Kategorie-Archiv: Geistesblitze

Vom Denken und Dichten – Von Philosophie, Wissenschaft bis Religion

Meine Zeit, meine Vergeudung …

Oft mokiere ich mich über die Verspätungen im Zugverkehr, von denen ich betroffen bin. Und manches Meeting, manche Gesprächsrunde (von mir als Laberrunde betitelt) ist für die Katz. Das Leben ist kurz genug, um es sich vergeuden zu lassen.

Ja, ich komme noch einmal auf Wole Soyinka zurück und auf einen Absatz aus seinem Roman „Die Ausleger“. Die Person, die hier spricht, ist nur eine Nebenfigur des Romans. Trotzdem finde ich interessant, was er hier über seine Zeit und die Vergeudung dieser zu sagen hat. In gewisser Hinsicht kann ich mich dem durchaus anschließen:

„ […] Manche nennen es meine Allüren.“
„Und das macht dir nicht aus?“
„Ich kümmre mich nicht um Idioten, warum sollte ich auch? Ich bin kein geselliger Mensch. Ich gehe nicht auf ihre Partys, und ich nehme nicht an ihren Versammlungen teil. Ich schätze den Wert meiner eigenen Zeit hoch ein, und ich verüble es einem Mann fast bis zum Punkt fanatischer Rache, wenn ich ihm auch nur eine Sekunde meiner Zeit opfern muß. Wenn ich einen ganzen Tag verschwende und nur in meiner Bude hocke und nichts tue, dann ist das meine Sache, aber ich möchte meine eigene Zeit selbst verschwenden.“

aus: Wole Soyinka: Die Ausleger (S. 271 – Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)

Leerizismus (3): Göttliche Abbilder

Im ersten Teil ließ Wole Soyinka, Träger des Nobelpreises für Literatur 1986, seinen Romanhelden Sagoe „allen anderen –ismen, vom homöopathischen Marxismus bis zum Existentialismus“ grabsingen und pries den Leerizismus, einem von Soyinka kreierten, ins Deutsche übersetzten Neologismus (voidancy zu voidance = Entleerung). Und im zweiten Teil pries Sagoe das Schweigen dabei. Zuletzt will dieser Sagoe getröstet sein und lässt sich von seiner Freundin aus seinem Pamphlet zitieren: dem Buch der Erleuchtung, über die Philosophie des Leerizismus:

Leerizismus – leere Hände

Und er war erst zu beruhigen, als sie sich bereit erklärte, sein Buch der Erleuchtung auszugraben und ihm von einer beliebigen Seite vorzulesen.

„… Aus dieser Periode meiner Kindheit, und die Tür zu unserer riesig ausgedehnten Wohnanlage gewährte immer Unterschlupf, entsinne ich mich der Farbporträts zweier übermenschlicher Wesen, ätherisch, unweltlich, mit Kronen und Juwelen, breiten Pelzkragen, Gold, Samt und Hermelin, mit Reichsäpfeln und Zeptern und hinter ihnen goldene Throne. In meinen Kinderaugen waren diese Abbilder – und damit der Plazierung dieser Porträts keine besondere ideologische Bedeutung zugemessen werden konnte, hingen die Porträts auch im Wohnzimmer und in den Schlafzimmern, denn meine Leute waren überzeugte, treue Royalisten -, in meinen Kinderaugen waren diese Figuren nichts geringeres als Engel oder Gott und seine Frau. Es war eine kritische Phase meiner Introspektionsentwicklung, und hätte ich in diesem Lande hier gelebt, in dem alle Möglichkeiten offen stehen, ich hätte zweifellos die Laufbahn eines hauptberuflichen Schizophrenen eingeschlagen. Die Beschränkungen dieses grazilen, unwirklichen Paares wurden zur Zwangsvorstellung. Machten sie, oder machten sie nicht? Wie in einer Séance offenbarte sich die Lösung mit blendender Klarheit. Während einer Sitzung rein leerizierender Natur, erkannte ich die Verhaltensgrenze innerhalb dieser menschlichen Verrichtung. Sie waren Leeriker; doch Jesuschristus, niemals das andere! Scheißen ist menschlich; sich entleeren göttlich.
Dies war die Geburtsstunde der konkreten Formulierung des Leerizismus …“
(Seite 227 f.)

Der Leerizismus begegnet den Lesern noch einige Male – als Andeutung. Zuletzt, in einem Gespräch mit seinen Freunden, Kola, den Maler, und Egbo, den Angestellten des Auswärtigen Amtes, beteuert er: „ […] eines trunkenen Tages habe ich diesem Weib da blödsinnigerweise versprochen, daß ich mein Buch der Erleuchtung verbrenne, wenn wir heiraten.“ (S. 351) Dieses Weib ist Dehinwa, mit der Sagoe schon lange zusammenlebt. Und wenn wir auch nur Ausschnitte aus dem Buch der Erleuchtung erfahren, so sollte das genügen, um den Leeriszismus zu verinnerlichen, ähem, eher im Gegenteil, DAS zu veräußerlichen, oder?!

aus: Wole Soyinka: Die Ausleger (Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)

Leerizismus (2): Stichwort Schweigen

Im ersten Teil ließ Wole Soyinka, Träger des Nobelpreises für Literatur 1986, seinen Romanhelden Sagoe „allen anderen –ismen, vom homöopathischen Marxismus bis zum Existentialismus“ grabsingen und pries den Leerizismus, einem von Soyinka kreierten, ins Deutsche übersetzten Neologismus (voidancy zu voidance = Entleerung). Wie schön, dass Soyinka seinen Helden weiterhin leerifiziert philosophieren respektive aus seinem Manuskript zitieren lässt. Köstlich, einfach köstlich – wie ich finde (zum eigentlichen Roman später etwas mehr):

Leerizismus – leere Hände

„Schlag es auf – irgendwo, wo’s dir gefällt.“

Eilfertig, wie jemand, der sich letztlich an eine aufgezwungene Vergnügung gewöhnt hat, gehorchte Mathias.

