Adiós España!

Der König ist tot, es lebe der König! So hieß es früher einmal, wenn die Monarchen ‚bis zum Verrecken’ auf ihren Thronen verharrten … Nein, Juan Carlos (76) von Spanien lebt noch. Er dankte allerdings nach fast 39-jährigen Amtszeit in der vergangenen Nacht zugunsten seines Sohne Felipe (46) ab, der als Felipe VI den spanischen Thron bestieg und damit Staatsoberhaupt des Landes wurde. Die Zeremonie fand angesichts der Wirtschaftskrise im kleinen Rahmen statt. Die Vereidigung des neuen Monarchen folgt heute im spanischen Parlament.

Der 46-jährige Felipe hatte sich sein Leben lang auf das Amt vorbereitet. Er studierte Jura und internationale Politik, spricht fließend Englisch und Französisch und absolvierte Offizierslaufbahnen im Heer, in der Luftwaffe und der Marine. Als Kronprinz unternahm er fast 200 offizielle Reisen in 60 Länder. In Lateinamerika vertrat er Spanien beim Amtsantritt von 69 Staatspräsidenten. (Quelle: u.a. stern.de/lifestyle)

    FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien
    Am Tag, als in Madrid König Juan Carlos abdankte, wurde in Maracana auch die einzigartige Ära der Furia Roja zur Geschichte.
    Nachmittags dankte der König ab und später am Abend der Weltmeister.

Tiki-Taka ist tot, es lebe Tiki-Taka? Eines ist seit gestern Abend gewiss: Nachdem bereits 2010 bei der Fußball-WM in Südafrika mit Italien der damals amtierende Weltmeister in der Vorrunde ziemlich kläglich scheiterte (damals krähte kein Hahn danach), so erwischte es gestern den Noch-Weltmeister und Mitfavoriten Spanien. Mit der 0:2-Niederlage gegen Chile ist Spaniens Schicksal besiegelt: die Mannschaft scheidet aus. Am Montag spielen die Spanier noch gegen Australien (die ebenfalls ausgeschieden sind), dann geht’s nach Hause. ¡Adiós España!

Synchrones An-den-Kopf-Fassen: Entsetzen bei den Spaniern

Ist das nun tatsächlich das immer wieder angesagte und dann auch immer aufs Neue wiederlegte Ende des Tiki-Taka?

Unter Tiki-Taka versteht man die spanische Variante des Kurzpassspiels. Beim Kurzpassspiel wird der Ball nicht gestoppt, sondern unmittelbar an den nächsten Spieler (One-Touch-Fußball) weitergespielt wird. 1972 wurde bereits die deutsche Mannschaft damit Europameister. Die Spanier haben dieses Kurzpassspiel perfektioniert und wurden damit 2008 Europameister, 2010 Weltmeister und 2012 erneut Europameister.

Auch wenn ich mich wiederhole: Tiki-Taka verlangt ein hohes Maß an Intuition, an gegenseitigem Verständnis zwischen den Spielern und an Konzentration. Tiki-Taka geht nur mit Spielwitz, mit Esprit. Fehlt es an einem, dann rächt sich dieses taktische Konzept sehr schnell und verkommt zu einem Rasenschach, das Mannschaften eigentlich nur spielen, wenn ihnen die zündende Idee fehlt. Für den Zuschauer wird es dann schnell unerträglich langweilig. Da mag man den Gegner laufen lassen und 70 bis 80 % Ballbesitz haben. Ohne geniale Pässe, z.B. aus der Tiefe des Raums in die sich lösende Spitze, geht dann nichts. Und dann rächen sich schon kleinste Fehler. Man tappt gewissermaßen in die eigene Falle.

Voraussetzung für das Gelingen dieser Taktik ist also eine sehr gute Technik der Spieler, die präzise Pässe erlaubt, und eine zuverlässige Defensive, die im Fall eines Ballverlustes Konter vereitelt. Als Gegenmittel hilft nur ein entschlossenes Pressing. So kann selbst von technisch unterlegenen Gegnern diese Taktik ausgehebelt werden.

Genau das ist gestern geschehen. Die Chilenen standen den Spaniern gewissermaßen auf den Füßen und ließen – wie zuvor von den beherzt aufspielenden Niederländer praktiziert – keinen Spielfluss der spanischen Mannschaft zu.

Gegen die Niederlande begann Spanien wie gewohnt. Zwar störten die Niederländer früh, aber Spanien kam doch zu seinen Chancen. Dann passierte aber das, was nicht passieren darf. Die Abwehr leistete sich einen eklatanten Fehler, van Persie spielte den ‚fliegenden Holländer’ und erzielte mit seinem Flugkopfball ein herrliches Tor. Schließlich wurde die spanische Abwehr immer wieder überlaufen. Und dann auch noch der schlimme Schnitzer von Iker Casillas, dem spanischen Torwart.

Iker Casillas’ traurige Augen ...

Ähnlich ging es gestern zu. Zum ersten Gegentor führte ein früher Ballverlust im Mittelfeld und das zögerliche Eingreifen der Abwehr. Beim 2:0 sorgte Casillas mit seiner Faustabwehr nach vorn (statt zur Seite) vor die Füße des Torschützen Charles Aranguiz für den entscheidenden Fehler.

Es ist nicht allein die Taktik des Tiki-Taka, die Spanien auf die Verliererseite brachte. Es spielten auch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Und: Neben Taktik und technischem Können spielt auch immer die Psyche eine wichtige Rolle.

Aber eines nach dem anderen:

1. Zunächst hatten die Spanier die wohl kürzeste Vorbereitungszeit aller Mannschaften, da drei spanische Mannschaften in den beiden Endspielen der europäischen Mannschaftswettbewerbe, die bekanntlich erst am Ende der Saison ausgespielt werden, vertreten waren (bestes Beispiel: der Portugiese Cristiano Ronaldo, Real Madrid, dem auch nicht viel gelang). Also null Regeneration und nur wenig Möglichkeit, sich im Training einzuspielen.

2. Tiki-Taka wird im Wesentlichen von den immer gleichen Spielern getragen (Xavi, Xabi Alonso, Andrés Iniesta) und die sind inzwischen in die Jahre gekommen.

3. Wer alles ‚abgeräumt’ hat, was es an Pokalen im nationalen wie internationalen Fußball zu holen gibt, ist mehr oder weniger ‚gesättigt’. Es fehlt die nötige Motivation.

