Kategorie-Archiv: Zukunft Deutschland

Wohin steuert Deutschland?

„Sexistische Kackscheisse“

Hätte Herr Brüderle nur seinen Mund gehalten. Aber, wie es nun einmal seine Art ist, er musste der jungen „Stern“-Reporterin dieses Kompliment machen, wie er es nennt. Natürlich ist die Anzüglichkeit nicht zu überhören. So sind ältere Männer nun einmal. Eigentlich meinen sie es gar nicht so. Oder doch?

Sicherlich kann man diese verbale Entgleisung nur als dumm bezeichnen. Bei einem Gläschen Wein zuviel gesagt. Aber im Endeffekt diskreditiert sie einen Mann wie Herrn Brüderle, der es doch eigentlich besser wissen müsste, bis in sein letztes Handeln. Und dieser Mann führt nun die FDP in den Bundestagswahlkampf.

Natürlich frage ich mich, was besser ist: Wenn sich einer seinen Teil denkt („Die kann ein Dirndl auch auffüllen.“) oder es offen ausspricht, weil’s ihm gerade dazu zumute ist. –

Sex sells – das besagt, dass sich ein Produkt besser verkauft, wenn es in einem Kontext mit sexuellen Inhalten dargestellt wird. Leicht bekleidete Frauen dienen als Blickfang und sollen besonders die männliche Kundschaft zum Kauf locken. Männliche Hormone bestimmen die Kaufentscheidung?

Längst wird es Zeit, dass die Werbeagenturen diese sexistische Werbung, die eine Degradierung von Frauen zu Sexobjekten ist, unterlassen. Ein unrühmliches und in meinen Augen widerlich, da primitives Beispiel ist die aktuelle Plakatwerbung für ein Deo-Spray, die sich mit anzüglichen Doppeldeutigkeiten („Astronauten regeln das mit dem Verkehr“) selbst übertrifft. Kein Wunder, wenn solche Plakate mit Aufklebern wie „Sexistische Kackscheiße“ überklebt werden. –

    Sexistische Kackscheiße

Wie es aussieht, gehören sexistische Übergriffe von Männern auf Frauen – ob im Beruf oder privat – dem Alltag an. Meist sind es nur verbale Attacken, die aber schnell auch in körperliche Übergriffe übergehen. Wer sind diese ‚Herren der Schöpfung’, die meinen, sich jedes Recht gegenüber Frauen herausnehmen zu können? Wie erbärmlich muss ich sein, um Frauen ständig zu belästigen oder ihnen Gewalt anzutun.

Es ist kein Wunder, wenn die durch Herrn Brüderle ins Rollen gekommene Sexismus-Debatte daher sehr emotional geführt wird. Den betroffenen Frauen kann man es nicht verdenken, dass sie aufschreien.

Trotzdem ist eine Versachlichung notwendig. Leider hat unser Bundespräsident mit seinem Schlagwort ‚Tugendfuror’ zunächst den falschen Ton angestimmt. Inzwischen ist er eines Besseren belehrt worden. Es muss endlich auf den Tisch und die Machos an den Pranger.

Nicht außer Acht lassen sollte man dabei allerdings, dass es mit Sicherheit auch zu Missverständnisse kommen kann. Nicht jede Freundlichkeit ist eine sexistische Attacke. Und nicht jeder Mann ist ein Sexist, nur weil er ein Mann ist.

Sicherlich ticken Männer anders als Frauen, gerade in ‚sexueller Hinsicht’. Aber das kann und darf kein Freibrief für manchen Mann sein, seine sexuelle Hetze gegen Frauen weiterhin legal betreiben zu dürfen. Eigentlich müssen wir Herrn Brüderle dankbar sein. Endlich ist eine Debatte eröffnet, die lange genug verhindert wurde. Endlich werden die Probleme öffentlich diskutiert.

„Reform“-Tarifvertrag

Ich arbeite bei einem Wohlfahrtsverband, bei dem die Gehälter nach einem eigenen Tarifvertrag bestimmt werden, der sich früher einmal sehr eng an den Bundesangestelltentarif (BAT) im Öffentlichen Dienst angelehnt hatte. Mit dem 1. Oktober 2005 wurde der BAT durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) abgelöst. Dieser enthält eine völlig andere Vergütungsstruktur. Entsprechendes geschah auch beim Wohlfahrtsverband, der einen so genannten „Reform“-Tarifvertrag schuf. Dieser neue Tarifvertrag wurde wie die jeweiligen Gehaltserhöhungen (Entgelttarifverträge) zwischen einer Bundestarifgemeinschaft des Wohlfahrtsverbandes und der Gewerkschaft ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Berlin ausgehandelt.

Das Problem dieser neuen Tarifverträge war und ist, dass die neuen Entgeltgruppen (mit ihren jeweiligen Stufen) im Vergleich zu den Vergütungsgruppen des BAT ein deutlich niedrigeres Gehalt ausweisen, z.B. hätte ich nach dem neuen Tarif über 560 € weniger Gehalt bekommen, wenn dieses nicht durch einen so genannten Besitzstandsbetrag ausgeglichen worden wäre. Ein Mitarbeiter, der mit den gleichen tariflichen Voraussetzungen wie ich nach dem neuen Tarif bezahlt wird, bekommt also über 560 € weniger als ich. So schufen sich der Öffentliche Dienst und auch mein Wohlfahrtsverband enorme Einsparpotentiale. Die Kritik am BAT, seine starren Vorschriften erschwerten ein flexibles Arbeiten und berücksichtige nicht individuelle Leistung, ist sicherlich gerechtfertigt, ist aber nach meiner Meinung in diesen neuen Tarifverträgen halbherzig umgesetzt und daher mehr als fadenscheinig.

Soviel zur Vorrede.

