Kategorie-Archiv: Machtgier

Frustrierendes aus Politik und Wirtschaft

Zurück zur Normalität?

Das Interesse der Norweger an dem Prozess gegen den Attentäter Anders Behring Breivik, der im vergangenen Sommer 77 Menschen getötet hatte – 8 starben nach einer Bombenexplosion im Osloer Regierungsviertel, 69 weitere bei seinem Amoklauf auf der kleinen Insel Utøya.-, wird immer geringer. Breivik präsentiert sich armselig und von Selbstmitleid geplagt. Öfter schon wurde er von der Staatsanwaltschaft bloßgestellt und in seinen Allmachtsvorstellung lächerlich gemacht. Der selbst ernannte „Retter Norwegens“ demaskiert sich selbst und offenbart seinen offensichtlichen Kern, den eines „gesellschaftlichen Verlierers, der sich in eine rechtsextreme Wahnwelt versponnen hat und aus Mordlust und Kompensation für sein armseliges Leben Menschen tötete.“ (Quelle: welt.de).

Wer in Norwegen nicht direkt betroffen ist, wendet sich ab und hofft nur, dass dieser klägliche Versager für immer hinter verschlossenen Türen verriegelt bleibt. Man will Abstand gewinnen und zur Normalität zurückkehren.

Anders Behring Breivik

Auch Anders Behring Breivik ist um ‚Normalität’ bemüht. Für ihn gilt, als zurechnungsfähig zu gelten, denn er will auf keinen Fall in die Psychiatrie. So gibt er sich ruhig und bedacht. Seine zuvor gestellten, reichlich absurden Bedingungen, um Aussagen zu seinen Taten zu machen, z.B. die Auflösung des norwegischen Parlaments, zog er zurück. Dem Gericht liegen zwei widersprüchliche psychiatrische Gutachten über den Geisteszustand Breiviks vor. Im ersten wird er als paranoid-schizophren und damit schuldunfähig, im zweiten als voll zurechnungsfähig und nicht psychotisch bezeichnet. Breivik leide danach allerdings an einer narzisstischen und asozialen Persönlichkeitsstörung und habe ein falsches Selbstbildnis. Die Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheidet darüber, ob der 33-Jährige für 21 Jahre ins Gefängnis oder in eine psychiatrische Anstalt kommt.

Der Fall Breivik ist ein besonderer Fall. Nach dem ersten Schein haben wir es hier zum einen mit einem politisch motivierten Attentäter zu tun, zum anderen mit einem Amokläufer, der auf der Insel Utøya alles niedergeschossen hat, was sich bewegte (siehe hierzu meine Beiträge Amok und Spurensuche). Ich schreibe ‚nach dem ersten Schein’, denn die politischen Motive kommen eher einem Wahn gleich und der ‚Amoklauf’ ist untypisch, auch wenn sich der Täter hier in eine Art Blutrausch gesteigert haben muss. Am Ende ließ sich Breivik widerstandslos verhaften.

Aus der Ferne ist Breivik natürlich nur ungenau zu beurteilen. Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller siedelt den Fall an der Grenze zwischen Fanatismus und Wahn an. Für den Kriminalpsychologen Prof. Rudolf Egg hat Breivik „in jedem Fall eine Persönlichkeitsstörung“. Beide halten Breivik für nicht heilbar und plädieren für eine lebenslange Unterbringung, egal ob nun im Gefängnis oder in der psychiatrischen Anstalt. Der forensische Psychiater Norbert Leygraf sieht Parallelen zum Fall Ernst August Wagner, der erste Fall in der württembergischen Rechtsgeschichte, bei dem ein Prozess wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt wurde. Leygraf unterstützt also eher das erste Gutachten.

Ob Breivik nun zurechnungsfähig ist oder nicht, soll nun der Prozess entscheiden, der auf zehn Wochen angelegt ist. Eines wird aber zunehmend deutlich: Vieles von dem, was Breivik erzählt, gibt es wohl nur in seinem Kopf. So beschwert es sich, die Anklägerin wolle ihn als geisteskrank darstellen. Die Fragen über seinen psychischen Zustand dienten nur dazu, ihn und seine extreme Ideologie zu diskreditieren.

Von Normalität wird man im Gerichtssaal in den nächsten Wochen kaum sprechen können …

siehe u.a. auch meine Beiträge:

Bestie Mensch
Schießwut und Waffenwahn
Die Spitze des Eisbergs
Rechtes Schattenland
Herr und Knecht

Two and a half men

Ja es ähnelt der US-amerikanische Sitcom mit diesem Namen, das was die FDP zz. präsentiert: die Boygroup Westerwelle, Rösler und Döring (wer da den halben Hahn darstellt, bleibt dem Leser überlassen). Und man kann schon Angst um die Jungs bekommen. Nach der Wahl im Saarland, bei der die FDP nur unter ‚ferner Liefen’ ins Ziel stolperte, mag man gar nicht erst an die nächsten Wahlen im Mai denken (Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) – und noch weniger an die Bundestagswahl SPÄTESTENS im Herbst 2013 denken.

Die FDP hat allem Anschein nach ausgedient. Als Ersatz haben wir nun die Piraten gewissermaßen als FDP 2.0. Da stellt sich natürlich die Frage, was werden unsere FDP-Jungs SPÄTESTENS ab Herbst 2013 beruflich tun?