4. Dem Torwart Iker Casillas fehlt die Spielpraxis, da er praktisch überhaupt nicht in der Primera División, der spanischen Liga, eingesetzt wurde (nur zwei Spiele, ansonsten Einsätze in der Champions League).

5. Der Angreifer Diego Costa, Atlético Madrid, hat keine Länderspielerfahrung und wirkte oft wie ein Fremdkörper in der Mannschaft. Man hätte besser (ähnlich dem deutschen Team) mit einem ‚falschen’ Mittelstürmer gespielt, der aus dem Mittelfeld agiert und über die Flügel Unterstützung findet. In der Spitze waren die Spanier insgesamt wirkungslos.

6. Die Innenverteidigung mit Gerard Piqué und Sergio Ramos (beide 27 Jahre alt und eigentlich sehr erfahren) erwies sich oft als zu langsam gegen hoch motiviert angreifende Stürmer.

7. Alle gegen einen: Sechs Jahre bestimmte die spanische Elf den Weltfußball. Da versucht es jeder Gegner, gegen sie möglichst gut auszusehen, möglichst ein Mittel gegen Tiki-Taka zu finden. Die Chilenen spielten so, als gäbe es kein Morgen. Scheiß auf Kräfteverschleiß, Hauptsache man schlägt den Weltmeister.

Wenn der Trainer der Spanier, Vicente del Bosque, die wesentliche Schuld auf sich nimmt, so tut er gut daran (neben Xavi hätte er wohl auch besser auf Casillas verzichten sollen). Ein Generationswechsel kündigte sich zwar an, aber doch nur zögerlich. Einige Spieler werden mit Sicherheit zurücktreten (Xavi wird wohl auch den FC Barcelona in Richtung Katar verlassen, um noch ein millionenschweres Zubrot einzuheimsen). Ob mit oder ohne del Bosque, ob mit oder (eher) ohne Tiki-Taka: Die nächste Generation mit großen Talenten steht schon in den Startlöchern. Spanien ist zwar ausgeschieden, aber um die Zukunft des spanischen Fußballs braucht sich keiner Sorgen machen.

War das nun gestern das Ende von Tiki-Taka? Von Tiki-Taka, der spanischen Ausprägung des Kurzpassspiels, wohl ja. Die Ära der spanischen Vormachtstellung im Fußball ist gebrochen. Aber es ist lange nicht das Ende des Kurzpassspiels, der Grundphilosophie des Tiki-Taka. Die Taktik der deutschen Mannschaft baut geradezu auf dem Kurzpassspiel auf.

Spielen wir bisschen Dialektik a la Hegel und bedienen uns des Dreischritts von These, Antithese und Synthese. Tiki-Taka ist gewissermaßen die These. Das entschlossene Pressung des Gegners die Antithese. „In der fortlaufenden Argumentation gewinnt diese Antithese als Negation eine positive Funktion. Sie treibt den Erkenntnisprozess auf eine neue Ebene, diese neue Ebene bzw. die neue Formulierung auf dieser Ebene ergibt die Synthese.“

Und was könnte diese neue Ebene, die Synthese ausmachen? Vielleicht ein Spielsystem (das dem Pressing zuvorkommt), wie wir es beim deutschen Team finden: drei variabel agierende Offensivspieler, die ständig rochieren, also die Positionen von außen nach innen immer wieder tauschen und auf den Außenbahnen Unterstützung von den Außenverteidigern bekommen. Natürlich muss dabei das Defensivverhalten stimmen … Kurzpassspiel mit schnellem Umschalten … usw. usf. (Ach, ich liebe dieses fußballerische Fachsimpeln!).

Mit Spanien dürfen sich auch Australien und Kamerun bereits nach dem 2. Spieltag der Gruppenphase (Vorrunde) verabschieden (die anderen Mannschaften spielen ja erst noch).

Was ist neben dem Ausscheiden der Spanier noch so in den letzten zwei Tagen passiert? „Geheimfavorit Belgien hielt seine Qualitäten im ersten Gruppenspiel (Gruppe H) ziemlich lange sehr geheim. Genauer gesagt: Es war ziemlich enttäuschend, was Marc Wilmots‘ Mannen über die meiste Zeit des Spiels gegen Algerien zustande brachte.“ Allerdings kamen die Belgier am Ende des Spiels dann doch ins Rollen. Bedenkt man, was Russland und Süd-Korea zustande brachten, habe ich weiterhin gute Hoffnung für die junge belgische Mannschaft.

Brasilien, Gastgeber und Topfavorit, glänzte durch fehlende Effizienz gegen Mexiko. Viele Torchancen, aber keine Tore. Überhaupt scheint der Heimvorteil eher ein Fluch zu sein, da die Erwartungshaltung viel zu groß ist. Die Kroaten haben in der gleichen Gruppe (A) immerhin ihre Chance genutzt (4:0 gegen Kamerun) und spielen am Montag wohl um den 2. Achtelfinalplatz in der Gruppe gegen Mexiko.

Und die Niederlande sind noch nicht Weltmeister. Wie schon oben erwähnt: Die Psyche spielt eine große Rolle beim Fußball. Wähnt man sich schon im fußballerischen Himmel, dann kann selbst ein Außenseiter wie Australien einen schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Mit viel Glück gewannen Robben & Co. zwar gegen Australier, die nichts mehr zu verlieren hatten und daher mit Herz und Seele aufspielten. Aber so toll wie gegen Spanien war das nicht. Vor dem 3:2-Siegtreffer der Holländer hatten nämlich die Socceroos die große Torchance.

Nach dem gelungener Auftakt geht es also am Samstag um 21 Uhr MESZ für das deutsche Team gegen Ghana, die gegen die USA nicht gerade gezaubert hatten (und bekanntlich 1:2 verloren), weiter. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel (oh, diese Sprüche …). Und die Niederlande sei Warnung genug, es weiterhin konzentriert anzugehen. Schauen wir ’mal, wie Franz Beckenbauer (Ex- Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, das für die Vergabe der Fußball-WM 2018 nach Russland und 2022 nach Katar verantwortlich zeichnet – angeblich hatte Franzl damals zwar für Russland, aber nicht für Katar, sondern in der letzten Runde für die USA gestimmt) zu sagen pflegt.

Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

In meinem Beitrag Idylle & Kitsch bin ich einmal kurz in die Gedankenwelt des Milan Kundera eingetaucht. Kundera ist 1929 als Sohn eines Konservatoriums-Professors in der Tschechoslowakei geboren, war Mitglied der kommunistischen Partei – wie viele seiner Altersgenossen auch. Und wie viele andere Künstler so war er in den 1950er Jahren und zu Beginn der 60er noch ziemlich angepasst. Das Jahr 1967 wurde für ihn dann aber zum Wendepunkt. Kundera erwuchs zu einer der „Galionsfiguren“ des Prager Frühlings, einer Bewegung, die sich gegen das politische System auflehnte und künstlerische Freiheit forderte, und die im Frühjahr 1968 einen Liberalisierungs- und Demokratisierungsprozess unter Alexander Dubček einleitete.

Der Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 beendete schlagartig den Prager Frühling und die damit verbundene Phase der Presse- und Kulturfreiheit in der Tschechoslowakei. Der Stalinismus kehrte in Reinform zurück. Kunderas Lehrtätigkeit an der Filmhochschule wurde eingestellt, seine Bücher aus Bibliotheken entfernt und nicht mehr verlegt.

1975 emigrierte Kundera nach Frankreich und lebt in Paris. 1984 kam der Roman heraus, der ihn international bekannt machte: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Nesnesitelná lehkost bytí) Ich habe das Buch als Fischer Taschenbuch 5992 (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, April 1987 – 311. – 410. Tausend: Februar 1988 – aus dem Tschechischen von Susanna Roth) vorliegen. Dieser Roman spielt in der kommunistischen Tschechoslowakei; dem totalitären System wird hier in wundervoller Weise die Liebe entgegengehalten.

    Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Während des Kalten Kriegs lernt der erfolgreiche Prager Chirurg Tomas die Serviererin Teresa kennen. Sie beginnen eine lebenslange Beziehung, die unter Tomas‘ ständigen Affären leidet. Teresa ist sich völlig bewusst, dass sie beide ein unterschiedliches Verständnis von Liebe und Sexualität haben. Daher stellt sie Tomas lange Zeit nicht zur Rede, sondern erträgt sein Verhalten.

Während des Prager Frühlings beginnt Teresa als Fotoreporterin zu arbeiten. Doch nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, der die tschechoslowakische Reformpolitik unter Alexander Dubček beendet, fliehen Teresa und Tomas in die Schweiz. Dort findet Tomas rasch Arbeit als Chirurg und erneuert sein altes Verhältnis zu der Malerin Sabina. Teresa dagegen tut sich schwer mit dem Leben im freien Westen, mit der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“.

Sie flieht vor Tomas und seinen Affären zurück in die Tschechoslowakei. Tomas folgt ihr aus Liebe nach Prag, gerät dort aber bald mit der neuen Parteilinie in Konflikt, da er sich weigert, einen während des Prager Frühlings verfassten Zeitungsartikel zu widerrufen. Er wird gezwungen, seine Karriere als Chirurg aufzugeben, und lernt als Fensterputzer eine neue Auffassung von Arbeit kennen. Da Teresa Tomas‘ Affären und die bedrückende Atmosphäre von Bespitzelung und Verrat in Prag nicht mehr erträgt, zieht das Paar in ein kleines, abgelegenes Dorf in Böhmen, wo es in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft arbeitet und zur Ruhe kommt.

Quelle:de.wikipedia.de

Inhalt
Erster Teil: Das Leichte und das Schiere [Tomas]
Zweiter Teil. Körper und Seele [Teresa]
Dritter Teil. Unverstandene Wörter [Sabina]
Vierter Teil: Körper und Seele [Teresa II]
Fünfter Teil: Das Leichte und das Schwere [Tomas II]
Sechster Teil: Der große Marsch [Franz]
Siebter Teil: Das Lächeln Karinins [Teresa & Tomas]

Über dieses Buch: Das Datum ist bestimmbar. Als im Frühjahr 1984 die Originalausgabe des Romans ‚Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins’ in Paris erschien, war dem Autor Milan Kundera etwas gelungen, was seinen nach 1968 exilierten Landsleuten und Kollegen verwehrt blieb: er hatte den großen Durchbruch geschafft. Seit damals ist Kundera wohl der international bekannteste tschechisch schreibende Autor seit Jaroslav Hašek. Die ‚New York Times’, ein rarer Sonderfall, widmete diesem Roman gleich zwei hymnische Rezensionen und schickte noch ein Interview mit dem Autor hinterher. Gesprächspartner war Philip Roth. Aber auch in den anderen tonangebenden Blättern der westlichen Hemisphäre löste ‚Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins’ Begeisterung aus. Die verschlungene, mehrfach gebrochene Liebesgeschichte zwischen Tomas und Teresa gibt den Rahmen ab für einen der witzigsten und intelligentesten Romane der vergangenen Jahre, der zugleich Leselust und höchste intellektuelle Ansprüche befriedigt. ‚Wann werden wir endlich einen deutschen Roman erhalten’, fragte die ‚FAZ’, ‚der sich so einfühlsam und nachdenklich mit Liebe und Sexualität befaßt und der das Individuum vor dem Hintergrund des Lebens hier und heute zeigt? Ein Roman, der überdies so intelligent und souverän, so lesbar und so unterhaltsam wäre?’
(aus dem Klappentext)

Tomas sagte sich: „Mit einer Frau schlafen und mit einer Frau einschlafen sind nicht nur zwei verschiedene, sondern geradezu gegensätzliche Leidenschaften. Liebe äußert sich nicht im Verlangen nach dem Liebesakt (dieses Verlangen betrifft unzählige Frauen), sondern im Verlangen nach dem gemeinsamen Schlaf (dieses Verlangen betrifft nur eine einzige Frau).“ (S. 18)

Als ich den Roman 1988 zum ersten Mal las, irritierte mich die Ansicht Tomas’, „daß Liebe und Sex nichts miteinander zu tun hätten.“ (S. 146). Sex ohne Liebe – irgendwie konnte ich mir das nicht vorstellen. Heute hat sich diese Ansicht für mich sicherlich etwas relativiert, obwohl ich weiterhin Sex nicht des Sex’ wegen haben möchte. Tomas unterscheidet, nein, er trennt zwischen dem Bedürfnis nach Sex – und der Liebe zu einer Frau. Er liebt Teresa und erkennt, „… daß die Treue die höchste aller Tugenden sei. Die Treue gibt unserem Leben eine Einheit, ohne die es in tausend flüchtige Eindrücke zersplittert.“ (S. 88)

Kundera ist ein scharfer Beobachter der Liebenden: „Zwischen Liebenden entstehen rasch Spielregeln, derer sie sich nicht bewußt sind, die aber dennoch gelten, und die sie nicht übertreten dürfen.“ (S. 82) Das kann ein bestimmter Blick sein, eine Geste – eine Spielregel ist plötzlich verletzt. Ohne es eigentlich genau zu wissen, ist etwas wie Verunsicherung, Verwirrung im Spiel, vielleicht sogar Zweifel?

