickeln, immer korrekt sein zu wollen. Was sich dieser Schüler leistet, lehnen wir daher ab (und bejubeln es heimlich): Der Lehrer hat einen Verdacht. „Oliver, du hast dieselben vierzehn Fehler im Diktat wie dein Nebenmann. Wie kannst du mir das erklären?“ Oliver überlegt und sagt dann: „Wir haben schließlich auch denselben Lehrer!“

Witzableiter (18)

Einer von Freuds Abwehrmechanismen ist sprichwörtlich geworden, nämlich das Verdrängen. Eine andere Art der Abwehr heißt Reaktionsbildung. Das ist unser Versuch, einen Wunsch, der uns Angst macht, dadurch abzublocken, daß wir ihm einen gegenteiligen Impuls entgegenstellen. Und genau in dieser Situation, so meine ich, trifft uns ein guter Witz – wenn er uns trifft.

Gast: „Sagen Sie mal, Herr Ober, ist das Schweinefleisch oder Kalbsfleisch?“ Ober: „Können Sie das denn nicht unterscheiden?“ Gast: „Nein.“ Ober: „Dann kann es Ihnen ja auch egal sein.“

Wenn wir die Lehre von den Abwehrmechanismen auf den Witz anwenden (das hat bisher noch niemand versucht), dann können wir sagen: ein Witz weckt in uns einen verdrängten Wunsch (z.B. den nach Chuzpe) und befriedigt zugleich unsere Abwehr, also den Gegen-Impuls (hier also den Wunsch, korrekt zu sein und nicht zu provozieren). Ja, auch der Gegen-Wunsch geht in Erfüllung, denn im Witz riskieren wir ja nichts, es passiert uns nichts, wir brauchen keine Angst zu haben.

Während der Aufführung der „Räuber“ unterhält sich ein Besucher ziemlich laut mit seiner Frau. Darüber beschwert sich sein Nachbar: „So seinen Sie doch endlich still, man kann ja kein Wort von der Bühne verstehen!“ Ein vernichtender Blick trifft ihn: „Ein gebildeter Mensch kennt die Räuber.“

Haben Sie, verehrte Leser, vielleicht auf ihre Reaktion geachtet? Es könnte sein, daß Sie zuerst einen kleinen Schrecken bekommen haben und sich dann doch heimlich auch über die verbotene Frechheit freuen konnten.

Der Bankräuber schiebt dem Kassierer einen Zettel zu: „Alles Geld in die Tasche packen. Aber dalli!“ Der Bankangestellte nimmt den Zettel, schreibt etwas auf die Rückseite und schiebt den Zettel wieder zurück. Der Räuber liest: „Binden Sie sich mal Ihren Schlips ordentlich. Sie werden nämlich gerade fotografiert.“

All diese Witze werden Sie wieder vergessen. Und nun wissen sie auch, warum das so ist. Weil die verbotenen Wünsche, die im Witz plötzlich wieder da sind, gleich wieder verdrängt werden müssen. Auch den hier können Sie echt vergessen:

Ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher diskutieren über das Christentum. Endlich sagt der Katholik begütigend: „Wir dienen schließlich beide dem gleichen Herrn. Sie auf Ihre Weise – und ich auf seine.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 45/1984

[Fortsetzung folgt]

Rolling Sheeps

Das Verkehrszeichen, das vor Steinschlag warnt, sieht eigentlich anders aus. Unter Steinschlag versteht man meist den Niedergang von Steinen als Geröll oder Schutt an einem Hang. Auf dem Rückweg vom Gipfel des Drachenfelses sahen wir nun das folgende Hinweisschild. Auch hier warnt es vor Geröll, das einen Anhang herunterkommen kann … und auch vor herabfallenden Schafen?

Steinschlag und mehr: Rolling Sheeps

Weitere kuriose Verkehrs- und Hinweisschilder in diesem Blog:
Mind your headAutowaschanlagePer Rad zur Hölle(K)eine Hundekotablage

Der Witzableiter (17): Das Mitleid beim Eigentor

Fortsetzung von: (16): Oh Schreck, lach’ nach

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um die berühmten ‚Eigentore’, die meist Schadenfreude auslösen, aber durchaus auch eine Mischung aus Schadenfreude und Mitleid hervorrufen können.