Westerwelle ist promovierter Jurist und seit 1991 als Rechtsanwalt zugelassen. Er arbeitete bis zu seiner Wahl zum Generalsekretär der FDP 1994 in der Bonner Anwaltskanzlei seines Vaters Heinz Westerwelle. Das war nicht allzu lang und ist schon ziemlich lang her (Quelle: de.wikipedia.de).

Rösler ist promovierte Arzt ohne abgeschlossene Facharztausbildung und war zuletzt bis 2003 Stabsarzt bei der Bundeswehr. Auch das ist lange her und mit der Berufserfahrung hapert es einwenig (Quelle: de.wikipedia.de).

Und Döring ist Diplom-Ökonom und hat seit 1999 einige berufliche Erfahrung in mittelständischen Versicherungsunternehmen in Hannover sammeln können. Auch nicht so toll (Quelle: de.wikipedia.de).

Ja, was werden die Herren in Zukunft beruflich machen, wenn sie in Berlin ausgedient haben? Wer mag denen einen Job geben, muss zu befürchten sein, dass sie die Firma auch schnellstmöglich an die Wand fahren? Die Partei wechseln? Wer nimmt die schon?
Hartz IV? Oder auf Vorruhestand mit ’ner Art ‚Ehrensold’?

Kleinkrieg in Tostedt?

Es ist schon etwas her, was in Tostedt, Ortsteil Todtglüsingen geschah: Am Samstag, den 11.2., wurde lt. Polizeipresseartikel „gegen 23.45 Uhr […] die Polizei in die Rosenstraße gerufen. Dort war es vor einem Mehrfamilienhaus, in dem auch ein amtsbekannter Rechtsextremist wohnt, zu mehreren Schussabgaben gekommen.
[…] Bei der Sachverhaltsaufnahme wurde bekannt, dass sich bereits am Nachmittag, gegen 16.30 Uhr ein solcher Vorfall ereignet hatte.

Am Sonntagabend [12.02.2012], gegen 23.35 Uhr wurde die Polizei erneut alarmiert. Wieder wurden mehrere Schüsse in der Straße abgefeuert. […]
Die Polizei hat Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz eingeleitet. Bislang gibt es keine Spur zu den Tätern. Die Beamten des Staatsschutzes sind mit den Ermittlungen befasst.“ (Quelle: presseportal.de/polizeipresse)

Am Tatort wurden übrigens Hülsen einer Schreckschussmunition sicherstellen.

Obwohl die Täter unbekannt sind, warnt die Polizei „vor einer drohenden Gewalt-Eskalation zwischen Links- und Rechtsextremen in Tostedt. ‚Die jüngsten Entwicklungen beunruhigen uns sehr’, sagte Uwe Lehne, Leiter der Polizeiinspektion Harburg […]. Nachdem das Oberlandesgericht Celle das Urteil gegen den Rechtsextremen Stefan Silar aufgehoben hat […], haben offenbar gezielte Provokationen aus der linken Szene zugenommen. Zuletzt griff die Polizei in der Nacht zu vergangenem Samstag [18.02.2012] eine Gruppe von 13 Mitgliedern der Antifa-Szene aus der gesamten Region auf. Bei der Überprüfung der Personalien kam es zu einem Handgemenge, in dessen Folge ein Polizist stürzte und sich den Arm brach. Ein anderer Beamter verletzte sich an der Hand […] :“ (Quelle: Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 22.2.2012 – Nr. 8 – 41. Jg – S. 1)

Der Polizeichef, Herr Lehne, ist bekanntlich auf dem rechten Auge stark kurzsichtig, zumindest suggeriert die Aussage von Herrn Lehne, dass die Schüsse von Mitgliedern der Antifa abgegeben wurden, obwohl dies nicht einmal ansatzweise belegt ist. Schreckschusswaffen werden im Übrigen gern in der rechten Szene benutzt (Der Neo-Nazi Silar hantierte verbotenerweise mit einer solchen Waffe).

Wer hat also jetzt in Tostedt (im Ortsteil Todtglüsingen) mehrmals vor dem Haus, in dem der Rechtsextreme Silar wohnt, geschossen? Einiges spricht durchaus für Mitglieder der linksgerichteten AntiFa. Nachdem die im Gemeinderat vertretenen Partei zu einer Demonstration gegen Rechts aufgerufen hatten und über 1000 Bürger diesem Aufruf gefolgt waren (Tostedt wehrt sich gegen Neonazis), sah sich die AntiFa wohl aufgefordert, selbst wieder „das Heft in die Hand“ zu nehmen, sprich: eigene Aktionen gegen Silar und Co. durchzuführen.

Schaut man sich im Internet die einschlägigen Websites der rechtsextremen Szene rund um Tostedt an, dann verwundert es schon, dass die Schussabgaben vor dem Silar-Haus mit keinem Wort erwähnt werden. In tostedtgegenlinks findet sich als Letztes ein Bericht über einen „wiederholte[n] Farbanschlag auf das Geschäft Streetwear-Tostedt“, also dem Laden von Herrn Silar. Mehr nicht. Und im infoportal-nordheide wird zuletzt von der Razzia bei Mitgliedern der rechtsextremen Szene (u.a. auch in Tostedt – siehe unten) berichtet. Nichts von Schüssen gegen Silar.