„Mhm, gut. Jetzt trink, und dann können wir anfangen …
… Und das Schweigen ist für den Leeriker wie der Opiumrausch für den Mystiker des Orients. Die Ruhe in der Toilette eines englischen Vorstadthaushalts, wenn der Gastgeber und die Nachbarn zur täglichen Arbeit gefahren sind, und der Gast alleine leerifizieren kann, dies ist ein Schweigen zum Anfassen. In Frankreich verflacht dieser Mythos der geistigen Vertiefung natürlich zu einer seichten und unangenehmen Pose – wie laichende Kröten. Dort suchte ich den Opiumrausch des Schweigens vergeblich, bis ich mich schließlich, um dem seelenentwürdigenden Zustand der Studentenheimtoilette zu entfliehen, mit Buch und Schaufel in die nahen Wälder zurückzog, wo ich wenigstens diese eine Erfüllung fand, denn die Wälder dehnten sich kilometerweit. Hier errichtete ich mir eine kleine Laube, in der ich regelmäßig meditierte, las oder einfach dem Gezwitscher gallischer Vögel lauschte. Ich gestehe, es war ein verkrampfter Leerizismus, er ließ die tiefe Befriedigung vermissen, die völlige Muskelentspannung. Schlimmer noch: streifte mich plötzlich inmitten meiner Andacht ein nasser Grashalm, so sprang ich in Panik auf, fürchtete ich doch, eine Schlange züngle mir um die Eier. Doch das feuchte, schwere, vogelgezwitscherdurchsetzte Schweigen stellte eine mystische Erfahrung dar, der gegenüber sich das Risiko der Entmannung als unbedeutende Farce ausnahm. Nun freilich, meine Freunde, muß ich von einer schmachvollen Episode berichten. Zwei Wanderstudenten folgten mit eines Tages, neugierig herauszufinden, wohin die tägliche Kombination von Buch und Schaufel führe. Noch immer empört mich alles in mir bei dem Gedanken, daß ich wahrhaftig bei dieser allerintimsten der menschlichen Verrichtungen beobachtet wurde. Doch sie erwiesen sich als interessierte Schüler. Sie reinigten sich von dem Tabubruch, indem sie die Geldration von drei Tagen an einem einzigen Nachmittag im Bistro ausgaben. Ich erteilte ihnen die Absolution, und da der Wein mich großzügig machte, initiierte ich sie in die Mysterien des Leeriszismus. Doch gelang es ihnen, in die Tiefen der Lehre vorzudringen? frage ich mich heute. Sie waren, soweit ich mich erinnere, zu etwas konvertiert, das mir als bloße Entspannungsfähigkeit erschien. In feuchter Erde und in nassem Unterholz, so behaupteten sie, in klammheimlicher Handhabung von Rankengewächs und niederem Buschwerk läge die wahre Leerifizierung. Das ist , schrie ich, die wahre Leerifizierung bedarf der Kunst und Wissenschaft. Indirektes Licht muß gedämpft dem Auge schmeicheln; für den Luftreiniger – denn das ist der Weihrauch – muß mit Hingabe die richtige Duftnote gewählt werden, es bedarf der rechten Bücher und Gemälde, so daß der Wunsch, die Gedanken schweifen zu lassen, nicht in Frustration endet. Lautsprecheranlagen für eine sorgfältig ausgesuchte musikalische Untermalung – nicht die Launen der natürlichen Jahreszeit. Drei Tage lang schwelgten wir in der Dialektik des Leeriszismus. Du bist ein Bourgeoisleeriker, kreischten sie – Sie wissen, wie sehr die Franzosen die Polemik lieben -, und ich antwortete, ihr seid leerifizierte Pseudonegritudinisten! Ihr abtrünnigen Schwachköpfe, begreift ihr denn nicht, daß eine Kirchenatmosphäre geschaffen werden muß! Meine Buch-und-Schaufel-Unternehmung war doch lediglich eine zweckdienliche Notlösung. Aber sie schleuderten mir Andrew Marvell entgegen, bombardierten mich mit green thoughts to [in] a green shade! Gegenüber ihrer Vision von der jungfräulichen Natur und der Laubenleerifizierung erwiesen sich meine Warnungen vor der Schlangenbedrohung als ineffektiv. Es war ein befriedigendes Gefühl, den Samen des Leerizismus auf dem Kontinent gesät zu haben, doch zugleich war es auch eine kleine Niederlage, denn ich war machtlos gegenüber dieser verdammten Regression …“

Feierlich schloß Sagoe das Buch, und beide verharrten in nachdenklichem Schweigen.

„Ich wußte es, Mathias, du bist ein Naturtalent. Du bist sogar so was wie ein Hellseher. Nicht viele Menschen haben ein Fingerspitzengefühl, das genau auf ihre Psyche abgestimmt ist.“

„Wenn Sie sagen, Oga …“

„Ich weiß es, Mathias. Schweigen, das war es. Schweigen. Du hast das Manuskript beim Stichwort Schweigen aufgeschlagen. Ein genialer Akt. […]“

aus: Wole Soyinka: Die Ausleger (S. 139 ff. – Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)

Leerizismus (1)

Nein, ihr braucht es erst gar nicht zu googeln: Leerizismus ist die Übersetzung eines Neologismus (voidancy, eine Wortschöpfung des Autors zu voidance = Entleerung), den Wole Soyinka, Träger des Nobelpreises für Literatur 1986, in einem seiner Romane prägte: Leerizismus zu leer wie inhaltslos (geistige Gegenstände), hohl, alle (Gefäße), nüchtern (Magen) – wohl zum englischen empty gebildet. Soyinka lässt einen nigerianischen Intellektuellen, den Journalisten Sagoe, in seinem 1965 erschienen Buch sprechen und verunsichert damit den Botenjungen Mathias, indem er gewissermaßen ‚ins Leere’ hinein philosophiert. Das Ganze geht dann sogar in späteren Kapiteln noch weiter …

    Leerizismus - leere Hände

Mathias grinste breit, und Sagoe räusperte sich.

