Kategorie-Archiv: Ian und die (Musik-)Welt

Ian Anderson (Jethro Tull) & vieles mehr von dieser Welt

Was ist bloß mit Ian los? Teil 78: Jethro Tull auf Kreta – Teil 3

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!

Lendas, Kreta – 26.06.2007

Es ist 23 Uhr und ich sitze einmal wieder auf der Terrasse in brütender Hitze. Es geht zwar heute Abend ein leichter Wind, aber der scheint direkt aus einem Heißluftbackofen zu kommen. Vor ein paar Stunden habe ich mit meiner Freundin von der Tierschutzorganisation in Chania telefoniert, dort waren heute 43°C. Zum Glück konnte sie letzte Woche noch kurzfristig eine Klimanalage in die Quarantänestation einbauen lassen, die Tiere wären ihr sonst diese Woche umgekippt. Die Hitzewelle hat Kreta fest im Griff und wird wohl noch ein paar Tage andauern.

Wie immer hat sie es geschafft, mir mehr Katzen auf’s Auge zu drücken, als ich nehmen wollte. Einmal habe ich sie angerufen um zu sagen, dass ich zwei Kätzchen nehmen könnte, und nach dem Telefonat hatte ich sechs Katzen an der Backe. Ganz so schlimm war’s diesmal nicht, statt vier bekomme ich jetzt halt fünf. Silke wird auch von niemandem gefragt, wieviele Katzen sie nehmen will. Kürzlich hat sie in einer Woche 35 Kätzchen reinbekommen, alle mutterlos und die meisten davon noch mit der Flasche aufzuziehen – es ist zum K***rank werden. Ach übrigens: Wenn man die Kinder mal aus dem Gröbsten raus hat, kann man durch Anschaffung ein bis mehrerer Katzen dafür sorgen, dass man nie aus dem Gröbsten rauskommt. Ich könnte Euch diesbezüglich weiterhelfen.

Aber ich denke ich sollte langsam wieder zum Thema zurückkommen. Um vielleicht doch noch eine kleine Nachlese zum Konzert vom Samstag zu betreiben: Ich hatte Euch ja von meinem kleinen Malheur mit den Sandalen erzählt. Nun, sie waren am Samstag morgen wieder weitgehend trocken, hatten allerdings ein paar weiße Salzränder. Ich hoffe nur, dass es Mr. Anderson nicht weiter aufgefallen ist, dass ich mit salzigen Sandalen in seinem Konzert saß – das wäre mir sonst peinlich…

Da wir ja erst das Thema „Gitarrensoli“ hatten, habe ich auch versucht ein wenig auf Mr. Barre’s Gitarrenkünste zu achten. Nun ja, es gibt Gitarrensoli bei Jethro Tull, und Mr. Anderson weist sogar üblicherweise extra darauf hin. Während Mr. Barre dann im Spotlight steht und sein Bestes gibt, trinkt er einen kräftigen Schluck aus der Pulle (in diesem Fall kein „Could You bring me a glass of water, Ray“, sondern Selbstbedienung, und die Flasche sah auch wirklich nach Wasser aus), oder verschwindet überhaupt kurz hinter den Kulissen. Was Mr. Barre dann zu bieten hat, ist nicht schlecht, wäre mir aber ohne extra Hinweis von Mr. Anderson nicht aufgefallen. Es klingt für mich zu sehr nach Background-Sound, es sticht klanglich nicht wirklich heraus. Aber – auch um Lockwood noch einmal zu trösten, den ich ja neulich mit meiner Aussage über startende Düsenjets erschüttert hatte – live ist selbst ein startender Düsenjet nicht unbedingt zu verachten, solange er für die richtige Vibration sorgt. Live wirkt manches schon allein durch die Lautstärke.

Lendas, Kreta – 27.06.2007

Ich möchte Euch nicht schon wieder damit langweilen, wie heiß es ist. Mir wird es langsam auch langweilig. Und deshalb mache ich jetzt gleich mit dem Thema weiter.