Der Patient gesteht dem berühmten Professor, er sei vorher bei einem Heilpraktiker gewesen. Der Professor höhnisch: „Da bin ich aber mal gespannt, welchen Unsinn der ihnen empfohlen hat.“ Der Patient: „Er hat mich zu Ihnen geschickt.“ So was zählt man wohl zu den Eigentoren. Um die soll es diesmal gehen.

Und noch ein anderes Thema steht auf dem Programm: die Gefühle, die ein Witz in uns weckt. Schließlich bestimmen sie die Wirkung. Wenn das so ist, was haben Sie denn eben gefüllt, als der Professor reinfiel? Schadenfreude? Ja, geben wir es nur zu. Dieses Gefühl ist recht verpönt, aber heimlich genießt man es doch. Bleibt nur die Frage, wie der Witz das macht, daß ein verpöntes Gefühl genießbar wird.

Der Oberkellner beobachtet sei Tagen, wie ein Hotelgast das Besteck am Tischtuch putzt. „Ich möchte Sie höflich bitten, das zu unterlassen“, sagt er, „erstens ist das Besteck sowieso sauber und zweitens machen Sie damit nur das Tischtuch schmutzig.“ In jedem Witz wird ein verbotenes Gefühl annehmbar, wird ein verdrängter Wunsch plötzlich zur Lust. Wie macht der Witz das? Ich glaube, wenn wir diese Frage zu beantworten wüßten, hätten wir das Rätsel der komischen Wirkung aller Witze gelöst. Versuchen wir es. Mein Vorschlag wäre: Der Trick liegt darin, daß das verpönte Gefühl mit einem ehrenvollen kombiniert wird. Hier wäre das die Kombination von Schadenfreude und Mitleid. Ein paradoxes Miteinander.

Ein Gast winkt den Wirt herbei und zeigt auf seinen Teller: „Ich habe aber schon bessere Steaks gegessen.“ Darauf der Wirt: „Aber nicht bei mir!“ Wirklich, reine Schadenfreude empfinden wir gar nicht, schließlich hat der Wirt uns ja auch nichts getan. Darum haben wir für ihn auch Mitleid. Und genau diese Verbindung erzeugt in uns die komische „Ambivalenz der Gefühle“, die man dem Witz nachsagt. Diese Ambivalenz wäre also, meine ich, genauer gesagt, eine paradoxe Paarung gegensätzlicher Gefühle.

Richter zum Kläger: „Würden Sie einräumen, daß der Beklagte Sie nur im Augenblick höchster Erregung ein ‚blödes Hornvieh’ genannt hat?“ „Nein, Herr Richter, er hat mich vorher genau angesehen.“ Natürlich können Witze ganz verschiedene Gefühle hervorrufen. Ich behaupte nur, daß diese Gefühle immer in paradoxen Gegensatz-Paaren auftreten. Ein weiteres solches Paar, das wir bei der Wirkung der Eigentor ausmachen können, ist Achtung/Verachtung. Die Personen, die wir reinfallen sehen, treten zunächst respektheischend auf, sonst könnten wir auch gar nicht über ihren Reinfall lachen. Während die Stimmung umkippt, bekommt unsere Achtung den Beigeschmack von Verachtung. Das kann auch unfreiwillig geschehen. Eine Frau ließ auf den Grabstein ihres Mannes die Worte setzen: „Ruhe in Frieden – bis wir uns wiedersehen.“ Hier kippt die Andacht in Aggression um.

Ein Kunde im Ehe-Institut: „Reich braucht sie nicht zu sein, das bin ich selbser. Tüchtig braucht sie nicht zu sein, das bin ich selber. Gescheit braucht sie nicht zu sein, das bin ich selber. Aber anständig muß sie sein!“

Die Witze aus der Kategorie „Eigentore“, die heute unsere Beispiele bilden, sind ziemlich offen aggressiv. Aggression ist ein Element vieler Witze. Man kann den Witz sogar definieren als „erlaubte Aggression“. Wahrscheinlich schlummert ein unterdrückter Wunsch nach Aggression in jedem Menschen. Diesen Wunsch lebt man im Alltag nicht aus, weil das für einen selbst gefährlich wäre. Um sich zu bremsen, sagt man sich: Ich muß mitfühlend und gerecht sein! Der Witz, so scheint es, weiß dennoch einen Ausweg. Er ist so eingerichtet, daß er unsere Forderung an uns selbst, mitfühlend und gerecht zu sein, erhält, und gerade dadurch den Wunsch nach Aggression erfüllen kann. Damit leistet der Witz ein fast paradoxes Kunststück.