„ … Mit diesem Tag grabsinge ich allen anderen –ismen, vom homöopathischen Marxismus bis zum Existentialismus. Wenn ich hier meine eigene Person einbringe, dann deshalb, weil die Übermittlung meiner Geschichte nicht mehr und nicht weniger ist als die Enthüllung des Wunders meiner philosophischen Entwicklung, handelt es sich hier doch um einen Ritualismus, für den ich keinem anderen Vorläufer zu dank verpflichtet bin als der gesamten Menschheit selbst, handelt es sich hier doch um eine Erkenntnis, für die ich keinen anderen Urgrund anerkennen kann als die unveränderlichen Gesetze der Natur. Wenn ich hier meine eigene Person einringe, dann deshalb, weil es sich hier um die innerlichste aller nach innen gekehrten Philosophien menschlicher Existenz handelt. Funktionell, spirituell, kreativ oder rituell, der Leerizismus bleibt die einzig wahre Philosophie des wahren Egoisten. Als Definition, meine Damen und Herren, genüge uns dies: Leeriszismus ist keine Protestbewegung, aber er protestiert; es ist unrevolutionär, aber er revoltiert. Leeriszismus, so möchten wir sagen, ist die unbekannte Größe. Leerizismus ist die letzte auf keiner Karte verzeichnete Fundgrube schöpferischer Kräfte, in seinem Paradoxon liegt der Kern der kreativen Liturgie – in der Freigabe liegt das Erzeugnis. Ich bin kein Messias und doch kann ich nicht umhin zu glauben, ich wurde geboren, diese Rolle zu übernehmen, denn die Natur meiner kongenialen Leiden barg in sich bereits die ersten Anzeichen meines späteren Martyriums und der unvermeidlichen Apotheose. Ich wurde mit einem emotionellen Magen geboren: war ich ärgerlich, revoltierte er; war ich hungrig, schlug er Krawall; wurde ich getadelt, reagierte er prompt; wurde ich enttäuscht, geriet er aus dem Häuschen; er drehte sich um bei Furcht, verkrampfte sich in Momenten der Spannung, er war misstrauisch in Examenssituationen und gänzlich unberechenbar während des Liebesaktes. Meine lieben Freunde, einem Propheten gebührt die Ehre … Oft verdächtigte man mich der Drückebergerei und war mit der Strafe rasch bei der Hand; doch gerade die Begleiterscheinungen des Stark ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühls ist ein Zeichen für die Feinfühligkeit des emotionellen Magens. Weiteren Einfluß auf die Entwicklung meiner Leerungsintroversion nahm die Tante einer Freundin aus Kindertagen, die manchmal zu uns zu Besuch kam. Sie furzte wie Beelzebub. Doch eine noch viel größere Erleuchtung war meine eigene Mutter, die, obschon Opfer des gleichen Leidens, doch zugleich eine tief religiöse Furzerin war. Sie prahlte damit – selbst als sie schon mit einem Fuß im Grabe stand -, daß Gottes Stimme ein Wind sei und daß Gott es keinen Tag verabsäume, nach dem Abendgebet zu ihr zu sprechen. Alle Haushaltsmitglieder trommelte sie als Zeugen zusammen, und alle sagten – Amen. Meine Vorstellung vom rechten Ort für das Gebet formte sich daher wohl in jenen Tagen, als ich erkannte, daß der Grund, die Toilette aufzusuchen, weniger in der physiologischen Notwendigkeit als vielmehr in einem psychologischen und religiösen Druck lag. Bereits in dieser Lebensperiode begann ich mich dem Problem zu widmen, dem ich später in systematischen, objektiven Forschungen weiter nachging, dem Problem des digestiven Behaviorismus beim sensiblen Kind. Ich sprach zwar auf die wohlbekannte Pose des Schnell-fertig-und-weg gut an, doch mitunter erfuhr ich eine Selbstbesinnung, eine Entschlossenheit, einen Glauben, einen inneren Frieden; ich entwickelte eine geistige Fühlungnahme mit einer Welt der Spannungen und Widersprüche …“

Sagoe hielt inne und blickte Mathias an, der mit offenem Mund dasaß. Erklappte das Manuskript zu und sagte: „Das war’s für heute, Mathias. Die erste Lektion ist vorbei.“

Mathias würgte ein „Yessah. Dankschön, Sah“ hervor und ließ Sagoe mit seiner Dissertation allein. Beim Hinausgehen schwenkte er die Bierflasche übertrieben lässig, um zu kaschieren, wie froh er war, endlich wegzukommen.

aus: Wole Soyinka: Die Ausleger (S. 100 ff. – Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1983 – Dialog Afrika – Übersetzung von Inge Uffelmann – Original: The interpreters, 1965)

Zen in der Kunst des Bogenschießens

Es ist eine kleine Schrift von gerade einmal 90 Seiten, die Eugen Herrigel 1951 veröffentlicht hat. Von 1929 bis 1948 war er u.a. Professor für systematische Philosophie in Erlangen. Zuvor war er in Japan tätig und lernte dort den Buddhismus, speziell den Zen-Buddhismus kennen. Das Buch wirkt etwas angestaubt, aber es ist doch eine gute Einleitung in diese fernöstliche Anschauung: Zen in der Kunst des Bogenschießens

