Kategorie-Archiv: Jethro Tull

Ian Anderson und seine Jungs

Musik und Qualität

Im Beitrag Kumpelschaften (Noddy & Ian) fragte Lockwood zuletzt: „Wann ist Musik “gut” ?“ und deutete an, ein Problem zu haben, wenn „Michael Jackson und Diedä Bohlen bedeutende zeitgenössische Musiker“ wären. Ob wir Lockwood von seinem Problem erlösen können? Hier geht es weiter …

Kretakatze schrieb am 16.06.2008:

Hallo meine Lieben,

Lockwood hat das Thema „erfolgreiche Musiker“ und „Chartplatzierungen“ angesprochen, und darauf möchte ich doch noch etwas differenzierter eingehen (ziemlich differenziert sogar).

Zunächst einmal stammt von ihm der Satz „Die Hitliste, auf deren 2. Stelle Slade zu finden ist, basiert wohl auf Chartplatzierungen, also auf Verkaufszahlen“. Charts basieren durchaus nicht immer und ausschließlich auf Verkaufszahlen, sondern wie wir in diesem Wikipedia-Artikel nachlesen können, evt. auch auf Publikumswahlen oder auf Sendehäufigkeiten im Radio. In Zeiten sinkender Plattenverkäufe und zunehmender illegaler Downloads aus dem Internet sind Verkaufszahlen allein auch kein ausreichendes Kriterium für die Beliebtheit einer Musik mehr. Der Billboard Hot 100, der aktuell wichtigste amerikanische Musik-Chart, basiert daher bereits seit Jahren auf einer Kombination aus Endverbraucher-Verkäufen und „Airplay“, also Sendehäufigkeit und -Reichweite (d.h. erreichte Hörer) im Radio. Hier wurde also bereits versucht, den „Erfolg“ einer Musik in beiden Kategorien durch einen gemeinsamen Index gegeneinander aufzurechnen und vergleichbar zu machen.

Dazu als Beispiel einmal wieder Clay Aiken – sorry, Jungs, aber er eignet sich so gut. Wie wir bereits wissen besteht die Fangemeinde von Mr. Aiken hauptsächlich aus anständigen, wohlsituierten Damen über 40. Dieses Publikum ist noch von alters her gewohnt, dass man Musik im Laden kauft und dafür bezahlt. Außerdem wollen sie ihr Idol unterstützen und auf den Verkaufscharts vorne sehen, und sie haben die finanziellen Mittel dazu. Veröffentlicht Mr. Aiken also ein neues Album, wie erst letzten Monat geschehen, dann stürmen die Claymates bereits am Tage der Veröffentlichung die Läden und kaufen nicht nur ein Exemplar, sondern gleich 3 oder 5 oder 10. Antwort einer Dame mittleren Alters, die interviewt wurde als sie mit einem ganzen Packen „Clay Aiken – On My Way Here“ in der Hand den Laden verließ, auf die Frage was sie mit all den CDs machen wolle: „Eine ist für daheim, eine fürs Auto, eine fürs Büro, und den Rest verschenke ich“.

So kommt es, dass Clay Aiken’s CD in der Woche ihres Erscheinens auf Platz 2 der Verkaufscharts lag (Dummerweise brachte er sein neues Album am gleichen Tag heraus wie Josh Groban und Neil Diamond – an Josh Groban kam er vorbei, an Mr. Diamond nicht. Das zeigt auch von welchen „Zufälligkeiten“ Chart-Platzierungen abhängen können. Hätte Mr. Diamond sein Album eine Woche später veröffentlicht…). Gleichzeitig führte der Titelsong seines Albums die Download-Charts an – ich möchte wetten, dass jede Menge Ladies, die das Album schon fünfmal erstanden hatten, sich zusätzlich auch den Song noch fünfmal heruntergeladen haben – Mr. Aiken lässt man sich gerne etwas kosten.Irgendeine Band, deren Fans hauptsächlich aus Teenies bestehen, hat dagegen keine Chance. Da kauft sich vielleicht Einer in der Clique die CD und die anderen 10 kopieren sie oder laden sie sich aus dem Web runter – natürlich ohne zu zahlen. Ein Auto und ein Büro hat da auch Keiner und Geld für 10 CDs auch nicht.

Schaut man sich dagegen die Radio-Charts an, dann sieht das ganz anders aus. In den Airplay-Charts der Top 40 amerikanischen Radiostationen taucht der Name Clay Aiken nicht auf. Hier bestimmen die Disc-Jockeys, was auf den Teller kommt, und die wählen das aus, was ihrer Meinung nach ihr Publikum hören will. Dieses Publikum ist vermutlich überwiegend jugendlich, und die DJs scheinen überwiegend der Meinung zu sein, dass man denen Clay Aiken nicht zumuten kann (worin ihnen Wilfried sicher lebhaft zustimmen wird). Hier haben jetzt die Favoriten der Teenies eine echte Chance – was allerdings die Qualität der Musik auch nicht unbedingt erhöht, wie wir gleich erleben werden.

Dazu noch einmal ein Beispiel, mit dem ich mich bei Wilfried wieder unbeliebt machen werde. Im letzten Sommer hatte sich Clay Aiken für seine Bühnenshow ein Medley aus 12 Titeln zusammengestellt, die alle zu dieser Zeit vordere Plätze in den Airplay-Charts der Top-40-Radiostations belegten – er wollte auch einmal etwas cooles singen, was im Radio gespielt wird. Ich habe dieses Medley erst vor ein paar Tagen Wilfried in einem Kommentar untergejubelt, aber für die, die es noch nicht kennen, hier das Gleiche noch einmal in einer anderen Version: The Classics Medley (wer nicht will, muss es ja nicht anklicken – also ich finde es herrlich albern).

Was mir daran auffiel: Abgesehen von jeder Menge Sex und Schwachsinn tauchen hier Titel auf wie Beat It (Michael Jackson), Like a Virgin (Madonna), Oops, I Did it Again (Britney Spears), 1999 (Prince) oder Bills, Bills, Bills (Destiny’s Child), die teilweise wahrscheinlich schon fast 10 Jahre alt sind. Aus den Verkaufs-Charts sind sie längst verschwunden, aber im Radio belegen sie immer noch erste Plätze. Wie vergleicht man den Erfolg von einem Titel, der eine Woche lang die Download-Charts angeführt hat (und an den sich in zwei Jahren vermutlich kaum noch ein Mensch erinnert) mit einem Song, der vielleicht nie einen ersten Platz belegt hat, der aber nach 10 Jahren immer noch regelmäßig im Radio gespielt wird?

Kommen wir vom Vergleich des Erfolgs von Musiktiteln zum Vergleich des Erfolgs von Musikern, und dafür werde ich 3 Absolventen von American Idol anführen. Nach offizieller Auffassung – nachzulesen in Wikipedia – sind die bislang erfolgreichsten Teilnehmer an American Idol Carrie Underwood (Gewinnerin AI4), Kelly Clarkson (Gewinnerin AI1) und Clay Aiken (Zweiter AI2) – in dieser Reihenfolge. Sie basiert allein auf der Anzahl verkaufter Tonträger. Bei einer Abstimmung im Jahr 2006, in der es darum ging das „beliebteste Idol“ zu küren, gewann Mr. Aiken. Geht es um die offizielle Anerkennung des „Musikschaffens“, dann konnten sich beide Damen bereits Grammies in die Vitrine stellen, bei Mr. Aiken war es bislang „nur“ ein Music Award Fanpreis aus dem Jahr 2003 und eine Music Award Nominierung. Beim „Airplay“ liegen die Ladies deutlich vorne, was die Präsenz im Fernsehen betrifft ist Mr. Aiken klarer Gewinner. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass er bereits in mehreren Fernsehserien Gastauftritte hatte, in Fernsehshows als Co-Host agierte oder in seiner Funktion als UNICEF-Botschafter gefilmt bzw. interviewt wurde – hat also nicht direkt etwas mit Musik zu tun. Ein ganz wichtiger Aspekt sind aber meiner Meinung nach die Konzerte. In Zeiten sinkender Verkaufszahlen von Tonträgern werden für Musiker die Konzerte als Einnahmequelle immer wichtiger. Bislang gibt es noch keinen Chart, der Konzerte irgendwie berücksichtigen würde, z.B. in Form von Anzahl verkaufter Tickets. Da Mr. Aiken in diesem Bereich sehr aktiv ist und meist zwei Tourneen im Jahr absolviert, würde ich vermuten, dass er in diesem Punkt die Nase vorn hat.

So, wer ist jetzt von den Dreien der oder die Erfolgreichste? Ich denke, das kann man so nicht sagen, das einzige halbwegs objektive Kriterium könnten hier noch die jährlichen Einnahmen sein. Und über die wird man wohl kaum zuverlässige Informationen bekommen. Ansonsten sollte man besser nicht global von „Erfolg“ sprechen, sondern konkret das Kriterium nennen, das man gerade vergleichen möchte.

Der langen Rede kurzer Sinn: Zurück zu Slade und ihrem Titel als „2. erfolgreichste Band“. Diese Aussage kann sich eigentlich nur auf ein ganz bestimmtes Kriterium beziehen (vermutlich eben Plattenverkäufe) in einem ganz bestimmten Jahr, und das vermutlich auch noch in einem ganz bestimmten Land. In der Liste der erfolgreichsten Musiker aller Zeiten (die natürlich sehr mit Vorsicht zu genießen ist) tauchen Slade nämlich garnicht erst auf. Allerdings tauchen z.B. Creedence Clearwater Revival auch nicht (mehr) auf, ich bin mir sicher sie in dieser Liste schon einmal gesehen zu haben. Vermutlich sind sie gelöscht worden, weil die Quelle als zu zweifelhaft galt. Ich habe eine Zahl von 125 Mio. Tonträgern in Erinnerung. Stattdessen sind jetzt auch Jethro Tull hier zu finden, die ich das letzte Mal noch vermisst hatte.

Aber Lockwood war in seiner letzten Mail schnell weitergeeilt, von der Frage des Erfolgs zur Frage der Qualität. Und das ist nun ein noch viel schwammigeres Gebiet. Qualität und Erfolg sind wohl schon irgendwie positiv miteinander korreliert, aber nach meinem Gefühl nicht besonders stark. Und was „gute Musik“ ist beruht auf rein subjektivem Empfinden, dafür kann es keine objektiv messbare Maßeinheit geben. Seinerzeit hatte ich auch in meinem Beitrag mit dem Titel Musik und Intelligenz schon einige Worte zu diesem Thema verloren. „Musik und Intelligenz“ oder „Musik und Qualität“- das läuft mehr oder minder auf’s Gleiche hinaus. Allein wir Drei bis Vier, die wir ja tendentiell musikalisch ähnlich veranlagt sind, können uns in diesem Punkt schon nicht einig werden – unsere teilweise weit auseinanderliegende Auswahl der „besten Songs aller Zeiten“ spricht da Bände. Und über Geschmack sollte man sich nicht streiten, das führt zu nichts.

So genug für heute, und ab morgen wird wieder philosophiert…

Seid herzlichst gegrüßt
Kretakatze

PS.: Entfällt heute wegen akuter Erschöpfungszustände

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WilliZ schrieb am 16.06.2008:

Ja, meine Lieben,

Sympathie und Erfolg … Wann ist Musik „gut“?! Ihr habt Probleme. Wenn ich eine bestimmte Musik gut finde, dann werde ich in der Regel auch den Interpreten gut und damit mehr oder weniger sympathisch finden. Ungeachtet all dessen, was wir inzwischen Negatives von Herrn Anderson wissen, wird er uns (auf jeden Fall mir) sympathisch bleiben. Das hat eben viel mit seiner Musik zu tun. Wenn wir seine Musik nicht mögen sollten, dann gäbe es kein Interesse an seiner Person – und die Frage nach Sympathie oder Aversion würde sich erst gar nicht stellen. Das gilt in meinem Fall bei Wolfgang Petry. Auch ich kenne ihn eigentlich nur dem Namen nach. Vielleicht habe ich schon das eine oder andere Lied von ihm gehört. Aber ich wüsste jetzt nicht, welches. Und so finde ich ihn weder sympathisch noch unsympathisch. Ich kenne ihn einfach nicht. Wahrscheinlich möchte ich ihn auch gar nicht kennen lernen, weil er musikalisch aus einer Ecke kommt, in der ich mich nicht aufhalte.

Bei Noddy Holder mag das etwas anders sein. An die Musik von Slade erinnere ich mich noch, sie entsprach zwar nicht meinen Geschmack, aber ich bin auf jeden Fall nicht zusammengebrochen, als auf früheren Parties das eine oder andere Lied von denen gespielt wurde.

Und Erfolg? Dazu hat sich Kretakatze ausführlich ausgelassen und ich kann ihr nur zustimmen. Erfolg ist nur messbar, wenn die benutzten Variablen die gleichen sind. Erfolg ist zudem eine quantitative Größe, die nur wenig mit Qualität zu tun hat. Mögen die Beatles auch mit „guter“ Musik Erfolge erzielt haben. Viele andere „erfolgreiche“ Musiker boten diese Qualität nicht. Erfolg hat heute auch viel mit Marketing zu tun. Daher auch der Erfolg von TV-Sendungen wie DSDS, American Idol und wie immer diese heißen. Aber das Thema hatten wir ja bereits.

Was ist nun „gute Musik“? Hierfür gibt es mindestens zwei Sichtweisen. Für viele ist Musik dann gut, wenn sie gefällt. Da spielt der individuelle Geschmack die Hauptrolle. Nicht jeder mag Currywurst mit Pommes. Aber es gibt durchaus einige, die sowohl Kaviar mögen als auch Currywurst (und einzelne, die Currywurst mit Kaviar mögen). Damit kommen wir zur 2. Sichtweise: Was macht die Qualität von Musik aus? Wolfgang Petry ist wie Currywurst von der Pommesbude nebenan: zu fett und ungesund. Noddy Holden und seine Slade sind vielleicht Fish and Chips, aber in einem Mittelklasserestaurant serviert. Die Zutaten sind frisch, der Fisch in Butter gedünstet statt in ranzigem Frittenfett. Und auch die Fritten kommen nicht aus dem Tiefkühlfach.

Nun Kaviar ist auch nicht unbedingt gesund. Nehmen wir eine Mahlzeit, die ausgewogen, also gesund ist. Es kommt zunächst auf die Zutaten an. Schon allein die Tatsache, das Ganze mit frischem Pfeffer (aus der Pfeffermühle) zu würzen, kann graduelle Unterschiede bewirken. Manchmal tut es ein einfacher Salat, aber eben raffiniert gewürzt. Das ist wie ein schlichtes Lied, das trotzdem qualitativ als gut bewertet werden kann. Und je aufwändiger ein Mahl zubereitet wird, um so mehr Geschick (Kompositionsgabe) muss der Koch besitzen. Dazu gehört Talent, meist aber auch eine gründliche Ausbildung.

Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks. Aber zunächst sollte man auch Geschmack haben, um ein Qualitätsurteil bilden zu können. Wer Tag für Tag Fastfood in sich hineinstopft, schmeckt im Grunde nichts mehr. Hauptsache es macht satt. Wer bewusst isst (hört), wird auch eher ein richtiges Urteil fällen können.

Gehabt Euch wohl
Euer Wilfried

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Lockwood schrieb am 17.06.2008:

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Wilfried zieht das Fazit „Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks.“

Dieses Ergebnis beruhigt mich; daraus folgt, dass eine gut verkaufte Platte nicht unbedingt eine qualitativ hochwertige Platte sein muss. Damit bin ich einverstanden.