Witzableiter (17)

Ein alter Junggeselle, steinreich und schwerhörig, kommt spät nach Hause. Sein Diener, der lange auf ihn hat warten müssen, hilft ihm aus dem Mantel und murmelt: „Na, du stocktauber alter Schwerenöter, wieder bei den Weibern gewesen und das Geld verspielt?“ „Nein, Johann, in der Stadt gewesen, Hörapparat gekauft.“

Jetzt sind unsere Beispiele noch etwas komplizierter geworden, denn es gibt nun zwei Hauptpersonen. Da wechseln unsere Gefühle so schnell zwischen beiden, daß wir kaum mitkommen. Noch vielfältiger treten die Gegensatz-Paare hier auf: „Herr Stabsarzt“, sagt der Eingezogene bei der Musterung, „ich bin fast blind.“ „Lesen Sie laut vor, was auf der Tafel steht“, befiehlt der Stabsarzt. „Auf was für einer Tafel“, fragt der Eingezogene, „ich sehe keine.“ „Sehr gut“, donnert der Arzt, „ist auch keine da. Tauglich!“

Halten wir fest: Die Gefühle, die ein Witz hervorruft, treten als Gegensatz-Paare auf. Das eine Gefühl erfüllt einen latenten Wunsch, das andere legitimiert ihn. Wir aber genießen die Wunscherfüllung und sind von der Ambivalenz hin und hergerissen.

Eine junge Frau geht regelmäßig zum Arzt, der aber nichts finden kann. Dann kommt sie vier Wochen nicht mehr. Als sie wieder da ist, fragt der Arzt: „Warum waren Sie so lange nicht da?“ „Ich konnte nicht“, erklärte die Frau, „ich war krank.“

In unser Vergnügen an dieser armen Frau mischt sich jetzt sogar Hochmut. Auch ein gefühl, das wir uns meist nicht erlauben. Aber genug des Kommentars. Die Lektion ist schon kopflastig genug.

„Ein Patient fragt den Chirurgen: „Wird die Operation sehr teuer, Herr Doktor?“ „So beruhigen Sie sich doch! Überlassen Sie dies Sorge doch getrost Ihren Erben.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 44/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (16): Oh Schreck, lach’ nach

Fortsetzung von: (15): Damit Sie bitte recht verstehen

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute um absichtliche Missverständnisse. Dahinter verbirgt sich eine gewisse Bosheit, wenn man den Gegenüber bewusst zu missverstehen trachtet. Außerdem erfahren wir heute etwas zur Theorie des Lachens. Viel Spaß!

„Na, hören Sie mal, das ist doch wohl der Gipfel der Unverschämtheit!“ tobt der Kollege, „ich erzähle Ihnen, daß meine Frau ein Baby erwartet, und Sie fragen, von wem!“ „Nun, regen Sie sich doch nicht auf“, versucht der andere ihn zu beruhigen, „ich dachte ja nur, Sie wüßten es.“

Das letzte Mal habe ich den Tropfen Adrenalin erwähnt, der in jedem Witz enthalten sein sollte. Jetzt, wo wir uns den Mißverständnissen zuwenden, die mit voller Absicht herbeigeführt werden, kommen die Gefühle noch eher in Gang.

