Es ist eine kleine Schrift von gerade einmal 90 Seiten, die Eugen Herrigel 1951 veröffentlicht hat. Von 1929 bis 1948 war er u.a. Professor für systematische Philosophie in Erlangen. Zuvor war er in Japan tätig und lernte dort den Buddhismus, speziell den Zen-Buddhismus kennen. Das Buch wirkt etwas angestaubt, aber es ist doch eine gute Einleitung in diese fernöstliche Anschauung: Zen in der Kunst des Bogenschießens
Obwohl ich dieses kleine Büchlein wirklich empfehlen kann, so darf nicht verschwiegen werden, dass Eugen Herrigel alles andere als eine unumstrittene Person war: „Am 1. Mai 1937 trat Herrigel in die NSDAP ein und machte Karriere. In verschiedenen Schriften der folgenden Jahren stellte er u.a. vermeintliche Gemeinsamkeiten in deutschen und japanischen Tugenden dar, darunter die Opferbereitschaft für das Vaterland und die Furchtlosigkeit vor dem Tode. Herrigel schrieb 1944 über das Ethos des Samurai: so verstehen wir unseren tapferen Bundesgenossen im fernen Osten doch in allem Wesentlichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Überzeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vaterland noch keiner zu viel gefallen ist. Er pries den unbedingten soldatischen Gehorsam zum Wohle des eigenen Volkes. 1938 wurde er Prorektor und 1944/45 Rektor der Universität Erlangen.“
Zurück zum Buch: Es wurde nicht nur in Deutschland sehr populär und trug maßgeblich zur Bekanntheit des Zen in Europa bei. In dem Vorwort von Deisetz T. Suzuki, der gerade durch seine Bücher und durch die Zusammenarbeit mit namhaften Größen (z.B. Erich Fromm) dem Westen den Zen-Buddhismus gleichfalls näher gebracht hat, steht:
‚Einer der wesentlichsten Faktoren in der Ausübung des Bogenschießens [usw.]… ist die Tatsache, daß sie keinen nützlichen Zwecken dienen, auch nicht zum rein ästhetischen Vergnügen gedacht sind, sondern eine Schulung des Bewußtseins bedeuten und dieses in Beziehung zur letzten Wirklichkeit bringen sollen. So wird Bogenschießen nicht allein geübt, um die Scheibe zu treffen …, sondern vor allem soll das Bewußtsein dem Unbewußten harmonisch angeglichen werden.‘
Eines der wichtigsten Punkte beim Bogenschießen ist die ‚Konzentration durch Atmung‘. Der Autor beschreibt es wie folgt:
‚Drücken Sie nach dem Einatmen den Atem sachte herunter, so dass sich die Bauchwand mäßig spannt und halten Sie ihn da für eine Weile fest. Dann atmen Sie möglichst langsam und gleichmäßig aus, um nach kurzer Pause mit einem raschen Zug wieder Luft zu schöpfen – in einem Aus und Ein fortan, dessen Rhythmus sich allmählich selbst bestimmen wird.‘
Das Bogenschießen selbst wird in Abschnitte gegliedert, bei denen die richtige Atmung vielleicht die wichtigste Rolle spielt:
‚Der einheitliche Vorgang des Spannens und Schießens wurde in die Abschnitte: Ergreifen des Bogens – Auflegen des Pfeiles – Hochnehmen des Bogens – Spannen und Verweilen in der höchsten Spannung – Lösung des Schusses zerlegt. Jeder von ihnen wurde durch Einatmen eingeleitet, durch Festhalten des heruntergedrückten Atems getragen und durch Ausatmen abgeschlossen.‘
Der Weg ist ein sehr langer. Der Autor des kleinen Büchleins hat mehrere Jahre bei einem Meister gelernt. Dieser verdeutlichte ihm, dass, ‚… wer sich am Anfang leicht tut, tut sich später um so schwerer.‘
Das Bogenschießen im Einzelnem:
‚Beim Spannen wird der Daumen unterhalb des Pfeiles um die Bogensehne herumgelegt und eingeschlagen, Zeige-. Mittel- und Ringfinger greifen über ihn, umschließen ihn fest und geben damit zugleich dem Pfeil sicheren Halt. Lösen des Schusses heißt dann: Die den Daumen umschließenden Finger öffnen sich und geben ihn frei.‘ Sodass sich ‚… die recht Hand … plötzlich geöffnet und von der Spannung befreit, zwar ruckartig zurückschnellte, aber nicht die geringste Erschütterung des Körpers hervorrief.‘
Das Bogenschießen als Bild: ‚Mit dem oberen Ende des Bogens durchstößt der Bogenschütze den Himmel, am unteren Ende hängt, mit einem Seidenfaden befestigt, die Erde. Wird der Schuß mit starkem Ruck gelöst, besteht die Gefahr, dass der Faden zerreißt. Für den Absichtlichen und Gewalttätigen wird dann die Kluft endgültig, und der Mensch verbleibt in der heillosen Mitte zwischen Himmel und Erde.‘ – ‚… wenn die Spannung erfüllt ist, muß der Schuß fallen, er muß vom Schützen abfallen wie die Schneelast vom Bambusblatt, noch ehe er es gedacht hat.‘
Der Autor fragte den Meister: ‚Wie kann denn überhaupt der Schuß gelöst werden, wenn ‚ich’ es nicht tue? – Des Meisters Antwort: ‚Es’ schießt.‘
Und als es nicht klappen wollte, da sagte der Meister: ‚Ihre Pfeile werden nicht ausgetragen …, weil sie geistig nicht weit genug reichen. Sie müssen sich so verhalten, als wäre das Ziel unendlich fern.‘ Und: ‚Über schlechte Schüsse sollen Sie sich nicht ärgern, … sich über gute Schüsse nicht freuen. Von dem Hin und Her zwischen Lust und Unlust müssen Sie sich lösen …, in gelockertem Gleichmut darüber … stehen.‘
Überhaupt gilt: ‚Die ‚Große Lehre’ des Bogenschießens … weiß nichts von einer Scheibe, die in bestimmter Entfernung vom Schützen aufgestellt ist. Sie weiß nur von dem Ziel, das sich auf keine Weise technisch erzielen lässt …: Buddha!‘ – Wir können auch sagen: den Weg zu uns selbst!
Und: ‚Es gibt Stufen der Meisterschaft, und erst, wer die letzte erreicht hat, kann auch das äußere Ziel nicht mehr verfehlen.‘ – ‚Wer es vermag … mit dem Horn des Hasen und dem Haar der Schildkröte zu schießen, also ohne Bogen (Horn) und Pfeil (Haar) die Mitte zu treffen, der erst ist Meister im höchsten Sinne des Wortes …‘
Das Bogenschießen gilt im Zen-Buddhismus als meditative Übung. Wie in der inneren Versenkung der Meditation so findet der das Bogenschießen Ausübende den rechten Weg und die harmonische Angleichung des Bewußtseins an das Unbewußte, wie Suzuki einleitend schreibt.
Juni 2000
siehe auch meinen Beitrag: Zen des Bloggens