Aber Euren Ausführungen entnehme ich, dass es kein objektives Kriterium für musikalische Qualität gibt. Einfach zu wertende Ingredienzien wie altes Fett oder frische Butter – um in Wilfrieds Bild zu bleiben – gibt es in der Musik nicht.

Die Beurteilung eines Liedes wird immer von den eigenen Vorlieben gefärbt. Das wiederum bedeutet, dass man nicht mit Fug und Recht behaupten kann, G.G. Anderson mache schlechte und Ian Anderson mache gute Musik.

Habe ich damit Eure Ausführungen korrekt zusammengefasst ?

Mein Ergebnis gefällt mir überhaupt nicht. Ich bitte um Widerspruch.

So long
Lockwood

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Kretakatze schrieb am 18.06.2008:

Hallo meine Lieben,

da habe ich ja nicht schlecht gestaunt – Wilfried entpuppt sich als Meisterkoch und Experte für kulinarische Genüsse. „Butter bei die Fische“ und frischen Pfeffer an den Salat, hier gibt’s jetzt kostenlose Tipps für den Hobby-Koch! Und dass es nicht nur schmeckt sondern auch gesund ist, ist das Merkmal für Qualität. Habe ich das so richtig verstanden?

Also meiner Meinung nach ist Essen dazu da, Bedürfnisse zu befriedigen, genauso wie im Übrigen auch Musik. Da sind zunächst die Grundbedürfnisse: Es sollte nahrhaft sein und sättigen. Dann die Sekundärbedürfnisse: Es sollte schmecken. Und zuletzt der Luxus: Es ist schön, wenn es auch noch gesund ist. Wobei der „Gesundheitsaspekt“ schwer zu messen ist (außer es handelt sich um Diät). Butter und Pfeffer sind vielleicht nicht unbedingt dazu angetan, den Gesundheitseffekt zu erhöhen. Fisch und Salat schon eher, aber auch nur, solange sie nicht zu einseitig genossen werden.

Schluss jetzt bevor ich beginne Euch die Strukturformeln essentieller Aminosäuren aufzuzeichnen (wer schon einmal einen Blick auf meine Homepage geworfen hat weiß, dass ich ein verhinderter Ernährungswissenschaftler bin). Die Frage ist: Was hat das alles mit Musik zu tun, bzw. wo sind die Parallelen. Ich muss zugeben, lieber Wilfried, dass mir das aus Deinen Ausführungen nicht klar geworden ist. Deine Schlussfolgerung „Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks“ kann ich so nicht nachvollziehen. Woran genau erkennst Du nun Qualität in einer Musik? Was ist denn nun „Geschmack“, vor allem derjenige, „den man haben sollte“? Hat nicht in unseren Augen immer derjenige „Geschmack“, der die gleichen Vorlieben hat wie man selbst? Gibt es überhaupt etwas Subjektiveres als „Geschmack“?

Schon vor Jahren (ich glaube es waren sogar Jahrzehnte) hatte ich mir einmal Gedanken gemacht zu der Frage: Was ist eigentlich Qualität? Ich kam damals zu folgender Definition: Qualität ist ein Maßstab für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Oft wird der neutrale Ausdruck „Qualität“ gleichgesetzt mit dem Ausdruck „hohe Qualität“, d.h. ein hoher Grad der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.

Ich würde heute, aus einer anderen Perspektive betrachtet, noch eins obendrauf setzen: „Gute Musik“ ist Musik, die dem Sinn des Lebens dient, oder simpler ausgedrückt, die die Welt besser macht.

Weltverbesserische Grüße
Kretakatze

PS: Simples Lied, das die Welt verbessert (keine Angst, das könnt Ihr ruhig anklicken, es kommt ausnahmsweise kein Clay Aiken darin vor)

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WilliZ schrieb am 18.06.2008:

Seid gegrüßt,

also den Hobbykoch mache ich hier nicht. „Was hat das alles mit Musik zu tun, bzw. wo sind die Parallelen“, fragt Kretakatze an. Nun es geht bei der Frage nach „guter Musik“ auch um Geschmack. Ursprünglich bezieht sich das Wort auf etwas, was eng mit der Nahrungsaufnahme zu tun hat. Vielleicht von daher die Parallele. Aber lassen wir die Currywurst in der Pfanne.

Natürlich ist Geschmack etwas sehr Subjektives. Das habe ich nie bestritten. Daneben gibt es aber begrifflich etwas, nämlich den „guten Geschmack“, den ich bei „Geschmack haben“ zugeordnet sehen wollte. Es geht also darum, einen „guten Geschmack zu haben“ (so wie wir eigentlich von guter Qualität sprechen müssen, wenn wir Qualität meinen). Natürlich haftet auch diesem Begriff etwas Subjektives an. So wie ich es sehe, hat „guter Geschmack“ etwas mit der bewussten Auseinandersetzung mit etwas zu tun, z.B. Musik hören. Ich setze mich damit auseinander, ich werde davon berührt. „Guter Geschmack“ wird entwickelt, indem über einen langen Zeitraum geschmeckt wird. Erst nach und nach werden mir viele Details bewusst, die ich als Kriterium für weiteres Schmecken benutzen kann. Und nur mit der Zeit kann ich (muss aber nicht) ein gewisses Gespür für Qualität entwickeln.

„Qualität ist ein Maßstab für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse“. Das deckt sich durchaus mit dem von mir eben Gesagtem. Sind meine Bedürfnisse nicht besonders hoch, dann gebe ich mich auch mit Einheitskost zufrieden. Je mehr ich aber meinen Geschmack kultiviere (bewusst schmecke), desto anspruchsvoller werde ich und damit mein Geschmack.

„Gute Musik“ ist Musik, die dem Sinn des Lebens dient, oder simpler ausgedrückt, die die Welt besser macht, schreibt Kretakatze. Dem stimme ich gern zu. Aber gut = Güte = Qualität definiert diese Aussage nur zum Teil (die Frage nach dem Sinn des Lebens lasse ich hier außer Acht, das Thema diskutieren wir ja an anderer Stelle).

Ich will mich hier nicht mit Musiktheorie beschäftigen (Harmonielehre usw.). Aber es gibt Lehrsätze, die sich über viele Jahrhunderte gebildet haben und die zu Kriterien auch über die Bestimmung, was gute Musik ist, entscheiden können. Auch dies ist nur ein Punkt, der uns hilft, gute von schlechter Musik zu trennen. Die Herkunft spielt natürlich auch eine Rolle. Arabische Musik werden wir als disharmonisches Gejaule empfinden (und umgekehrt).

Wenn wir versuchen, „gute Musik“ zu definieren, dann meinen wir sicherlich auch die Texte (z.B. eines Liedes). Ohne jetzt auch noch „gute Literatur“ definieren zu wollen, aber bestimmte Schlagertexte wird jedes Kind (natürlich nicht wirklich jedes) als bescheiden einstufen können. „Ich bin verliebt in die Liebe“, „Tränen sind nicht nur zum Weinen“ (um Herrn G.G. Anderson zu zitieren), „Der Colt steckt immer im Pyjama“. Das könnte ich endlich fortsetzen. Aber lasse ich das. Auch der andere Herrn Anderson hat sicherlich manch krauses Zeug getextet. Ich selbst schließe mich da gar nicht aus.

Um es kurz zu machen (ich erhebe in meinen Erläuterungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es gibt auch noch etwas anderes, als hier seitenlang über die Güte von Musik zu diskutieren, z.B. gute Musik zu hören): Was ‚gut’ ist, hängt von vielen Faktoren ab. Daher bleibe ich bei meiner Aussage: Qualität ist nicht allein ein Kriterium des Geschmacks!

Zuletzt: Da wir alle gern unser bescheidenes Wissen bei Wikipedia erweitern, hier die Definition für Qualität gemäß DIN EN ISO 9000:2005, der gültigen Norm zum Qualitätsmanagement: Danach ist Qualität der „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“. Es geht also um Anforderungen, die bei jedem Menschen unterschiedlich sein können. Aber da wäre ich wieder bei dem, was ich oben schon geschrieben habe.

Ich wünsch Euch ’was
Euer Willi

P.S. Vielleicht lässt sich Lockwoods Frage am besten beantworten, wenn man sich selbst fragt, warum man das eine oder andere Lied für gut befindet (natürlich ist die Antwort eine rein subjektive).

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Lockwood schrieb am 19.06.2008:

Meine Lieben,

wenn ich Wilfrieds Ausführungen über die Bewertung musikalischer Qulität zusammenfasse, besteht diese Bewertung in der Hauptsache aus zwei Faktoren:

1. persönlicher Geschmack
2. objektive Kriterien aus der Musiktheorie (Harmonielehre etc.)

Das bedeutet: Wenn Musikwissenschaftler mit akademischen Methoden ein Lied analysieren und für schlecht befinden, so kann es mir immer noch gefallen. Es kann Freude in meinem Kopf auslösen und damit hat dieses Lied seine Daseinsberechtigung.

Ich gestehe an dieser Stelle, dass mir der subjektive Eindruck eines Liedes wichtiger ist als das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen.

Es wäre interessant zu erfahren, wieviel gute Musik es auf diesem Globus gibt, die ich einfach noch nicht gehört habe, weil sie in den Medien nicht so repräsentiert wird wie z.B. aktuelle Popmusik.

Vielleicht wäre ich ein Fan von Brahms oder Mahler, wenn ich mich mit ihrer Musik auseinander setzen würde.

In mir klingt ein Lied
Lockwood

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Alex schrieb am 19.06.2008:

Hallo Leute,

Ich stimme mit Wilfried überein. Ein Lied muss schon Kunst in sich haben (Harmonie, Struktur, eine nette Melodie…), aber es kann erst dann gut sein, wenn es etwas im Inneren bewegt. Da spielt die Leidenschaft des Künstlers eine wichtige Rolle. Nicht nur die Virtuosität mit der das Stück interpretiert wird.

„Yesterday“, zum Beispiel, ist ein schönes Lied, aber es gibt eben Musiker, die sich (und hauptsätzlich uns, dem Publikum) die Cover-Version sparen könnten.

Ein interessantes Beispiel sehe ich in diesem Sinne bei dem Lied „All your love“ (W. Dixon & O. Rush), das schon beide, Eric Clapton (damals noch mit John Mayall) und Gary Moore oft gespielt haben. Beide sind zwar technisch außerordentlich gut, allerdings fehlt es bei der Fassung von Herrn Moore – meiner Meinung nach – an Seele.

Noch ein wichtiger Faktor ist nach meiner Meinung, wie oft ein Lied gespielt wird. Manchmal braucht es an Zeit, bis man ein Lied mag. Ab und zu findet man dies oder jenes Lied nichts Besonderes, aber wenn man es noch ein Paar mal hört, gefällt es einem allmählich (z.B. klassische Werke). Oder auch umgekehrt, wenn man satt ist andauernd dasselbe Lied im Radio zu hören (z.B. einfache Pop-Lieder).

Liebe Grüsse an Wilfried, Kretakatze und Lockwood!
-Alex-

Kretakatzes Top 12 (Musiker/Bands) & Mark Knopfer live

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,
und jetzt wohl auch Hallo Alex,

Wilfried hatte uns schon vor längerer Zeit Hausaufgaben aufgegeben – jeder sollte seine 10 Lieblingstitel vorstellen – und ich bin nun wohl die Einzige, die sie noch nicht abgeliefert hat. Wie ich allerdings schon angedeutet hatte – bei 10 Titeln wird es kaum bleiben. Sehen wir mal wieviele am Ende herauskommen werden.

Da fange ich am besten mit Cat Stevens an. Seine Musik hat meine Jugend geprägt und mit seiner „Philosophie“ hat er mein Denken bis zum heutigen Tag vielleicht mehr beeinflusst als irgendein Anderer. Einen Lieblingstitel zu bestimmen ist unmöglich. In den 70ern hätte ich wohl Moonshadow an die erste Stelle gestellt, heute würde ich vielleicht eher zu The Wind tendieren. Aber z.B. auch Changes IV und Sitting sind Songs, denen ein erster Platz gebühren würde. Und es gibt da noch so viele andere…

Auch bei Al Stewart ist es für mich unmöglich einen Lieblingssong zu bestimmen, bestenfalls würde ich eine Top-10-Liste zusammenbekommen. Deshalb hier nur als Beispiel der Titel Life In Dark Water von seinem 1977er Album „Time Passages“, der wohl auf diese Liste kommen würde. Was mir allerdings heute im Vergleich zu den 70ern immer deutlicher wird – auch dieser Song müsste ganz anders gesungen werden, hier könnten eine andere Stimme und ein rockiger Gesangsstil noch Wunder wirken.

Von Uriah Heep habe ich 3 „favorites“, und ich werde mir erlauben sie alle zu verlinken: July Morning, The Wizard und Stealing. Und da gibt es noch zahlreiche andere Top-Titel, in jüngster Zeit ist Sunrise in die Führungsgruppe aufgestiegen (wenn ich auch den Sänger optisch furchtbar finde – da fühle ich mich an einen Ausspruch erinnert, den Simon Cowell wohl erstmals bei Clay Aiken zur Anwendung brachte: „I prefer you with my eyes shut!“).

Warum sind eigentlich Deep Purple fast in Vergessenheit geraten. Anfang der 70er waren sie die Größten. Nachdem CCR den Bach runter gegangen waren, wurden sie von den Bravo-Lesern zur beliebstesten Band gekürt, das muss wohl 1972 gewesen sein. Hier fällt mir die Wahl des Lieblingstitels nicht schwer: Child In Time.

Dann komme natürlich auch ich nicht an Led Zeppelin vorbei: Stairway To Heaven ist für mich unverzichtbar.

Und auch Janis Joplin ist für mich noch nicht vergessen – Piece Of My Heart hat auch in meinem Herzen seinen Platz.

Creedence Clearwater Revival dürfen nicht fehlen. Obwohl der Titel nicht original von CCR stammt sondern ein Cover ist, würde ich doch I Heard It Through The Grapevine an die erste Stelle setzen. In diesem Zusammenhang darf ich sicher auch einmal wieder John Fogerty erwähnen (den ich übrigens erst am 6.Juni in Stuttgart gesehen und gehört habe – dazu vielleicht noch ein andermal mehr). Seit ein paar Monaten habe ich von ihm einen neuen Lieblingssong (der eigentlich schon aus dem Jahre 1976 stammt – ist damals völlig an mir vorbeigegangen…): You’ve Got The Magic (leider miserable Sound-Qualität).

Auch Elton John gehört zu den Musikern, von denen ich ein paar Platten besitze. Da gibt es eine ganze Reihe Titel, die ich hier nennen könnte – ich entscheide mich jetzt einfach einmal für Rocket Man.

Zwei Klassiker aus dem Jahre 1967 höre ich immer wieder gerne: Procol Harum – A Whiter Shade Of Pale (Version, an der auch ein uns bekannter Flötist beteiligt ist) und The Moody Blues – Nights In White Satin (auch hier betätigt sich ein Flötist – da war unser Meister wohl doch nicht der „Allererste“…).

Nun wird es Zeit, dass ich zu den Dire Straits komme. Hier fällt mir die Wahl des Lieblingstitels wieder wirklich schwer. Nach Abwägen aller für und wider habe ich mich für Brothers In Arms entschieden.