Auf de.indymedia.org, eine unabhängige Medienplattform, das von der linken Szene genutzt wird, findet sich ein interessanter Hinweis: Ist Herr Silar vielleicht ein V-Mann und kommen die Schüsse gegen ihn wegen Rache aus der rechten Szene (die eben gern mit Schreckschusswaffen hantieren)? Einiges scheint tatsächlich für die Annahme zu sprechen, dass Silar ein V-Mann ist. Vielleicht erklärt sich so auch die erwähnte Urteilsaufhebung. Wenn dem so ist, dann frage ich mich allerdings, ob man hier nicht „den Bock zum Gärtner“ gemacht hat. Welche umstrittenen Rollen V-Männer rund um die Ermittlungen zu den Taten der Zwickauer Terrorzelle gespielt haben, brauche ich nicht weiter zu erwähnen.

So gesehen spricht doch einiges dafür, dass die Schüsse von Rechtsradikalen abgegeben wurden. Vielleicht auch deshalb, um die linke Szene zu denunzieren. Denunziation ist ein „beliebtes“ Mittel der Rechten.

Und da waren dann ja noch die Razzien gegen Mitglieder der rechtsextremen Szene. Wer nun glaubt, dass endlich mit Neo-Nazis und ihren Handlangern aufgeräumt wird, muss sich allerdings mehr als getäuscht sehen. Worum ging es bei den Razzien?

„Am 17. Dezember war eine Gruppe schwarz gekleideter Personen durch Hamburg-Harburg gezogen.
Die Demonstranten trugen weiße Totenmasken und Fackeln. Sie skandierten rechte Parolen und bewegten sich in Marschordnung in Dreierreihen auf der Straße. Außerdem hatten sie Megaphone und ein Transparent dabei. Polizisten stoppten den Aufzug, mehrere Teilnehmer flüchteten. In 17 Fällen konnten aber die Personalien festgestellt werden.“ (Quelle: ndr.de/regional)

Und genau bei diesen 17 Personen ermittelte nun die Staatsanwaltschaft Anfang März „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und das Uniformierungsverbot gegen die drei Frauen und 14 Männer. Die Razzia fand in den Hamburger Stadtteilen Eißendorf und Wandsbek statt. In Niedersachsen wurden Wohnungen in Neu-Wulmsdorf, Hannover, Tostedt, Buchholz, Tarmstedt, Wistedt und Lilienthal durchsucht.
Laut Hamburger Staatsanwalt fanden die Ermittler die Totenmasken und beschlagnahmten zudem Datenträger, Computer und schriftliche Unterlagen. Festgenommen wurde niemand.
Die Versammlung im Dezember steht nach Polizeiangaben im Zusammenhang mit einer rechtsextremistischen Gruppe, die […] auf ihrer Webseite anti-demokratische und rassistische Parolen verbreitet und deren Aktionen durch weiße Masken wiedererkennbar werden sollen.
Laut Polizei werben Unterstützer dieser Gruppe dafür, an einer rechtsextremistischen Versammlung in der Hamburger Innenstadt Anfang Juni teilzunehmen.“

Ich hatte gehofft, dass die Razzien in Hamburg und Niedersachsen im Zusammenhang mit den Razzien in Bayern und Rheinland-Pfalz stünden, bei denen 61 Wohnungen von Rechtsextremisten durchsuchten wurden. Aber es ging ‚nur’ um diesen rechten Flash-Mob kurz vor Weihnachten.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es mit Razzien in Herrn Silars Laden steht, der „unter dem Ladentisch“ sicherlich auch Artikel verkauft, die aufgrund ihres neonazistischen Inhalts verboten sind. Denn solange Verdachtsmomente dieser Art bestehen, wäre es mehr als angebracht, Herrn Silar entsprechend auf dem Zahn zu fühlen. Wenn meine Informationen stimmen, dann wurden solche Razzien von Zeit zu Zeit durchgeführt, wenn auch ohne Erfolg, da Silar zuvor ‚gewarnt’ worden sein soll. Ob das nun im Zusammenhang mit einer angeblichen V-Mann-Tätigkeit Silars in Verbindung steht oder ob im schlimmsten Fall in Polizeikreisen Sympathisanten rechter Kreise arbeiten, vermag ich natürlich nicht zu sagen.

In diesem Zusammenhang möchte ich zuletzt noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Neonazis geben sich immer wieder den Schein sozialen Engagements (z.B. Kinderschutzkampagne, „Aktiv gegen sexuelle Gewalt“). Besonders Frauen sind mehr und mehr in die ‚Aufbauarbeit’ der Rechtsextremen einbezogen; siehe folgenden Bericht aus der Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 25.2.2012:

Sozialer Schein bei Neonazis

(Quelle: Kreiszeitung Nordheide Wochenblatt vom 25.2.2012 – Nr. 8a – 41. Jg – S. 3)

Nun also doch Gauck

Christian Wulff hatte Recht, als er meinte, „in einem Jahr ist das alles vergessen“. Nur wird er selbst auch vergessen sein. So ist er eigentlich kein Wort mehr wert. Aber doch noch soviel: Traurig ist es schon, wenn man sieht, wie uneinsichtig Wulff bis zuletzt war. Sicherlich muss man es kritisch sehen, wie die „Bild“-Zeitung ihn gehetzt und es indirekt geschafft hat, aus dem Amt zu treiben. Das war eine Hetz-Kampagne, ohne Zweifel und für viele zurecht beängstigend. Aber Herr Wulff hat dazu einen wesentlich Anteil beigetragen. Erst hofiert von diesem Boulevardblatt hat er schließlich selbst die Munition zu seinem Abschuss geliefert. Interessant, wenn auch nicht ganz durchsichtig, ist die Rolle der Bundeskanzlerin. Wulff war ihr Kandidat. Und ich bin sicher, dass sie ihn bis zuletzt in der Ansicht bestärkt hat, nicht zurückzutreten. Erst als die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, da war Wulff auch für Frau Merkel nicht mehr zu halten.