Bei der großen Abendeinladung ziert sich der Operettentenor erst noch, aber dann gibt er doch eine Arie zum besten. Großer Beifall. Die Hausfrau kommt mit Sekt, und der Tenor meint zufrieden: „Schließlich habe ich ja meine Stimme auch mit hunderttausend Mark versichern lassen.“ „Nicht möglich“, staunt die Gastgerberin, „und jetzt will die Versicherung nicht zahlen, was?“

Es ist, wir bemerken es nebenbei, nicht der Doppelsinn von Worten, der hier das Mißverständnis nahe legte. Im Gegenteil, das boshafte Gegenüber erlaubt es sich, die ganze Botschaft mit Gewalt anders aufzufassen. „Na, Herr Meyer, wie ist denn Ihr Prozeß ausgegangen?“ „Wie zu erwarten – die gerechte Sache hat gesiegt!“ „O, das tut mir aber leid für Sie.“

Manchmal kann sich der Mißversteher aber auch auf einen Doppelsinn berufen. „Für meinen letzten Hit habe ich zwanzigtausend Mark gekriegt.“ „Sie Ärmster“, sagt der Kritiker, „haben Sie die bezahlt oder abgesessen?“ Die Machart kommt auch im Alltag vor, man kann sich ja leicht dümmer anstellen, als man ist.

Das Starlet kommt aus den Ferien zurück. „Du glaubst gar nicht“, sagt sie stolz zu einer Kollegin, „wie ich umschwärmt worden bin.“ „Ja, ja“, entgegnet die andere, „wir hatten hier auch eine furchtbare Mückenplage.“

Diese Witzkategorie „Absichtlich mißverstanden“ biete uns Gelegenheit, der Frage nachzugehen, wie eigentlich das Lachen entsteht. Zwei Theorien haben, soviel ich sehe, die meisten Anhänger gefunden. Herbert Spencer, ein englischer Philosoph, begann als Ingenieur, war dann Journalist und veröffentlichte mit vierzig Jahren 1860 eine Abhandlung über das Lachen. Zu dessen Erklärung verwendete er den modernsten Begriff der damaligen Naturwissenschaft: den Begriff der Energie. Beim Lachen, meinte er, werde psychische Energie abgeführt, die der Körper nicht mehr braucht.

Witzableiter (16)

Im Oberhaus begegnen sich zwei Lords auf dem Korridor. „Wie ich höre“, sagt der eine, „waren Sie gezwungen, Ihre Gattin zu beerdigen, mein armer Freund.“ „Ja“, seufzt der andere, „was sollte ich tun? Sie war tot …“

Spencer meinte, was sich später als Witz herausstellte, wirke zuerst einmal alarmierend auf uns. Stelle sich der Schrecken als unbegründet heraus, so lache man die überflüssige Energie weg. Aber, psychische Energie? Gibt es so was überhaupt? Der Ausdruck selbst ist heute überholt.

„Mein Lieber, leihen Sie mir doch hundert Mark, Sie bekommen sie morgen zurück. Sie haben das Wort eines Ehrenmannes.“ „Gut, aber wo ist der Ehrenmann?“

Die andere Herleitung des Lachens hat ebenfalls Tradition. Schon Immanuel Kant hat sie von Vorgängern übernommen. Kant meinte ja (das habe ich Ihnen schon mal erzählt), daß beim Verstehen eines Witzes sozusagen in unserem Kopf ein Hin und Her stattfindet. Aus dieser Bewegung ergebe sich, meinte Kant, schließlich das Lachen. Erst seien die Gedanken in Bewegung, danach die Gefühle, dann die Eingeweide und das Zwerchfell, so daß schließlich „die Lunge die Luft mit schnell aneinander folgenden Absätzen ausstößt und so eine der Gesundheit zuträgliche Bewegung bewirkt.“

„Sieht nach Regen aus“, sagt die Wirtin, als sie dem Gast den Kaffee auf den Frühstückstisch stellt. „Aber wenn man genau hinsieht“, meint der Gast, „merkt man doch, daß es Kaffee sein soll.“

Die Ansicht Kants, das Lachen habe seinen Ursprung im gedanklichen Kontrast des Witzes, hat auch der Philosoph Friedrich Theodor Vischer 1837 in seiner Ästhetik aufgegriffen. Wir erkennten diesen Kontrast, meinte er, „bemühen uns, den Widerspruch zu reimen, und es geht nicht: es geht nicht, und wir versuchen es doch wieder, und diese An- und Abspannung erzeugt das fröhliche Gelächter.“