Ich sollte ja eigentlich glücklich sein, noch nach dem alten Tarifvertrag eingestellt worden zu sein. Immerhin bekomme ich ja den Besitzstandsbetrag als Ausgleich, der auch durch die Entgelttarifverträge, also den in der Regel jährlichen Gehaltserhöhungen berücksichtigt wurde. Nun bin ich aber zum 1. Januar in meiner Entgeltgruppe eine Stufe höher eingruppiert, was früher einmal einer Gehaltserhöhung von knapp 500 € entsprochen hätte. Nur steht im so genannten „Reform“-Tarifvertrag folgender Passus: „Der individuelle Besitzstandsbetrag verringert sich entsprechend den jeweiligen Stufenaufstiegen“, d.h. der mir zustehende Besitzstandsbetrag von etwas über 560 € wurde um diese Erhöhung verringert. Ich bekomme also nur noch einen Besitzstandsbetrag von etwas mehr als 70 €. Klartext: Meine Gehaltserhöhung beträgt in der Summe 0 €. Oder auf gut Deutsch: Meine Gehaltserhöhung können sich gewisse Damen und Herren gern in ihren verlängerten Rücken stecken!

Reformtarifvertrag

Natürlich ist das alles rechtens. Ein einziger kleiner Satz im genannten Tarifvertrag lässt den Arbeitgeber bei mir jährlich 6000 € sparen. Der „Reform“-Tarifvertrag hat mich nach über sechs Jahren „endlich“ eingeholt. Dass ich mich verarscht fühle, ist wohl logisch.

Was ich von einer Gewerkschaft, die solche Verträge unterschreibt, halte, brauche ich wohl nicht näher auszuführen. Da von Reform zu sprechen, ist dann schon lächerlich. Aber warum sollten sich Arbeitgeber davon ausschließen, den Bürger abzuzocken, wenn auch „nur“ auf diese Weise.

Apropos Gewerkschaften: ver.di hat immerhin im April letzten Jahres für uns (und damit auch für mich) eine Gehaltserhöhung von 5,5 % durchgesetzt. So ließ es die Gewerkschaft in großen Lettern verkünden. Schaut man etwas genauer hinter diese Zahl, so kann man über diese „Augenwischerei“ von Gewerkschaftsseite her nur erstaunt sein:

Der vorherige Tarifvertrag lief am 31.12.2011 (übrigens mit einer Gehaltserhöhung für 2011 von 1,0 %) aus. Der neue Vertrag hat dann eine Laufzeit von zwei Jahren. Zum 01.07.2012 mit einer Erhöhung von 3,5 % – ab 01.01.2013 dann eine weitere Erhöhung von 2,0 %. Das sind dann 5,5 %, oder? Ich bin kein Kaufmann, aber Zinsen und ähnliches (und Gehaltserhöhungen gehören dazu) werden immer noch per annum gerechnet. Dann wären es für 2012 die Hälfte von 3,5 %, also gerade einmal 1,75 % Gehaltserhöhung – und für 2013 dann die genannten 2 %. Aber 5,5 %??? Das wäre so, als würde man auf zehn Jahre eine Erhöhung von 1 % als eine Erhöhung von 10 % ausgeben.

siehe u.a. auch meinen Beitrag. Bad Case Management

Jenseits der Hemmschwelle

Wenn man wie ich zwei Söhne hat, dann ist man natürlich besonders sensibilisiert für alles, was mit ‚der Jugend von heute’, wie man immer wieder sagt, zu tun hat. Als Elternteil sollte man das zumindest. Daher habe ich mich auch in diesem Blog immer wieder mit Problemen der Jugend beschäftigt.

In Berlin wurde nun in der Nacht zum 14. Oktober ein 20-Jähriger auf offener Straße derart misshandelt, dass er kurz darauf verstarb. Die Gruppe junger Täter wurde inzwischen identifiziert: Jugendgewalt, die entsetzt! Diese ungehemmte Brutalität, mit der manche Jugendliche gegen andere vorgehen, ist leider kein Einzelfall. Immer wieder rasten junge Menschen aus, schlagen ohne Gnade andere nieder und verletzen diese nicht unerheblich. Woher kommt diese Gewaltbereitschaft?

Meistens liegen die Gründe im sozialen Umfeld der Jugendlichen. Es beginnt schon damit, dass Deutschland wenig kindgerecht ist. Vielen unserer Kleinen fehlt der Platz zum Spielen, der Raum zum Entfalten ihrer Kreativität. Ansonsten gibt es sicherlich Anhaltspunkte, die als Merkmale für die Jugendkriminalität betrachtet werden müssen. Soziologen und Psychologen sehen z.B. im Schuleschwänzen einen von drei Hauptindikatoren, dass Kinder und Jugendliche später kriminell werden. Hier spielt die Schule und im besonderen Maße auch die Familie eine Rolle. Kümmern sich weder Lehrer noch Eltern um die Schulschwänzer, wird diesen keine entsprechende Hilfe zuteil, dann setzt sich möglicherweise schnell eine Abwärtsspirale in Gang. Das gilt besonders, wenn Kinder und Jugendliche kein für ihre weitere Entwicklung notwendiges Vertrauen, keine Zuneigung und Geborgenheit erfahren.

„Für den Soziologen Baier ist das der zweite entscheidende Grund, warum Jugendliche kriminell werden: Sie landen im falschen Freundeskreis und lassen sich zu Taten überreden, die sie allein niemals ausführen würden. Besonders negativ sei dabei das Umfeld in Haupt- und Förderschulen, wo Schüler wenige positive Anreize bekommen und sich gegenseitig einreden, dass Anstrengung sich eh nicht lohnt.

Viele dieser Jugendlichen fühlen sich vernachlässigt und von der Gesellschaft abgehängt. Der Frust darüber entlädt sich in Gewalt gegen andere – oder aber gegen sich selbst. Denn ein dritter Hauptgrund für jugendliche Gewalt sind Drogen und Alkohol.“ (Quelle: ard.de)

Natürlich sind das nur Indikatoren. Nicht jeder Schulschwänzer wird kriminell. Es hat meist mehrere Gründe, die bei Jugendlichen die Hemmschwellen zur Gewaltanwendung sinken lassen. Wesentlicher Auslöser ist die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher. Wer für sich keine Zukunft sieht, dem ist alles völlig egal. Wenn hier nicht sinnvolle Hilfe angeboten wird, dann kann es eines Tages nur noch krachen.