Last but not Least – Jethro Tull. Unmöglich, hier einen einzelnen Song herauszugreifen. Da es die Songs From The Wood waren, die mich zu Jethro Tull gebracht haben, darf dieser Titel in der Liste nicht fehlen. Aber auch Locomotive Breath reisst mich noch heute aus dem Sessel (Danke, lieber Wilfried, für dieses süße Video, das inzwischen ein Plätzchen in meinen Favorites gefunden hat). Auch die weiße Ente (One White Duck) hat einen Dauerplatz in meinem Herzen. Genauso wie Velvet Green, The Whistler, Weathercock, Moths, Black Satin Dancer, Slipstream … Ich könnte noch eine Weile so weitermachen. Aber ich denke das reicht.

Jetzt sind es doch nicht so sehr viel mehr als 10 Songs oder zumindest nicht viel mehr als 10 Musiker geworden – 12 um es genau zu nehmen. Ich denke das ist genug Stoff. Ich habe mich durch Eure Hitlisten auch noch nicht vollständig durchgearbeitet, von Lockwood’s Liste fehlen mir noch ein paar Songs. Dann werde ich auch noch einen Kommentar dazu abliefern. Aber lassen wir es erst einmal gut sein für heute.

Hochmusikalische Grüße von Eurer
Kretakatze

PS.: Heute fällt mein Nachtrag etwas umfangreicher aus, denn ich möchte Euch doch einen kurzen Stimmungsbericht vom Mark Knopfler Konzert am 07.05.2008 in Stuttgart nicht vorenthalten:

Der Abend war für mich leider eher eine Enttäuschung. Ich hatte Mark Knopfler das erste und letzte Mal 1979 in irgendeiner alten Fabrikhalle in Sindelfingen gesehen, damals natürlich noch als Dire Straits – Stehplätze, proppenvoll und Mordstimmung. Das war diesmal alles ein bißchen anders.

Das lag weniger an Mark Knopfler, als an dem „Drumherum“. Da ist erst einmal die unübersichtliche, schlecht ausgeschilderte Halle. Ich irrte treppauf-treppab durch zahlreiche Gänge, bis ich endlich meinen Block und Platz gefunden hatte, und da schien ich nicht die Einzige zu sein. Dazu erklang eine grauenhafte, jazzig-primitivrockige Vormusik. Trotzdem wirkte es verfrüht als 10 nach 8 Uhr Mr. Knopfler auf der Bühne erschien, denn noch immer suchte zahlreiches desorientiertes Publikum verzweifelt nach den richtigen Sitzen. Und so musste auch ich zu den Klängen von Why Aye Man – das war bereits der zweite Song – mit irgendwelchen Leuten darüber diskutieren, wer auf diesem Platz sitzen darf. So etwas nervt!

Ich saß schräg neben der Bühne in ca. 10 m Abstand vom Bühnenrand – das ist für eine Halle mit 100 m Länge nicht viel. Trotzdem hatte ich das Gefühl zu weit vom Geschehen entfernt zu sein, und der Blick auf das unruhige Publikum, in dem ständig irgendwelche Leute hin- und herliefen, sorgte für weitere Ablenkung. Auf eine Videoleinwand, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mehr Nähe zu den Akteuren auf der Bühne hätte vermitteln können, war leider verzichtet worden.

Obwohl ich praktisch schräg unter riesigen Lautsprecherboxen saß, hatte ich von Anfang an das Gefühl der Sound ist zu leise, und ich gehöre wirklich nicht zu denen, die sich beim Musikgenuss gerne eine Gehirnerschütterung holen. Mark Knopfler spielte zahlreiche ruhigere, langsame (ich möchte fast sagen „langweilige“) Titel, die ich nicht kannte, vermutlich von seinem letzten Album, und bei manchen der akustischen Intrumentalpassagen musste ich schon die Ohren spitzen um noch etwas mitzubekommen. Wenn nur Einer der um die 10.000 Zuschauer meinte, er muss jetzt pfeifen oder kreischen, dann war das teilweise lauter als die Musik.

Das heißt nicht, dass es nicht auch rockige Passagen mit sattem Sound gegeben hätte, wie etwa bei Sultans Of Swing, einem Highlight des Abends. Aber wenn Mr. Knopfler so richtig in die Saiten seiner Stratocaster griff, dann klang der Ton für meine Begriffe wieder zu schrill. Der weiche, singende Klang seiner Gitarre, den ich so liebe, kam an meinem Sitzplatz jedenfalls nicht wirklich so an.

Und so kam es, dass ich es kaum glauben konnte, als Herr Knopfler nach Telegraph Road die Bühne verließ – war der Auftritt etwa schon zu Ende? Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass bereits mehr als anderthalb Stunden vergangen waren, ich hatte das Gefühl das Konzert hat noch garnicht richtig begonnen – jedenfalls war noch keine entsprechende Stimmung bei mir aufgekommen. Meine Lieblingsstücke aus alten Zeiten – Tunnel Of Love, Once Upon A Time In The West, Ride Across The River, Water Of Love (um nur ein paar zu nennen) – hatte ich nicht zu hören bekommen, auch Walk Of Life und Money For Nothing waren nicht erklungen.

Die Zugaben konnten den insgesamt enttäuschenden Gesamteindruck ein wenig mildern. Inzwischen war das Publikum zum Bühnenrand geströmt, unten im Saal stand nun alles, und zu den Klängen von Brothers In Arms schien die steril wirkende Stahlträger-Halle doch noch lebendig zu werden. Die Jungs auf der Bühne ließen sich auch nicht lumpen, hängten an die ersten zwei Zugaben auf Publikumswunsch noch zwei weitere dran und spielten gutgelaunt und flott noch einmal über 20 Minuten. Hätten sie nur mal schon eine Stunde früher damit begonnen…

Fazit: Mark Knopfler und seine Band bekommen trotz der für meinen Geschmack nicht sehr geglückten Songauswahl noch ein „gut“, für Halle, Organisation, Technik und Sound gibt’s „mangelhaft“. Ich werde versuchen diese Location in Zukunft zu meiden.

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Hierzu schrieb Lockwood am 18.06.2008:

Meine lieben Freunde der Vielfalt,
zunächst vielen Dank an Kretakatze für ihre Favoritenliste !

Diese Liste kommt sehr rockig daher; das ist nicht unbedingt das, was ich vom schönen Geschlecht erwartet hätte.

Cat Stevens und Al Stewart hier zu finden stellt keine Überraschung dar. Wohl aber Namen wie Uriah Heep, Deep Purple und Led Zeppelin. Über Kretakatzes Faible für CCR und Jethro Tull war ich bereits informiert.

Ganz im Ernst: Bisher war ich der Meinung, dass sich die Fans der Rockbands vorwiegend aus Männern rekrutieren.

Ich habe heute dazu gelernt; anscheinend denke ich zu sehr in Schubladen.
Also, liebe Kretakatze, noch einmal vielen Dank für die Liste !

Rock on !
Lockwood

Kumpelschaften (Noddy & Ian)

Liebe Freunde,

zum Thema Musiker muss ich noch einen Gedanken loswerden, sonst wären meine bisherigen Ausführungen nicht komplett.

Das Schwergewicht unserer Betrachtungen der letzten Monate und Jahre lag eindeutig bei Mr. Ian Anderson und seinem Schaffen. Und das völlig zu Recht; was seine Kompositionen, seine Bühnenshows betrifft, ist er für mich einfach der Größte. Von allen Musikern, die ich in den letzten 30 Jahren wahrgenommen habe, ist er der Beste. Punkt.

Der Beste. Aber nicht der Sympathischste. Er ist zwar kein unsympathischer Mensch, aber ein König der Herzen ist er für mich nie gewesen. Dazu wirkt er oft zu unnahbar, blasiert und arrogant. Innerhalb des Rock-Circus ist er etwas Besseres und dafür hält er sich auch. Mr. Anderson ist kein Kumpeltyp.

Es gibt Kumpeltypen in der Rockwelt. Oder zumindest solche, die dieses Image pflegen. Die Rede ist von Noddy Holder von Slade, wir kennen ihn alle. Ich will an dieser Stelle gar nicht auf sein musikalisches Wirken eingehen, so viel Aufwand möchte ich im Moment nicht betreiben. Die Musik von Slade ist für mich okay, manche Songs sind nett, es sind einige Ohrwürmer dabei.

Mehr möchte ich dazu im Moment nicht sagen.

In diesen Zeilen soll nur die Rede davon sein, wie Mr. Holder auf mich wirkt. Nämlich bodenständig, handfest, britisch, kameradschaftlich, ein Typ zum Pferdestehlen. Lt. Wikipedia ist Slade nach den Beatles die erfolgreichste englische Band. Trotzdem habe ich von Frontmann Holder nie irgendwelche beifallheischende oder selbstgefällige Kommentare gehört. Die Mannen von Slade wurden nie müde, auf ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse und aus einer Malocherstadt hinzuweisen. Während andere Größen der Rockmusik in ihren Texten ihre Bildung und literarische Brillanz unterstreichen, bringen Slade in ihren Titeln oft ihren heimatlichen Dialekt ins Spiel („Coz I Luv You“). Dieses Selbstverständnis manifestierte sich auch – von einigen Auswüchsen während des Glitter-Rocks abgesehen – im Bühnenoutfit des Mr. Holder. Und damit wirkt er absolut glaubwürdig: Niemand trägt die Hosenträger mit soviel Stolz wie er, bei niemand anderem scheint die Ballonmütze derart mit dem Schädel verwachsen wie bei ihm. Und seit den 70er Jahren trägt Mr. Holder seine Haare, wie man es von einem Engländer erwartet: rotblonde Mähne, gigantische Koteletten. Als stolzer Brite, der er ist, gehörte auch ein Outfit aus der Dickens-Aera zu seinem Fundus. Nie sah ich jemanden, der einen Zylinder mit mehr Würde tragen kann als Mr. Holder (na ja, vielleicht Abraham Lincoln, aber der spielt hier nicht mit).

Noddy Holder ist nicht unbedingt das, was ich einen schönen Mann nennen würde. Sein Gesicht, seine Augen liegen irgendwo zwischen Michael Caine und Marty Feldman. Aber stets strahlt dieses Gesicht Offenheit und Freude aus. Ich habe mir etliche Sladevideos auf youtube angesehen; es ist kaum eines dabei, wo Mr. Holder nicht lächelt.

Er ist der Kumpeltyp, der dem Rockbusiness etwas von seiner Verbissenheit genommen hat. Ich kann mir nicht helfen, ich mag ihn.

So, das musste gesagt werden.

Gehabt Euch wohl und auf bald
Lockwood

07.06.2008

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Hi Ihr Lieben,

Lockwood hat uns mit Noddy Holder beglückt. Ich muss gestehen, dass ich Slade zwar aus alten TV-Sendungen her kenne, aber musikalisch nicht allzu berauschend fand. Darum geht es Lockwood ja auch nicht. Es geht um das Kumpelhafte, das typisch Britische des Mannes, der sich als musikalischer Vertreter der Arbeiterklasse ausweist. Zum ziemlich stark ausgeprägten Klassenbewusstsein der Briten haben wir uns ja bereits an anderen Stellen unterhalten. Die Arbeiterklasse (lower class) findet in Noddy Holder gewissermaßen ein Aushängeschild: optisch durch seine Kleidung, sprachlich durch seinen Akzent und auch musikalisch. Irgendwie erinnere ich mich auch an Reggae-Einflüsse der Musik von Slade (und eine Zeitlang kleideten sich die Slade-Mannen ja als Skinheads).

Ich stimme Lockwood zu: Mr. Holder wirkt sehr sympathisch und ist es mit Sicherheit auch. Ein Typ mit dem man durchaus einmal ein Bierchen zusammen trinken gehen könnte. Und da ich mich dieser Tage durchaus auch über Fußball unterhalte, hätten wir ein für einen Engländer wohl weniger erfreuliches Thema, da England sich ja nicht für die EM 2008 qualifiziert hat.

Wenn ich das richtig sehe, so waren Slade in den USA nicht allzu erfolgreich. In Deutschland allerdings kannte man sie damals ganz gut. Vielleicht, weil viele Deutsche ein Faible für alles Britische haben. So ist ja auch Jethro Tull mit Herrn Anderson gerade in Deutschland immer sehr beliebt gewesen.

Nun Herrn Anderson haben wir tiefenpsychologisch bereits in seine Einzelteile zerlegt. Ein Freund (oder Arbeitskollege oder beides) meines Bruders hat in frühen Jahren während einer Deutschland-Tournee für Jethro Tull als Roadie gearbeitet. Dieser bezeichnete Herrn Anderson als arroganten „Kotzbrocken“. Muss also schon etwas dran sein, wenn viele den Flötenkobold nicht allzu sehr mögen.

Nun kann man das sehen wie man will. Sicherlich ist Ian Anderson kein kumpelhafter Typ. Aber er hat wenigstens keinen Hehl daraus gemacht, eine Abneigung dagegen zu haben, sich von jedem die Schulter klopfen zu lassen. Ich bin auch eher unnahbar. Bin ich deshalb arrogant? Kommt eben auf die Sichtweite drauf an.

So wie ich mir vorstellen könnte, mit Mr. Holder ein Bier zu trinken, könnte es auch sein, mit Mr. Anderson etwas Frischgezapftes zu mir zu nehmen. Über Fußball würden wir uns aber sicherlich nicht unterhalten wollen.

Man hört (bzw. liest) weiterhin voneinander.

Viele Grüße und bis bald
Euer Wilfried

12.06.2008

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Seid gegrüßt, Kretakatze und Wilfried,

nachdem ich Wilfrieds Antwort auf mein Empfehlungsschreiben für Mr. Holder gelesen hatte, war ich darüber erfreut, dass er mit mir einer Meinung ist.

Wirklich ein netter Kerl, dieser Noddy.

Aber in meine Freude mischte sich bald ein Wermutstropfen. Es tat sich nämlich eine Frage auf: Warum ist uns Mr. Holder sympathisch ? Wegen seiner plakativen Herkunft aus der Arbeiterklasse ? Seinem Akzent ? Seinem kumpelhaften Auftreten ? Diese Attribute treffen auch alle auf Wolfgang Petry zu. Und der ist mir überhaupt nicht sympathisch. Freiwillige Hausaufgabe: Was unterscheidet Noddy Holder von Wolfgang Petry ?

Ist doch klasse, wenn man die eigenen Ansichten in Frage stellt. Das bringt uns menschlich rasant weiter.

Tschüss
Lockwood

12.06.2008

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Hallo Leute,

über Herrn Holder muss ich mich noch erkundigen, um mir eine Meinung bilden zu können. Im Übrigen stimme ich mit Lockwood absolut überein: der Petry ist furchtbar. Musikalisch grauenvoll, und vom Charakter her kann ich ihn auch nicht leiden. Die längst verfärbten und zerrupften Armbänder die er Jahrzehnte lang trägt… Pfui! Das sieht aus, als würde er nicht gerne unter die Dusche stehen.

Viele Grüsse!
Alex

13.06.2008

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Meine lieben Freunde,

wieviele Mails verschickt Ihr eigentlich so am Tag? Heute sind 7 Stück bei mir eingetrudelt, da komme ich doch nicht mehr mit!

Jetzt nur kurz zu Noddy Holder von Slade, den uns Lockwood vorgestellt hatte. Ich muss zugeben, dass ich Slade im Laufe der Jahrzehnte völlig verdrängt hatte, mir war kein Name und kein Gesicht mehr in Erinnerung. Titel wie „Mama, Weer All Crazy Now“ und „Coz I Luv You“ kamen mir allerdings durchaus noch bekannt vor.