Obwohl ich dieses kleine Büchlein wirklich empfehlen kann, so darf nicht verschwiegen werden, dass Eugen Herrigel alles andere als eine unumstrittene Person war: „Am 1. Mai 1937 trat Herrigel in die NSDAP ein und machte Karriere. In verschiedenen Schriften der folgenden Jahren stellte er u.a. vermeintliche Gemeinsamkeiten in deutschen und japanischen Tugenden dar, darunter die Opferbereitschaft für das Vaterland und die Furchtlosigkeit vor dem Tode. Herrigel schrieb 1944 über das Ethos des Samurai: so verstehen wir unseren tapferen Bundesgenossen im fernen Osten doch in allem Wesentlichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Überzeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vaterland noch keiner zu viel gefallen ist. Er pries den unbedingten soldatischen Gehorsam zum Wohle des eigenen Volkes. 1938 wurde er Prorektor und 1944/45 Rektor der Universität Erlangen.“

    Zen-Buddhismus

Zurück zum Buch: Es wurde nicht nur in Deutschland sehr populär und trug maßgeblich zur Bekanntheit des Zen in Europa bei. In dem Vorwort von Deisetz T. Suzuki, der gerade durch seine Bücher und durch die Zusammenarbeit mit namhaften Größen (z.B. Erich Fromm) dem Westen den Zen-Buddhismus gleichfalls näher gebracht hat, steht:

‚Einer der wesentlichsten Faktoren in der Ausübung des Bogenschießens [usw.]… ist die Tatsache, daß sie keinen nützlichen Zwecken dienen, auch nicht zum rein ästhetischen Vergnügen gedacht sind, sondern eine Schulung des Bewußtseins bedeuten und dieses in Beziehung zur letzten Wirklichkeit bringen sollen. So wird Bogenschießen nicht allein geübt, um die Scheibe zu treffen …, sondern vor allem soll das Bewußtsein dem Unbewußten harmonisch angeglichen werden.‘

Eines der wichtigsten Punkte beim Bogenschießen ist die ‚Konzentration durch Atmung‘. Der Autor beschreibt es wie folgt:

‚Drücken Sie nach dem Einatmen den Atem sachte herunter, so dass sich die Bauchwand mäßig spannt und halten Sie ihn da für eine Weile fest. Dann atmen Sie möglichst langsam und gleichmäßig aus, um nach kurzer Pause mit einem raschen Zug wieder Luft zu schöpfen – in einem Aus und Ein fortan, dessen Rhythmus sich allmählich selbst bestimmen wird.‘

Das Bogenschießen selbst wird in Abschnitte gegliedert, bei denen die richtige Atmung vielleicht die wichtigste Rolle spielt:

‚Der einheitliche Vorgang des Spannens und Schießens wurde in die Abschnitte: Ergreifen des Bogens – Auflegen des Pfeiles – Hochnehmen des Bogens – Spannen und Verweilen in der höchsten Spannung – Lösung des Schusses zerlegt. Jeder von ihnen wurde durch Einatmen eingeleitet, durch Festhalten des heruntergedrückten Atems getragen und durch Ausatmen abgeschlossen.‘

Der Weg ist ein sehr langer. Der Autor des kleinen Büchleins hat mehrere Jahre bei einem Meister gelernt. Dieser verdeutlichte ihm, dass, ‚… wer sich am Anfang leicht tut, tut sich später um so schwerer.‘

Das Bogenschießen im Einzelnem:

‚Beim Spannen wird der Daumen unterhalb des Pfeiles um die Bogensehne herumgelegt und eingeschlagen, Zeige-. Mittel- und Ringfinger greifen über ihn, umschließen ihn fest und geben damit zugleich dem Pfeil sicheren Halt. Lösen des Schusses heißt dann: Die den Daumen umschließenden Finger öffnen sich und geben ihn frei.‘ Sodass sich ‚… die recht Hand … plötzlich geöffnet und von der Spannung befreit, zwar ruckartig zurückschnellte, aber nicht die geringste Erschütterung des Körpers hervorrief.‘

Das Bogenschießen als Bild: ‚Mit dem oberen Ende des Bogens durchstößt der Bogenschütze den Himmel, am unteren Ende hängt, mit einem Seidenfaden befestigt, die Erde. Wird der Schuß mit starkem Ruck gelöst, besteht die Gefahr, dass der Faden zerreißt. Für den Absichtlichen und Gewalttätigen wird dann die Kluft endgültig, und der Mensch verbleibt in der heillosen Mitte zwischen Himmel und Erde.‘ – ‚… wenn die Spannung erfüllt ist, muß der Schuß fallen, er muß vom Schützen abfallen wie die Schneelast vom Bambusblatt, noch ehe er es gedacht hat.‘

... wenn die Spannung erfüllt ist, muß der Schuß fallen, er muß vom Schützen abfallen wie die Schneelast vom Bambusblatt

Der Autor fragte den Meister: ‚Wie kann denn überhaupt der Schuß gelöst werden, wenn ‚ich’ es nicht tue? – Des Meisters Antwort: ‚Es’ schießt.‘

Und als es nicht klappen wollte, da sagte der Meister: ‚Ihre Pfeile werden nicht ausgetragen …, weil sie geistig nicht weit genug reichen. Sie müssen sich so verhalten, als wäre das Ziel unendlich fern.‘ Und: ‚Über schlechte Schüsse sollen Sie sich nicht ärgern, … sich über gute Schüsse nicht freuen. Von dem Hin und Her zwischen Lust und Unlust müssen Sie sich lösen …, in gelockertem Gleichmut darüber … stehen.‘

Überhaupt gilt: ‚Die ‚Große Lehre’ des Bogenschießens … weiß nichts von einer Scheibe, die in bestimmter Entfernung vom Schützen aufgestellt ist. Sie weiß nur von dem Ziel, das sich auf keine Weise technisch erzielen lässt …: Buddha!‘ – Wir können auch sagen: den Weg zu uns selbst!