Natürlich ist es nicht nur die Gewalt gegen andere, sondern es gibt auch die Gewalt gegen sich selbst – bis hin zum Suizid. Und nicht immer spielen soziale Faktoren die große Rolle. Manchmal sind Jugendliche auch emotional oder gar psychisch gestört. Dies gilt besonders bei jugendlichen Intensivtäter.

Was ist also zu tun? Natürlich rufen Gewaltverbrechen wie das in Berlin Entsetzen hervor. Aber es nützt wenig, wenn besonders Politiker dann wieder nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts verlangen. „Wissenschaftler sind sich einig, dass die Anti-Gewalt-Trainings, die Präventionsarbeit an Schulen und generell die Arbeit der Sozialpädagogen, Psychologen und Therapeuten entscheidenden Anteil daran, dass es immer weniger gewalttätige Kinder und Jugendliche in Deutschland gibt.“ Aber mehr noch müssen die Zukunftsaussichten für Jugendliche stimmen. Wer seine Talente sinnvoll einsetzen darf, wem Perspektiven geboten werden, der wird kaum zur sinnlosen Gewalt bereit sein.

Bürokratie vor Betreuung

Weil es weiterhin an Kita-Plätzen fehlt, sind Tagesmütter (und Tagesväter) gefragt. So wurden im letzten Jahr rund 124.000 Kinder im Rahmen der Kindertagespflege betreut. Besonders für Kinder unter drei Jahre werden Tagesmütter gesucht, da es hier weiterhin große Engpässe bei Kitas (Kindertagesstätten) gibt. Nach dem Sozialgesetzbuch VIII ist diese Betreuungsform im familiennahen Umfeld übrigens gleichrangig mit der Betreuung in einer anderen Kindertageseinrichtung.

    Tagesmütter und Tagesväter

Wer nun glaubt, der Staat und besonders Brüssel unterstütze die Tagesmütter und –väter, muss sich getäuscht sehen. Immer mehr bürokratische Hürden werden aufgestellt, über die die Kindertagespflege für die Hunde geht.

Begonnen hat das bereits zu Zeiten der großen Koalition als der damalige Bundesfinanzminister, Peer Steinbrück, meinte, die bisher einkommensteuerfreie Kostenübernahme der Kommunen für die Tagespflege, die als Aufwandsentschädigung gezahlt wurde, zur Einkommensteuer heranzuziehen.

Daneben sind Tagesmütter und –väter sozialversicherungspflichtig. Wer nicht gerade unter 365 € im Monat (nach Abzug der Betriebskosten) Einnahmen hat und beim Ehegatten familienversichert ist, darf sich so u.a. auch noch krankenversichern (gilt nach meinem Wissen allerdings nur für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2013).

Seit 1. Januar 2012 gilt zudem eine EU-Richtlinie, die Tagesmüttern strenge Hygieneregeln auferlegt. Das geht soweit, dass im zeitlichen Abstand die Kühlschranktemperatur zu messen ist. Welchen Sinn das macht, sollte man die Bürokraten in Brüssel fragen. Das Land Niedersachsen hat sich bisher gesträubt, diese Richtlinie umzusetzen.

Und was ist nun der Dank und Lohn? Für jedes Kind bekommt die Tagesmutter 3 € pro Stunde. Es dürfen maximal fünf Kinder betreut werden. So ‚verdient’ eine Tagesmutter also maximal 15 € die Stunde. Die Betriebskosten, also der Sachaufwand für Spielzeug, Bücher, zusätzliche Heizkosten, zusätzliche Haftpflichtversicherung und Lehrgänge– und natürlich die angesprochenen Sozialabgaben und Steuern müssen von diesen Einnahmen bestritten werden. Aber welche verantwortungsvolle Tagesmutter hat schon fünf Kinder?

Und seit einigen Tagen gibt es nun auch noch ein Urteil des Bundesgerichthofes, nachdem bezahlte Kinderbetreuung in den eigenen vier Wänden gewerbliche Nutzung entspricht. Daher benötigen Tagesmütter eine Erlaubnis des Verwalters oder Vermieters, wenn sie die Tagespflege in einer Wohnung ausüben. Ob der Verwalter oder Vermieter die Genehmigung mit dem Argument verweigern darf, die Kinder seien zu laut, ließ der BGH allerdings aus prozessualen Gründen offen. Eigentlich wurde aus diesem Streitpunkt das Gerichtsverfahren geführt.

Deutschland war und ist weiterhin ein wenig kinderfreundliches Land. Was sich da Bürokraten in Brüssel und Berlin ‚zum Wohle der Kinder’ ausdenken, ist hanebüchen. Die Spitze ist natürlich jetzt dieses Gerichtsurteil, dass Kinderbetreuung als gewerblich einstuft und damit z.B. einer Werkstatt gleichstellt, in der gehämmert, gestanzt und gebohrt wird.

siehe auch. Tagesmütter und-väter e.V. des Landkreises Harburg

Döör de Döör döör

He geiht döör de Döör döör … Er geht durch die Tür durch – nichts anderes bedeutet dieser Singsang auf Hochdeutsch. Natürlich ist es Niederdeutsch, also Plattdeutsch. Da das Plattdeutsche keinen Duden kennt, ist die Schreibweise nicht immer eindeutig (de Döör könnte sich also auch nur mit einem Ö schreiben oder mit ÖH, auf jeden Fall wird es wie ein langes Ö gesprochen), ganz abgesehen von den regionalen Unterschieden (da gibt es für ‚dör’ auch ‚dörch’).