Aber der Roman ist nicht nur eine Liebesgeschichte. Immer wieder verquickt Kundera alltägliche Betrachtungen mit philosophischen Tiefsinn. Oder er beschreibt Empfindungen, die wir alle irgendwann kennen gelernt haben, aber deren Ursache uns nicht wirklich bewusst wurde – wie z.B. den Schwindel, der uns überfällt und den wir am Ende fast zu schnell wieder abgeschüttelt und damit vergessen haben:

„Was ist das, Schwindel? Angst vor dem Fall? Wieso überkommt uns dann Schwindel auch auf einem Aussichtsturm, der mit einem Geländer gesichert ist? Schwindel ist etwas anderes als Angst vor dem Fall. Schwindel bedeutet, daß uns die Tiefe anzieht und lockt, sie weckt in uns die Sehnsucht nach dem Fall, eine Sehnsucht, gegen die wir uns dann erschrocken wehren.“ (S. 59) … „Man könnte auch sagen, Schwindel sei Trunkenheit durch Schwäche. Man ist sich seiner Schwäche bewußt und will sich nicht gegen sie wehren, sondern sich ihr hingeben. Man ist trunken von der eigenen Schwäche, man möchte noch schwächer sein, man möchte mitten auf einem Platz vor allen Augen hinfallen, man möchte unten, noch tiefer als unten sein.“ (S. 74)

Kundera berührt viele Punkte in seinem Roman. So spielt die Hässlichkeit oder die Schönheit immer wieder eine Rolle, die Kundera in ein Verhältnis zur Zeit stellt. Bezogen auf die Zeit, in der sein Roman spielt, nennt Kundera diese „‚die historische Phase der totalen Häßlichkeit’: Die Totalität der Häßlichkeit äußerte sich zunächst als allgegenwärtige akustische Häßlichkeit: Autos, Motorräder, elektrische Gitarren, Preßluftbohrer, Lautsprecher, Sirenen. Die Allgegenwart der visuellen Häßlichkeit würde bald folgen.“ (S. 90) – Und sie ist längst gekommen: Schaufenster, Plakatanschläge – und immer wieder Videowände mit laufenden Bildern.

„Schönheit aus Irrtum. Bevor die Schönheit endgültig aus der Welt verschindet, wird sie noch eine Zeitlang aus Irrtum existieren. Die Schönheit aus Irrtum, das ist die letzte Phase in der Geschichte der Schönheit.“ (S. 98)

Kundera meint damit die Schönheit aus Zufall. Etwas ist nicht immer aus sich heraus schön. Der Zufall, wie z.B. das Verlaufen von verschiedenen Farben, lässt etwas Schönes entstehen. Aber im Grunde weiß einer der Protagonisten, „daß Schönheit eine verratene Welt ist. Man kann nur auf sie stoßen, wenn ihre Verfolger sie aus Versehen irgendwo vergessen haben.“ (S. 107)

Was wir haben und was wir vermissen würden, wenn wir es plötzlich nicht mehr haben: wir haben es in unserer allzu freien Welt nicht kennen gelernt. Kundera dagegen kennt das genau: „Die Kultur geht unter in der Menge, in Buchstabenlawinen, im Wahnwitz der Masse. Darum sage ich dir immer: ein einziges verbotenes Buch in deiner Heimat bedeutet unendlich viel mehr als die Milliarden von Wörtern, die an unseren Universitäten ausgespuckt werden.“ (S. 100)

Tomas, eine der Hauptfiguren, kann es eigentlich egal sein. Er ist ‚tiefer als unten’ angekommen. So würde es nichts ausmachen, die Petition, die vielleicht auch ihm helfen könnte, wieder in seinen wahren Beruf zurückzufinden, zu unterschreiben. Was hindert ihn also?: „Er war gar nicht sicher, richtig zu handeln, doch war er sicher, so zu handeln, wie er handeln wollte. Er sagte: ‚Seid mir nicht böse. Ich werde nicht unterschreiben.’“ (S. 211) – Es ist manchmal eine Empfindung, ein ‚Schwindel’, der uns leitet, so irrational dieser auch sein mag. Der Mensch besteht eben nicht nur aus ‚Kopf’, sondern auch aus ‚Bauch’. Und oft genug ist es der ‚Bauch’, der unser Leben bestimmt.

Vielleicht eine der Lehren aus diesem Roman, der auch heute noch, 30 Jahre nach dem ersten Erscheinen, wirklich lesenswert ist und zu den Klassikern der Moderne gerechnet wird.

Hier eine Leseprobe mit dem Anfang des Romans
siehe auch klassiker.blog.de und kundera.de

Gelungener Auftakt

Gestern hat auch die deutsche Mannschaft ins Geschehen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien eingegriffen, und wie … Gegen Portugal gewann das Team von Joachim Löw mit 4:0. Sicherlich kann man sich um den Elfmeter, der zum 1:0 führte, streiten. Ich denke aber, wer so ‚unverzagt’ im eigenen Strafraum am Trikot seines Gegners zupft wie Joao Pereira gegen Mario Götze, darf sich nicht wundern, wenn der Schiedsrichter Strafstoß pfeift. Und es war Müller-Tag, der mit drei Treffern seine WM-Torausbeute auf jetzt acht Tore (fünf Tore bei der WM 2010 in Südafrika) erhöhte. Da reißt es sogar die Kanzlerin wieder einmal vom Hocker.

Gruppenbild mit Dame: Mutti mit ihren ‚Jungs’

Deutschland spielte ohne echten Mittelstürmer und agierte in der Spitze mit Özil, Götze und besagtem Müller dafür sehr variabel (in einem 4-3-3-System). Portugals Superstar Cristiano Ronaldo bekam fast keinen Stich und blamierte sich dann auch noch bei einem seiner ansonsten gefürchteten Freistöße, als die deutsche Mannschaft gar nicht daran dachte, eine Abwehrmauer aufzustellen, Ronaldo dann auch prompt den erstbesten deutschen Spieler anschoss.

    FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien

Aber auch schon die Spiele zuvor zeigten abwechslungsreichen und spannenden Fußball – trotz der klimatischen Verhältnisse in Brasilien. Überraschend (oder vielleicht auch nicht) war der hohe 5:1-Sieg der beherzt aufspielenden Niederländer gegen den amtierenden Weltmeister Spanien, der zunächst ganz gut begann, dann aber durch individuelle Fehler ins Hintertreffen kam. Klar, wieder wird das Ende des Tiki-Taka verkündet. Aber vielleicht werden wir uns doch noch wundern.

Alles andere als der Titelgewinn wäre für die brasilianische Mannschaft eine Enttäuschung. Beim Auftaktspiel gegen aufopferungsvoll kämpfende Kroaten gewannen die Gastgeber aber auch nur mit der Hilfe des Schiedsrichters, der einen Elfmeter gab, der keiner war. Fred, bis dahin wenig aufgefallen, ließ sich im Strafraum fallen und ermöglichte so dem nächsten Superstar dieser WM, Neymar, zu seinem 2. Tor, dem 2:1.

Überhaupt die Schiedsrichterleistungen! Es ist ja schön, wenn Mannschaften aus allen Ecken der Welt zu einem Turnier zusammenkommen. Aber müssen es auch Schiedsrichter aus aller Herren Länder sein, die die Grundregeln vielleicht beherrschen, aber wenig Erfahrung mitbringen? Okay, Fehler können auch dem besten Schiedsrichter unterlaufen. Aber die Unterschiede sind doch zu groß. Da wird ein Strafstoß gegeben, der keiner ist. Da werden Tore wegen Abseitsstellung nicht anerkannt, obwohl der Schütze überhaupt nicht im Abseits steht. Immerhin hat man jetzt die Torlinientechnologie, die allerdings erst einmal bei der Beurteilung, ob der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht (das 2:0 der Franzosen gegen Honduras), geholfen hat. Schiedsrichter ohne große Erfahrung haben besonders beim Abseits ihre Schwierigkeiten. Der Videobeweis wird jetzt wenigstens schon einmal angedacht. Aber noch beruht alles (bis auf die Torlinientechnik) auf Tatsachenentscheidung, also der Beurteilung des Schiedsrichters durch dessen subjektiv gewonnene Eindrücke, die nachträglich nicht widerrufen werden können (allein der Begriff Tatsachenentscheidung ist der reinste Hohn).

Bisher gab es also eine Reihe sehr interessanter Spiele. Einzig enttäuschend sind für mich bisher die Mannschaften Afrikas (die Elfenbeinküste vielleicht ausgenommen, die aber auch erst in der 2. Hälfte gegen Japan ins Rollen kam). Das bisher einzige Unentschieden (zudem das erste Spiel ohne Tore) gab es zwischen dem Iran und Nigeria. Das war dann auch das bisher bescheidenste Spiel. Und wieder mit Afrikanern, die eigentlich nur durch ihre phlegmatische, geradezu stoische Art ‚beeindrucken’ und wenige Minuten vor Schluss trotz Rückstand so spielen, als hätten sie alle Zeit der Welt, den Ausgleich zu erzielen. Doooch … das ist ‚beeindruckend’.

Hohe Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit, eklatante Fehlentscheidung einiger Schiedsrichter, einige größere Überraschungen (z.B. der verdiente 3:1-Sieg Costa Ricas gegen die Altherrentruppe Uruguays) und eine Menge ganz passabler Spiele. Bisher steckt auch sportlich gesehen viel Diskussionsstoff in dieser WM für den interessierten Zuschauer. Und wer dann auch noch die richtige Floskel, den richtigen Expertenspruch von sich geben will, aber nicht so recht weiß, wie und was, dem sei der Phrasomat zur WM empfohlen, damit wird man wenigstens Stammtisch-Weltmeister.

Heute geht mit den Spielen in der Gruppe H (Belgien – Algerien und Russland – Südkorea) der erste Spieltag in der Gruppenphase zu Ende (und beginnt mit Brasilien – Mexiko auch schon der 2.). Dann haben wir alle Mannschaften gesehen und können uns ein erste Bild von deren Spielstärke machen. Deutschland spielt übrigens am Samstag (21.06.) um 21 Uhr MESZ in Fortaleza gegen Ghana. Gespannt bin ich auf die Belgier, die inzwischen über den Status eines Geheimfavoriten hinaus sind. Ist die junge Mannschaft, in der lediglich Daniel Van Buyten (noch Bayern München) den Altersdurchschnitt überdurchschnittlich anhebt, wirklich so gut? Kevin De Bruyne (jetzt VfL Wolfsburg) kennen die Werder-Fans ja noch aus der Saison 2012/2013 in Bremen.

Wir dürfen weiterhin gespannt sein …!

Auf zur WM 2014 nach Brasilien

Tostedt: Peter Dörsam wird Bürgermeister

Mit 61,68 % der Stimmen wurde Peter Dörsam gestern zum neuen Bürgermeister der Samtgemeinde Tostedt gewählt. Das ist ein großartiger Sieg, den ich Herrn Dörsam gewünscht habe, mit dem aber in dieser Deutlichkeit wohl keiner gerechnet hat. Da die Wahlbeteiligung mit 48 % für eine Stichwahl überaus hoch war (mehr wäre natürlich besser), so ist dieser Wahlsieg um einiges höher einzuschätzen.

    Dr. Peter Dörsam: ab 1. November 2014 neuer Bürgermeister der Samtgemeinde Tostedt

Es ist nicht nur eine Wahlniederlage für Herrn Bostelmann. Auch Frau Wüst-Buri, Rechtsanwältin und Samtgemeinderatsmitglied der SPD, hat mit ihrer Unterstützung für Herrn Bostelmann mit zwei Anzeigen in der Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 11. und 14. Juni (zuletzt sogar halbseitig) hoch gepokert und … – verloren. Ich denke, Sie hat mit dem, was sie dort schrieb, Herrn Bostelmann mit Sicherheit geschadet. Fragt man nach Gründen für diese teilweise sehr persönlichen Angriffe gegen Herrn Dörsam, so ist es gut zu wissen, dass Frau Wüst-Buri selbst die Absicht hegte, für das Amt des Samtgemeindebürgermeisters zu kandidieren. Aufgeschoben ist allerdings nicht aufgehoben. Und wenn es nicht in der SPD klappt, dann vielleicht beim nächsten Mal in der CDU?