Und: ‚Es gibt Stufen der Meisterschaft, und erst, wer die letzte erreicht hat, kann auch das äußere Ziel nicht mehr verfehlen.‘ – ‚Wer es vermag … mit dem Horn des Hasen und dem Haar der Schildkröte zu schießen, also ohne Bogen (Horn) und Pfeil (Haar) die Mitte zu treffen, der erst ist Meister im höchsten Sinne des Wortes …‘

Das Bogenschießen gilt im Zen-Buddhismus als meditative Übung. Wie in der inneren Versenkung der Meditation so findet der das Bogenschießen Ausübende den rechten Weg und die harmonische Angleichung des Bewußtseins an das Unbewußte, wie Suzuki einleitend schreibt.

Juni 2000

siehe auch meinen Beitrag: Zen des Bloggens

Codex Dresdensis

Im Film 2012 zieht Roland Emmerich alle Register, um uns visuell den Weltuntergang nahe zu bringen: Erdbeben ohne Ende, Megatsunamis und Vulkanausbrüche. Grundlage dafür ist eine bestimmte Zahlenkonstellation des Maya-Kalenders am 21. Dezember 2012. Dies wird zum Anlass genommen, sowohl das Ende der Welt in ihrer bisherigen Form, als auch den Aufstieg der Menschheit in eine neue spirituelle Dimension zu datieren.

Es gibt so genannte K’atun-Prophezeiungen (ein K’atun ist der Zeitraum von 20 Jahren), also von Maya-Priestern festgehaltene ‚Vorhersagen’ für die nächsten 20 Jahre, die sich alle 260 Jahre wiederholen. Heute befinden wir uns im „K’atun 4“, welches von 1993 bis 2012 dauert. Für diese Periode wird der Beginn eines neuen Zeitalters angekündigt. Die Prophezeiungen der Mayas beruhen auf Beobachtungen und Berechnungen und nicht auf Fantasie. Die Maya-Forscher beschreiben dies wie folgt: „Zur Wintersonnwende im Jahr 2012 wird die Sonne in Konjunktion mit dem Äquator der Milchstraße stehen. Zu diesem Zeitpunkt findet eine äußerst seltene astronomische Konstellation statt, die sich seit Tausenden von Jahren langsam abzeichnet. Zur Dämmerung der Wintersonnwende im Jahr 2012 wird sich die Sonne direkt in dieser dunklen Spalte befinden, und zwar so platziert, dass die Milchstraße den Horizont an allen Punkten ringsum umfasst. Dadurch ‚sitzt’ sozusagen die Milchstraße auf der Erde, berührt sie in allen Punkten ringsum – und öffnet ein kosmisches Himmelstor. Die galaktische und solare Ebene befinden sich in Konjunktion.“ (Quelle: weltklima.ch).

Astronomen widersprechen dem und sagen, „dass diese Konstellation von Äquator und Milchstrasse bereits vorüber ist und im Moment sich Sonne und Erde sogar von der Milchstraßenebene weg bewegen“. Wie auch immer. Uns sind bis heute vier Schriftbücher (Codices) der Maya erhalten. Sie werden ihren Aufenthaltsorten entsprechend Codex Dresden (Dresdensis), Codex Madrid (Tro-Cortesianus) und Codex Paris (Peresianus) genannt. Der Codex Grolier (Mexiko-Stadt) nimmt eine gewisse Sonderstellung ein, da er erst in den siebziger Jahren entdeckt wurde, und seine Echtheit bis heute nicht ganz zweifelsfrei bestätigt ist.

Interessant ist dabei der Codex Dresdensis, der „aus 39 Blättern aus Feigenbaumrinde [besteht], die zusammen 3,50 Meter Länge erreichen. Der Codex zeigt Hieroglyphen, Bilder und Symbole, mit denen Maya-Priester ihr Wissen über Krankheiten, Erntezeiten, religiöse Handlungen, Opferungen und Astronomie der Nachwelt erhielten. Der Kalenderteil konnte Ende des 19. Jahrhunderts von dem Dresdner Bibliothekar Ernst Wilhelm Förstemann entschlüsselt werden. [… Es] enthalte nur das Dresdner Dokument einen Kalender und ein Apokalypse-Bild, auf dem eine Art Sintflut begleitet von mythischen Drachengestalten zu sehen ist.“ (Quelle: mdr.de/nachrichten)

Auf Seite 60 enthält der Codex Dresdensis eine K’atun-Prophezeiung, auf der letzten Seite 74 das genannte Apokalypse-Bild einer Sintflut.

Die Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek hat nun diese 800 Jahre alte Handschrift mit dem Maya-Kalender ins Netz gestellt: Digitalisierter Maya-Codex aus Dresden

Codex Dresdensis - Faksimile Graz 1975 - Seite 74 (Ausschnitt) Es gibt allerdings bereits eine komplette digitale Ausgabe des Faksimiles Graz 1975 über FAMSI (Foundation for the Advancement of Mesoamerican Studies): Codex Dresdensis. Diese Ausgabe ist bis in die kleinste Abbildung detailliert und daher auch für den Laien sehenswert. Überhaupt bietet die Website von FAMSI viele weitere mesoamerikanische Studien (allerdings auf Englisch).

Nun, bis zum 21.12.2012 ist noch einige Zeit. Und wenn uns an dem Tag ‚nicht der Himmel auf den Kopf fällt’ oder uns ein Sturzbach hinfort reißt, wenn wir also dann nicht gestorben sind, dann leben wir auch noch am folgenden Tag.