Das Bühnen-Outfit des Mr. Anderson lässt mir keine Ruhe, bzw. die Frage, wie man es mit seinen „Bühnenaktivitäten“ besser in Einklang bringen könnte. Prinzipiell sind es doch nichts anderes als Kriegstänze, was er da zu seiner Musik vollführt. Schon als ich das erste Mal dieses Video (Thick As A Brick live 1972, besonders die Schluss-Szenen ab 8:30) gesehen habe, habe ich mir gesagt: Früher sind junge Männer, die zuviel überschüssige Energie hatten, in den Krieg gezogen und haben sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Heute springen sie auf einer Bühne herum, machen laute Musik und schwingen dazu eine Flöte. Das nenne ich Fortschritt! Ich weiß nicht, ob das schon jemals ausreichend gewürdigt worden ist.

Zu diesem Thema passt auch das folgende Video (Live-Ausschnitte und kurzes Interview von 1969), das ich bei TullTapes gefunden und heruntergeladen habe. Was Mr. Anderson hier über seine Aggressivität sagt, spricht Bände, war mir aber auch schon längst vorher klar. Dabei wirkt er doch so harmlos, eigentlich sieht er richtig süß aus.

Es ist schon seltsam, wie die Zeit die Fronten verschiebt. In den 70ern waren Herren wie Anderson, Fogerty und Co. für mich respektable, junge Männer, ungefähr doppelt so alt wie ich, die ich in die Kategorie „ungefähr so alt wie mein Bruder“ (der ist Jahrgang 1948) einordnen konnte. Wenn ich die gleichen Bilder heute sehe, sind das junge Kerle, ungefähr halb so alt wie ich und kaum älter als mein Sohn, da bekomme ich fast mütterliche Gefühle (wie sich Mr. Anderson in diesem Video quer vor den Mikrophon-Ständer auf den Boden schmeisst und mit den Beinen strampelt, erinnert mich wirklich stark an meinen Sohn, im Alter von 5 bis 6 Jahren hatte der auch solche Phasen). Zeitreisen a la YouTube machen’s möglich.

Dieses Video von 1969 hat mich in einem weiteren Punkt persönlich erwischt. Hier kommt auch Mr. Anderson senior ins Bild, und bei seinem Anblick traf mich fast der Schlag. So sah mein Vater auch aus! Dann diese „Stereoanlage“, wie nannte man die doch damals? Ich glaube wir sagten „Musiktruhe“. Vermutlich hatte jede bessere Familie um 1970 so ein Möbelstück mit eingebautem Radio und Plattenspieler im Wohnzimmer stehen, wir jedenfalls auch, wobei unseres nicht unter sondern neben dem Fenster stand. Erst recht unheimlich wurde mir dann aber, als ich gesehen habe wie Mr. Anderson senior dieses Gerät bedient. Platte auflegen, Klappe zu. Dann in gebeugter Haltung neben dem Apparat verharren und lauschen – Lautstärkeregler noch 1,324 mm nach links drehen – lauschen – nein, das war zuviel, 0,436 mm zurück usw… Das war mein Vater, wie er leibte und lebte, ich dachte ich sehe Bilder aus unserem Wohnzimmer. Zeitreisen a la YouTube…

Lendas, Kreta – 28.06.2007

Luft – Frischluft! Ich sitze auf der Terrasse und lasse mir den angenehm kühlen Wind um die Nase wehen. Bei solchem Wetter kann man endlich einmal eine kleine Wanderung wagen. Auch hier gibt es eine Schlucht – soger mit Ziegen und Strand! Das ist zwar ein Fußmarsch von zwei bis drei Stunden, aber bei solchen Temperaturen kein Problem.