Das altgewordene Liebespaar sitzt auf dem Sofa. „Ich finde“, sagt die Frau, „wir sollten doch noch heiraten.“ „Das finde ich auch“, sagt ihr Freund, „aber wer würde uns denn noch nehmen?“

An diesem Beispiel kann man sich klarmachen, daß Spencer durchaus recht hat mit der Annahme, erst sei da ein Schrecken, der im Lachen abfließe. Aber auch Kants Ansicht leuchtet uns hier ein: Man geht zwischen den Positionen hin und her und kann in die Erschütterung des Lachens geraten. Das zeigt, finde ich, daß beide Theorien sich keinesfalls ausschließen. Es ist sogar sinnvoll, sie zu kombinieren.

Bei einem Presseempfang sagt Goebbels zu einem amerikanischen Korrespondenten: „Wenn Ihr Roosevelt eine SS hätte, gäbe es bei Ihnen keine Gangster mehr.“ „Gewiss“, antwortet der Amerikaner, „die wären längst Standartenführer.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 43/1984

[Fortsetzung folgt]

Horst Schlämmer: Isch kandidiere

Man mag von Horst Schlämmer halten, was man will. Dieser schmierige, Trenchcoat tragende Provinzpostillen-Schreiberling, der Bier und Doornkaat als Treibstoff braucht und durch allerlei Beschwerden wie „Rücken“, „Kreislauf“ und Konzentrationsschwäche gebeutelt wird, dessen Äußeres durch eine Vokuhila-Frisur, eine altmodische Brille, einen Schnurrbart, Überbiss und einen mittleren Bierbauch brilliert, hat den Sympathiewert eines Mr. Bean. Zudem leidet er unter Schnappatmung. Diese Beeinträchtigungen hindern ihn freilich nicht daran, ständig junge attraktive Frauen in betont schleimiger Art „anzubaggern“, Also eigentlich alles andere als liebenswert. Und doch hat Horst Schlämmer in Deutschland eine Bekanntheitsgrad erreicht, der seinen Schöpfer und Interpreten Hape Kerkeling veranlasst sah, einen Kinofilm zu drehen.

Schlämmer ist eine von vielen Kunstfiguren von Hape Kerkeling, der die besondere Gabe besitzt, sich immer wieder selbst neu zu erfinden, sei es über seine Figuren, über innovative Fernsehformate oder über originelle Ansätze, Humor an den Mann und die Frau zu bringen. In Horst Schlämmer – Isch kandidiere erkennt man bald, welches filmisches Vorbild Hape Kerkeling hier ansteuert. Was bei Sacha Baron Cohen mit Borat perfekt und mit Brüno zumindest teilweise funktioniert hat, müsste auch auf Deutschland übertragbar sein.

Der stellvertretende Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts, Horst Schlämmer, hat von seinem Job endgültig genug. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung beschließt er, in die Politik zu gehen. So begibt er sich in den Nahkampf mit dem Politikervolk. Mal sind die Interviewpartner eingeweiht (wie die Grünen Cem Özdemir und Claudia Roth oder Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers), mal offensichtlich nicht. Aber wo „Vorbild“ Sacha Baron Cohen seine Gesprächsopfer bitter-böse vorführt, entlarvt und demütigt, passiert bei „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ nicht viel. Hape Kerkelings Versuch, in „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ der deutschen Politik den Zerrspiegel vorzuhalten, erstickt in der eigenen Harmlosigkeit.


Horst Schlämmer – Isch Kandidiere! (offizieller Trailer)

Natürlich hat der Film einen gewissen Unterhaltungswert – ähnlich wie bei dem bereits zitierten Mr. Bean. Aber Kerkeling ist eben kein Satiriker und meilenwert davon entfernt zu ‚entlarven’. Er will keinem wirklich weh tun. Und so dreht sich alles mehr oder weniger um die Person Horst Schlämmer, die durch Kerkeling sicherlich bis ins letzte Detail ausgeformt ist, die aber über einen Darsteller von humorvollen Klamauk nicht hinauskommt. Schade eigentlich.

Der Witzableiter (15): Damit Sie bitte recht verstehen

Fortsetzung von: (14): Pointen, die sich verdrückt haben

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es in der heutigen Folge um das Missverständnis, die Mutter vieler Witze. Es ist das klassische Muster, das uns aufzeigt, wie Witze aufgebaut sind.