Macht der Gedanken

Die gedankliche Vorstellung eines bestimmten Verhaltens löst messbare Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität aus. Beispielsweise führt die Vorstellung, eine Hand oder einen Fuß zu bewegen, zur Aktivierung des motorischen Kortex, eines Bereichs der Großhirnrinde. Stellt man nun eine Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Computer durch so genannte Brain Computer Interfaces (BCI) her, so lassen sich solche Gehirnströme aufzeichnen und mit Hilfe von Rechnern analysieren. Je nachdem lassen sich bestimmte Muster erkennen und anhand dieser in Steuersignale umgewandelt. Es ist z.B. inzwischen möglich, durch Gedanken ein Auto zu lenken.

So bedurfte es nicht unbedingt der Entdeckung von seriösen Medizinern, dass die Kraft der Einbildung Herzschlag und Hirnströme beeinflussen kann. Allein durch den Willen kann man Schmerzen ‚wegdenken’ oder im günstigsten Fall gar Krankheiten heilen.

Überhaupt ist man durch konstante positive Beeinflussung seines bewussten Denkens in der Lage, in seinen Gedanken eine dauerhaft konstruktive und optimistische Grundhaltung zu erreichen, die zu einer höheren Zufriedenheit und Lebensqualität führt.

Macht der Gedanken

Die Macht der Gedanken ist gegeben. Warum nutzen wir sie also nicht durchgehend? Es besteht die Gefahr, dass durch eine zu sehr individualistisch ausgerichtete Autosuggestion die soziale Komponente auf der Strecke bleibt. In gewisser Weise stellt positives Denken eine Manipulation des Bewusstseins dar und behindert so natürliche geistig-seelische Entwicklungsprozesse. Bei unkritischen Menschen kann es auch zu einem Realitätsverlust führen.

Wenn ich mich selbst einschätzen sollte, würde ich mich einen Zweckpessimisten nennen. Vieles kann immer schlimmer kommen, als man zunächst denkt. Rechnet man aber im Vorfeld bereits mit dem denkbar Schlimmsten und kommt es dann besser, so ist das ein Grund zur Freude. Eigentlich ist diese Art des Denkens positiv, weil es die kritische Haltung gegenüber der Wirklichkeit nicht vernachlässigt, es besteht aber der Hintergedanken, der besagt, dass alles natürlich auch gut ausgehen kann. Wie so vieles im Leben kommt es auf die richtige ‚Mischung’ an. Positive Einstellung und kritisches Hinterfragen schließen sich nicht unbedingt aus. Und es kommt oft eben auch auf die Situation an und das Umfeld.

Was man unbedingt vermeiden sollte ist, zu sehr auf sich selbst bezogen zu sein – oder zu sehr den, wenn auch positiven, Manipulationen von außen zu vertrauen. Jede mögliche Art von Verklärtheiten und Esoterik ist zu unterlassen. Im Grunde kann man die Macht der Gedanken nur nutzen, wenn man stark und selbstbewusst genug für die positive Selbstbeeinflussung ist. Positives Denken in dieser Form lässt sich nicht durch Automatismen (das Daherbeten allgemein positiv ausgerichteter Sätze wie Mantras) oder mit Gewalt erreichen. Die emotionale Grundeinstellung muss auf diese positive Einflussnahme ausgerichtet sein. Es ist ein Wollen, kein Müssen. Dann kann die Macht positiver Gedanken auch greifen.

Der heilige Krieg

In diesen Tagen läuft im Fernsehen beim ZDF eine Dokumentationsreihe in fünf Teilen mit dem Titel „Der Heilige Krieg – Unter Kreuz und Halbmond“ (Video 5 Teile „Heiliger Krieg“ in 5 Minuten). Hierzu gibt es auf der ZDF-Website auch eine Interaktive Reise in die Geschichte von Islam und Christentum.

ZDF: Der heilige Krieg

Christentum und Islam haben sich in der Geschichte immer wieder berührt. 711 überschritten die Mauren die Meeresenge von Gibraltar und eroberten binnen weniger Jahre die christlichen Reiche der Westgoten im Süden Spaniens, dem sie den Namen Al-Andalus gaben: Andalusien. Die Herrschaft der Mauren in Spanien wurde durch die Reconquista, der Rückeroberung, 1492 in Granada beendet, aber die Einflüsse der Muslime sind auch heute noch vor allem in der Architektur zu sehen, u.a. die Alhambra in Granada mit den Gartenanlagen des Generalife. Das Spanien der Mauren war ein multikulturelles Zentrum von Wissenschaft und Kunst.

„Er erzählt uns die geschichte der arabischen Völker, angefangen bei Noah, mit erstaunlicher detailkenntnis, doch ohne zwischen mythischen und historischen ereignissen zu unterscheiden. Für ihn gibt es nur eine geschichte: heilsgeschichte.
Sein bericht führt bis zur rückeroberung der iberischen halbinsel durch die ‚christlichen’ könige Fernando und Isabella. Der verlust von Andalus scheint die gröszte wunde im christlich-islamischen verhältnis, aber auch eine zäsur innerhalb der ‚umma, der ‚gemeinschaft der gläubigen’ darzustellen. – Scheich Dschallal bricht an dieser stelle ab und überläszt es seinen zuhörern, die phantastische geschichte einer vereinten mediterranen welt, eines islamischen Sevilla und Triest, weiterzuspinnen.“

Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali – Invention über das Spiel (1. Auflage btb Taschenbuch im Goldmann Verlag – 1996 – S. 536)

Natürlich waren die Interessen der Christen und der Muslime immer auch politischer und wirtschaftlicher Art – bis zum heutigen Tag. Nicht umsonst sind deshalb die ‚Anschauungen’ der einen über die anderen mit unzähligen Vorurteilen gespickt. Um den anderen verstehen zu können, braucht es zuerst des Wissens: Denn was wissen wir Genaues über den Islam? Das Buch von Michael Roes ist z.B. eine Hilfe, sich in die Mentalität der Menschen im Süden der Arabischen Halbinsel hineinzuversetzen. Und die ZDF-TV-Reihe verschafft uns sicherlich die nötigen Einblicke in die gemeinsame Geschichte der Christen und Muslime.