Tief durchblicken ließ dann das anfängliche Gezerre und Geschacher um die Nachfolge von Wulff in der Koalition, die in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, immer noch die Mehrheit und dadurch gewissermaßen das Vorschlagsrecht hat. Da wurden Namen wie de Maizière, von der Leyen oder sogar Schäuble genannt (will sich Frau Merkel auch hier wieder unliebsame Konkurrenz aus dem eigenen Haus vom Hals schaffen?), obwohl SPD und Grüne gleich signalisierten, wenn mit uns, dann bitte möglichst keine aktiven Politiker und erst recht nicht mit Ministerposten. Dann kamen auch sehr bald Absagen, z.B. vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle. CDU und CSU drehten sich im Kreise.

Da könnte man es tatsächlich als einen geschickten Schachzug ansehen, wie sich die FDP, sicherlich auch aus wahltaktischen Gründen, plötzlich hinter Joachim Gauck, dem Favoriten der SPD, stellte. Noch zuvor tönte Unionsfraktionschef Volker Kauder herum, „einen Kandidaten von Gnaden der SPD werde es nicht geben.“ Der Bundeskanzlerin blieb fast nichts anderes mehr übrig und lenkte ein: Jetzt ist Gauck auch der Kandidat für CDU/CSU und damit so gut wie gewählt. Aber ist dem wirklich so? Ist es nicht eher ein gelungener Schachzug von Frau Merkel? Denn Gauck leitet gewissermaßen die nächste große Koalition ein. Wenn spätestens in zwei Jahren wieder gewählt wird, dann dürften SPD und Grüne ‚dank‘ der Linken nicht unbedingt die benötigte Mehrheit bekommen. Dann riecht alles nach großer Koalition. Und die hätte dann schon ihren gemeinsamen Bundespräsidenten ….

Gauck galt schon vor zwei Jahren, als er knapp Wulff unterlag, als der Kandidat, der es auch in einer direkten Wahl durch das Volk geschafft hätte. Jetzt wird also ein Mann Bundespräsident, der sowohl von den Bürgern als auch von der Politik (wenn vielleicht auch von manchem widerstrebend) akzeptiert sein wird. Seit November 2003 ist Gauck Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen – für Demokratie. Die Organisation setzt sich sowohl für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit als auch des Nationalsozialismus ein. Seit Jahren ist Gauck in „ganz Deutschland unterwegs, um bei Vorträgen oder in Schulen Menschen zu ermutigen – damit sie nicht in Bequemlichkeit verfallen und sich engagieren.“

Trotz aller Euphorie und Zustimmung für Joachim Gauck sollte bedacht sein, dass seine Ansichten in mancherlei Hinsicht sehr konservativ geprägt sind. Nicht all seinen politischen Standpunkten mag ich ohne Weiteres zustimmen. So befürwortet er den Auslandseinsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan. Auch hält er wenig vom Protest gegen das Finanzsystem wie Occupy Wall Street (OWS). Viele halten ihn für einen Kommunistenjäger. Liest man im Netz, dann stolpert man schnell über Aburteilungen, die, so finde ich, sehr pauschal und wenig fundiert sind. Gaucks Äußerungen z.B. zu Sarazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ sind keinesfalls Zustimmung für dessen umschrittene Thesen. Allerdings finde ich Joachim Gauck in mancher Hinsicht etwas zu naiv, ja sogar zu einseitig (da vom Alltag in der DDR geprägt). Vielleicht hilft ja das Gauck-Gespräch von 2010 mit der Süddeutschen Zeitung weiter.

Angesichts von Gaucks Alters hätte ich mir allerdings schon einen Jüngeren, ja endlich auch einmal eine Frau für dieses Amt gewünscht. Nun hat sich die Politik für Herrn Gauck entschieden. Und diese Entscheidung dürfte auch von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Aber so unumstritten erscheint mir Joachim Gauck nicht zu sein. Sehen wir, wie er sich als Bundespräsident äußern wird. Dass er etwas zu sagen hat, davon gehe ich aus. Nicht wie Herr Wulff, der es vorzog, zu Fragen der Zeit zu schweigen.

Wo bleibt die Energiewende?

In Europa soll bis zum Jahre 2020 ein Fünftel des Energieverbrauchs eingespart werden. Denn was man nicht verbraucht, muss nicht produziert werden. Es geht also um Richtlinien zur Energieeffizienz. Und genau da kommen die Herren Norbert Röttgen und Philipp Rösler ins Spiel, der eine Bundesumweltminister, der andere Bundeswirtschaftsminister und Vorsitzender einer eigentlich nicht mehr existenten FDP. Beide versuchen sich an einer Sachfrage strategisch zu profilieren, die längst entschieden sein müsste. Und so kommt Deutschland in diesem Punkt nicht von der Stelle. Vom Top-Duo der Ineffizienz ist bereits die Rede.

Und dann ist da noch das Märchen von der Stromlücke. Die Atomlobby skizziert ein Schreckgespenst vom Deutschland, dem der Strom ausgeht. Denn die großen Energieversorger trauern der billigen Atomkraft nach und den damit verbundenen Milliardengewinnen. Nur wenige von ihnen nutzen den Ausstieg, um verstärkt in die erneuerbaren Energien zu investieren. Aber trotz der klirrenden Kälte Anfang Februar konnte Deutschland sogar Strom exportieren. Zum Beispiel ins Atomstromland Frankreich.