Bei der Zimmerwirtin klingelt ein junger Mann und sagt: „Ich möchte zur Gabi.“ Die Wirtin: „Die ist ausgezogen!“ „Das macht nichts“, sagt der junge Mann, „ich kenne sie gut.“ Das war wohl ein Mißverständnis. Alle Witze, die ich Ihnen heute biete, sind Mißverständnisse. Davon gibt es Tausende. Man darf wohl sagen: Der typische Witz ist einfach ein Mißverständnis.

„Anna, wenn Sie heute abend den Kalbskopf servieren, stecken Sie eine Zitrone ins Maul und Petersilie in die Ohren.“ „Mein Gott, gnädige Frau, wie werd ich denn dann aussehen?“ Ein wenig haben wir diese Technik schon früher einmal, nämlich beim unfreiwilligen Humor, kennengelernt. Da versteht auch manch einer falsch. So auch hier: „Bringen Sie mir Karpfen“, sagt Graf Bobby zum Ober. „Der Karpfen ist gestrichen.“ „Interessant, in welcher Farbe denn?“

Diese Technik bietet das klassische Muster eines Witzes: Es gibt zwei Bedeutungen, die sich beißen, und wir als Witzhörer sind die lachenden Dritten, die sich über das Malheur amüsieren können. Sollten wir nicht bei diesem klassischen Muster am leichtesten erkennen können, wie Witze überhaupt gebaut sind?

Offenbar gehören zwei Bedeutungen oder Gedanken zu den unentbehrlichen Zutaten. Gewöhnlich hat man vom Kontrast gesprochen. „Wie geht es Ihnen, Herr Schmidt?“ „Ach, danke, es geht noch – einmal die Woche.“ „Ich meine, wie geht es zu Hause?“ „Zu Hause geht es gar nicht mehr.“ Da reden zwei aneinander vorbei. Halten wir also das Stichwort Kontrast fest. Aber wie muß er beschaffen sein, um komisch zu wirken? Da hat es viele Meinungen gegeben. Es sei der Übergang von etwas Großem zu etwas Kleinem, meinten einige Witzforscher. Der Münchner Philosoph Theodor Lipps meinte 1898 entdeckt zu haben, es handele sich immer um den Kontrast „der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte“.

Ein Mann kommt in das Behandlungszimmer und nimmt seine Brille ab. „Na, wo fehlt ’s denn“; fragt der Augenarzt, „ist die Alte nicht mehr scharf genug?“ „Das geht Sie überhaupt nichts an“, knurrt der Patient, „ich brauch ’ne neue Brille!“ Sollte es hier wirklich um Bedeutung und Bedeutungslosigkeit gehen?

Der amerikanische Psychologe John M. Willmann schrieb 1940, es sei der Kontrast zwischen einer schockierenden und einer erfreulichen Sache. Das könnte schon eher zutreffen, etwa hier: Der kleine Xaver zieht mit der Kuh am Strick durchs Dorf. „Wo willst du denn hin damit?“ erkundigt sich der Pfarrer. „Ich muß die Kuh zum Stier zum Decken bringen“, sagt er. „Kann das denn nicht dein Vater machen,“ fragt der Pfarrer besorgt. „Nein, das muß schon ein richtiger Stier machen.“

Witzableiter (15)

Schock und Erfreuliches? Ich glaube eher, das Vergnügen liegt in uns und nicht in den dargestellten Dingen. Es hat viele Theorien gegeben, nur eine hat mir ganz eingeleuchtet. Sie stammt von Emil Kraepelin, der mit kaum dreißig Jahren eine große Abhandlung über das Komische schrieb (1885) und der später ein Begründer der modernen Psychiatrie wurde. Er ist damit ein Gegenspieler von Sigmund Freud geworden, dessen Jahrgangsgenosse er war (beide wurden 1856 geboren und beide haben über den Witz geschrieben). Bevor ich Ihnen sage, wie Kraepelin den Kontrast definiert hat, hier noch ein Beispiel, das wenigstens thematisch paßt:

„Ich träume immer wieder vom Gefängnis oder vom Friedhof.“ „Waren Sie schon einmal in einer Nervenklinik?“ „Noch nie – immer Gefängnis oder Friedhof.“

Komisch wirke, meinte Kraepelin, der „unerwartete intellektuelle Kontrast, der in uns einen Widerstreit der Gefühle erweckt.“ Das ist es! Auf die Gefühle kommt es an. Den Kontrast selbst versucht Kraepelin klugerweise erst gar nicht zu definieren.