Tatsächlich hat mich Mr. Holder vom Äußeren her sofort an Mr. Anderson erinnert, für mich besteht da eine frappierende Ähnlichkeit. Unbelastet von jeglicher weitergehenden Kenntnis seiner Person habe ich ihn wohl auch deshalb intuitiv in die gleiche Sympathie-Klasse eingeordnet. Mr. Anderson ist mir ja auch nicht unsympathisch. In seinen jungen Jahren so ungefähr bis Mitte der 80er ist mir seine – wenn auch immer unterschwellig vorhandene – Arroganz nie negativ aufgefallen. Die eine oder andere leicht größenwahnsinnige Äußerung seinerseits aus dieser Zeit kann man problemlos in die Rubrik „jugendlicher Überschwang“ einordnen. Und ein strahlendes Lächeln hatte er bei seinen Auftritten auch immer auf den Lippen. Zu Wolfgang Petry kann ich dagegen nichts sagen, ich kenne ihn nur dem Namen nach.

Eine Bemerkung möchte ich aber doch noch loswerden zu Lockwood’s Ausdruck von der „erfolgreichsten Band“. Wie wird eigentlich Erfolg gemessen, um ihn vergleichbar zu machen? Wie rechnet man verkaufte Singles und Alben, Chartplatzierungen in den verschiedensten Ländern, verkaufte Konzert-Tickets, Anzahl Fernseh- und Filmauftritte, gewonnene Preise oder Titel etc. gegeneinander auf, um einen „Erfolgsindex“ zu ermitteln? Was genau ist überhaupt Erfolg? Ich denke ein derart schwammiger Titel – vermutlich von einem Fan erfunden – hat keinerlei Aussagekraft.

Soviel für heute – zu den anderen 6 Mails dann ein andermal…

Liebe Grüße
Kretakatze

13.06.2008

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Hallo erstmal,

die Hitliste, auf deren 2. Stelle Slade zu finden ist, basiert wohl auf Chartplatzierungen, also auf Verkaufszahlen.

Wenn eine Band das Ziel hat, ein möglichst großes Publikum anzusprechen (welche Band hat das nicht ?), so eignen sich die Verkaufszahlen in meinen Augen doch als Erfolgs-Indikator. Aber, liebe Kretakatze, hier gebe ich Dir Recht, so 100% korrekt ist diese Maßeinheit für Erfolg nicht.
Warum z.B. haben die Beatles mehr Platten verkauft als Slade ? War ihre Musik besser ? War ihr Publikum zahlungskräftiger ?

Keine Ahnung.

Wann ist Musik „gut“ ? Wenn sie vom Zuhörer als „gut“ empfunden wird.

Wenn viele Zuhörer eine bestimmte Musik als „gut“ empfinden und in den Plattenläden entsprechend nachfragen, ist diese Musik dann besser als andere ?

Falls dem so wäre, würde das bedeuten, dass Michael Jackson und Diedä Bohlen bedeutende zeitgenössische Musiker sind.

Und mit dieser Aussage habe ich ein Problem.

Neben unseren philosophischen Baustellen ergibt sich hier eine zusätzliche Fragestellung: Wann ist Musik „gut“ ?

In freudiger Erwartung Eurer Antworten grüßt Euch
Lockwood

13.06.2008

Jethro Tull: Seppuku beim Schlagzeugsolo

In der Ausgabe des Rockmagazins eclipsed vom Mai d.J. (in meinem Beitrag Jethro Tull: Mafiosi auf dem Weg zum Friseur hatte ich bereits eine Anekdote zum Besten gegeben) erschien auch ein Interview mit Ian Anderson, dem Kopf der Gruppe Jethro Tull. Auf die Frage nach dem lustigsten und traurigsten Moment seiner Bühnenlaufbahn antwortete Herr Anderson wie folgt:

Hört sich seltsam an, aber die beiden Momente waren eigentlich nur ein einziger. Lass mich mit der traurigen Seite beginnen: Es war in den Siebzigern während eines Konzerts in, ich glaube, Denver. Da beging jemand im Publikum mit einem Samuraischwert Selbstmord. Furchtbar! Und jetzt kommt der lustige Teil. Lustig allerdings nur dann, wenn man mit schwarzem Humor etwas anfangen kann: Er verübte die Tat während eines langen und sehr langweiligen Drumsolos. Wer Selbstmord begehen will, findet dafür bei Drumsolos fast perfekte Bedingungen. Sollte ich selbst eines Tages meinem Leben ein vorzeitiges Ende setzen wollen, würde ich das vermutlich auch während eines Drumsolos tun. Vielleicht sogar während einem von Jethro Tull.

aus: Landlord und Clochard – Exklusivinterview mit Ian Anderson (Interview: Stefan Krulle) – eclipsed – Rock Magazin – Nr. 101 Mai 2008

Jethro Tull: Mafiosi auf dem Weg zum Friseur

Ich habe 11 € geopfert, um mir die letzten beiden Ausgaben (Mai und Juni) des Rockmagazins eclipsed zu gönnen. Immerhin enthalten diese einen zweiteilige Bericht zum 40-jährigen Bestehen der Gruppe Jethro Tull. So oft findet man heute keine Artikel zu dieser Band in Musikzeitschriften. Gut, langjährige Tull-Fans finden hier kaum etwas Neues zu Ian Anderson und seine Mannen. Aber ein, zwei Anekdoten sind doch enthalten, die ich ganz witzig finde. Hier das erste kleine Geschichtchen aus dem Jahre 1969, als die Gruppe ein Konzert von Elvis Presley besuchte:

Eclipsed Mai 2008: Jethro Tull

Mafiosi auf dem Weg zum Friseur – Jethro Tull besuchten 1969 geschlossen eine Show von Elvis Presley

Dass die LP „Stand Up“ Nummer 1 in der britischen Hitparade geworden war, erfuhren Jethro Tull während ihrer USA-Tournee im Sommer 1969 – und bekamen vom Management als Belohnung Tickets für eine Show in einem der ersten Hotels von Los Angeles geschenkt. Anderson, Barre, Bunker und Cornick staunten nicht schlecht, als sich herausstellte, dass an diesem Abend ausgerechnet der King of Rock ’n’ Roll persönlich auf der Bühne stehen würde – „rotten old Elvis“, wie sich Ian Anderson nach der Rückkehr in London ausdrückte.

Presley hatte allerdings mit seinem Auftritt offensichtlich Eindruck bei den vier Briten hinterlassen: „Um fair zu sein: Er war richtig gut und sang nicht einen einzigen falschen Ton – was man von den Sängern der meisten Bands von heute nicht sagen kann.“ Was Anderson und seinen Kollegen besonders gefiel: Elvis, der unter anderem „Heartbreak Hotel“ und „Hound Dog“ im Programm hatte, habe sich durchaus das Können aus den Anfangstagen seiner Karriere bewahrt: „Er küsste die Hände seiner weiblichen Fans und wackelte wie einst mit den Hüften, aber das alles ohne peinlich zu wirken, sondern er machte es geschmackvoll, mit Würde und mit einem unglaublichen Südstaatencharme.“ Niemand im Publikum sei auf die Idee gekommen, über Presley zu lachen, vor allem, weil er sich während seines Auftritts ständig selbst auf dem Arm genommen habe.

Damit die schrillen Rocker aus England die strengen Türsteher des Hotels passieren konnten, mussten sie sich übrigens die bei solchen Veranstaltungen obligatorischen Smokings ausleihen. Anderson, der keine schwarzen Schuhe dabei hatte, trug zu der vornehmen Kleidung grüne Stiefel, was naturgemäß für einiges Aufsehen bei den Gästen sorgte: „Aber ansonsten waren wir makellos, wie wir mit einem Blick in den Spiegel feststellen konnten: Die Hosen waren erstklassig geschnitten und passten wunderbar. Wir sahen eben aus wie Mafiosi auf dem Weg zum Friseur.“

aus: eclipsed – Rock Magazin – Nr. 101 Mai 2008 (Wolfgang Thomas)

Lockwoods Top 22 & Zugabe

Nachdem bereits Alex uns seine persönlichen 10 besten Lieder präsentiert hat, und auch ich meine Top 10 bzw. Top 20 abgeliefert habe, hat sich nun auch Lockwood die Mühe gemacht, uns seine Lieblingslieder zu ‚beichten’. Abba, Psalm von Roxy Music (wenn hier auch als Exot vorgestellt) sind keine Überraschung mehr. Aber einige andere schon (Mort Shuman und Vicky Leandros). Nicht zu übersehen ist dabei auch die ungewöhnlich starke Präsenz holder Weiblichkeit, was mich natürlich durchaus erfreut. Ohne ein endgültiges Urteil abgeben zu wollen, aber Lockwood hat eine Vorliebe für dunkelhaarige Frauen …:-)

Was Sonny & Cher betrifft, so würde ich die beiden (oder die eine) nicht unbedingt zu meinen Lieblinge zählen, trotzdem hat das genannte Lied „I’ve got You Babe“ für mich in so weit eine gewisse Bedeutung, weil es eine nicht unerhebliche Rolle in meinem Lieblingsfilm „Und täglich grüßt das Murmeltier …“ spielt.

Aber lassen wir Lockwood zu Wort kommen (ich habe mir erlaubt, bei youtube zu den ausgewählten Liedern ein hoffentlich passendes Video herauszusuchen) – und der großen Mühe wegen auch in einem eigenen Beitrag:

Grüß Euch Gott alle miteinander,

es ist still geworden in unserer kleinen Schreiberrunde.
Ich habe die schöpferische Pause u.a. dazu genutzt, über die Liste meiner zehn Lieblingslieder nachzudenken. Das Ergebnis ist erschütternd: Ich bekomme sie nicht zusammen. Allein für meine Lieblingskünstler Jethro Tull, Kate Bush und die Pogues müsste ich mindestens je zehn Plätze belegen. Das wäre nicht im Sinne des Erfinders. Also muss ich tricksen. Unten findet Ihr eine Liste ohne meine Lieblinge, die ohnehin einen festen Stammplatz in meinem Herzen, meinem Hirn und meinem Trommelfell haben. Aber selbst diese abgespeckte Liste ist nicht vollständig. Bei dieser Aufgabenstellung merkt man erst, wie wenig „zehn“ sein kann. However, los geht’s (die Reihenfolge der Lieder sagt nichts über ihren Stellenwert aus):

Led Zeppelin: Kashmir (dramatischer Song in epischer Breite; begleitet mich seit frühester Jugend)
Led Zeppelin: The Battle Of Evermore (hätte auch von JT sein können; nicht aufgepasst, Mr. Anderson!)
Peter Gabriel: Solisbury Hill (schon seit 30 Jahren einer meiner absoluten Favoriten)
Fleetwood Mac: Never Going Back Again (tolle akustische Gitarren)
Roger Chapman: Run Like The Wind (schöne schnulzige Mike Batt – Produktion)
Rolling Stones: Paint It Black (die frühen Stones hatten einige schöne Melodien)
Mort Shuman: Le lac majeur (für die sentimentalen Momente im Leben)
BJH (Barclay James Harvest): Hymn (Neues Testament für Popfans)
Depeche Mode: Personal Jesus (wieder Thema Religion – diesmal kritisch)
B.Springsteen: Jersey Girl (Tom Waits – Cover; klingt am besten, wenn man frisch verliebt ist)
Sex Pistols: Holiday In The Sun (nicht gerade ein Opus, aber frische Gitarren und glaubwürdig vorgetragen)
Big Country: The Seer (mit Kate Bush im Backing Vocal – besser kann Rockmusik kaum sein)
Boston: More Than A Feeling (wurde für dieses Lied die Gibsongitarre erfunden?)
David Bowie: Sound And Vision (wie so oft: Die frühen Werke sind die Besten)
L. McKennit: Dante’s Prayer (zum Heulen schön)
Abba: Like An Angel Passing Through My Room (leise Töne von den Asen der Popmusik)
Abba: Slipping Through My Fingers (der Text treibt mir das Wasser in die Augen)
Stevie Nix: Stand Back (bin ich evtl. doch ein Popfan ???)
The Verve: Bitter Sweet Symphony (synthetische Geigen, eingängige Harmonien)
Liquido: Narcotic (deutsche Krachgitarre, aber nett)
Pink Floyd: Comfortably Numb (ich kann es selber kaum glauben, aber The Wall fehlt in meinem Schrank)
Elvis Presley: Always On My Mind (schönes Liebeslied, schöner Bariton)

Wenn ich die Liste durchzähle, stelle ich fest, dass es fast genau zehn Stücke sind. Sorry, weniger ging wirklich nicht. Neben meinen o.g. Lieblingen fehlen noch die Werke von Queen, Mike Oldfield, einigen Liedermachern und noch vieles mehr.

Außerhalb jeder Konkurenz möchte ich noch einige Exoten auflisten, für die sich garantiert niemand interessiert:

Don Kosaken: Legende von den zwölf Räubern; Der rote Sarafan (nur für Freunde von Männerchören)
Ehel. Ofarim: Cinderella Rockefella (Esther hat eine bemerkenswerte Stimme)
Vicky Leandros: Apres Toi (die Mutter aller Schnulzen, aber was für eine Stimme !)
Mikis Theodarakis: Sorba’s Dance (hellenistische Pseudofolklore mit Eignung zum Ohrwurm)
Sonny and Cher: I’ve got You Babe (mir gefallen die Blasinstrumente in dem Lied – Fagotte ?)
Roxy Music: Psalm (Schönling Ferry als inspirierter Prediger mit tuntigem Pianisten und Passion Play-Saxophon)

So, nach dieser Beichte fühle ich mich wohler.
Vielleicht liest man nochmal etwas voneinander.

Ich wünsche Euch den inneren Frieden
Lockwood

22.05.2008

Pentangle: Basket of Light (1969)

Beim Stöbern in meiner alten LP-Sammlung bin ich auf ein Album der Gruppe Pentangle aus dem Jahr 1969 gestoßen: Basket of Light. Die Folkrock-Band Pentangle wurde 1967 von den beiden Gitarristen Bert Jansch und John Renbourn in London gegründet. Ihnen schlossen sich die Sängerin Jacqui McShee, Danny Thompson (Bass) und Terry Cox (Schlagzeug) an.

Im Gegensatz zu anderen Folkbands schufen die fünf Musiker einen eigenen, wie ich finde „akademischen“ Stil: Kontrabass und Schlagzeug (oft nur mit den Besen gespielt), die eindeutig vom Jazz beeinflusst waren, bildeten den Hintergrund zu den akustisch gespielten Gitarrenduos und dem klaren Gesang von Jacqui McShee. Erst spät setzte John Renbourn auch eine elektrische Leadgitarre ein, wie auf dem Stück „Light Flight“ zu hören ist:


Pentangle – Light Flight

Ungewöhnlich dann auch die Kombination von Sitar und Banjo – zu hören (und zu sehen) auf dem Stück „House Carpenter“:


Pentangle – House Carpenter

Ende 1972 löste sich die Stammbesetzung auf. 1984 kam es zu einer Reunion von Pentangle mit Cox, Thompson, Jansch und McShee. Und ab 1990 spielte auch der Schlagzeuger Gerry Conway einige Zeit mit. Conway kennen wir von der Gruppe Jethro Tull, mit der er 1982 „The Broadsword and the Beast” aufgenommen hat und der 1987 teilweise auf „Crest of a Knave“ zu hören ist.

Pentangle spielte natürlich auch traditionelle Lieder wie z.B. „Willy O’ Winsbury“, einer schottischen Ballade aus den 18. Jahrhundert, und „Will the Circle Be Unbroken”.

Meine Lieblingslieder – Teil 2

Gestern stellte ich meine 10 Lieblingslieder vor. Heute nun weitere 10 Lieder, die ich ebenfalls sehr gut finde und sie daher dem geneigten Publikum vorstellen möchte – wenn auch in etwas kürzerer Form, aber wieder nur dem Alphabet nach.