Energiewende – jetzt sofort

Und dann haben wir da eben jenes Duo der Ineffizienz, die Herren Röttgen und Rösler. Der Ausbau der erneuerbaren Energien – und die damit verbundenen Subventionen sind Rösler ein Dorn im Auge. Da liegt er mit Röttgen im Clinch. Und so ist nichts mit Energieeinsparung und so gut wie nichts mit der Energiewende als solches.

Aber es kommt noch ‚besser’: Während der Kälteperiode war das deutsche Stromnetz dem Kollaps nah. Wasser auf den Mühlen der Atomlobby? Wie es aussieht, sind riskante Handelsgeschäfte Grund für diese ‚Unterdeckung’: „Hunderte Stromhändler kaufen für Großverbraucher und Versorger Strom zu, der gerade benötigt wird. Sie schätzen dabei anhand von Erfahrungswerten ab, wie viel gebraucht wird. Weil durch eine enorme Nachfrage, etwa auch in Frankreich, der Strompreis an der Börse auf teils weit über 350 Euro für die Megawattstunde hochschnellte, besteht der Verdacht, das die Händler Kosten sparen wollten und die Prognosen entsprechend klein rechneten.“

Wenn aber zu wenig Strom vorhanden ist, dann wird „über die für Notfälle als Absicherung des Systems vorgesehene Regelleistung zurückgegriffen“. Die Kosten hierfür sind mit 100 Euro je Megawattstunde deutlich billiger ist. Hier zocken Stromhändler mit unserer Versorgungssicherheit. Vielleicht sogar im Auftrag, um den Märchen von der Stromlücke Nahrung zu geben.

Wie es aussieht, so ist die Energiewende längst noch nicht in trockenen Tüchern. Solange Herr Rösler in dieser wichtigen Frage mitbestimmen darf, obwohl er und seine Partei längst jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat, solange muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Eventuell sogar mit einem aus einer bestimmten Richtung gesteuerten oder aufgrund von geldgierigen Spekulationen erzeugten Kollaps des Stromnetzes.

Nach dem Rücktritt von Wulff als Bundespräsidenten stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, dass auch die FDP-Minister ihre Posten räumen, um die Voraussetzungen für Neuwahlen auch des Bundestages zu schaffen. Die Verschleppung der Energiewende darf nicht länger hingenommen werden.

Demonstration am 4. Februar: Tostedt gegen Rechts

Der braune Spuk in Tostedt geht vorerst weiter. Das Urteil gegen den Betreiber des Ladengeschäft „Streetwear“ wegen Landfriedensbruchs wurde wie kurz berichtet aufgehoben. Damit ist auch die Bewährungsauflage, den Laden, der Anlaufsstelle für die rechtsextremistische Szene ist, zu schließen, hinfällig. Man kann vom dem Urteil halten, was man will. Es mag juristisch richtig sein (immerhin war es ein geschickter Schachzug des Herrn S., zuzugeben, die besagte „Waffe bereits längere Zeit bei sich gehabt“ zu haben). Damit Herr S. und Konsorten aber nicht zu sehr die Urteilsaufhebung feiern und im Gegenteil spüren, dass man in Tostedt nicht gewillt ist, das Treiben der rechtsextremistischen Szene zu dulden, ruft der Tostedter Bürgermeister mit Unterstützung aller Fraktionen der im Gemeinderat Tostedt und Samtgemeinderat Tostedt vertretenen Parteien (u.a. die Grünen) zu einer Demonstration am Samstag, den 4. Februar 2012 ab 14 Uhr vor dem Rathaus in Tostedt auf:

Bürgerbewegung
Tostedt gegen Rechts
Bürger demonstrieren gegen Neonazis

Wann: Samstag, den 04.02.2012 ab 14:00 Uhr

Treffpunkt: Rathaus

Gang zum Platz Am Sande

Anschließend laden die Tostedter Kirchen zu einer Friedensandacht in die Johanneskirche ein

Fassungslosigkeit und Empörung über den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle!

Neonazi Silar muss seinen Szeneladen nicht schließen!

Uns reicht`s!

Wir wehren uns gegen das braune Image Tostedts.

Kommen Sie mit auf die Demonstration, um zu zeigen,

dass die Mehrheit der Tostedter Bürger anders denkt!

Verantwortlich:

Gerhard Netzel
Bürgermeister der Gemeinde Tostedt

Dieser Aufruf wird von allen im Rat der Gemeinde Tostedt und im Samtgemeinderat vertretenen Fraktionen sowie von Kirchengemeinden, Vereinen und Verbänden unterstützt!

 

Zur Information hier die Pressemeldung der Staatsanwaltschaft Stade vom 17.01.2012 zu der Einstellung des Strafverfahrens:

Pressemeldung der Staatsanwaltschaft Stade vom 17.01.2012

Oberlandesgericht Celle hebt Verurteilung von Stefan Silar auf und stellt Strafverfahren ein

Stade / Tostedt. Auf die Revision des Angeklagten Stefan Silar hat das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 20.12.2011 ein Urteil des Landgerichts Stade vom 05.08.2011 aus Rechtsgründen aufgehoben und das Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs aufgrund eines sogenannten „Strafklageverbrauchs“ eingestellt.

Silar betreibt im Tostedter Raum das Ladengeschäft "Streetwear", in welchem er Bekleidung und Tonträger anbietet, die in der rechtsextremistischen Szene beliebt sind.