Es wurde bei diesem persönlich geprägten Wahlkampf in Tostedt einiges an Porzellan zerschlagen. Die Bürger haben diese gegenseitigen Schuldzuweisungen und Vorwürfe, ob sie nun gerechtfertigt sind oder nicht, endgültig satt. Es wird Zeit, zum Alltag zurückzufinden.

Ich beneide Herr Dörsam nicht um seinen Job, der am 1. November beginnt. Aber ich glaube, dass er gute Arbeit leisten wird. Allen sollte klar sein, dass es nur gemeinsam gehen kann. Samtgemeindebürgermeister und Samtgemeinderat sind dem Bürger, vom dem sie ihr Mandat haben, verpflichtet.

Es ist Zeit für Veränderung

„Zeit für den Wechsel. Zeit für Dr. Peter Dörsam! Ich wünsche mir, dass die Meinung der Bürgerinnen und Bürger – egal ob jung oder alt – zukünftig bei Entscheidungen mehr Gewicht bekommt und insbesondere die Ängste und Zweifel ernst genommen werden. Dass die Menschen in der Samtgemeinde Tostedt ihre Meinung und Kritik (insbesondere auch in sozialen Netzwerken und Blogs im Internet) wieder frei äußern können, ohne dabei Gefahr zu laufen, Repressalien oder gar anwaltliche Abmahnungen – verbunden mit hohen Geldforderungen – bekommen.

Dass hiesige Geschäftsleute beispielsweise Unterschriftenlisten auslegen können, ohne dass sie deswegen ins Rathaus zitiert werden oder etwaige Nachteile in Kauf nehmen müssen. Dass alle Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von der Gesellschaftsschicht – mit vollem Respekt behandelt werden und nicht von oben herab.“

Zitat: Nadja Weippert (31), Mitinitiatorin des Bürgerbegehrens „Kindergarten Dieckhofstraße“

siehe auch meinen Beitrag: Seltsame Methoden

Stichwahl in Tostedt: Wir stimmen für Peter Dörsam

Am Sonntag entscheidet sich in einer Stichwahl, wer zukünftig Bürgermeister der Samtgemeinde Tostedt wird: der derzeitige Amtsinhaber, Dirk Bostelmann, CDU, oder Dr. Peter Dörsam, der als unabhängiger Kandidat angetreten ist. Beim ersten Wahlgang siegte Peter Dörsam, bekam aber nicht die erforderliche absolute Mehrheit.

Dörsam steht für einen neuen Politikstil, für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung bei allen wichtigen Entscheidungen. Wer für den Wechsel im Tostedter Rathaus ist (und Peter Dörsam wird von Reinhard Riepshoff, SPD, dem ausgeschiedenen Bürgermeisterkandidaten, unterstützt) geht am Sonntag zur Wahl und wählt Peter Dörsam. Denn jede Stimme ist wichtig!

Auch „die CDU in Handeloh unterstützt den Kandidaten Bostelmann nicht“ und hält an ihrer Forderung nach einem Politikwechsel fest – wie im „De Handöper“, dem Mitteilungsblatt des CDU Ortsverbandes Handeloh und Umgebung, nachzulesen ist.

Jung und schön

Jung & Schön (frz.: Jeune & Jolie) ist ein französisches Filmdrama des Regisseurs François Ozon aus dem Jahr 2013. Marine Vacth spielt in der Hauptrolle eine siebzehnjährige Schülerin, die aus Faszination und Streben nach schnellem Geld in die Prostitution gerät. Der Film war bei den Filmfestspielen von Cannes 2013 für die Goldene Palme nominiert.

    Jung und schön (Frankreich 2013)

Im Sommerurlaub, wenige Tage vor ihrem 17. Geburtstag, schläft die hübsche Isabelle (Marine Vacth) das erste Mal mit einem Jungen. Für viele Mädchen ein großes Ereignis, lässt sie diese Nacht jedoch völlig kalt. Dennoch erkennt sie die Möglichkeiten, die der Austausch körperlicher Zärtlichkeiten ihr bietet: Mit Beginn des Schuljahres verabredet sie sich mit meist älteren Männern, die sie für Sex bezahlen. 300 Euro pro Nacht lassen es sich die Männer kosten. Während Isabelle an immer mehr Geld kommt, ahnen weder Eltern noch Freunde etwas von ihrem Doppelleben. Nach einem tragischen Zwischenfall kann sie ihr Geheimnis jedoch nicht mehr verbergen und ihre Nachmittagsbeschäftigung fliegt auf. Da Isabelle selbst nicht dazu Stellung bezieht, sondern beharrlich schweigt, ergeht sich ihre Mutter (Géraldine Pailhas) vornehmlich in Selbstvorwürfen.

aus: filmstarts.de

Der Film Jung und Schön (jetzt als DVD und Blu-ray erhältlich) erinnert mich zunächst an den doppelbödigen Psychothriller Swimming Pool (2003) mit Ludivine Sagnier, ebenfalls von François Ozon. Den Film habe ich schon eine ganze Zeit auf meinem ‚Zettel’. Inhaltlich wiederum hat der Film viel Ähnlichkeit mit Luis Buñuels Klassiker „Belle de Jour“ – mit einer bezaubernden, aber auch sehr irritierenden Catherine Deneuve aus dem Jahr 1967. Luis Buñuel zählt übrigens zu meinen Lieblingsregisseuren (wer sich für anspruchsvolles Kino interessiert, sollte seine Filme Der diskrete Charme der Bourgeoisie aus 1972 und Dieses obskure Objekt der Begierde aus 1977 gesehen haben).