Paul Brady ist vielleicht durch seine frühere Zusammenarbeit mit der irischen Band Planxty bekannt und seit Ende der 70-er Jahre meist solo unterwegs.

They say the skies of Lebanon are burning
Those mighty cedars bleeding in the heat
They’re showing pictures on the television
Women and children dying in the street
And we’re still at it in our own place
Still trying to reach the future through the past
Still trying to carve tomorrow from a tombstone…


Paul Brady: The Island

Zu Kate Bush keine weiteren Worte mehr. Ich habe hier ein Lied herausgesucht, das sie mit Peter Gabriel zeigt:


Kate Bush & Peter Gabriel: Don’t Give Up

Wie Kate Bush so ist auch Sandy Denny eine Sängerin mit einer ungewöhnlichen Stimme – leider gewesen. Sie verstarb früh. Bekannt ist sie u.a. auch durch die Zusammenarbeit mit Fairport Convention (der B-Mannschaft von Jethro Tull – wie ich es einmal nannte).


Sandy Denny – Who Knows Where The Time Goes (solo acoustic)

Alex, Kretakatze und auch Lockwood mögen mir verzeihen, wenn ich Dire Straits mit Mark Knopfler nicht unter den ersten zehn in meiner persönlichen ‚Hitparade’ aufgeführt habe. Aber es gibt so viele schöne Lieder, die es geschafft haben, die Sultane des Swings zu verdrängen.


Dire Straits mit Mark Knopfler: Sultans of Swing (live)

Von den Instrumentalisten der niederländischen Gruppe Flairck hatte ich vor einiger Zeit bereits Lockwood berichtet. Sie feierten jetzt eine Reunion, wie es wohl neu-deutsch heißt. Hier ein Ausschnitt aus dem neuen Programm – wundervolle Musik wie ich finde.


Flairck: Voorspel in Sofia

Richie Havens: License to Kill
Richie Havens wurde wohl durch seinen Auftritt in Woodstock 1969 bekannt und durch seine Coverversionen von Liedern – von den Beatles (Here comes the Sun – Strawberry Field Forever) bis hin zu Bob Dylan. Charakteristisch ist neben der tiefen, sonoren Stimme sein Gitarrenspiel mit offener D-Stimmung (beim Anschlagen der leeren Saiten erklingt der D-Dur-Akkord). Akkorde spielt er somit meist mit dem Daumen, wie auch nachfolgend zu sehen ist.


Richie Havens: License To Kill

Für meine Mark Knopfler-Fans: Dieses Bob-Dylan-Lied gibt es auch mit dem Meister persönlich – und von Herr Knopfler begleitet: License to Kill.

Wie schon angedeutet, so habe ich eine besondere Beziehung zu afrikanischer Musik – und das nicht nur in Klanggestalt afro-amerikanischer Musik (wie Soul, Reggae usw.), sondern nativ vom schwarzen Kontinent selbst. Ich hatte in diesem Blog bereits über Desert Blues – Musikprojekt aus Mali berichtet. Als einen weiteren musikalischen Vertreter Afrikas möchte ich hier Baaba Maal aus dem Senegal vorstellen mit dem Lied: Goongama

Baaba Maal: Goongama

Aimee Mann habe ich auch bereits zweimal vorgestellt (Calling it Quits und mit dem Weihnachtslied One More Drifter in the Snow).

Hier die kühle Blonde mit einem weiteren Lied, wohl meinem Lieblingslied von ihr:


Aimee Mann: Ghost World

Suzanne Vega: Luka
Eine weitere Sängerin und Songwriterin, Suzanne Vega, möchte ich nicht vergessen. Das Ungleichgewicht männlich – weiblich ist groß genug, auch bei mir. Aber nicht deshalb, sondern weil ich das Lied „Luka“ immer wieder gern höre (und auch viele der anderen Lieder von Suzanne Vega) … hier die Live-Fassung:


Suzanne Vega: Luka

Zuletzt Frank Zappa. In die Top Ten hat er es bei mir zwar nicht geschafft, aber würde ich ihn unterschlagen, dann täte ich auch einer meiner (vielen) Seelen Qual an. Zappa präsentiert den ironisch bis leicht zynischen Zug in mir. Don’t Eat the Yellow Snow kennen wir bereits. Bobby Brown ist zwar lange nicht das beste Lied aus der Feder des Meisters, aber das erfolgreichste (hier ebenso ‚erfolgreich’ verkörpert durch George W. Bush).

Da Frank Zappa auch ein großartiger Gitarrist war, hier ein Stück, in dem er etwas von dieser Kunst zeigen (hören) lassen darf: Cosmic Debris (ließe sich vielleicht mit „kosmischer Tinnef“ übersetzen).


Frank Zappa: Cosmic Debris

Meine Lieblingslieder – Teil 1

Da habe ich mich auf etwas eingelassen, als ich ankündigte, eine Art Top Ten, also die Charts meiner Lieblingslieder zu nennen, und es sollte immer nur ein Lied sein – pro Gruppe bzw. Interpret. Was sollte da z.B. das mir liebste Stück von Jethro Tull sein?

Und jetzt hat Alex auch noch vorgelegt, indem er uns mit Mein persönlicher Chart eine Liste seiner hörenswerter Lieder und Stücke präsentierte.

Nach einigem Hin und Her sind 20 Bands und Einzelinterpreten verblieben, die ich hier in zwei Gruppen vorstellen möchte. Die erste Gruppe entspricht meiner Top Ten, wobei ich auf Platzierungen wohlweißlich verzichtet habe (weil es mir einfach nicht möglich ist zu sagen, welches Lied ich besser als ein anderes finde). Daher die Auflistung nach dem Alphabet. Und die zweite Gruppe repräsentiert Lieder, die bei mir vielleicht nicht ganz oben anstehen, die ich aber doch so gut finde, um sie unerwähnt zu lassen (dazu morgen mehr).

Wie Lockwood erwähnte: „Eine Liste, die ich heute erstellen würde, sähe schon anders aus als eine Liste, die ich vor einem Jahr aufgestellt hätte. Aber es gibt Lieder, die man in allen Phasen des Lebens im inneren Ohr hat. Diese Songs gilt es aufzulisten.“ Genau das habe ich unter Berücksichtigung meiner unterschiedlichen Lebensabschnitte versucht zu tun.

Joan Armatrading: Down to Zero
Joan Armatrading habe ich bereits in mehreren Beiträgen vorgestellt. Für mich ist sie eine außergewöhnliche Songwriterin, die mich auch in einigen Live-Konzerten zu überzeugen wusste.


Joan Armatrading: Down To Zero (02/15/1979)

Ry Cooder: Get Rhythm
Erst dieser Tage habe ich mich in einem Beitrag seiner Gitarrenkünste angenommen. Ich finde seine Musik frisch und immer wieder aufmunternd. Es gibt auch bei ihm viele Lieder, die mir gefallen. Bleibe ich aber bei der Cover-Version des Johnny-Cash-Liedes „Get Rhythm“.


Ry Cooder: Get Rhythm

Cream: White Room
Hier haben sich drei Meister ihres Fachs getroffen: Ginger Baker, der mit seinen Trommelkünsten auch bei afrikanischen Musikern überzeugen konnte, und die haben den Rhythmus bekanntlich im Blut. Dann Jack Bruce, der den Bass aus seiner reinen Begleiterfunktion zu einem Soloinstrument erhob. Last not least Eric Clapton, der ‚Gott’ der Rockgitarristen. Hier eine Aufnahme der Reunion-Konzerte vom Mai 2005; die DVD dazu ist einfach super. Lange habe ich überlegt, ob ich nicht auch die Gruppe Colosseum mit dem Lied „Theme for an Imaginary Western“ hier aufnehmen sollte (wie „White Room“ stammt diese Lied aus der Feder von Jack Bruce). Dieses Lied von Cream soll genügen.


Cream: White Room ((Royal Albert Hall May, ’05)

Gentle Giant: The Advent of Panurge
Zusammen mit Gruppen wie Yes, Emerson, Lake & Palmer und natürlich auch Jethro Tull galt Gentle Giant als eine der Hauptvertreter des Progressive Rocks etwa Anfang bis Mitte der 70-er Jahre. Sicherlich ist es eine teilweise schwerverdauliche, da sehr ‚kompakte’ Musik mit vielen Finessen. Nichtsdestotrotz faszinierte mich besonders die Musik von Gentle Giant von Anfang an.


Gentle Giant: The Advent of Panurge

Im Alphabet folgt Jethro Tull … mit „Thick as a Brick“. Ja, hier tat ich mich besonders schwer. Ist sicherlich auch verständlich. Eines der ersten Stücke, das ich von meiner ‚Lieblingsband’ sah und hörte, war „Living in the Past“ 1969 im Fernsehen. Es war gewissermaßen die Initialzündung für meine Vorliebe für Jethro Tull. Daher wollte ich erst dieses Stück auch in meine Charts aufnehmen. Nach langer Überlegung habe ich mich dann doch für „Thick as a Brick“ entschieden, es ist ein geradezu geniales Stück Musik, und weil es ein etwas sehr langes Stück ist, so steht hier der Anfang des Stücks mit der akustischen Gitarre und dem Gesang von Ian Anderson (und ein bisschen mehr):

Really don’t mind if you sit this one out.
My words but a whisper your deafness a SHOUT.
I may make you feel but I can’t make you think.
Your sperm’s in the gutter your love’s in the sink.
So you ride yourselves over the fields and
you make all your animal deals and
your wise men don’t know how it feels to be thick as a brick.


Jethro Tull: Thick as a Brick – Part 1 (02/10/1977)

Es ist auch noch nicht so lange her, da berichtete ich hier über die drei Gitarrenheroen Paco de Lucia, John McLaughlin und Al di Meola. Ich denke alles für mich Wesentliche dort aufgeführt zu haben, was die gemeinsamen Auftritte der drei betrifft.

Ich habe nun einmal zwei Seelen in meiner Brust (wahrscheinlich sind es noch mehr), da kommt neben der Begeisterung für einfache Dinge, manchmal auch der Drang ‚nach Höherem’ hervor. Hier nochmals das Gitarrentrio mit „Mediterranean Sundance“.


Paco de Lucia – John McLaughlin – Al di Meola: Mediterranean Sundance

Schon früh kam ich mit der Musik von Schwarzen in Berührung (aber das ist schon wieder ein Thema für sich). Neben Soul (hier sei nur der Name Curtis Mayfield genannt) war es besonders der Reggae, der mir immer wieder sehr gut gefällt. Bekanntester Vertreter dieser Musik der Insel Jamaika ist bzw. war natürlich Bob Marley. Hier ein Lied, das wohl jeder schon einmal gehört hat:


Reggae – Bob Marley: No Woman No Cry

Auch zu Herman van Veen möchte ich keine weiteren Worte verlieren. Seine Musik hat mich eine längere Zeit begleitet. So zählt das Lied „Ich habe ein zärtliches Gefühl“ (die zarte Seele in meiner Brust meldet sich hier) zu meinen absoluten Lieblingsliedern. Hier die holländische Fassung des Liedes:


Herman van Veen – Ik heb dat tedere gevoel

Das folgende Lied findet sich hier, nicht weil ich besonders Hannes Wader mag, sondern weil es auf wunderbare Weise meine Wahlheimat, den Norden Deutschlands spiegelt. Ich mag die plattdeutsche Sprache, die leider vom Hochdeutschen fast gänzlich abgelöst wurde. Und speziell an diesem Lied mag ich die leise Melancholie: Min Jehann.


Hannes Wader: Min Jehann (aus: Plattdeutsche Lieder – 1974)

Zuletzt in meinen Top Ten findet sich Tom Waits. Für diejenigen, die mich kennen, ist das klar: Der gute Tom darf nicht fehlen. Und es sind gleich zwei Lieder, die sich ähneln und es mir schwer machen, mich zu entscheiden: „In the Neighborhood“ und „Take Care Of All My Children“. Ich habe mich für das ältere der beiden Lieder entschieden:


Tom Waits – In The Neighborhood – 1983

Heinz Strunk: Fleisch ist mein Gemüse

Wie es ist, in Harburg aufzuwachsen, das weiß Heinz Strunk genau. Harburg, nicht Hamburg. Mitte der 80er ist Heinz volljährig und hat immer noch Akne, immer noch keinen Job, immer noch keinen Sex. Doch dann wird er Bläser bei „Tiffany“, einer Showband, die auf den Schützenfesten zwischen Elbe und Lüneburger Heide bald zu den größten gehört. Aber auch das Musikerleben hat seine Schattenseiten: traurige Gaststars, heillose Frauengeschichten, sehr fetter Essen und Hochzeitsgesellschaften, die immer nur eins hören wollen: „An der Nordseeküste“ von „Klaus und Klaus“.

Wer wie ich eine Zeitlang in einer Band gespielt hat, die auf Betriebs- und Bürgerfesten viele Auftritte hatte, der kann gut nachvollziehen, was Heinz Strunk alias Mathias Halfpape alias Jürgen Dose (der mittlere ist wohl der richtige Name) in seinem Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ beschreibt, das ich vor vier Jahren genussvoll gelesen habe. Vor allem, wenn das beschriebene Geschehen noch vor der Haustür passierte.

Fleisch ist mein Gemüse - der Film

Am 17. April kommt das Buch jetzt in einer Verfilmung von Christan Görlitz (auch Buch) mit Maxim Mehmet als jungen Heinz Strunk ins Kino. Ich bin gespannt, obwohl erste Verlautbarungen verheißen, dass der Film lange nicht an das Buch heranreichen soll. Außerdem bietet die Verfilmung im Vergleich zum Buch einen anderen Aufbau bezüglich der Rahmenhandlung. Im Film tritt nämlich der echte Heinz Strunk als er selbst mit in Erscheinung. Da er für die Rolle als Jugendlicher inzwischen zu alt ist, wurde eine neue Rolle hinzu geschrieben. Strunks Rumpf hängt, ähnlich wie eine Jagdtrophäe an der Wand eines Zimmers. Ihm gegenüber prangt ein Plüsch-Hirsch, mit dem sich Heinz unterhält. Zwischen den beiden spannt sich die versinnbildlichte Kinoleinwand, auf der sich das Leben von Heinz als Jugendlicher abspielt.

Für alle meine Jethro Tull-Fans: Heinz Strunk hat in seinem Buch Herrn Ian Anderson gewissermaßen ein literarische Denkmal gesetzt (auch wenn dieser am Ende nicht mehr ganz so gut wegkommt). Dort steht:

Aber die Musik ließ mich nicht los. Ein halbes Jahr später hörte ich zum ersten Mal die britische Band Jethro Tull und war elektrisiert. Der Frontmann Ian Anderson hatte sich historische Verdienste um die Rockmusik erworben: Er war der erste Mensch der Welt, der in einer Rockband Querflöte spielte!