Hintergrund der Entscheidung sind Ereignisse von Pfingsten 2010. Damals zog eine Gruppe von linksgerichteten Personen zum Ladengeschäft „Streetwear“ des Stefan Silar in Tostedt und traf dort auf rechtsgerichtete Personen aus dem Umfeld des Silar. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen und der Polizei. Silar war deswegen zum einen mit einem inzwischen rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Tostedt vom 28.07.2010 wegen Führens einer Schusswaffe ohne eine waffenrechtliche Erlaubnis zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt worden.

Nachfolgend hat ihn das Amtsgericht – Schöffengericht – Tostedt am 21.02.2011 ebenfalls aufgrund der Ereignisse von Pfingsten 2010 wegen einer gesonderten prozessualen Tat des schweren Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde vom Landgericht Stade auf die Berufung des Silar aufgehoben, der nunmehr vom Landgericht Stade am 05.08.2011 nur noch wegen Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zudem zur Bewährung ausgesetzt wurde. Silar erhielt die Bewährungsauflage, sein Ladengeschäft „Streetwear“ bis Ende März 2012 zu schließen.

Das Oberlandesgericht in Celle hob das vorgenannte Berufungsurteil gegen Silar vom 05.08.2011 nunmehr auf, weil die Tat aus dem Strafbefehl und aus dem angefochtenen Berufungsurteil als eine Tat im prozessualen Sinne anzusehen sei.

Die Staatsanwaltschaft war bei ihrer Anklageerhebung noch davon ausgegangen, dass zwischen dem Landfriedensbruch und dem Waffendelikt entsprechend dem Sachstand in den Ermittlungsakten eine wesentliche zeitliche und örtliche Zäsur bestand. Erstmals in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stade behauptete Silar, er habe die Waffe bereits längere Zeit bei sich gehabt. Das Landgericht Stade hat diese Einlassung zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, wobei das Oberlandesgericht Celle diese Feststellungen dahingehend rechtlich gewürdigt hat, dass neben der vorangegangenen rechtskräftigen Verurteilung wegen des waffenrechtlichen Verstoßes eine weitere gesonderte Verurteilung wegen Landfriedensbruchs unzulässig sei.

Pressemeldung der Staatsanwaltschaft Stade vom 17.01.2012

Armutszeugnis für den Rechtsstaat?

Recht und Gerechtigkeit sind manchmal zwei Paar Schuh. Eigentlich wundert mich nichts mehr, was in diesem, unseren ‚Rechtsstaat’ passiert. Sicherlich soll und kann ein Täter nicht zweimal wegen der gleichen Straftat bestraft werden. Man spricht hier vom Strafklageverbrauch. Wie sich das nun im Fall des Rechtsextremisten S. verhält, da mögen sich die Gelehrten schlagen. Ich empfinde nur, dass hier Recht und mein Rechtsempfinden nicht gerade deckungsgleich sind.

Hier Bericht, Kommentar und Stimmen aus Tostedt in Kreiszeitung Wochenblatt Nordheide Elbe & GeestNr. 3a – 41. Jahrgang vom 21.01.2012 – Seite 8:

Neonazi geht straffrei aus
Neonazi geht straffrei aus
Neonazi geht straffrei aus

Brauchen wir noch einen Bundespräsidenten?

„Solange ein Präsident, unser Staatsoberhaupt, das Resultat parteipolitischen Geklüngels ist, kann dieses Volk spielend auf einen Gesetzes-Abnicker verzichten, der zu Weihnachten moralingetränkte Belanglosigkeiten herunterfaselt.“ So kommentiert „villa_villekulla“ einen Beitrag zu ZDF Kennzeichen Digital – Das Blog: Die Causa Wulff tut uns gut! – und bringt es auf den Punkt. Verschiedene Verfassungsrechtler plädieren nämlich für eine Direktwahl des Bundespräsidenten, um parteipolitische Machtspielchen zu unterbinden. Und dann wäre Christian Wulff mit großer Sicherheit nicht Bundespräsident geworden.

Dank Parteiklüngelei Bundespräsident: Wulff

Anlässlich der Querelen um Herrn Wulff wird in diesen Tagen die Frage gestellt, ob wir das Amt des Bundespräsidenten überhaupt noch brauchen.

„Ein Bundespräsident soll moralisch unangreifbar sein, er soll überparteilich sein. Er soll integrierend wirken nach innen und außen, repräsentieren und immer die richtigen Worte in beachteten Reden zu wichtigen Themen finden. Seine Glaubwürdigkeit ist seine Macht.“ (Quelle: tagesschau.de)

Im Falle Wulff kommt beides zusammen: Parteiklüngelei und fehlende Eignung. Einen solchen Präsidenten brauchen wir nicht. Aber man sollte Amtsträger und Amt voneinander trennen. Es kann nicht jedes Amt abgeschafft werden, nur weil der jeweilige Amtsinhaber ungeeignet ist.

Der Ruf nach Abschaffung des Bundespräsidentenamtes ist also ziemlich voreilig. Denn er ist mehr als nur Notar oder Ersatzkaiser. Die Diskussion, die durch die Causa Wulff angeleiert wurde, sollte daher in eine andere Richtung gehen: Statt durch die Bundesversammlung sollte er (oder sie) endlich durch das Volk direkt gewählt werden. Die Gefahr von Fehlbesetzungen wie bei Wulff oder dessen Vorgänger Köhler dürfte mit einer direkten Legitimation durch das Volk wesentlich geringer sein. Und es wäre kein Präsident, der so einfach aus dem Hut gezaubert wäre.