Heute möchte ich auf einen weiteren Aspekt der Rock- und Pop-Musik kommen: Musikerinnen. Sängerinnen im Rock- und noch mehr im Pop-Bereich gibt es wie Sand am Meer. Sucht man Solche, die dazu auch noch ein Instrument spielen können, lichten sich die Reihen schon deutlich. Wenn es gar darum geht, welche davon selbst Songs schreiben, muss man anfangen mit der Lupe zu suchen. Die Damen, die mir da einfallen, kann man an den Fingern einer Hand abzählen.

Da ist naürlich die von uns schon mehrfach erwähnte und allseits geschätzte Kate Bush (hier mit Wuthering Heights, das übrigens auch ein sehr hörenswertes Gitarrensolo enthält). In meiner Plattensammlung befindet sich noch eine Scheibe von Melanie Safka (hier ihre Woodstock-Hymne Lay Down). Die anderen beiden Rock-Damen sehen schon aus wie Männer: Patti Smith (Because The Night) und Annie Lennox (Sweet Dreams), wobei die Zweite, wenn sie wollte, schon aussehen könnte wie ein Frau – will sie aber anscheinend nicht. Kennt Ihr noch mehr Rockerinnen? Kennt Ihr eine bedeutende Komponistin, so in der Größenordnung von Bach, Mozart oder Beethoven? Ich kenne nicht einmal eine völlig unbedeutende.

Die Geschlechterverteilung in der Musikbranche sieht ungefähr so aus wie in der Gruppe Abba: Die Mädels stehen vorne am Mikrophon, schwingen die Hüften und singen, die Jungs im Hintergrund spielen die Instrumente und schreiben die Songs.

Was will mir das sagen? Musik schreiben ist männlich, es muss irgend etwas mit typisch männlichen Eigenschaften zu tun haben. Was und warum, ist mir allerdings noch nicht so ganz klar. Sicher ist es, besonders was Rock-Musik betrifft, ein Ventil für Aggressivität. Wie schon die Texte der meisten Lieder vermuten lassen – in mehr als der Hälfte aller Songs geht es doch immer nur um ein Thema – spielt die Kanalisation erotischer Energien eine Rolle. Warum auf diesem Gebiet die Männer aber so dermaßen dominieren, habe ich trotzdem noch nicht ganz durchschaut.

Auch in angrenzenden Bereichen herrscht Frauenmangel. In Laufi’s Jethro Tull Forum konnte ich bislang nur zwei Frauen entdecken – ich zähle nicht. In Willi’s Jethro Tull Weblog sieht es noch magerer aus – wie gesagt, ich zähle nicht. Jethro Tull scheint kein Thema für Frauen zu sein. Das ist aber vermutlich kein spezielles Jethro Tull Phänomen. Ich gehe davon aus, dass es bei anderen Rock-Gruppen nicht anders aussieht. Auch Fan-Pages werden üblicherweise von Männern gestaltet – ich kenne jedenfalls keine von einer Frau. Worauf ich hinaus will? Frauen scheinen sich üblicherweise anderweitig zu beschäftigen. Was tue ich hier eigentlich? Warum schreibe ich mir seit Wochen die Finger wund über die Farbe von Anderson’s Bart und das Muster von Fogerty’s Hemd – habe ich nichts Besseres zu tun? Aber die Frage könnt Ihr mir wahrscheinlich auch nicht beantworten. Ich gehe jetzt an den Strand!