Auf einmal wusste ich, was ich wirklich wollte: Ich wollte sein wie Ian Anderson, und ich wollte Querflöte spielen. Das mit Ian Anderson sagte ich Mutter natürlich nicht. Ihr gegenüber tat ich wieder harmlos, und sie willigte auch sofort ein („Aber du weißt, dass du dann auch üben musst, sonst bringt das nichts.“ – „Jaja.“) Weihnachten 1976 lag eine nigelnagelneue Querflöte von Yamaha unterm Tannenbaum. Tagelang bestaunte ich das wunderschöne Instrument, baute es zusammen und wieder auseinander und versuchte vergeblich, ihm Töne zu entlocken. So verbrachte ich die Zeit bis zum Unterrichtsbeginn damit, zu Jethro-Tull-Platten vor dem Spiegel zu posieren: Ich stand wie mein großes Vorbild einbeinig wie ein Storch vor dem Spiegel und tat so, als ob. Das war nämlich Ian Andersons Markenzeichen: einbeiniges Spiel. Genial! Ich fand, dass das die beste Performance seit Einführung des Showbusiness überhaupt war. Für meine Playbacks vor dem Spiegel hängte ich mir den guten Pelz von Oma um, denn Ian Anderson und seine Mannen hatten wirre, lange Haare und Bärte, und sie trugen Pelzmäntel. Richtige Freaks! Die hysterische Antipelzstimmung war damals noch weitgehend unbekannt. Für mich waren sie die größte Rockband aller Zeiten, scheiß auf die Beatles! Ich habe nie wieder jemanden so nachgeeifert wie dem zauseligen Storchenkönig und über Jahre nichts, aber auch wirklich gar nichts anderes gehört als Jethro Tull. Leider durfte ich mir die Haare nicht so lang wachsen lassen wie meine Vorbilder. Sobald die Spitzen die Ohren bedeckten, bekam der Blick meines Großvaters etwas Starres: „Du siehst ja schon wieder aus wie ein Beatle.“ Und ab ging’s zum Bahnhofsfriseur, ausgerechnet zum Bahnhofsfriseur! Meine Familie war eindeutig der Meinung, dass der dort tätige Jugoslawe hervorragend Haare schneide. Opa und ich also hin zum Harburger Bahnhof, ein fragender Blick des serbischen Meistercoiffeurs und dann das Todesurteil meines Großvaters: „Fasson!“ Ratzekahl wurde die Rübe abgeschabt, und ich sah so aus wie einer aus der geschlossenen Abteilung.

Trotzdem übte ich weiter begeistert Flöte. Nach einem Jahr begann ich auch noch mit Klavierstunden, da man Klavier für die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule braucht. Denn so viel stand fest: Ich würde Berufsmusiker werden! Mutter war zufrieden, nur meine Begeisterung für Rockmusik war ihr nach wie vor suspekt. („Hör doch mal richtig hin, Heinz, da wiederholt sich doch ständig alles, und dazu dieser monotone Rhythmus, immer nur bumbumbum, du bis doch musikalisch, da musst doch hören, dass das primitiv ist.“) Ich übte wie ein Verrückter! Manchmal stand ich schon um vier Uhr morgens auf, um vor der Schule zwei Stunden zu flöten: Mit siebzehn kam noch das Saxophon hinzu. Und dann entdeckte ich den Jazz.

Jazz war viel anspruchsvoller als Rock. John Coltrane konnte tausendmal besser spielen als Ian Anderson, Ritchie Blackmore und Emerson, Lake and Palmer zusammen! Der Jethro-Tull-Frontmann gefiel sich immer noch in seiner Rolle als lächerlicher Rockstorch, doch ich war schon viel weiter als er, übte wie ein Irrer Jazzstandards, versuchte hinter das Geheimnis der alterierten Tonleiter zu kommen und wie man am elegantesten von f-Moll nach Des-Dur moduliert.

aus Kapitel: Lehrjahre sind keine Herrenjahre (S. 43 f./1985)

Überhaupt nicht gut kommt Todtglüsingen weg, ein Ortsteil von Tostedt, der 1972 eingemeindet wurde. Immerhin widmet Heinz Strunk dem Ort ein ganzes Kapital (Geisterstadt). Allerdings muss er sich hier geografisch arg getäuscht haben. Das mit dem Edeka-Laden mag noch stimmen, aber ansonsten spricht nichts dafür, dass es sich um das reale Todtglüsingen handelt. Weder Schützenverein noch freiwillige Feuerwehr haben sich aufgelöst. Hier ein Teil des Textes:

Es kam in diesem Jahr noch eine weitere Karnevalsveranstaltung hinzu, der Todtglüsinger Faslam. Todtglüsingen war ein im Laufe weniger Jahre völlig verarmtes Dorf. Viele der Bewohner wurden arbeitslos, Höfe mussten zwangsversteigert werden, dann machte auch noch der einzigste Edeka-Laden dicht, und irgendwie ging alles den Bach hinunter. Die Todtglüsinger hockten entweder den ganzen Tag zu Hause vor dem Fernseher. Oder sie saßen im einzigen Gasthof, dem Gasthof Bruhn, und soffen. Gesoffen haben sie natürlich auch zu Hause. Die jungen Leute sahen zu, dass sie Land gewannen, und zurück blieben die Alten, Kranken, Kraft- und Mutlosen. Selbst Schützenverein und Freiwillige Feuerwehr hatten sich aufgelöst. Der Ort war dem Untergang geweiht. Das letzte gesellschaftliche Ereignis war der Faslam, der natürlich im Gasthof Bruhn gefeiert wurde. Der Bruhn’sche Festsaal verfügte über keine Bühne, sodass wir mitsamt unserer Anlage quasi auf der Tanzfläche standen. Bereits gegen neun war schätzungsweise ein Drittel der Männer schwer betrunken.

[…]

Irgendwann waren die Leute zu betrunken, um zu tanzen. Diejenigen, die sich gegenseitig totschlagen wollten, sind dazu freundlicherweise nach draußen gegangen. Mehrmals wurde gedroht, uns mitsamt unserer Anlage kaputtzumachen, und wir hatten es nur dem beherzten Eingreifen des noch halbwegs nüchternen Vorsitzenden zu verdanken, dass wir heil davonkamen.

In Todtglüsingen haben wir nie wieder gespielt, obwohl sie uns im nächsten Jahr unbedingt wiederhaben wollten und sogar bereit waren, noch dreihundert Mark Gage draufzulegen. Wie es den Todtglüsingern heute wohl geht? Steht die Ortschaft überhaupt noch? Was macht Susanne oder Sabine oder Silke? Vielleicht hat es ja auch einen überraschenden Aufschwung gegeben. Ich drücke dem gebeutelten Dorf jedenfalls fest die Daumen.

Aus Kapital: Geisterstadt (S. 197ff./1994)

Profaner Jesus und profaner Teufel

Hallo Kretakatze, (und natürlich auch: Hallo, Lockwood)

Mein Blog ist kein reines Jethro Tull-Blog. Und bisschen Wind aus anderen Richtungen wird nicht schaden. Sicherlich „klinge ich etwas gereizt“, denn DSDS und all die Idol-Sachen finde ich schlechtweg „unter aller Sau“. Es ist einfach nicht meine Welt, nicht nur, weil es nicht meine Musik ist. Hier versucht die Musikindustrie billig an Talente zu kommen, schlachtet die dann aus – und lässt sie schnell wieder fallen, wenn ein Talent wie eine Zitrone ausgepresst ist. Das Du nicht noch zusätzlich auf DSDS zu sprechen kommst, war mir schon klar. Wie solltest Du das auch wagen :-).

Zu Clay Aiken: Natürlich kann der gute Mann singen, sonst hätte er nicht diesen Erfolg. Aber was Du schreibst, unterstützt nur noch mehr meinen Verdacht, hier ein typisch amerikanisches Phänomen zu betrachten. Der religiöse Bezug ist mir natürlich nicht entgangen. Auch ohne die Hinweise bei Wikipedia hatte ich einen entsprechenden „Verdacht“. Das er sich für geistig behinderte Kinder einsetzt, ehrt ihn ungemein. Aber alles andere sieht für mich doch sehr nach Sektierertum aus. Das, was Dich, Kretakatze, an dem Mann vielleicht fasziniert, stößt mich eher ab. Ich reagiere leicht allergisch auf religiös-verbrämte Lebensansichten. Natürlich muss jeder selbst wissen, was er aus seinem Leben macht. Ich bemühe mich zumindest, ein „guter Mensch“ zu sein und meinen Kindern ein halbwegs akzeptables Vorbild zu sein.

Clay Aiken, wenn er so „pure“, so rein und „sauber“ ist, wie die Jurorin meint, also ein Heiliger (oder?), dann bekomme ich eher Schüttelfrost. Wenn sich ein so Heiliger mit dem Teufel einlässt (Musikbranche), dann ist da doch etwas faul.

Clay Aiken ein Idol? Wer so rein ist, der ist wahrscheinlich mit dem Schmutz noch nicht in Berührung gekommen. Nicht, dass er nicht die Schattenseiten dieses Lebens kennen gelernt hat. Aber hat er diese auch wirklich wahrgenommen? Ich will hier nicht den Stab über Herrn Aiken brechen. Dazu kenne ich ihn viel zu wenig (ich kenne ihn nicht). Es gibt aber einiges, was ihn mir und seine „Bewegung“ („kirchenähnlich“ schreibst Du – ähnlich wie eine Sekte?) suspekt erscheinen lässt.

Wahrscheinlich ist er aber nur ein „armer Teufel“, der es gut meint, der sich freut, Geld für seine Kinder zu sammeln und der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann.

Gruß
Wilfried

02.04.2008

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

Inzwischen wünsche ich mir, ich hätte Euch den Namen Clay Aiken für alle Zeiten verheimlicht. Es scheint wie verhext, je mehr ich über ihn schreibe desto mehr Missverständnisse gibt es. Und die muss ich dann natürlich wieder aufklären. Hoffentlich bekomme ich das jetzt dieses Mal auf die Reihe…

Ich muss zugeben, lieber Wilfried, dass mich Deine Mail vom 02.04. ziemlich ratlos hinterlassen hat. Vieles von dem, was Du schreibst, verstehe ich nicht, es erscheint mir schwammig oder abstrakt, ich weiß einfach nicht wovon Du sprichst. Was sind z.B. „religiös-verbrämte Lebensansichten“, hat Mr. Aiken solche, und wenn ja, welche? Könntest Du ein Beispiel nennen? Was meinst Du mit „Sektierertum“, was sieht für Dich danach aus? Mit welchem „Schmutz“ ist er „noch nicht in Berührung gekommen“, welche „Schattenseiten“ hat er „nicht wirklich wahrgenommen“? Dann vergleichst Du die Musikbranche mit dem Teufel – geht das nicht doch ein bißchen weit? Nur deshalb weil Mr. Aiken gern ein bißchen singt und ein paar CDs verkauft hat, ist er doch nicht gleich mit dem Teufel im Bunde, oder? Das sind ja fast radikal-islamistische Ansichten… Manche Worte haben mich geradezu erschaudern lassen – da sprichst Du von seiner „Bewegung“, „kirchenähnlich?“, eine „Sekte“? Hilfe, was habe ich da nur angerichtet!?!

Also fangen wird noch mal von vorne an. Hier noch einmal das Video zu Somewhere Out There mit der Prophezeiung, in der die von uns noch nicht identifizierte Dame in der Jury Mr. Aiken als „mystery“ und „pure“ bezeichnet. Das englische Wort „pure“ hast Du gleich einmal mit „heilig“ übersetzt – ich glaube da schießt Du übers Ziel hinaus, ich würde da nicht soviel hineininterpretieren wollen. „Pure“ bedeutet für mich erst einmal „rein“, „klar“, „ohne überflüssiges Beiwerk“, „die Essenz von etwas“. Paula bezeichnet ihn zuvor in ihrem Kommentar als „natural“, und ich glaube da meint sie praktisch das Gleiche. Es ist dies vermutlich auch das erste Mal, dass im Zusammenhang mit Mr. Aiken der Begriff „sexy“ fällt. Und das ist genau der springende Punkt. Mystery – natural/pure – sexy – diese Worte gehören zusammen. Man könnte das auch so schreiben: mystery + pure = sexy, oder anders ausgedrückt: Jesus ist sexy. Es ist natürlich verständlich, dass Dir als Mann das entgangen ist, und es hat Dich wohl auf die völlig falsche Fährte gesetzt. Es geht hier nicht um eine „Sekte“, es geht um einen „Sexiest Singer“.

Die „Bewegung“ des Mr. Aiken hat mit Religiosität nichts zu tun. Ich weiß, ich habe Worte wie „kirchenähnlich?“ und „Jünger“ gebraucht – das war grob fahrlässig und ich bereue es zutiefst. Natürlich war das ironisch gemeint um eine entfernte Parallele zu Jesus herzustellen. Auch meine Erwähnung von „Aktionen“, zu denen er im Fernsehen aufruft, hat vielleicht einen falschen Eindruck erweckt. Soweit ich das bisher mitbekommen habe, handelte es sich dabei immer um Interviews im Rahmen seiner Tätigkeit als UNICEF-Botschafter, und in dieser Funktion ist das auch schlicht und einfach seine Aufgabe.

Tatsächlich sind seine „Claymates“ oder „Clay Nations“ einfach gut organisierte Fanclubs, und ihre Qualität beruht vor allem auf der Qualität der Fans. Wenn man bei seinen Auftritten in die Zuschauerräume sieht, dann sitzen da weit überwiegend Frauen, nicht wenige davon über vierzig, Teenager sind kaum dabei. Da Mr. Aiken von klein auf verlacht und verspottet wurde, abgelehnt und ausgegrenzt, es nun aber trotzdem zu sagenhaftem Ruhm, Erfolg und Beliebtheit gebracht hat, ist er natürlich eine Identifikationsfigur und strahlendes Leitbild für jeden, der sich nicht ernst genommen, ausgegrenzt oder unverstanden fühlt (auch das übrigens eine Parallele zu Jesus) – und das sind in unserer Gesellschaft nicht wenige. Dieses Publikum ist zuverlässig, diszipliniert, anhänglich und einsatzwillig.

Überhaupt war mein ganzer Vergleich mit Jesus viel profaner gemeint, als Du das offensichtlich aufgefasst hast. Auch Jesus war ein Lehrer und Entertainer. Er ist von Ort zu Ort gezogen und hat die Menschen unterhalten, so wie Mr. Aiken das heute auf seinen Konzerttourneen auch tut (vielleicht nicht ganz genauso, aber so ähnlich). Er hat Geschichten erzählt und mit den Menschen diskutiert, das war bestimmt eine unterhaltsame Abwechslung in Zeiten, als das Leben fast ausschließlich aus Arbeit bestand und es auf dem Lande weder Kino noch Disco gab. Und er hat Wunder vollbracht, so etwas hat einen unerhörten Unterhaltungswert.

Wunder vollbringt Mr. Aiken natürlich nicht. Aber er unterhält sein Publikum, und er unterhält sich mit seinem Publikum. Wenn man sich Videos von seinen Konzerten anschaut, gewinnt man den Eindruck, dass er mehr redet als er singt. Hier ein kurzes Beispiel dafür, wie christlich-besinnlich es auf seiner Weihnachtstournee zugeht, und dann noch der Lehrer-Entertainer in Aktion mit seiner Mega-Schulkasse – man merkt, das sind alles seine Kinder.

So ungefähr, stelle ich mir vor, muss das bei Jesus vor 2000 Jahren auch gewesen sein, abgesehen davon, dass er etwas tiefgründigere Dinge von sich gegeben hat. Aber zwischendurch hat er vielleicht auch einmal geblödelt. Man muss sein Publikum dort abholen, wo es steht, da kann man nicht ständig nur hochgeistig sein, sonst läuft es davon. Wenn man heutzutage eine Botschaft an den Mann (oder die Frau) bringen will, dann muss man sie schon ziemlich gut verpacken, sonst wird sie nicht geschluckt. Deshalb ist der moderne Jesus ein Verpackungskünstler. Er verpackt seine Botschaft so gut, dass man sie schon kaum noch bemerkt, sie besteht eigentlich nur noch aus seiner Person und ihrer Biographie und wird daher mehr durch die Medien transportiert als durch ihn selbst.