Richard von Weizsäcker (ehemaliger Bundespräsident) soll gesagt haben: „Die Fähigkeiten, die ein hohes Amt erfordert, sind anderer Art als die, die man braucht, um dorthin zu gelangen. Wie oft kommt es vor, daß ein Kandidat über beides verfügt?“ Es sollte eigentlich genügen, die Fähigkeiten zu sitzen, ein hohes Amt angemessen auszuüben.

Der Präsident und „Bild“

Die Affäre um Wulff weitet sich zu einem Kampf zwischen Wulff und der „Bild“-Zeitung aus. Beide haben sich in gewisser Weise gegenseitig den Krieg erklärt, die „Bild“-Zeitung durch ihre Enthüllungen um den Kreditvertrag, Wulff in seiner Nachricht, die er auf der Mailbox des „Bild“-Chefredakteur hinterließ.

Dabei begann alles einmal im gegenseitigen Einvernehmen. Es war ein Geben und Nehmen zwischen beiden Parteien, von dem beide profitierten: Wulff und „Bild“ – eine fesselnde Beziehung

Dann kam der Bruch. Ausgangspunkt könnte Wulffs Äußerung „Der Islam gehört zu Deutschland“ sein, eine Äußerung, die nicht ins Meinungsbild der „Bild“-Zeitung gehört. Günter Wallraff, der Spezialist für das „Bild“-Zeitungswesen, unterstellt inzwischen der „Bild“-Zeitung: „Das ist keine Demontage. Das ist Vernichtungswille“.

Wie Wulff, der nur in kleinen Brocken mit der Wahrheit herausrückt, so benutzt die „Bild“-Zeitung eine Art Salami-Taktik und kommt nur scheibchenweise mit immer neuen Enthüllung heraus (als Letztes: Wulff und die Bonusmeilen).

Was die „Bild“-Zeitung sonst noch in petto hat, wissen wohl nur die Herren dieses Schmierenblattes, man kann aber erahnen, dass sie noch einiges auf Lager haben.

Der Kampf Wulff gegen „Bild“-Zeitung wirft heute schon viele Fragen auf, die auch die Frage der Pressefreiheit betreffen. Sauberer Journalismus sieht anders aus. Wo sind die Grenzen? Herr Wulff könnte einen fast Leid tun, aber er hat sich nun einmal freiwillig mit den Herren von „Bild“ eingelassen. Diese suchen nur nach ihren Vorteil. Notfalls schlachten sie auch das Vieh, das sie zuvor gemästet haben.

Man, man, oh man …

Lernwillig und lernfähig sei man, meint Herr Wulff; man wird auch ein wenig demütiger, man wird lebensklüger und man muss aus eigenen Fehler lernen. Man, oh man: Herr Wulff meint sich selbst mit diesem unzählig wiederholten „MAN“. Wie wäre es mit einem aufrichtigen „ICH“?

Inzwischen nimmt selbst in der Koalition die Kritik an dem Bundespräsidenten zu. Nicht nur das Krisenmanagement sei unprofessionell, auch die Kommunikation sei nicht so, wie sie sein sollte.

Nein, an Rücktritt denkt dieser Bundespräsident nicht. Er zeigt sich zuversichtlich und glaubt, die Krise bald überstanden zu haben. „In einem Jahr ist das alles vergessen“, soll er laut „Bild am Sonntag“ am Freitag bei einem Neujahrsempfang für seine Mitarbeiter gesagt haben.

Schuh-Demo gegen Christian Wulff - © zdf.de

Die Kunst des richtigen Rücktritts, davon versteht Herr Wulff nichts. Und längst hat er auch den Zeitpunkt verpasst, in Würde zurückzutreten. Alles wird ausgesessen. Aber das Fußvolk lässt ihn nicht so ohne Weiteres entkommen und protestiert nach arabischem Vorbild: Hunderte Menschen haben mit erhobenen Schuhen vor Schloss Bellevue demonstriert. „Wulff in die Produktion“ hieß es da auf Plakaten, oder „Bundespräsidenten haben kurze Beine“.

Herr Wulff versichert inzwischen, er wolle bis 2015 einen guten Job machen. ‚Endlich’ hätte er hinzufügen müssen. Denn sein Hauptproblem ist das ewige Schweigen. Ein Bundespräsident erzielt politische Wirkung hauptsächlich durch Reden, die gesellschaftliche Debatten aufgreifen oder anstoßen. Als Beispiele hierfür gilt u.a. die Weizsäcker-Rede anlässlich des 40. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges 1985. Aber Herr Wulff ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ihm fehlt jegliches Feingefühl, jegliche Integrität für das Amt, das er ausfüllen soll. Es ist zu befürchten, das uns dieser Präsident noch drei ein halb Jahre weiter ‚erhalten’ bleibt.

Und noch eines: Es ist schon erschreckend, feststellen zu müssen, dass man in die Verlegenheit gerät, dem Schmierenblatt „Bild“ mehr zu glauben als einem Bundespräsidenten. Inzwischen kennen wir nähere Fakten zu der Mailbox-Nachricht, die Wulff beim Chefredakteur der „Bild“-Zeitung hinterlassen hat. Die Verweigerung zur Veröffentlichung hätte sich Wulff ersparen können. Tatsächlich hat Christian Wulff um einen Aufschub der Berichterstattung gebeten. Zugleich sei sein Anruf aber auch ein „Flehen und Drohen“ gewesen, bei dem die Worte „Krieg führen“ und „Strafantrag“ gefallen seien. Wulff hat also nicht gelogen, aber die Wahrheit hat er auch nicht ausgesprochen. Oder wie gesagt wurde: Herr Wulff hat ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit; für einen Bundespräsidenten ist das mehr als unangemessen.