Zwei Nachbarinnen unterhalten sich. „Mein Mann ist heute zum Zeugen geladen worden.“ „Ach, das ist überhaupt eine Idee! Meinen sollte ich auch mal laden lassen!“ Das war wieder etwas unpassend, aber immerhin, Gefühle weckt es. Kraepelin, dessen Theorie übrigens allgemein abgelehnt wurde (auch von Lipps und Freud), meinte etwas derb müsse es schon zugehen: komisch wirke gerade „die gewaltsame Vereinigung recht disparater Vorstellungen“. Zwei Herren kommen in der Bar ins Gespräch. „Wissen Sie, ich hatte mit meiner Frau vor der Ehe gar nichts. Und Sie?“ Der andere überlegt. „Keine Ahnung“, sagt er dann, „wie war denn ihr Mädchenname?“

Ich glaube, mehr ist nicht zu sagen als dies: ein Kontrast, der unsere Gefühle hervorruft. Vater zum Sohn: „Für so ein schlechtes Zeugnis müßte es eigentlich Prügel geben!“ „Genau“, sagt der Junge, „ich weiß auch wo der Lehrer wohnt“.

Etwas anders als Kraepelin hat es Arthur Koestler gesagt, der meinte, zum Kontrast müsse noch „ein Tropfen Adrenalin“ hinzukommen. Damit die Gefühle aufwallen.

Der junge Mann zum Vater seiner Auserwählten: „Ich möchte Ihre Tochter heiraten.“ „Waren Sie schon bei meiner Frau?“ „Nein, aber offen gestanden, ich möchte lieber Ihre Tochter heiraten.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 42/1984

[Fortsetzung folgt]

Geburtstagsständchen von Herrn Anderson & Co.

Im Jethro Tull Board @ www.laufi.de habe ich die Info gefunden: Unter dem Motto „putting show biz into your biz“ kann man bei grabow.biz ‚zeitgenössische’ Künstler seiner Wahl buchen, wenn man z.B. zu größeren geschäftlichen Meetings, Jahresfeiern oder Galavorstellungen mit Preisverleihungen lädt.

Hier findet man alles, was Rang und Namen hat. Und da darf unser Herr Ian Anderson mit seiner Combo namens Jethro Tull natürlich nicht fehlen. Speziell Jethro Tull kann man hier auch für private Feierlichkeiten wie Hochzeiten, auch großangelegte Geburtstagsfeiern und ‚Christmas Parties’ buchen.

Natürlich wird für alles Notwendige wie Beschallung, Beleuchtung etc. gesorgt und ist dann im sicherlich exorbitanten Preis enthalten. Wer also über das nötige Kleingeld (wahrscheinlich im fünfstelligen Euro-Bereich) verfügt, sollte sich sputen, bestimmt sind während des Tourabstechers von Jethro Tull nach Deutschland noch Termine Anfang April verfügbar. Ein Geburtstagsständchen von Herrn Anderson – das wäre doch etwas.

Jethro Tull 1988 mit Martin Barre, I.A., Doane Perry, Maartin Allcock & Dave Pegg (aufgenommen bei Ians Haus in der Nähe von Stokenchurch)
Jethro Tull 1988 mit Martin Barre, I.A., Doane Perry, Maartin Allcock & Dave Pegg (aufgenommen bei Ians Haus in der Nähe von Stokenchurch)

Maartin Allcock tourte mit JT von 1988 bis 1991 und spielte Keyboards (eigentlich ‚gelernter’ Bassist bzw. Gitarrist); Allcock hatte gerade zwei Wochen Zeit, um das neue Instrument zu erlernen.