    Plattdeutsch - Plattdüütsch

„Als »niederdeutsch« oder »plattdeutsch« bezeichnet man Mundarten nördlich der sog. »Benrather Linie«, einer Dialektgrenze, die bei Benrath in der Nähe von Düsseldorf den Rhein überquert und entlang des Mittelgebirgsaums bis Frankfurt/Oder verläuft. Alle Mundarten, die nördlich dieser Grenze gesprochen werden, sind von einer Neuerung im Bereich des Konsonantismus ausgenommen, die sich im 7./8. Jahrhundert durchzusetzen begann. Betroffen von dieser Neuerung (Fachterminus: 2. Lautverschiebung) sind vor allem die Verschlußlaute p, t, k. In den hochdeutschen Mundarten (und selbstverständlich auch in der hochdeutschen Standardsprache) wurden diese je nach Stellung im Wort zu den Reibelauten pf/f, ts/s, und ch »verschoben«, während sie in den niederdeutschen Mundarten erhalten blieben. So heißt es im Niederdeutschen planten, maken und Tung‘ gegenüber hochdeutschem pflanzen, machen und Zunge.“ (Quelle: uni-potsdam.de)

Das Plattdeutsch klingt daher um einiges weicher, was sich besonders bei Schimpfwörtern ‚positiv’ auswirkt. So ist z.B. ein Klugscheißer auf Plattdeutsch ein Klokschieter. Und das böse S…-Wort heißt eben Schiet – ähnlich dem englischen shit – nur mit langem I. Und einige Wörter sind einfach zu herrlich wie z.B. Fellversupen für das Trinken nach einem Begräbnis (das Fell versaufen) oder Schietinnebüx für Angsthase (Hosenscheißer).

Leider bin ich des Plattdeutschen nicht mächtig. Lesen kann ich es ganz gut. Beim Hören gibt es schon größere Aussetzer – und Sprechen geht fast gar nicht. Trotzdem liebe ich diese leider zunehmend bedrohte Sprache/Mundart, da immer weniger Menschen Plattdeutsch sprechen. Nichts gegen das Hochdeutsche. Aber Platt- oder Niederdeutsch hat so seinen ganz besonderen Charme. Und wenn es ausstirbt, verlieren wir etwas. Immerhin ‚überlebt’ das Plattdeutsche in Einzelbegriffen, in Wörtern wie klönen und schnacken für sprechen, sich unterhalten – oder speziell in Orts- und Straßennamen (Töster Markt für den Tostedter Flohmarkt).

Ja, ich komme hier immer wieder aufs Plattdeutsche zu sprechen und vergesse dabei auch andere bedrohte Mundarten und Sprachen nicht (Bedrohte Sprache: HalunderBedrohte Sprachen in DeutschlandHannes Wader: Plattdeutsche LiederKomm inne Puschen!Schottland 2005: Gälisch). Wer bisschen in der Weltgeschichte herumreist (und dazu genügt das Reisen in deutschen Landen) und neben dem Land auch mit den Menschen in Kontakt kommt, der stolpert geradezu über ‚Abweichungen’ der jeweiligen Hochsprache in Form von Dialekten. Schön, dass es sie gibt.

Nun, ich habe etwas im Netz geguckt, was es da so Feines zum Thema Plattdeutsch gibt und habe einige Links zusammengestellt. Wer Lust hat, kann hier wunderbar stöbern (stövern nennt man das wohl auf Plattdeutsch):

Komm inne Puschen!

„Abfahrt auf Gleis ölf!“. Als ich das hörte, dachte ich, oje, ölf wie zwölf, oder? Wo kommt der gute Zugbegleiter bloß her? Aber ganz klar: aus Bremen! Es war wohl noch in der Grundschule, als mich meine Lehrerin, die ansonsten eine ganz nette und liebe war, korrigierte, denn auch ich sagte damals ölf statt elf. Das hat sich bei mir gewissermaßen festgefressen, ab da hieß es bei mir nur noch ELF. Mit vier ein halb Jahren war ich mit meinen Eltern und Geschwistern aus Pforzheim nach Bremen gekommen und sprach einen schwäbischsüdfränkischen Dialekt, sodass mich keiner in hohen Norden richtig verstand. Diesen Dialekt legte ich schnell ab und nahm – völlig unbewusst – den Bremer Dialekt an … Es ist schon erstaunlich, wie schnell man als Kind eine solche Sprache annimmt.

Der Bremer Dialekt (bremisch: Bremer Schnack, auch: Bremer Snak) ist eine in Bremen verbreitete Umgangssprache, genauer: es ist Missingsch, eine Mischsprache aus Hoch- und Niederdeutsch und dadurch entstanden, dass „niederdeutsche Muttersprachler Standarddeutsch zu sprechen versuchten“. Oft wird der niederdeutsche Satzbau beibehalten und volkstümliche Lehnübersetzungen niederdeutscher Wendungen ins Standarddeutsche übertragen (z.B. Schnacken von snacken für sprechen, reden). In Hamburg gibt es ein ähnliches Messingsch (und Käpt’n Blaubär spricht es auch: Moin-Moin, Kinners!).

Was mich allerdings am meisten überrascht, ist die Feststellung, dass ich auch heute noch viele Begriffe des Bremer Schnack nicht nur verstehe, sondern tatsächlich spreche (zumindest im Wortschatz habe). Und ich habe lange Zeit ziemlich stark genuschelt und Buchstaben – besonders die letzte Silbe eines Wortes – ‚verschluckt’ (Brem’n statt Bremen) – beides sind Charakteristika des Bremer Dialektes. „Man sagt auch: ‚Der Bremer Dialekt kann mit wenig Kraftanstrengung gesprochen werden – man braucht die Zähne ja nicht auseinander zu machen.’ Die Intonation mehrsilbiger Wörter fällt oft nach der ersten Silbe ab.“ (Quelle: de.wikipedia.de). Ich musste mir angewöhnen, ‚die Zähne weiter auseinander zu bekommen’.

Natürlich s-tolpern Bremer auch gern über den s-pitzen S-tein (hängt mit dem Niederdeutschen, also Plattdeutschen zusammen). Allerdings gibt es eine wenig nachvollziehbare ‚umgekehrte Regel’, aufgrund der ST und SP in Fremd- und Lehnwörtern englischer oder vermeintlich englischer Herkunft wie SCHT bzw. SCHP ausgesprochen werden, z.B. Illuschtrierte oder Pischtole.

Während der schwäbisch-südfränkischen Dialekt, mit dem ich sprechen gelernt hatte, aus dem Oberdeutschen stammt, verwendet der Bremer Dialekt wie gesagt niederdeutsche Elemente.