Zwischen den Jahren 2011 auf 2012

Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr nennt man die Zeit „zwischen den Jahren“ (die Nächte, die längsten des Jahres, nennt man Raunächte). Noch satt von der Weihnachtsgans ist es eine geruhsame Zeit, die uns gern auf das zu Ende gehende Jahr zurückblicken lässt.

2011 war kein gutes Jahr für Diktatoren. Besonders der arabische Frühling hat einige Despoten hinweggewischt. Und auch der nordkoreanische Staatschef ist nach einem „großen mentalen und physischen Leiden dahingeschieden“. Dem wird bei uns keine Träne nachgeweint werden. Osama bin Laden, obwohl längst bedeutungslos, gefährlich eigentlich nur noch als Galionsfigur des weltweiten Terrorismus, ist von den Amerikanern im kurzen Prozess liquidiert worden.

Zwischen den Jahren

Traurig machte mich dagegen der Tod des frühere tschechische Präsidenten, Schriftsteller und Dissidenten Vaclav Havel, der vor kurzem im Alter von 75 Jahren verstarb. Havel galt als Schlüsselfigur der Demokratie-Bewegung in der Tschechoslowakei in den 80er-Jahren.

Kein gutes Jahr auch für Politiker der Koalition: Drecks-, sorry Dr.-Ex-Guttenberg weint immer noch seiner verlustig gegangenen Promovierung nach. Das war aber auch einfach zu durchsichtig, Herr Guttenberg! Da er nichts Richtiges gelernt hat, schraubt er bereits an seinem Comeback. Er sei ein „sehr, sehr fähiger Politiker“, meint CSU-Chef Seehofer in einem Interview. Es fragt sich nur, welche Fähigkeiten ein Politiker braucht. Nicht viele wie die Beispiele der FDP-Fritzies, Westerwelle und Rösler, aufzeigen. Ja und da ist noch ein Bundespräsident, der im nächsten Jahr wohl seinen Urlaub auf Balkonien verbringen wird.

Und dann war da noch Fukushima, ein neues Synonym für die Unbeherrschbarkeit nuklearer Energiegewinnung. So ganz mag ich es immer noch nicht glauben, dass Madame Merkel und Konsorten von der Atomkraft abgerückt sind. Welches Hintertürchen halten die sich und die Atomindustrie noch offen?

Ein Jahr geht zu Ende, ein neues Jahr steht vor der Tür. Ob es besser sein wird, steht in den Sternen. Wichtig ist, dass wir auch das neue Jahr gesund überstehen. Daher wünsche ich Euch allen viel Gesundheit für 2012. Alles andere wird sich schon von selbst regulieren.

Herr Wulff und sein Kredit: Yes, he can …

„Man muss selber wissen, was man macht und das muss man verantworten. Und das kann ich.“ (Quelle: zdf.de) Yes, he can … Ist das nicht toll? Schön, Herr Wulff, dass Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Nur: solche Allgemeinplätze kennt jedes Kind. Aber Sie können es noch besser: Das Wesentliche in seinem Amt sei, „dass man die Dinge bewertet, beurteilt und dann dazu steht und dann auch unterscheidet, wo ist etwas real und wo ist etwas mit sehr viel Staub aufwirbeln verbunden.“ (Quelle: zdf.de)

Jetzt wissen wir endlich, warum Frau Merkel Sie als Bundespräsidenten haben wollte. Keiner drückt so präzise und doch allgemeinverständlich das aus, was jeder Mensch von Haus aus weiß. Sie bewerten und beurteilen also die Dinge. Warum lassen Sie uns aber nicht teilhaben an Ihren Beurteilungen? Finanz- und Eurokrise, man könnte den Eindruck haben, dass das Ihnen ‚am Arsch’ vorbeigeht. Sie schweigen lieber. Da kann man nichts Falsches sagen.

Schön, dass Sie jetzt Ihre Urlaubslisten veröffentlicht ließen. Gratisurlaub also ‚bei Freunden’. Wen interessiert das, Herr Wulff? Das Sie es bestens verstehen, sich erfolgreich durchs Leben zu schnorren, wissen wir nun.

Es ist nicht dieses Skandälchen um einen Kredit, der mich erregt, obwohl ich es von Herrn Wulff instinktlos finde, wie er sich mit dem Kredit einer zwar rechtlich nicht anfechtbaren, moralisch jedoch äußerst bedenklichen Vorteilsnahme bedient hat. Sie selbst sind der Skandal, Herr Wulff. Will man Ihnen ans Leder, so plärren sie laut heraus. Ansonsten schweigen Sie meist. Ihr Einfluss auf die alltägliche Politik sollte darin bestehen, sich zu den großen Themen zu äußern, kluge Gedanken von sich zu geben. Wenn Frau Merkel meint, die Europäische Union sei nur dazu da, verschuldete Staaten zu retten, dann wäre es Ihre Aufgabe, die wichtigeren Fragen zu stellen: Was ist die Strategie Europas? Was ist die Rolle Europas in der Welt?

In seiner verschnupft klingenden Art fehlt Herrn Wulff aber jeglicher Weitblick. Bundespräsidenten glänzten bisher nie durch besonderes Charisma. Aber so farblos wie Herr Wulff war bisher keiner. Bundespräsidenten sollten eine moralische Instanz darstellen. Herr Wulff ist nur ein armes, niveauloses Würstchen.