Was ist denn nun eigentlich der wesentliche Unterschied zwischen einem modernen Jesus und irgendeinem x-beliebigen (meist selbst ernannten) Propheten oder Erweckungsprediger? Der Erweckungsprediger erreicht nur die, die sowieso bereits „bekehrt“ sind, oder die bereit sind sich „bekehren“ zu lassen. Jesus erreicht alle und sammelt auch die noch ein, die gegen jegliche Art von Missionierung resistent sind und den bloßen Versuch bereits als Belästigung empfinden, die Kritischen, die Zweifler, diejenigen, die in allem und jedem sofort die Fehler, Mängel und Schwächen erkennen, diejeningen, die alles bereits wissen, und das besser, die immer recht haben und sich von niemandem etwas sagen lassen – also mich zum Beispiel. Er überzeugt nämlich vor allem dadurch, dass er nicht predigt. Und mit Religion hat das auch alles nichts zu tun.

Übrigens hat Mr. Aiken schon früh verkündet, wie er seinen Einfluss in der Öffentlichkeit zu nutzen gedenkt, lange bevor er irgendwelchen Einfluss hatte und als es noch in den Sternen stand, ob er jemals irgendwelchen Einfluss haben würde, nämlich bei einer seiner Auditions in Hollywood im Vorfeld von AI2. Als Randbemerkung zu diesem Video: Hier meint Mr. Aiken scherzhaft, er klänge als wäre er bei Miss America, ein Dreivierteljahr später war er tatsächlich bei Miss America. Ich finde solche „Zufälle“ faszinierend, besonders wenn sie sich häufen. Dir, lieber Wilfried, ist das suspekt?

Kommen wir von Jesus zum „armen Teufel“ – so hat Wilfried Mr. Aiken bezeichnet, und der Ausdruck passt meiner Meinung nach überhaupt nicht. Er klingt nach einem Opfer, nach jemandem, „mit dem man es machen kann“, und das ist Mr. Aiken bestimmt nicht. Schon für sein erstes Album nach AI mussten z.B. Songtexte eigens für ihn umgeschrieben werden, denn „er singt nicht von Sex, und er singt das sonst nicht“ (und seine Auslegung ist da ziemlich kleinlich). Das hätte nicht jeder in seiner Position gewagt, er war nicht der Gewinner der Show und hatte keinen Anspruch darauf, dass man überhaupt eine CD mit ihm produziert, er hatte Anspruch auf garnichts. Auch seine häufig wiederholte Aussage, über sein Aussehen würden Andere entscheiden, kaufe ich ihm schon lange nicht mehr ab – das hat vielleicht für seine Anfangszeit bei AI gegolten. Wenn er dann mal anfängt zu erzählen, merkt man schnell, dass das doch alles ein bißchen anders ist. Da wollte ER bei einem Überraschungs-Auftritt in American Idol 5 nicht genauso aussehen wie sein Double, das bei dieser Gelegenheit mit einem Scherz-Preis für die „Best Impersonation“ ausgezeichnet wurde. Also berief ER seine Stylisten ein, es wurde „verschiedenes ausprobiert“, bis der Herr mit seinem neuen Look zufrieden war. Es war dies sein erstes Erscheinen in der Öffentlichkeit mit langen dunklen Haaren.

Für sein letztes Album „A 1000 Different Ways“ hatte seine Plattenfirma zunächst lauter neue Songs schreiben lassen. „Aber dann kamen WIR zu dem Schluss, dass die meisten der neuen Songs von der Qualität her mit den Klassikern nicht mithalten konnten.“ Ich glaube eher, dass ER zu diesem Schluss gekommen ist, seine Produzenten legen ihm doch nicht Songs vor und bemerken dann erst, dass sie nicht gut genug für ihn sind. Es wurden dann überwiegend Covers von Klassikern aufgenommen (vermutlich nach Auswahl von Mr. Aiken). Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, dass er es letztlich immer schafft, dass alle das machen, was er will, nur stellt er das so geschickt an, dass es kaum auffällt. Ein „armer Teufel“ sieht jedenfalls anders aus.

Was fasziniert mich nun also an Mr. Aiken? Du meinst es wäre das Gleiche, das Dich abstösst. Das kann ich nicht beurteilen, zumal ich nicht behaupten wollte, dass ich schon restlos verstanden hätte, was mich an ihm fasziniert. Zunächst einmal bin ich natürlich an ihm hängengeblieben, weil ich einige Ähnlichkeiten mit mir selbst entdecken konnte. Da Ihr mich bereits bestens kennt, könnt Ihr Euch vielleicht denken, was das ist (und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm). Dann bewundert man üblicherweise Menschen, die Eigenschaften oder Fähigkeiten besitzen, die man an sich selbst vermisst. Ich persönlich bin z.B. obercool, wie Euch sicher schon aufgefallen ist, und das hauptsächlich deshalb, weil ich viel zu feige bin zu riskieren eine Angriffsfläche zu bieten. Menschen, die das nicht nötig haben, imponieren mir irgendwie.

Darüber hinaus bin ich auch noch Analytiker, und ich bin erst zufrieden, wenn ich alles bis ins Detail zerlegt und verstanden habe. Mit Mr. Aiken ist mir das bislang noch nicht gelungen. Insbesondere irritiert mich seine chamäleonartige Wandlungsfähigkeit, und das nicht nur äußerlich. Oder bilde ich mir das nur ein? Wenn ich mich mal an jemanden gewöhnt habe, dann möchte ich mich gerne jedesmal, wenn ich ihn sehe, in ihm wiederfinden. Ihr erinnert Euch sicher noch an John Fogerty und das karierte Hemd… Da ist Mr. Aiken eine echte Herausforderung. Das eine Mal denke ich, den kenne ich, beim nächsten Video frage ich mich „Wer ist denn das nun schon wieder?“. Das macht mich ganz kirre! Soweit zu meiner nicht immer restlos ungetrübten Beziehung zu Mr. Aiken.

Zusammenfassend könnte ich vielleicht sagen: Mir scheint Mr. Aiken ein Mensch zu sein, der sehr genau weiß, was er will. Das bin ich im Prinzip auch. Nur bin ich nicht sehr geschickt darin, es auch zu bekommen. Er scheint da wesentlich erfolgreicher zu sein als ich. Und ich wüßte gern, wie er das macht.

Nun doch noch einmal zu DSDS und AI. Von Wilfried stammt folgendes Zitat: „Hier versucht die Musikindustrie billig an Talente zu kommen, schlachtet die dann aus – und lässt sie schnell wieder fallen, wenn ein Talent wie eine Zitrone ausgepresst ist.“ Zu DSDS kann und möchte ich in dieser Beziehung eigentlich nichts sagen – ich habe mich nicht näher damit beschäftigt und möchte das auch nicht, es ist zu deprimierend. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Deutschland in der derzeitigen Musiklandschaft eine Sonderstellung einnimmt, wir sind durch einflussreiche Musikproduzenten auf qualitativ unterstem Niveau zur musikalischen Bananenrepublik verkommen. Talente mit Persönlichkeit und Niveau haben zurzeit in Deutschland keine Chance. Der deutsche Markt saugt Musik aus dem Ausland an wie ein Vakuum. Dazu vielleicht ein andermal ein paar Beispiele.

Was z.B. American Idol und die amerikanische Musikindustrie betrifft, habe ich inzwschen in mancher Hinsicht meine früheren Ansichten revidiert. Wenn man 100.000 Bewerber durchsieben muss, um letztlich ein oder zwei Talente zu finden, mit denen man Geld verdienen kann, dann ist dieser Aufwand immens, da kann man nicht mehr von „billig“ sprechen. Da ist es bestimmt billiger im Plattenstudio zu sitzen und darauf zu warten, dass junge Musiker ihre auf eigene Kosten erstellten Demo-Aufnahmen einreichen.

Und es ist ja auch nicht so, dass man einfach die Leute von der Strasse holt und auf die Bühne stellt. AI ist spätestens ab der Runde der letzten 12 ein 7-Tage-die-Woche-10-Stunden-am-Tag Crash-Kurs in Showbiz. Die Kandidaten bekommen Stimmtrainer und Gesangslehrer zur Seite, die Performance wird geübt. Jede AI-Show steht unter einem anderen Motto, bei der „Movie Night“ muss z.B. jeder eine Filmmusik singen, worum es bei „Country Night“, Rock Night“, „Musical Night“ etc. geht, könnt Ihr Euch sicher denken – die Bewerber werden durch alle Stilrichtungen der Musik gejagt. Jede Woche wird ein anderer Star aus der entsprechenden Musikrichtung eingeladen um die Kandidaten zu coachen und ihnen Tipps für den Auftritt zu geben. Für die „Bon Jovi Night“ ist das natürlich kein anderer als Jon Bon Jovi selbst, und der macht das sicher auch nicht für umsonst. Hier ein Beispiel dafür, wie man dabei aus einem schüchternen kleinen Mäuschen eine neue Tina Tuner macht. Melinda wurde übrigens in diesem Wettbewerb die Dritte und hat jetzt auch einen Plattenvertrag. Zu ihrer Audition kam sie noch zitternd herein.

Ich will jetzt nicht diese American Idol Show glorifizieren. Sie produziert eine völlig andere Art von Musikern, als wir das aus der guten alten Zeit mit „handgemachten“ Bands wie Jethro Tull gewöhnt sind. Es sind fast ausschließlich reine Interpreten, es ist ein Wettbewerb für Pop-Sänger, nicht für Rock-Bands, und nur gelegentlich ist mal ein Musiker dabei, der auch ein Instrument spielt oder selbst Songs schreibt. Taylor Hicks war einer von dieser Sorte, er hat AI 2005 gewonnen, mich aber weder durch seinen Gesang noch durch seine Songs vom Hocker gerissen. (Übrigens: In den letzten Runden, wenn die Kandidaten mehr als einen Song pro Abend darzubieten haben, ist auch Gelegenheit dafür die eigenen Kompositionen vorzutragen – Mr. Hicks hat das getan.) Was ich eigentlich sagen will – hier wird keine neue Musik geschaffen, aber diese Show ist trotzdem ein Fortschritt gegenüber der Zeit, als ausschließlich Musikproduzenten darüber entschieden haben, wer vor ein Mikrophon darf, denn jetzt haben auch Talente eine Chance, die sonst nie das Licht eines Fernsehscheinwerfers erblickt hätte. Norwegen hat einen neuen Nationalhelden, Amerika hat einen neuen Jesus – das ist doch was. (Und was haben wir? Dieter Bohlen – es ist zum Ko…!)

Zu Wilfried’s Problem mit den Song-Lizensen – ich glaube, da brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen. Wie wir schon gesehen haben – zur „Bon Jovi Night“ betätigt sich Mr. Bon Jovi selbst als Coach, bei der „Neil Sedaka Night“ (Solitaire) sitzt Mr. Sedaka mit in der Jury, bei der „Bee Gees Night“ (To Love Somebody) ist es Robin Gibb. Da werden die Herren bestimmt ihr Scherflein abbekommen. Das kann heutzutage niemand machen, dass im Fernsehen vor Millionen von Zuschauern Songs dargeboten werden, und die Rechteinhaber bekommen kein Geld – das würde Klagen hageln. Für die paar gekrächzten Takte, die die „skurrilen Nichtskönner“ bei den Castings vortragen, wird es allerdings wohl kaum was geben, lieber Wilfried. Das wirst Du aber auch nicht ernsthaft erwartet haben – oder?

Soweit ausführlich dazu, wie die heutige Musikindustrie „billig“ an Talente kommt. Beschäftigen wir uns nun noch kurz mit dem „Ausschlachten“, „Auspressen“ und „Fallenlassen“. Das ist sicher alles schon vorgekommen, aber ich würde bezweifeln, dass es die Regel ist. Die Musikproduzenten haben kein Interesse daran ihre Stars zu verheizen, sie haben Geld in sie investiert und möchten möglichst lange an ihnen verdienen. Natürlich werden sie einen Musiker fallenlassen, wenn er beim Publikum nicht (mehr) ankommt, sie sind keine Wohltätigkeitsunternehmen. Aber das „Ausschlachten“ besorgen Andere – die Medien. Auf der ständigen Suche nach Schlagzeilen und Stories durchwühlt die Boulevard-Presse das Privatleben der Stars (das betrifft natürlich nicht nur die Musiker sondern genauso auch Schauspieler) bis sie eigentlich kein Privatleben mehr haben – es wird öffentlich – und jede kleine Ungeschicklichkeit oder Peinlichkeit wird aufgegriffen, aufgebauscht und breitgewalzt.

Zu diesem Thema vielleicht eine harmlose kleine Episode aus dem Leben des Mr. Aiken. In oben verlinktem Video sagt er zu der Dame, der er gerade das Fernglas abgenommen hat: „You’re close enough to smell the … I ate earlier.“ (leider verstehe ich nicht, was er da gegessen hat). Das ist bestimmt eine Anspielung darauf, dass sich wenige Wochen zuvor irgendjemand öffentlich darüber beschwert hatte, dass er bei irgend einer Gelegenheit nach irgendetwas gestunken hätte (vermutlich gerade dieses von mir nicht identifizierbare Lebensmittel oder Gericht). Es gab tatsächlich eine Schlagzeile nach dem Motto „X sagt: Clay Aiken stinkt!“. Das ist so doof, dass es eigentlich jeder Beschreibung spottet, aber das Thema beschäftigte Presse und Fernsehen auf sämtlichen Kanälen. Nach so einem „Skandal“ kann er sicher davon ausgehen, dass er in den nächsten 10 Interviews gefragt wird, ob er wirklich gestunken hat, nach was er gestunken hat und warum er gestunken hat usw.. Das nur als Beispiel dafür, auf welchem Niveau da geschossen wird.

Früher oder später wird jeder, der einem solchen Leben ausgesetzt ist, zum Nervenbündel. Dadurch macht er nur noch mehr Fehler und die „Skandale“ häufen sich. Nach und nach wird das Ansehen dieser Person in der Öffentlichkeit demontiert – wer möchte schon eine CD kaufen von jemandem, der stinkt? Und so geht es mit der Karriere darnieder, wenn der Betreffende nicht schon vorzeitig wegen Nervenzusammenbruch, Alkohol- oder Drogenkonsum ausscheidet. Das liegt aber nicht an der Musikbranche.

Du meine Güte, jetzt bin ich schon wieder ausgeufert. Und dabei habe ich noch nicht einmal auf Wilfried’s neue Themen reagiert oder auf Lockwoods Vorstellung von Tom Waits. Das wird jetzt wohl erst noch warten müssen…

Seid ganz lieb gegrüßt bis demnächst
Kretakatze

PS.:So, lieber Wilfried, nun habe ich Deine letzte Mail wieder einmal restlos zerpflückt und in den Boden gestampft, ich hoffe Du bist nicht allzu deprimiert. Deshalb zum Schluss nun noch ein Video, das Dich hoffentlich wieder aufbaut. Es beweist, dass Du zumindest in einem Punkt absolut recht hast: Mr. Aiken ist sehr amerikanisch (wenn ich auch noch nicht so ganz verstanden habe, was Du damit eigentlich meinst).

07.04.2008

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

in Euren letzten mails tauchen häufiger die Begriffe Jesus, Hölle, heilig auf. Ich denke, hier erhebt Ihr die Musikindustrie und ihre Protagonisten auf ein Level, das ihnen eine Nummer zu groß ist.