Es gibt also Wörter und Sätze, die ich heute durchaus noch verwende: So heißt z.B. backen auch kleben (Der Zuckerguss backt wie Teufel), und verschüttet man ein Getränk, so plörrt man (zu dünn geratener Kaffee ist eine Plörre). Und wenn jemand nicht in Gang kommt, so fordert man ihn zur Eile auf: Hau ma’ ’n Schlach ran (Hau’ einmal einen Schlag ’ran) oder: Komm inne Puschen (Komm’ in die Puschen = Filz-Hausschuhe). Einen Putzlappen nenne ich so auch heute noch Feudel und aufwischen ist feudeln. Nur die Elf ist bei mir keine Ölf mehr oder die Birne keine Bürne bzw. die Kirsche keine Köhrsche mehr.

siehe auch: weser-kurier.de – Bremer Mundart gerät in Vergessenheit

Volker Ernsting: Bremer Freimarkt
Volker Ernsting: Bremer Freimarkt

Ischa Freimaak!
Bedrohte Sprache: Halunder
Bedrohte Sprachen in Deutschland

Kafkas Wortschatz und Kiezdeutsch

Der Wortschatz ist die Gesamtheit aller Wörter einer Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt oder die ein einzelner Sprecher kennt oder verwendet. Man unterscheidet beim Letzteren zwischen passivem (Wörter, die zwar verstanden, aber nicht benutzt werden) und aktivem Wortschatz.

Klaus Wagenbach bezeichnet Kafkas Prosa als kühl, wortarm und doch „kleistisch“. (Wagenbach: Kafkas Prag: Ein Reiselesebuch – Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1993 – S. 7) Ja, auch als wortarm. Ohne Zweifel ist, dass der Wortschatz in den Romanen und Erzählungen von Franz Kafka erstaunlich ‚beschränkt’ ist. Diese Beschränkung sagt natürlich nichts über die literarische Qualität aus. Ein Koch weiß, dass man auch aus wenigen Zutaten einen kulinarischen Leckerbissen zaubern kann. Wie kann es aber sein, dass ein Schriftsteller der Güte Kafkas eben so wortarm schreibt. Immerhin war Kafka Jurist, also ein Akademiker, und in der Belletristik viel belesen.

Ich habe in einem sehr aufschlussreichen Aufsatz zu „Franz Kafkas Deutsch“ von Marek Nekula folgende Einleitung gefunden (Verweise/Fußnoten habe ich entfernt):

„Die Eigenart von Kafkas Stil wird einerseits mit der ‚Spracharmut’, der ‚Sprachverarmung’ und dem ‚Sprachverfall’ der ‚sterilisierten Ghettosprache’ bzw. der Sprache ohne ein deutsches dialektales Umfeld und ‚soziale Unterschiede’ erklärt, andererseits dem ‚Einfluss der juristischen Fachsprache’ zugeschrieben. […] Manchen, die im Zusammenhang mit Kafka über Phänomene wie eine ‚deutsche Sprachinsel’ oder seinen angeblichen ‚jüdischen Tonfall’ sprechen, genügen dennoch ein oder zwei dürre Absätze, um Kafkas Sprache abzuhandeln.“ (Quelle: linguistik-online.de)

Franz Kafka war deutschsprechender Jude in Prag, damals Hauptstadt des Königreichs Böhmen und mit 230000 Einwohnern drittgrößte Stadt der österreichisch-ungarischen Monarchie unter Kaiser Franz Joseph und durch „starke tschechische Zuwanderung aus einer ehemals überwiegend deutschen inzwischen [zu] eine[r] nahezu rein tschechische[n] Stadt geworden, mit einer Minderheit von 32000 Deutschsprechenden, davon über die Hälfte Juden“ (Wagenbach, 1993, S. 11). Prag war also das, was man eine „deutsche Sprachinsel“ nennen kann. Das Deutsch in Prag war nicht durch Dialekt, höchstens durch Begriffe der tschechischen Sprache gefärbt, und im Falle Kafkas zusätzlich durch den Sprachgebrauch der Juden, was sich in Kafkas Werk widerspiegelt und so in Nuancen den Wortschatz Kafkas sogar bereicherte. Bei Marek Nekula steht hierzu:

„In Tonfall und Idiomatismus, ja selbst in der Wortwahl und im grammatischen Duktus macht sich jenes Prager Deutsch geltend, das von der slavischen, czechischen Nachbarschaft und auch vom Prager Judendeutsch reichlich getönt ist. Eben diese eigentümliche Färbung trägt entscheidend dazu bei, jenseits von allem Lokalkolorit die Ironie von Kafkas Erzählungen zu erhöhen (Politzer 1950: 280).“

Der Wortschatz eines Menschen ist geprägt von der Zeit, dem Raum sowie seiner Herkunft und seinem sozialen Umfeld. Auf Kafka bezogen heißt dies, dass eine Stadt wie Prag mit einem hervorstechenden Umfeld auch Niederschlag in seinem Werk erfahren musste. Eine Stadt wie Prag findet sich heute übrigens auch allerenden bei uns. Wie in Prag begegnen sich überall unterschiedlichste Nationalitäten und Religionen. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn hier eine eigene Sprache entsteht, die übergreifend wirkt: Kiezdeutsch.

    Kiezdeutsch

„Kiezdeutsch ist eine Jugendsprache, ein neuer Dialekt. Das ist kein Unvermögen, Deutsch zu sprechen“, so die Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese, Professorin für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Uni Potsdam (Kiezdeutsch: Ein neuer Dialekt entsteht). Kiezdeutsch ist eine Jugendsprache in einem engen Umfeld. Ähnlich wie in Kafkas Sprache kommt es zu ‚Vereinfachungen’ und auch zu eigenen grammatischen Regeln. Da man heute Kafkas ‚Spracharmut’ kaum als Verelendung unserer Sprache ansieht, sollte man auch gegenüber dem Kiezdeutschen nicht gleich in Hysterie ausbrechen. Heike Wiese hierzu: „In der Soziolinguistik ist es so, dass andere Sprechweisen abgewertet werden, wenn man sich höher einordnet. Vielleicht haben wir es da mit sehr starken Status-Verlustängsten zu tun, weil Kiezdeutsch nicht nur von sozial Schwachen gesprochen wird. Auf jeden Fall ist das Thema emotional besetzt.“

Ich weiß, es ist ein weiter Bogen, den ich hier spanne. Kafka muss für so vieles herhalten. Er wird es aushalten. Es ist die ‚eigentümliche Färbung’, die eine Sprache lebendig macht. Und das gilt sowohl für Kafka (auch heute noch) als auch für eine Jugendsprache wie das Kiezdeutsche.