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Es war ein schöner, aber anstrengender Tag. Auch wenn die ganze Zeit vom Meer her eine frische Brise weht, sollte man doch die Hitze nicht unterschätzen, die von einer glühend heißen Staubstrasse aufsteigt. Dabei habe ich für die Stecke – trotz 15 Minuten Pause unter einer Tamariske am Strand von Loutra – nur 1 Stunde und 40 Mnuten gebraucht. Früher habe ich für diesen Fußmarsch immer zweieinhalb bis drei Stunden eingeplant. Da merkt man erst, was die lieben Kleinen ausmachen – „Mama, ich habe Durst – Mama, ich habe Hunger – Mama, ich kann nicht mehr“ usw…

Direkt vor dem Aufstieg zur Schlucht, in einer ehemals sandigen, flachen Bucht, in der mein Sohn und ich im letzten Urlaub noch geschnorchelt haben, habe ich dann das entdeckt: Einen pikobello frisch betonierten Fischereihafen. Eine große Holztafel gibt darüber Auskunft, dass er über 3,2 Mio. EUR gekostet hat und zu 75% von der EU bezahlt wurde. Griechen sind nämlich ein wenig seltsam, sie hassen die Hand, die sie füttert. Damit sie sie zumindest nicht ständig beissen, werden sie schon seit Jahren durch entsprechende Schilder an jedem von der EU gesponserten Projekt darauf hingewiesen, wieviel Geld man ihnen wieder geschenkt hat.

Was mich gewundert hat: Wozu braucht man hier am Ende der Welt, mehr als 5 km entfernt vom nächsten Ort und vom letzten asphaltierten Straßenabschnitt, einen völlig neuen Fischereihafen? Es gibt sowieso keine Fische mehr, das griechische Meer ist leergefischt. Immerhin liegt hier gerade ein kleiner Fischkutter am Kai, aber die anderen Boote sehen mir nach Hobby-Fischern aus, die sich am Wochenende oder im Urlaub die Zeit mit Angeln verteiben. Als nächstes wird jetzt natürlich die Straße asphaltiert werden müssen, sicher auch wieder mit EU-Geldern. Auch die Ziegen, die hier in der Mittagssonne wiederkäuend von den frisch planierten Terrassen auf den neuen Hafen herabschauen, scheinen sich zu fragen, was das soll. (Gesamtansicht: Fischereihafen am Ende der Welt – Lendas liegt übrigens in der Bucht vor dem großen „liegenden Löwen“, der dem Ort den Namen gab: Leondas = Löwe

Der Strand am Ausgang der Schlucht ist schattenlos, nur in der westlichen Bergwand gibt es zwei Felsspalten, die ab mittags im Schatten liegen. Die größere war schon von einer Familie belegt, aber die kleinere war noch frei, und so fand ich ein angenehm klimatisiertes Plätzchen. Nach der ersten Schnorchel-Runde bin ich dann auch prompt in meiner Höhle eingeschlafen und erst abends nach 18 Uhr wieder aufgewacht – eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, den ganzen Nachmittag zu verpennen.

Während ich die Kinder der Familie aus der Nachbarhöhle beobachtete, fiel mir wieder ein, wie ich vor 15 Jahren zum ersten Mal in diese Schlucht gekommen war, zusammen mit meinem Sohn und einer Freundin mit Mann und Kind. Die Jungs waren damals 5 Jahre alt. Zum Zeitvertreib für die Kinder hatten wir zuvor eine Schmalspur-Angelausrüstung gekauft – Nylonschnur, zwei Haken, Gewicht und Schwimmer, alles auf eine Korkplatte gewickelt. Am späten Nachmittag sind wir über die Felsen am westlichen Berghang zu einer Stelle geklettert, wo das Wasser schon relativ tief war und wir die „Angel“ auswerfen konnen. Als Köder hatten wir zuvor einige Muscheln gesammelt. Und dann – oh Schreck – hing tatsächlich nach kurzer Zeit ein Fisch am Haken. Damit hatten wir nicht unbedingt gerechnet.