Auch wenn Mr. Aiken eine charismatische Ausstrahlung besitzt und durch seine Wohltätigkeiten ein gottgefälliges Leben führt, so kann ich doch nichts Messianisches an ihm entdecken. Darüber hinaus erscheint sich sein Sendungsbewusstsein auf die Staaten zu reduzieren; ohne Eure Beiträge hätte ich noch von ihm gehört.

Auch der Begriff Hölle für die Widrigkeiten des Showbiz scheint mir etwas übertrieben. Wir wissen alle, dass es im modernen Arbeitsleben nicht immer leicht ist, im Schweiße seines Angesichtes sein Brot zu verdienen. Das gilt nicht nur für die Musikbranche. Ein Superstar ist in meinen Augen ebenso ein Werktätiger wie ein Bäcker oder Buchhalter. Alle stellen ihre Fähigkeiten zur Verfügung und werden dafür entlohnt.

Weit mehr kann ich mich mit Kretakatzes Ausführungen über die Wandlungsfähigkeit einiger Künstler identifizieren. Jaaa, das Karohemd von Mr. Fogerty steht für einen hohen Wiedererkennungswert, ebenso die Bärte von ZZ Top, der Pferdeschwanz von Status Quo oder die blonde Mähne von Led Zeppelin. Da weiß man, woran man ist.

Mit einem wandlungsfähigen Künstler habe ich auch so meine Probleme. Im Zusammenhang mit Ian Anderson habe ich darüber schon geschrieben. Die Grenzen zwischen künstlerischem Fortschritt und wirtschaftlichem Opportunismus sind in vielen Fällen verwischt. Ich fordere nicht, dass ein füllig gewordener Künstler in seinen 50ern die gleichen engen Klamotten trägt wie in Zeiten seiner schlanken Jugend. Aber die abrupten Stilwechsel eines Mr. Anderson haben mir schon zu schaffen gemacht. Genau wie Kretakatze bei Mr. Aiken habe ich mich gefragt, wer das denn jetzt sei. Möglicherweise gefällt einigen Fans die Vielseitigkeit ihres Künstlers; mehr fehlt dazu die geistige Flexibilität.

Das war es auch schon von meiner Seite für heute.
Lasst es Euch gut gehen.
Lockwood

08.04.2007

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Hallo Ihr Lieben,

es ist schon erstaunlich, wie viel Kretakatze immer wieder zu schreiben weiß. Nicht das ich denke, Du, Kretakatze, hättest nichts Besseres zu tun. Aber es erstaunt schon, wie sehr Du Dich z.B. an diesen Clay Aiken ‚hängst’. So ausführlich werde ich Dir, zumindest in dieser Sache, natürlich nicht antworten wollen.

Also zunächst zu Deinem Vorwurf, ich äußere ‚fast’ radikal-islamische Anschichten! Wieso ‚fast’, es sind radikal-islamische Ansichten. Zumindest verstehe ich immer besser, wenn islamische Radikale nicht gut auf Amerika zu sprechen sind. Aber im Ernst:

Ich möchte nicht so sehr auf den Herrn Aiken eingehen, sondern mich eher zu der Frage äußern, was ich als typisch amerikanisch ansehe. Und ich möchte nur ein Detail aufgreifen, denn sonst wird das hier einfach zu lang.

Etwa wie Israel sehen viele Amerikaner ihr Land als das ‚gelobte Land’ an. Gott ist besonders ihrem Land wohlgesonnen. Das ist der reinste Calvinismus, nachdem nur bestimmte Menschen (hier ‚fast’ ein ganzes Land) dazu prädestiniert sind, den Weg zur Seligkeit zu gehen. Der Rest (wir Europäer eingeschlossen) kommt in die Hölle. Da kann er machen, was er will.

Natürlich hat das Ganze öfter einen Knacks bekommen; z.B. als Kennedy ermordet wurde, war das für viele Amerikaner geradezu unfassbar. Unfassbar allein deshalb, weil Gott den Amerikanern doch so etwas nicht antun kann. Und ähnlich ist es jetzt mit dem weltweiten Terror, dessen Hauptziel Amerika ist. Allein der Begriff „Achse des Bösen“ zeigt für mich die religiöse „Verbrämtheit“ auf, die das Ganze gewonnen hat.

Und so ist nach meiner Sicht vieles in Amerika religiös verbrämt (bemäntelt, ‚verziert’, ausgeschmückt). Ist Gott mit dir, dann wird sich das auch in deiner steilen beruflichen bzw. geschäftlichen Karriere zeigen. Daraus lässt sich eine Selbstherrlichkeit vieler Amerikaner ableiten, die sicherlich nicht nur mich abstößt.

Ein Aspekt nur, aber ein wesentlicher. Natürlich kann das nicht für alle Amerikaner gelten. Aber es ist eine ‚Grundhaltung’, die durch viele Alltäglichkeiten fundamentalisiert wird (z.B. das ständige Bekenntnis zur Nation schon in der Schule hat diesen halbreligiösen Charakter und ‚schult’ dieses Gefühl, zu etwas ‚Großem’ zu gehören).

Wenn Du, Kretakatze, Deinen Vergleich Clay A. mit Jesus C. auch „viel profaner gemeint hast“, so denke ich doch, dass einige Amerikaner (wahrscheinlich eher unbewusst) das Auftreten des Clay A. in einem religiösen Sinne ‚begreifen’. Und: Ich weiß, ich bin manchmal sehr abstrakt. Aber wie soll ich das in wenigen Worten sagen. Genug.

Noch einen Satz (oder zwei) zu dem Vergleich Musikbranche und Teufel. Natürlich meine ich das nicht wortwörtlich, eher auch im Sinne von profan, materialistisch ausgerichtet (Geld und noch einmal Geld): Ein profaner Jesus gerät in profane Versuchung (Plattenvertrag) durch den profanen Teufel (Musikindustrie).

Natürlich hat Kretakatze Recht: Das Aussieben von ein, zwei Talenten aus einer Masse von 100.000 Kandidaten ist immens aufwändig. Anderseits ist die entsprechende Präsentation im Fernsehen sehr publikumswirksam. American Idol, Pop Idol, DSDS und wie diese Sendungen noch heißen werden von einer breiten Öffentlichkeit angeschaut (auch wenn viele das nicht zugeben). Selbst Lockwood wirft öfter einen Blick hinein. Das Ausschlachten der wenigen Talente ist dann nur noch ein ‚Abfallprodukt’, dem sich die Musikindustrie dann aber um so lieber widmet. Das Ganze (TV-Show und Musikproduktion) stellt einen großen Markt da. Wäre das nicht so gewinnbringend, würden sowohl TV-Sender als auch Musikindustrie schnell ihre Finger davon lassen. Überhaupt TV- und Musikbranche – sind diese beiden in den USA nicht besonders eng verwoben (und die Filmindustrie kommt da auch noch hinzu)?

Kretakatze sieht hier eine unaufhaltsame Tendenz zu Einzelkünstlern. Diese Tendenz wird aus meiner Sicht von der Musikbranche beeinflusst, ja ich behaupte: gesteuert (eben durch solche Sendungen). Musikgruppen, eben Bands, müssen zusehen, wo sie bleiben. Denen bleiben meist nur noch ‚unabhängige’ Labels oder (zunehmend) der Eigenvertrieb. Eine Ausnahme davon bilden vielleicht die „etablierten“ Bands, also die mit großen Namen. Ein Grund mehr für mich, Sony & Co. nur der Geldschneiderei zu bezichtigen.

Und es gibt noch einen Trend: Vieles wird zum x-ten Mal wiedergekäut und bis zum letzten Exzess ausgeschlachtet. Single-Auskopplungen gab es schon immer. Aber heute sind viele Alben nur noch Vorab-Samplers von Single-Scheiben ohne Ende. Dann die x-te Version eines Liedes (Langfassung, Single-Fasssung, Disco- und sonst wie-Fassung). Alles muss sich mehrfach verwerten lassen. Die Filmindustrie ist hier vielleicht noch etwas erfolgreicher: Nach dem Kinofilm kommt die DVD, dann verdient man mit TV-Rechten (und zunehmend mit Rechten für Online-Film-Dienste), und bei besonders erfolgreichen Filmen kommt dann später noch der Director’s Cut als Doppel- und Dreifach-DVD auf den Markt. Und wenn sich die Technik wandelt, dann kommt ein solcher Film auch noch auf den neuen Medien (z.B. Blu-Ray) heraus. Da will und kann sich die Musikindustrie nicht hintanstellen: alles noch einmal in Super-Technik als Musik-DVD (5.1 Dolby Digital oder Surround DTS). So viele Ohren hat man nicht, um zu hören.

Da z.B. Sony nicht nur die Software liefert (sprich: Musik) sondern auch die Hardware (Player aller Art), ist der Verdienst ein doppelter. Früher wurden Plattenfirmen von Idealisten gegründet und geleitet. Heute sind das bei den großen Firmen nur noch Kaufleute. So rückte auch zunehmend der Geschmack der breiten Massen in den Vordergrund. Und wenn diese keinen Geschmack haben, dann wird denen schon etwas schmackhaft gemacht.

Auch wenn wir hier vom Thema Ian Anderson und Jethro Tull weit entfernt sind (so weit nun auch wieder nicht – auch Herr Anderson hat neben seinem Musikschaffen regen Geschäftssinn bewiesen – und um Musik geht es letztendlich ja auch immer noch), so lautet die Beschreibung zur Rubrik „Was ist bloß mit Ian los?“ immerhin doch „Jethro Tull & vieles mehr“ (siehe Quickinfo – mit der Maus auf den Rubrikentitel zeigen).

Damit wir für heute den Faden zu Jethro Tull nicht völlig verlieren, hier einige Infos, die ich beim Surfen im weltweiten Netz aufgegabelt habe. Entgegen der Meinung, das Thema Jethro Tull wäre erschöpft, denke ich nach wie vor, dass sich immer noch etwas finden lässt, was lohnenswert ist, hier angemerkt zu werden.

Was mich immer schon interessierte ist, welche „Schnittstellen“ es zu anderen Gruppen gab und gibt. Zum einen kommen solche Schnittstellen dadurch zu Stande, dass Gruppenmitglieder ausgetauscht wurden. Die bringen gewissermaßen eine Vorgeschichte mit. Dazu gibt es z.B. einen Stammbaum (Family Tree) bei collecting-tull.com. Und bereits im Beitrag Was ist bloß mit Ian los? Teil 29: Sexy Ian schreibt Noten verwies ich auf die interessante Website bandtoband.com, die die Verzweigungen der Bands untereinander anschaulich darstellt. Ich habe außerdem ein großformatiges Buch zu Hause: Pete Frame ’s Rock Family Tree aus dem Jahre 1979 (also schon bisschen alt, es gibt aber wohl auch neuere Auflagen), da ist in grafischer Übersicht der Stammbaum z.B. von Fleetwood Mac, Fairport Convention (u.a. durch Dave Pegg zu einer JT-Schnittstelle geworden) und Eric Clapton zu finden. Jethro Tull selbst findet sich da noch nicht. Ich habe aber einen entsprechenden Stammbaum irgendwo im Internet gesehen (nur wo?). Soviel zu Vorgeschichte:

Ian Anderson hatte öfter Frank Zappa als einen der Musiker erwähnt, die er mag. Oft weiß man zwar nicht, ob der Meister das wirklich ernst meint. Ich glaube aber: ja. Und zwischen Jethro Tull und Zappa gibt es bekanntlich das Bindeglied Eddie Jobson, wie ebenso in einem früheren Beitrag in diesem Blog festgestellt wurde (Was ist bloß mit Ian los? Teil 39: Widmungen und mehr). Das bestätigt natürlich nicht unbedingt die Aussage von Herrn Anderson (Jobson war ja nicht der typische Tull-Musiker). Vor einiger Zeit las ich aber, dass Ian Anderson in den 70-er Jahren ein Plattenprojekt einer Gruppe aus dem Umfeld von Captain Beefheart finanziell unterstützt hätte. Captain Beefheart steht ähnlich wie Zappa für avantgardistische Musik und beide haben auch öfter gemeinsam musiziert. Ich habe also nachgeforscht, weil mir das doch sehr kurios vorkam. Und tatsächlich. Im April 1972 tourte Jethro Tull durch die USA, abwechselnd mit der Gruppe Wild Turkey (mit Ex-Tull Bassist Glenn Cornick) und Captain Beefheart als Vorgruppe. Am Rande: u.a. wurde „Thick as a Brick“ dabei mehrmals vollständig aufgeführt. Hier lernte Anderson also Don Van Vliet und seine Jungs kennen.

Als Begleitband von Captain Beefheart spielten u.a. Bill Harkleroad (Zoot Horn Rollo) und Mark Boston (Rockette Morton) von 1968 bis 1974 in der so genannten Magic Band. 1974 kamen die beiden mit dem Schlagzeuger Artie Tripp III (Ed Marimba) nach England, um dort als MALLARD ein Album aufzunehmen. Die Gruppe nahm dann 1975 und 1976 insgesamt zwei LPs auf. Und die erste hat tatsächlich Ian Anderson finanziert. Angeblich soll Anderson den Jungs auch einen Song geschrieben haben. Was daraus wurde, ist aber wohl nicht ganz klar (immerhin soll das Lied aufgenommen worden sein und das Band sich dazu im Besitz von Bill Harkleroad befinden). Nachzulesen ist alles in einem Interview mit Bill Harkleroad (Zoot Horn Rollo); u.a. steht dort:

didn’t ian anderson initially back the mallard project?

totally. he set up a situation where we got signed to virgin records. through being the opening act and making the connection early on, he got hold of bill shumow, our manager at the time, and said: ‚hey, where are these guys and what are they doin‘?‘ he got us into the studio and wrote a song for us. a bizarre song. i’ve got the tape of it (laughs). real ian anderson-sounding! anyway, he says: ‚hey, here you go. i’ll give you the money. here’s a tune.‘

so ian anderson wrote a song for mallard?

one song. it never showed up anywhere. he was in town and the way i thought of it is: here’s this guy who works twenty hours a day and needs to be busy [laughs]. he had a day off, so he wrote us a song. anyway, he was very nice and i appreciated what he did. we went to england and recorded the first album in his studio with his engineer.

Ian Anderson also als Sponsor. Man glaubt es kaum. Die CD ist sogar käuflich zu erwerben: Mallard – in a Different Climate.

Noch einige Worte zum Thema „Wandlungsfähigkeit und Wiedererkennungswert“. Letzteres hat sicherlich auch etwas mit dem Erfolg eines Musikers bzw. eine Band zu tun. Trotz der vielen Verwandlungen (optisch wie musikalisch) hat auch Ian Anderson einen hohen Wiedererkennungswert: Klar, durch sein Flötenspiel auf einem Bein. Kein Wunder also, wenn er dann mit Bezeichnungen wie Hans Huckebein, der Bluesrabe oder Der Rattenfänger der Rockmusik benannt wird. Wer selbst die Namen Anderson oder Jethro Tull und deren Musik nicht kennt (oder nur am Rande), wird zumindest wissen, wo er den Mann mit Flöte auf einem Bein unterzubringen hat. Da spielt es keine Rolle, in welcher Kostümierung er sich zeigt.

Komme ich zum Schluss für heute: In einem anderen Zusammenhang bin ich auf die Frage (besser: Antwort) gestoßen, welchen Hintergrund das Plattencover zu “War Child” bildet. Hinter Ian Anderson im „Minstrel“-Outfit ist die Skyline einer Großstadt zu sehen. Die Frage lautet, ist klar, um welche Stadt es sich dabei handelt. Mit dieser Frage verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch nicht zu stressige Arbeitstage.

Cheerio und Tschüss
Euer Willi

09.04.2008

English Translation for Ian Anderson