Wo bleibt die Energiewende?

In Europa soll bis zum Jahre 2020 ein Fünftel des Energieverbrauchs eingespart werden. Denn was man nicht verbraucht, muss nicht produziert werden. Es geht also um Richtlinien zur Energieeffizienz. Und genau da kommen die Herren Norbert Röttgen und Philipp Rösler ins Spiel, der eine Bundesumweltminister, der andere Bundeswirtschaftsminister und Vorsitzender einer eigentlich nicht mehr existenten FDP. Beide versuchen sich an einer Sachfrage strategisch zu profilieren, die längst entschieden sein müsste. Und so kommt Deutschland in diesem Punkt nicht von der Stelle. Vom Top-Duo der Ineffizienz ist bereits die Rede.

Und dann ist da noch das Märchen von der Stromlücke. Die Atomlobby skizziert ein Schreckgespenst vom Deutschland, dem der Strom ausgeht. Denn die großen Energieversorger trauern der billigen Atomkraft nach und den damit verbundenen Milliardengewinnen. Nur wenige von ihnen nutzen den Ausstieg, um verstärkt in die erneuerbaren Energien zu investieren. Aber trotz der klirrenden Kälte Anfang Februar konnte Deutschland sogar Strom exportieren. Zum Beispiel ins Atomstromland Frankreich.

Energiewende – jetzt sofort

Und dann haben wir da eben jenes Duo der Ineffizienz, die Herren Röttgen und Rösler. Der Ausbau der erneuerbaren Energien – und die damit verbundenen Subventionen sind Rösler ein Dorn im Auge. Da liegt er mit Röttgen im Clinch. Und so ist nichts mit Energieeinsparung und so gut wie nichts mit der Energiewende als solches.

Aber es kommt noch ‚besser’: Während der Kälteperiode war das deutsche Stromnetz dem Kollaps nah. Wasser auf den Mühlen der Atomlobby? Wie es aussieht, sind riskante Handelsgeschäfte Grund für diese ‚Unterdeckung’: „Hunderte Stromhändler kaufen für Großverbraucher und Versorger Strom zu, der gerade benötigt wird. Sie schätzen dabei anhand von Erfahrungswerten ab, wie viel gebraucht wird. Weil durch eine enorme Nachfrage, etwa auch in Frankreich, der Strompreis an der Börse auf teils weit über 350 Euro für die Megawattstunde hochschnellte, besteht der Verdacht, das die Händler Kosten sparen wollten und die Prognosen entsprechend klein rechneten.“

Wenn aber zu wenig Strom vorhanden ist, dann wird „über die für Notfälle als Absicherung des Systems vorgesehene Regelleistung zurückgegriffen“. Die Kosten hierfür sind mit 100 Euro je Megawattstunde deutlich billiger ist. Hier zocken Stromhändler mit unserer Versorgungssicherheit. Vielleicht sogar im Auftrag, um den Märchen von der Stromlücke Nahrung zu geben.

Wie es aussieht, so ist die Energiewende längst noch nicht in trockenen Tüchern. Solange Herr Rösler in dieser wichtigen Frage mitbestimmen darf, obwohl er und seine Partei längst jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat, solange muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Eventuell sogar mit einem aus einer bestimmten Richtung gesteuerten oder aufgrund von geldgierigen Spekulationen erzeugten Kollaps des Stromnetzes.

Nach dem Rücktritt von Wulff als Bundespräsidenten stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, dass auch die FDP-Minister ihre Posten räumen, um die Voraussetzungen für Neuwahlen auch des Bundestages zu schaffen. Die Verschleppung der Energiewende darf nicht länger hingenommen werden.

10 Millionen Mitglieder bei AVAAZ

Seit Ende 2007 unterstütze ich das politische Netzwerk AVAAZ.ORG und bin damit Teil einer Globalisierungsbewegung, die in diesen Tage auf 10 Millionen Mitglieder angewachsen ist.

Wie schreibt AVAAZ.ORG selbst dazu:

„10 Millionen von uns. Aus jedem Land, jeder sozialen Schicht. Voller Hoffnung und dabei absolut entschlossen, die Welt, von der wir alle träumen, zu schaffen. Wir gewinnen eine Kampagne nach der anderen. Nicht nur die kleinen Kämpfe, auch die großen, diejenigen, von denen behauptet wurde, sie seien nicht zu gewinnen. Und wir fangen gerade erst an.

Nie zuvor gab es ein Netzwerk wie dieses — wir erhöhen beständig die Geschwindigkeit und sind in den vergangenen 9 Monaten um 4 Millionen gewachsen. Wenn wir zusammenhalten ist alles möglich. Die Welt mag voller Angst und Fatalismus sein, aber Bürgerbewegungen sind überall auf dem Vormarsch und zusammen erneuern und erhalten wir die stärkste Kraft für Wandel, die es je gab…“

    AVAAZ.ORG

Die Kampagnen sind vielfältig, z.B. geht es um die Unterstützung für eine Anerkennung Palästinas, um Hilfe für Somalia – oder um den so genannten Behördentrojaner und der Verletzung unserer Bürgerrechte und Privatsphäre.

Sicherlich sind das ziemlich hochgestochene Sätze, und sicherlich muss man AVAAZ.ORG ‚vorwerfen’, lediglich ein sehr loses Netzwerk und oft populistisch nach amerikanischem Muster zu sein, das zentral von Leuten organisiert wird, die professionell arbeiten und genau wissen, wie man so etwas in den Medien, speziell im Internet, aufzieht. Es fehle eine Symbolfigur und ein klares Thema, wodurch das Engagement unverbindlich und sprunghaft bleibe (siehe spiegel.de). Ich empfehle hierzu den Blog-Beitrag von Stefan Münz: AVAAZ – global-mediale Kampagnen als politische Lösung?