Das Leben als Spiel

Ist es nicht so, dass wir im Leben vieles viel zu Ernst nehmen? Wäre es nicht besser, wir begriffen das Leben als Spiel?

Ich habe mir Zeit gelassen für die über 800 Seiten des Buchs von Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali – Invention über das Spiel , das ich bereits hier in zwei Beiträgen (KamellisteLob der Kinderarbeit) erwähnt habe. Es ist ein außergewöhnliches Buch und hat mich durch seine Themenvielzahl wahrlich über so manches ins Grübeln gebracht. Michael Roes hat im Jemen nach Kinderspielen geforscht. Es ging ihn dabei um eine allgemein gültige Theorie über das Spiel.

Dabei stellt sich vor allem die Frage, inwieweit das Spiel der Kinder Auseinandersetzung mit dem Leben der Erwachsenen ist. Im Spiel der Kleinen wird das Tun der Großen nachvollzogen. Spielen Erwachsene, dann geschieht das unter dem Diktat der strikten Trennung zwischen Spiel und ‚Wirklichkeit’ (dem Ernst des Lebens). Wer Spiel und ‚Wirklichkeit’ miteinander vermischt, gilt evtl. als psychisch krank. Aber warum eigentlich? Michael Roes schreibt im genannten Buch:

„Eine spielerische haltung der welt gegenüber besitzt eine ebenso grosze macht wie eine religiöse, wissenschaftliche oder ökonomische einstellung. Dasz es eine welt auszerhalb unseres bewusztseins gibt, bedeutet noch nicht, dasz es nur eine wirklichkeit auszerhalb unseres bewusztseins gibt. Wirklichkeit beruht auf anschauungen, auseinandersetzungen, beschreibungen.
Mit bestimmten dingen zu spielen heiszt, ihr wesen und ihre bedeutung zu verändern, sie in eine andere wirklichkeit zu transformieren.“

(1. Auflage btb Taschenbuch im Goldmann Verlag – 1996 – S. 299)

Mit einer spielerischen Haltung gegenüber der Welt verändern wir ihr Wesen, ihre Bedeutung für uns. Den ‚Ernst des Lebens’ geben wir eine spielerische Note. Bekanntlich wird nichts ‚so heiß gegessen, wie es gekocht wird’. Der Volksmund weiß um das Leben im Spiel. Spiel ist etwas Leichtes. Warum übertragen wir das nicht in unser gesamtes Leben? Ist es unser Gewissen, unser Verantwortungsbewusstsein, das uns das Leben so schwer werden lässt?

Spiele haben wie das reale Leben ihre Spielregeln. Auch ein Leben im Spiel kann ohne solche Regeln nicht auskommen. Somit muss unser Gewissen nicht belastet werden, wenn wir das Leben auch einmal ‚auf die leichte Schulter nehmen’. Verantwortlichkeiten bleiben unberührt. Warum also etwas schwerer nehmen als es sein muss? Üben wir uns doch einmal in ‚der Leichtigkeit des Seins’.

Lob der Kinderarbeit

In einer kurzen Passage aus dem Buch von Michael Roes: Leeres Viertel – Rub’ Al-Khali – Invention über das Spiel, das ich in 1. Auflage btb Taschenbuch im Goldmann Verlag – 1996 vorliegen habe, beschreibt der Autor ein kurzes Gespräch mit dem deutschen Botschafter im Jemen (Dr. Kurt Messer, Oktober 1990 – Februar 1994). Zu dem Buch selbst komme ich später noch einmal ausführlicher zu sprechen. Es ist ein überaus intellektuell anregendes, vielschichtiges und dabei spannendes Buch über die menschliche Kultur, den Jemen und die Suche nach der Leere im Inneren des modernen Menschen. Im Rahmen eines ethnologischen Forschungsprojektes verbrachte Michael Roes 1994 /1995 ein Jahr im Jemen. Seine dortigen ethnologischen Studien verarbeitete er in diesem lesenswerten Roman. In einem Gespräch äußerte sich der Botschafter über Kindheit und Kinderarbeit im Jemen:

Hier spielten die kinder noch so, wie er es aus seiner eigenen kindheit kenne. Eine blechbüchse oder ein karton genüge, um ein auto darzustellen, ein flugzeug, oder um selbst zu fliegen. Überhaupt wüszten jemenitische kinder noch zu spielen, während deutsche kinder vor allem zu schulischer leistung erzogen würden. Also dürfe man sich über die zunehmende aggression der kinder und jugendlichen in Deutschland nicht wundern.
Und die weitverbreitete kinderarbeit? Seine Exzellenz macht eine abwehrende handbewegung. Auch deutschen kindern würde es nicht schaden, früh verantwortung zu übernehmen, einen sinn für das mühsam verdiente brot zu entwickeln und zugleich von erwachsenen ernster genommen zu werden. In Deutschland geht es nur noch ums geldverdienen, nicht mehr um die arbeit an sich, das solide handwerk, den respektvollen dienst. Schon eine halbe stunde vor ladenschlusz wirft die kassiererin jedem neuen kunden einen miszmutigen blick zu. Hier freut man sich über jeden besucher, auch wenn es über das gespräch hinaus zu keinem handel kommt. Hier redet man noch miteinander, schenkt einander ein lächeln, respektiert das alter und legt wert auf das familienleben. In Deutschland hingegen gibt es eine zunehmende vereinzelung: immer mehr alleinstehende und alleinerziehende menschen. Die sozialen verpflichtungen der familie übernimmt der staat: kinderbetreuung, alters- und krankenversorgung. Doch die geborgenheit der familie kann kein staat ersetzen.
Eine rückbesinnung auf traditionelle werte, wie man sie hier noch findet, scheint mit auch für Deutschland wünschenswert.
(S. 126)