Jung und Schön – ein Film von François Ozon

Wie viele von Ozons Filmen so ist auch diesem Film ein sehr direkter und offener Umgang mit der Sexualität seiner Figuren, die Beschränkung auf eine sehr kleine Anzahl von Figuren und die Spezialisierung auf weibliche Figuren gemein. Im Mittelpunkt steht die hübsche Isabelle, gespielt von Marine Vacth, einer bis dato unbekannten Jungschauspielerin, die dem Rest der Besetzung mit einer hinreißenden Performance die Schau stiehlt. Der Filmexperte Marek Bringezu bringt es auf den Punkt:

Marine Vacth ist eine wahre Entdeckung. Sie ist der „eiskalte Engel“ des Films. Sie schweigt, sie bleibt unergründlich, ein bisschen unnahbar und kalt. Aber sein ist auch engelhaft, jung und wunderschön. Es ist ihre erste Hauptrolle, und wer glaubt, Models können nicht schauspielern, den belehrt sie eines besseren. Als Zuschauer darf man nicht den Fehler machen, die Unnahbarkeit ihrer Figur als schauspielerischen Makel anzusehen. Marine Vacth ist großartig, und die Kamera liebt sie. Im Film ist sie immer auch das Objekt der Begierde, des Zuschauers und des Regisseurs. Das macht François Ozon bereits in der ersten Einstellung unmissverständlich klar. Durch ein Fernglas wird das junge Mädchen am Strand heimlich beim Entkleiden beobachtet. Wer der Voyeur ist, bleibt kurz unklar. Es ist der jüngere Bruder, aber auch der Zuschauer und der Regisseur selbst. Diese inszenatorischen Feinheiten durchziehen den ganzen Film und machen seinen ungemeinen Reiz auch beim mehrfachen Sehen aus. Wie elegant und präzis François Ozon inszeniert, wie er Doppelungen und Spiegelungen kreiert und sie gleichzeitig verschleiert, das ist ganz große Filmkunst.

Ohne Zweifel: Marine Vacth meistert alle Facetten ihrer vielschichtigen „Lolita“-Figur mit Bravour: ob als sexuell unerfahrene Debütantin im horizontalen Gewerbe, unterkühlt-distanzierte Professionelle, liebevolle große Schwester oder als geduldig zuhörende beste Freundin.

Paris gilt als die Stadt der Liebe. Und ein Film wie Jung & Schön kann eigentlich nur in Frankreich gedreht werden. „Ozon betont, dass aus seinem Film keine Moral zu ziehen sei. Er verurteilt den jungen Menschen, den er zeigt, nicht für das, was er da tut. Eine Lehre gibt er dem Zuschauer dennoch mit: Das Schwierigste im Umgang von Erwachsenen mit Jugendlichen ist wohl, zu akzeptieren, dass man den anderen nicht versteht.“ (Wenke Husmann in ZEIT online)

Natürlich hat der Film etwas Irritierendes gerade für einen wie mich, der ja auch Vater ist (gottlob, nur von zwei Söhnen …?!). Sicherlich würde ich mich fragen, was (m)eine Tochter (wenn ich eine hätte) dazu veranlasst hat, sich zu prostituieren. Irgendetwas muss doch falsch gelaufen sein. Ozon gibt keine klare Antwort. Wir sollen es gar nicht verstehen.

Bemerkenswert ist auch wie vier verträumte Songs der französischen Schlagerlegende Françoise Hardy in die Geschichte eingewoben werden, die für einen kurzen Moment die Dialoge ablösen und Isabelles Gedanken musikalisch in Worte fassen, ohne den Erzählrhythmus damit aus dem Tritt zu bringen. Françoise Hardy? Ach, das ist schon eine andere Geschichte …!

Idylle & Kitsch

Die Verbrüderung aller Menschen dieser Welt wird nur durch den Kitsch zu begründen sein.

Niemand weiß das besser als die Politiker. Ist ein Fotoapparat in der Nähe, stürzen sie sich sofort auf das erstbeste Kind, um es auf den Arm zu nehmen und auf die Wangen zu küssen. Der Kitsch ist das ästhetische Ideal aller Politiker, aller Parteien und aller politischen Bewegungen.

In einer Gesellschaft, in der verschiedene politische Richtungen nebeneinander existieren, deren Einfluß sich gegenseitig behindert und begrenzt, kann man der Inquisition durch den Kitsch noch entkommen; der einzelne kann seine Originalität wahren, der Künstler unerwartete Werke schaffen. Wo aber eine einzelne politische Bewegung alle Macht hat, befinden wir uns im Reich des totalitären Kitsches.

Sage ich totalitär, so bedeutet dies, daß alles, was den Kitsch beeinträchtigen könnte, aus dem Leben verbannt wird: jede Äußerung von Individualismus (jede Abweichung ist Spucke ins Gesicht der lächelnden Brüderlichkeit), jeder Skeptizismus (wer an Kleinigkeiten zu zweifeln beginnt, wird damit enden, das Leben an sich anzuzweifeln), jede Ironie (im Reiche des Kitsches ist alles unbedingt ernst zu nehmen), aber auch die Mutter, die ihre Familie verlassen hat oder der Mann, der die Männer den Frauen vorzieht und so die hochheilige Parole „Liebet und mehret euch“, in Frage stellt.

Unter diesem Gesichtspunkt kann man den sogenannten Gulag als Klärgrube betrachten, in die der totalitäre Kitsch seinen Abfall wirft. (S. 240 f.)

Bei der Vorstellung, die Welt des sowjetischen Kitsches könnte Wirklichkeit werden und sie [die Protagonistin des Romans] müßte darin leben, liefen ihr Schauer über den Rücken. Ohne einen Moment zu zögern, gäbe sie dem Leben in einem wirklich kommunistischen Regime den Vorzug, trotz all der Verfolgungen und Schlangen vor den Fleischereien. In einer wirklich kommunistischen Welt kann man leben. In der Welt des Wirklichkeit gewordenen kommunistischen Ideals, in dieser Welt der lächelnden Idioten, mit denen sie nie ein Wort hätte wechseln können, wäre sie binnen einer Woche vor Grauen gestorben (S. 242).

aus: Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, April 1987 – 5992 – 311. – 410. Tausend: Februar 1988 – aus dem Tschechischen von Susanna Roth)

    Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Milan Kundera widmet sich in seinem (auch heute noch) überaus lesenswerten Roman, der ebenso witzig wie geistreich ist, dem sozialistischen Ideal und sieht nichts anderes darin als propagiertes Idyll, ja Kitsch, totalitären Kitsch. Die Geschichte von Tomas und Teresa (bzw. von Sabina und Franz) spielt in Prag, der Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakei, um die Zeit des Prager Frühlings, also vor und nach 1968. Es ist eine Liebesgeschichte, die von der damaligen Wirklichkeit in einem sozialistischen Land geprägt wurde.