Die eigentliche Gefahr, die besteht, ist, dass sich das Engagement so vieler von AVAAZ sehr schnell ‚verbraucht’. „Wenn unter einer Million Petitionsunterzeichnern keine zehn Aktivisten sind, die so schnell keine Ruhe geben, dann ist die Millionenzahl Makulatur. Die Power des Netzes ergibt sich aus der hohen Quote an authentischen, ernstgemeinten und mit realem Nachdruck vorgetragenen Bekundungen“, wie Stefan Münz schreibt. Oder anders gesagt: Ohne die Aktivisten, die bereit sind, mehr zu leisten, als ihre Mailadresse online zu einer Petition oder einem Aufruf eingegeben, werden Politiker schnell erkennen, dass selbst beim Eintreffen von mehreren hunderttausend Mails keine Gefahr für ihre ungerechten Vorhaben bestehen. Selbst ein millionenfache Protest dieser Art wird schnell ignoriert werden.

Und trotzdem sehe ich in AVAAZ.ORG eine Möglichkeit, mit meiner Stimme als Teil eines großen Chors bei den Mächtigen Gehör zu verschaffen. Das Engagement bei AVAAZ sollte und muss aber immer z.B. durch lokale Initiativen, also der Aktion vor Ort, ergänzt sein. Ich denke da an die Proteste gegen Stuttgart 21 oder jetzt die Aktionen „Occupy Wall Street“ in den USA, die inzwischen auch schon Deutschland erreicht haben. AVAAZ braucht ein Gesicht, das sich der Fratze der Macht entgegenstellt.

Herr und Knecht

Eigentlich wollte ich hier meinen Beitrag Rechtes Schattenland fortsetzen und über meine Recherche in Netz der rechten Szene berichten (vielleicht später). Statt dessen möchte ich über das Thema ‚Herr und Knecht’ philosophieren, um es einmal so zu sagen. Ich sage es gleich: Ich komme nicht dort an, wo ich beginne … Und beginnen möchte ich mit Tolstoi.

„Als sich ein wohlhabender, profitgieriger Kaufmann und sein folgsamer und demütiger Knecht beim Durchqueren der Steppe im Schneegestöber verirren, sehen sie sich plötzlich mit der Unausweichlichkeit des nahenden Todes konfrontiert. In dem Bewusstsein beider Seiten, in dieser Ausnahmesituation gleichgestellt und aufeinander angewiesen zu sein, treten die Standesunterschiede zunehmend in den Hintergrund.

Tolstoi erzählt die Wandlung eines Menschen vom Besitzegoismus zu tätiger Nächstenliebe: Der Kaufmann Brechunow, dessen Leben bis dahin dem Zusammenraffen von Reichtümern gewidmet war, wächst angesichts des nahenden Endes in einem Schneesturm über sich hinaus und rettet unter Aufopferung seines Lebens seinen Knecht Nikita vor dem Tode. ‚Er begriff, daß sein Ende nahe war, aber das machte ihn nicht im geringsten traurig oder ärgerlich … Nikita lebt, sagte er sich … also lebe auch ich.’“
Klappentext zu Leo Tolstoi: Herr und Knecht

Hier geht es um das ‚traditionelle’ Herr-und-Knecht-Verhältnis, wie wir es heute so eigentlich nicht mehr kennen. Wir leben in einer aufgeklärten Welt, in der jeder sein eigener Herr (und Knecht) ist. Dabei denken wir, selbst Herr unseres Lebens zu sein – und sind doch eher Knecht unserer Neigungen, unerfüllbaren Wünsche und Gelüste, oft auch unserer Unzulänglichkeiten.

Aber ich will hier über etwas ganz anderes schreiben. Ein Knecht ist heute nichts anderes als ein Arbeiter in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Und ein Herr kann jeder Mann sein. Erweitere ich die Begriffe um eine Silbe zu Herrschaft und Knechtschaft, so wird uns die frühere Bedeutung der Worte Herr und Knecht um vieles deutlicher. Das eine hat etwas mit Machtausübung zu tun, das andere ist der Zustand der Rechtlosigkeit und Ausbeutung.

Heute spricht man nicht mehr von Herr und Knecht. Herren sind heute Chefs, Manager, Vorgesetzte – wir kennen viele Namen. Und was früher einmal ein Knecht war, ist heute ein von anderen Abhängiger. Ich weiß nicht, ob früher einmal der Knecht sich seines Knechttums oder gar seiner Knechtschaft bewusst war. Heutige ‚Knechte’ werden sich in fast allen Fällen weigern, sich als Knecht zu sehen. Denn die Beziehungen sind heute auch kaum mit dem früheren Herr-und-Knecht-Verhältnis zu vergleichen. Denn ein ‚Knecht’ heute ist nicht unbedingt rechtlos.

Ich will auf ein Beispiel zu sprechen kommen: In meinem Beitrag Rechtes Schattenland berichtete ich von der rechten Szene bei uns hier in Tostedt. Totalitäre System existieren aufgrund eines Herr-und-Knecht-Verhältnisses. Im Beitrag Bestie Mensch beschrieb ich kurz die Rollen der ‚Manager des Todes’ (Herr) und ihrer Handlungsgehilfen bzw. Handlager (Knecht). Natürlich gibt es z.B. auch in einer Demokratie diejenigen, die führen, und solche, die folgen und ausführen. Ein totalitäres System lebt aber von der besonderen Ausprägung der Beziehung zwischen Herr und Knecht. Obwohl der Begriff ‚Herr’ in der rechten Szene verpönt ist, gibt es gerade dort ‚Herren’, die das Sagen haben, die die Führung übernehmen und die Richtung vorgeben – und ‚Knechte’, die bedingungslos (gewissermaßen rechtlos) zu folgen haben.