Herbert arbeitet

Es sind viele, die behaupten, die einzigsten zu sein, die wirklich arbeiten. Und wer es dann in die höheren Etagen geschafft hat, der delegiert, ist klar. Mit dem neuen Jahr beginnt auch ein neues Arbeitsjahr, rund 200 Tage, an denen der Schreibtisch jeden Tag aufs Neue überquillt. Sisyphos lässt grüßen!

Herbert arbeitet
Quelle: @Die_Bloggerette@twitpic.com

Jedem Unternehmen sein Wasserkopf: Ein Unternehmen ohne Management ist wie eine Krake ohne Fangarme (oder war es auch hier der Kopf?)! Wie gut, dass es Herberte gibt, die nicht nur in die Hände spucken, sondern sich auch unverhohlen ans Werk machen. Bei so viel Beistand können solche Herberte ja nichts mehr falsch machen.

Was will ich damit sagen? Wer auch ein Herbert ist, der sollte sich nicht unterkriegen lassen. Noch wirst du gebraucht (einer muss ja die Arbeit machen). Und wer es zum Manager geschafft hat: bleib ganz cool – solange es genügend Herberte gibt, wird auch deine Existenzberechtigung unumstritten bleiben. In diesem Sinne wünsche ich nicht nur allein ein gutes neues Jahr, sondern vor allem ein erfolgreiches Arbeitsjahr (der nächste Urlaub kommt bestimmt)!

40 Jahre Monty Python’s Flying Circus

Mein Faible für (fast) alles Britische hat drei Quellen. Zum einen ist es die TV-Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ (im Original: „The Avengers“, also „Die Rächer“) mit Patrick Macnee als John Steed und vor allem Diana Rigg als Emma Peel, die Mitte der 60er Jahre im deutschen Fernsehen zum ersten Mal ausgestrahlt wurde (ich berichtete in den letzten Wochen und Monaten öfter davon). Dann ist es die Rockgruppe Jethro Tull, die ich Ende der 60er Jahre kennen lernte und die seitdem zu meinen Lieblingsbands gehört. Ian Anderson verkörpert mit seinen Jungs vieles von dem, was als very british gilt. Und dann ist es natürlich die britische Komikergruppe Monty Python, die vor 40 Jahren am 5. Oktober 1969 ihren Einstand im britischen Fernsehen gab mit Monty Python’s Flying Circus. Die deutschsprachige Erstausstrahlung erfolgte am 8. September 1971.

Monty Python

Über den Monty Python’s Flying Circus habe ich natürlich in diesem Blog auch schon einmal berichtet. Monty Python bestand aus Graham Chapman (* 1941; † 1989), John Cleese (* 1939), Terry Gilliam (* 1940), Eric Idle (* 1943), Terry Jones (* 1942) und Michael Palin (* 1943). Cleese, Chapman und Idle studierten an der Universität Cambridge, Palin und Jones an der Universität Oxford, wo sie im Schreiben und Darstellen komischer Sketche erste Erfahrungen sammelten. Zwischen 1969 und 1974 wurden für die BBC 45 Folgen der Serie gedreht, in der Sketche und Trickfilmszenen gemischt wurden. Die Serie bestach durch ihren schrägen Humor. In Anlehnung an den Ausdruck „kafkaesk“ wurde diese Stilrichtung auch als „pythonesk“ bezeichnet. Sie zeichnete sich durch hintersinnigen und vor allem schwarzen Humor aus – all das, was wir heute als britischen Humor kennen.

Dank Internet kann man heute viele der Folgen am Bildschirm verfolgen – im Original oder auch deutschsprachig. Viel Spaß dabei.

Monty Python's Flying Cirucs: Sämtliche Worte

Übrigens: Für nur noch 5,90 € gibt es Monty Python’s Flying Circus „Sämtliche Worte Band 1 + 2“ in einem Buch mit über 800 Seiten in deutscher Übersetzung bei zweitausendeins.de. Die Serie selbst gibt es als Monty Python’s Flying Circus – Box (7 DVDs) zu kaufen.

Zuletzt aus dem Film Das Leben des Brian, der 1979 entstand, das Abschlusslied „Always Look on the Bright Side of Life“, das wohl allen bekannt sein dürfte:


Always Look On The Bright Side of Life