Totalitäre Staaten neigen zu totalitären Kitsch. In sozialistischen Staaten offenbarte sich dieser als Sozialistischer Realismus, dem Versuch, der Kunst starke Wirklichkeitsnähe zu verleihen und auf Abstraktion und Ästhetisierung zu verzichten. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Werke dieses Kunststiles derer des Nationalsozialismus sehr ähneln (bei den einen ist es der optimistisch nach vorn blickende Arbeiter, bei den anderen der Soldat, der Siegeswille ausstrahlt). Zu Kitsch verkommt so das ganze Leben, wenn kein Spielraum für Interpretationen bleibt, wenn Stereotype und Klischees jede Form der Originalität ablöst.

In einer Demokratie kann man lt. Kundera ‚der Inquisition durch den Kitsch noch entkommen’. Es gibt Auswege und Ausweichmöglichkeiten. Trotzdem ist auch hier der Kitsch allgegenwärtig, es ist ein alltäglicher Kitsch. Kitsch und Idylle sind die Rückzugsgebiete des Alltagsmenschen. Jeder schafft sich sein eigenes Idyll. Im Grunde ist der Kitsch (fast) jedermanns ästhetisches Ideal.

Und wenn dann noch Politiker die Bühne betreten (und sich am liebsten auch sofort auf das erstbeste Kind stürzen möchten), quillt der Saal über von Kitsch.

Kitsch lässt sich als Gemenge aus Euphemismen, Verharmlosungen, Vorurteilen, Klischees und Illusionen, Verlogenheit, Wirklichkeitsflucht und falscher Geborgenheit interpretieren. Viele Politiker erfüllen die ‚Kriterien’!

Zum Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins später etwas mehr.

53 Millionen Karteikarten digitalisiert und ‚umgezogen’

    53 Millionen Karteikarten = 35 271 Karteikästen = Aneinanderreihung von 12,5 km Länge = 850 Quadratmeter Stellfläche = 31 LKWs = eine handliche Festplatte mit 5 Terabyte

Vor knapp zwei Jahren hatte ich hier die beiden Standorte des DRK Suchdienstes in München und Hamburg kurz vorgestellt – Schwerpunkt München (ein TV-Team hatten den dortigen Suchdienst besucht) mit der so genannten ‚Zentralen Namenskartei’ (ZNK), bestehend aus rund 53 Millionen Karteikarten mit Informationen zu vermissten Soldaten und Zivilpersonen aus dem Zweiten Weltkrieg. Schon 1945 nahm der DRK Suchdienst seine Arbeit auf und widmete sich verzweifelter Familien, die auf der Suche waren nach Söhnen und Ehemännern, Verlobten und Brüdern. 53 Millionen Karteikarten erzählen das Schicksal von rund 30 Millionen Menschen, von zerrissenen Familien und jahrelanger Ungewissheit – oder vom Schicksal der Kinder, die in den Kriegswirren ihre Eltern verloren und nie wussten, woher sie wirklich kamen.

‚Zentrale Namenskartei’ (ZNK) des DRK Suchdienst

Auch heute noch gehen täglich Suchanfragen ein. Es sind jetzt die Enkel, die nach im 2. Weltkrieg vermissten Verwandten suchen.

In den vergangenen 10 Jahren haben fleißige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hamburg und München Karte für Karte dieser Zentralen Namenskartei digitalisiert. Wortwörtlich von A bis Z. 20 Millionen Suchanträge geben Auskunft über Namen, Geburtsort, militärischen Dienstort und vieles mehr. Hinzu kommen dann Karteikarten mit Angaben über Inhaftierung, Entlassung und Verbleib. Insgesamt 53 Millionen Karten haben sich in München seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs angesammelt. Das entspricht 31 voll geladenen LKW. Kurz vor Weihnachten 2013 ging nun die letzte Karte durch den Scanner. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten die Karten per Hand auf speziell dafür konstruierte Scanner gelegt. Oft mussten sie dafür die Unterlagen erst aus Klarsichtfolien holen oder Klammern entfernen. Bis zu 10 Scannerplätze waren parallel im Einsatz.

Scannen der ‚Zentralen Namenskartei’ (ZNK) des DRK Suchdienst

Nach über zehn Jahren Arbeit sind alle Karten digitalisiert und passen jetzt alle auf eine Festplatte mit 5 Terabyte. Abgesehen davon, dass die Karteikarten viel weniger Platz brauchen, ist die ZNK nun leichter und schneller zu bedienen. Gleichzeitig wird der Inhalt der Papierkarten aus der direkten Nachkriegszeit vor dem Verfall geschützt. Die digitale Ablage ist an die originale Karteikartenstruktur angepasst, und so können Fallbearbeiter wie gewohnt, aber jetzt schneller auf die Dokumente zurückgreifen.

Inzwischen sind die Originalkarten – die wichtige historische Dokumente sind – an den Suchdienst-Standort Hamburg umgezogen. Dort werden sie sicher verwahrt, aber weiterhin – z.B. für Forschungszwecke – zugänglich sein. Dabei wurden alle Karteikarten in 35 271 Kästen in Umzugskartons verpackt (was aneinandergereiht eine Strecke von 12,5 Kilometer ergibt) und über zwei Zwischenlager nach Hamburg verfrachtet, da Im Berliner Bundesarchiv kein Platz vorhanden war.

Quelle: drk.de, mittelbayerische.de und stuttgarter-nachrichten.de

Postkarten (4): Pellworm

Am Himmelfahrtstag unternahm ich wie berichtet mit meiner Frau (und ihrer Mutter) eine Tagesfahrt zur nordfriesischen Insel Pellworm. Nach Pellworm kommt man nur mit der Fähre von Strucklahnungshörn auf Nordstrand, die übrigens von der Neuen Pellwormer Dampfschif(f)fahrtsgesellschaft (NPDG) betrieben wird (erinnert mich an das ‚berühmte’ Donaudampfschifffahrtskapitänsmützenband).

Postkarte: Pellworm

An Bord der Fähre bietet man einen ganz besonderen philatelistischen Service mit dem Schiffspostbriefkasten und dem Schiffstempel. Schnell noch einen Gruß für die Lieben daheim von der Fähre versenden. Postkarten gibt es in der Pantry der Fähre MS „PELLWORM I“. – Der Briefkasten wird zweimal wöchentlich geleert – jede Postsendung, die im gelben Briefkasten steckt, wird mit dem exklusiven Schiffspoststempel der Fähre MS „PELLWORM I“ gestempelt. – Klar, dass auch wir schnell eine Karte an den daheim gebliebenen Sohn schrieben und diese in den Schiffspostbriefkasten einwarfen.

Postkarte: Stempel – Deutsche Schiffspost ‚MS Pellworm’