Ich will hier die Rollen nicht weiter untersuchen, das hat u.a. Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes getan. Darin beschäftigte sich der Philosoph ausführlich um die Dialektik von Herr und Knecht. Einen Gedanken will ich hier aber doch ausführen: Der Knecht ist zwar Knecht kraft seiner erzwungenen Unterordnung, jedoch ist der Status des Herrn von der Anerkennung seiner Herrschaft durch den Knecht abhängig. Wird diese Anerkennung bestritten, dann kann das evtl. zum Zusammenbruch des ganzen Systems führen. Zurück zu meinem Beispiel: Gefolgsleute, d.h. Handlanger, rechter Führer, die aus der Szene aussteigen (und damit den Führungsanspruch der ‚Herren’ in Frage stellen), gefährden die ‚Herrschaft’ insgesamt. Daher werden die ‚Herren’ alles tun, um solche Ausstiege zu verhindern.

So braucht unbedingt jeder, der aus der rechten Szene aussteigen will, die nötige Unterstützung von außen. Bezogen auf unseren Wohnort Tostedt bedeutet das die Unterstützung durch Jugendpflege in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie z.B. dem Forum für Zivilcourage oder dem Projekt „Cool & Clever“.

Herr und Knecht: Von der Literatur und Philosophie des 19. Jahrhunderts (Tolstoi und Hegel) kommt man so zur traurigen heutigen Wirklichkeit. Nur verdingen sich Menschen zu Knechten nicht der eigenen Not wegen; sie machen sich zu Sklaven einer menschenverachtenden Weltanschauung.

Rösler und die Griechen

Ach ja, die Finanzkrise – und Griechenland. Und jetzt melde auch ich mich noch dazu (endlich oder auch nicht) zu Wort.

Zunächst etwas zu unserem Bundeswirtschaftsminister, ja den Rösler, den Zappelphilipp, der nun eigentlich nicht der große Finanzexperte ist. So verkündet er (auch aus Gründen der Präsenz, denn wo ist die FDP, deren Vorsitzender er noch so nebenbei ist, sonst noch präsent?) vollmundig in dieser Sache: Eine geordnete Insolvenz Griechenlands könne nicht ausgeschlossen werden.

Genau, Herr Rösler (wie steht es eigentlich in der Insolvenz-Sache FDP?). Erst einmal gibt es immer nur ‚geordnete’ Insolvenzen und sollte es auch bei einer Staatsinsolvenz geben. Des Weiteren sollte man nicht ins Blaue hinein philosophieren über etwas, für das es bis heute in Europa keine Regeln gibt, eben für eine solche Staatsinsolvenz. Solch ein Beitrag zur Debatte ist zu Recht unverantwortlich.

Überhaupt. Was versteht Herr Rösler unter einer Insolvenz? Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Professor Rudolf Hickel hat Rösler nämlich nicht präzise unterschieden zwischen einer Insolvenz, also einer Staatspleite, und einem so genannten Haircut. Haircut ist, wenn die Gläubiger auf einen gewissen Teil ihrer Forderungen verzichten. Das hätte zur Folge, dass Griechenland mit einem Schlag einen Teil seiner Schulden loswäre. Die Schuldenberge sind nicht mehr so gigantisch und damit die Zinslast nicht mehr so drückend.

Allerdings drohten den deutschen Banken in einem solchen Fall Milliardenverluste, denn die Branche hat griechische Engagements in zweistelliger Milliardenhöhe in den Büchern. Und wieder einmal wären. wenn auch in die andere Richtung, staatliche Hilfen unumgänglich. Diesmal für die Banken?!

Aber verlassen wir Herrn Rösler, der genug mit der Pleite seiner Partei zu tun hat. Hat er sich schon nach einem neuen Betätigungsfeld umgeschaut? Ohne abgeschlossene Facharztausbildung reicht es höchstens zum finanzpolitischen Berater der AOK.

Die Finanzkrise und der Fall Griechenland ist inzwischen ein Glaubenskrieg. Eigentlich wollen alle dem Land helfen – und hoffentlich auch den Menschen dort, aber wie? Und was wird aus dem Euro? Was sagen die Experten?

Für die einen geht z.B. eine Insolvenz notwendigerweise einher mit der Wiedereinführung der Drachme. Griechenland hätte dann die Chance für einen Neustart. Es könnte wieder konkurrenzfähig werden, gerade in Hinblick auf den Export und die Tourismusbranche, weil die Drachme im Vergleich zum Euro schwach wäre, griechische Produkte, die exportiert werden, ebenso das Urlaubmachen dort dadurch billig gemacht würden.

Dieser Argumentation widerspricht der bereits erwähnte Wirtschaftswissenschaftlers Hickel aus Bremen vehement: „Wenn Griechenland aus dem Euro rausfliegt, wird es langfristig zu einem nicht lebensfähigen Staat. Die schwache Drachme würde die Investitionen verhindern, die so bitter nötig sind.“ Außerdem fürchtet Hickel einen Domino-Effekt: „Andere angeschlagene Staaten folgen dann unweigerlich.“ Der Zusammenbruch des Euros würde den Finanzmarkt instabil machen. Damit wäre Deutschland eindeutig ein Verlierer des Ausstieges.

Wie auch entschieden werden sollte: Der deutsche Steuerzahler wird immer im Boot mitpaddeln, also einen Teil der Zeche berappen dürfen.

Einen Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone halte auch ich für bedenklich. Ein teilweiser Verzicht der Gläubiger auf ihre Forderung (Haircut) wäre vielleicht mittelfristig die beste Lösung, auch wenn die Banken dann wieder bitter zu weinen begännen.

Wenn die EU es nicht schafft, innerhalb ihrer Grenzen die Finanzkrise zu bewältigen, dann allerdings sehe ich schwarz für Europa und den Euro. Hilfe aus China oder gar aus Indien, wie zu lesen ist, wäre das denkbar ungeeignetste Mittel. Das, was von einer „europäischen Idee“ übrig bliebe, wäre ein Scherbenhaufen.

Eigentlich frage ich mich nur, wohin die angeblich Billionen von Euro ‚vernichtet’ worden sind. Zwecks Partizipierung meinerseits teile ich den Zockern und Spekulanten gern meine Kontonummer mit.