Sana’a/Jemen

Ich denke, dass das „Lob“ (in der Überschrift genannt) nicht zu wörtlich zu nehmen ist. Natürlich wird hier nicht die Kinderarbeit gelobt, die Kinder frühzeitig zu Krüppeln macht, jene Knochenarbeit, bei der schon kleine Kinder schwere Lasten zu tragen haben usw. Es geht einmal um das Spiel der Kinder, das vorrangig durch die Phantasie geprägt ist und nicht durch kostspieliges (sic!) Spielzeug, das nach kurzer Zeit nur in einer Ecke landet und verstaubt. Und dann geht es um Verantwortlichkeit, um Geschicklichkeit und Lebenssinn. Im Gegenzug sollen Kinder von Erwachsenen ernster genommen werden als es sonst bei uns der Fall ist.

Diese Haltung, diese Meinung ist als konservativ verschrieen. Ich denke aber, der Begriff „wertkonservativ“ ist passender – im Gegensatz zum Strukturkonservatismus. Wertkonservatismus will Herrschaftsstrukturen verändern, um bestimmte Werte zu erhalten. Es geht um eine Einstellung und „Politik, die sich für die Bewahrung der Natur, einer humanen und solidarischen menschlichen Gemeinschaft, sowie Wert und Würde des Einzelnen einsetzt.“ Der Begriff des Wertkonservatismus wurde übrigens 1975 vom SPD-Politiker Erhard Eppler in seinem Buch „Ende oder Wende“ eingeführt.

Ich will nicht behaupten, zusammen mit meiner Frau bei der Erziehung unserer beiden Söhne alles richtig gemacht zu haben. Aber – ob nun bewusst oder auch nicht – so haben wir immer versucht, unseren Kindern Werte wie gegenseitige Achtung, Verantwortung und Solidarität zu vermitteln und ihnen die Beborgenheit zu bieten, die wir eigentlich alle benötigen, um friedvoll miteinander leben zu können. Das „Ergebnis“ spricht für uns. Die aufgeführte Textpassage hat mich noch einmal zum Nachdenken gebracht.

I have done the deed

Ich hab’ die Tat getan, wagte Macbeth zu sagen, als er König Duncan, angestachelt von seiner Frau, getötet hatte, um selbst König von Schottland zu werden. So verrät man Geheimnisse!

… daß nicht existiert, was nicht ausgesprochen wird.“, schreibt Xavier Marías in seinem Roman „Mein Herz so weiß“ (S. 53 – Klett-Cotta Deutscher Taschenbuch Verlag 12507 – Juni 1998), dessen letzte Seiten ich zz. lese. Und. „Jemanden küssen oder töten sind vielleicht gegensätzliche Dinge, aber den Kuß erzählen und den Tod erzählen macht beides einander gleich …“ (S. 255). Ein erzählter Kuss unterscheidet sich kaum von einem erzählten Mord. Es sind real nur Wörter. Metadaten, Metataten. Es sind die Taten selbst, die Gegensätze schaffen.

Es geht um Sprache und um Erlösung. Wer Geheimnisse birgt, dunkle Geheimnisse, ist sich dieser Geheimnisse ein Leben lang bewusst. Selten vergisst man ein Geheimnis. Man trägt es mit sich herum. Äußert man eines Tages ein solches ‚dunkle’ Geheimnis, vielleicht weil der Seelendruck zu groß geworden ist, dann öffnet man sich und das Geheimnis der Welt. Es wird existent – und ist kein Geheimnis mehr. Damit geht man aber auch den ersten Schritt, schafft die Möglichkeit, es dem Vergessen anheim fallen zu lassen.

Wer hat keine Geheimnisse. Sie müssen nicht immer dunkel sein. Der Mann hat Geheimnisse vor seiner Frau, diese vor ihrem Mann. Eltern haben Geheimnisse vor ihren Kindern. In dem erwähnten Roman (zum Inhaltlichen komme ich in wenigen Tagen zu sprechen) geht es um solche Geheimnisse, manche sind so dunkel und handeln von Mord – wie bei Macbeth von William Shakespeare.

Geheimnisse beinhalten eine Tat (I have done the deed). Das Verbergen der Tat vor der Öffentlichkeit begründet das Geheimnis. Xavier Marías philosophiert in seinem Roman Mein Herz so weiß, der irgendwo eine neue Art von Kriminalroman zu sein scheint, seitenlang über Geheimnisse, auch über Verrat und Verdacht.

Wer jedem Menschen Geheimnisse unterstellt, wie ich es tue, hegt gleichsam einen Verdacht. Der Verdacht ist gewissermaßen das Pendant des Geheimnisses. Bei Menschen, die wir lieben und denen wir aus dieser Liebe heraus vertrauen, schalten wir jeglichen Verdacht sehr schnell aus. Wir sind ja nicht schizophren. Aber es wird immer auch Menschen geben, da nähren wir den Verdacht. Bei Menschen, denen wir oder die uns nicht wohlgesonnen sind, riechen wir Verrat.

Es ist ein seltsames Buch, dieser Roman von Xavier Marías (wie gesagt: später dazu etwas mehr). Selten hat mich ein Buch dermaßen beschäftigt und zu diesen Gedanken animiert. Es sind diese Gegensatzpaare, die unsere menschliche Existenz bestimmen und uns vom Tier unterscheiden: das Tun (die Tat) und das Unterlassen, Geheimnis und Verdacht, Vertrauen und Verrat und die Macht sprachlicher Einflüsterungen und die Anziehungskraft ihres Gegenteils, des Schweigens.