Große Aufregung, die Kinder waren natürlich begeistert, aber jetzt: Was tun? Zuerst wurde der Fisch mal photographiert, aber dann musste er irgendwie vom Haken. Man glaubt garnicht, wie glitschig diese Tiere sind, wenn man noch nie etwas mit ihnen zu tun hatte. Etwa 5 Minuten lang kämpften 3 Erwachsene und 2 Kinder, um ein 15 cm Fischlein vom Haken zu bekommen. Zum Glück war niemand vom Tierschutz anwesend, ich war damals noch nicht so aktiv. Schließlich hatten wir den Fisch von der Angel befreit, und – was hätten wir sonst schon mit ihm machen sollen – haben ihn ins Meer zurück geworfen. Ich weiß nicht, ob er danach noch sehr alt geworden ist, ein bißchen Schlagseite hatte er schon.

Es war schon gegen 19:30 Uhr, als ich mich auf den Rückweg gemacht habe. In der Schlucht habe ich dann noch ein paar Ziegen photographiert, deshalb gibt’s hier noch ein Suchbild mit Ziege. Es ist schon erstaunlich, wie sich auch diese Tiere farblich bereits ihrem Untergrund angepasst haben. Nach einem Souvlaki (schwesterlich geteilt mit den Katzen) in einer neuen Taverne in der Bucht von Loutra gegenüber dem neuen Hafen, bin ich schließlich im Mondenschein (es ist fast Vollmond) zurück nach Lendas marschiert, wo ich gerade noch rechtzeitig eintraf, um im „Supermarket“ mein Frühstück für morgen einzukaufen.

Das war jetzt alles ziemlich „Off Topic“, aber ich denke mein Thema heißt „Jethro Tull auf Kreta“, und das war jetzt der „auf Kreta“-Teil.

Lendas, Kreta – 29.06.2007

Inzwischen ist die Brise vom Meer aufgefrischt, man könnte es auch als windig bezeichnen. Die Temperatur ist seit vorgestern bestimmt um mindestens 10 Grad gefallen, es ist jetzt richtig angenehm. Trotzdem mache ich heute nicht gleich wieder einen Gewaltmarsch, heute wird gefaulenzt.

Kommen wir noch einmal auf Laufi’s Jethro Tull Forum zurück. Dort hatte ich vor ein paar Wochen ein Schlüssel-Erlebnis. Bis dahin hatte ich gedacht, wie zahlreiche andere Menschen wohl auch, ich könne „objektiv“ gute Musik von schlechter unterscheiden, oberflächliche von tiefschürfender, belangslose von bedeutungsvoller – unabhängig vom „Geschmack“. Dann las ich dort – übrigens geschrieben von einem Jethro Tull Fan, was sonst – die Worte, „Overhang“ sei oberflächliches Gedudel. Das hat mich in meinem Innersten erschüttert. Wie konnte jemand diesen Aufschrei aus meiner tiefsten Seele für „oberflächliches Gedudel“ halten?

Es wird so gerne leichthin gesagt, Musik sei eine Sprache, die jeder versteht. Davon bin ich abgekommen. Es gibt in der Musik vermutlich mindestens so viele verschiedene Sprachen, wie im gesprochenen Wort, und nicht Jeder versteht jede. Wenn sich zwei Menschen auf chinesisch unterhalten, ist das für mich unter Umständen von bedeutunglosem Baby-Gebrabbel nicht zu unterscheiden, dabei kann es sich um ein hochgeistiges Gespräch handeln. In der Musik scheint es ähnlich zu sein. Ich habe mir daher vorgenommen mich davor zu hüten, eine Musik als oberflächlich oder inhaltlos zu bezeichnen, nur weil sie mir nichts sagt. Schon garnicht sollte man jemanden als „hirnamputiert“ bezeichnen (wie bei Laufi geschehen), nur weil ihm eine Musik gefällt, mit der man selbst nichts anfangen kann. Solange es einen ernstzunehmenden Menschen gibt, dem diese Musik etwas bedeutet, ist sie nicht bedeutungslos. Sie drückt nur wahrscheinlich ein Gefühl oder aus, das man selbst nicht kennt.

Allerdings muss ich zugeben, dass mein Verständnis da auf Grenzen stösst, wo in der Musik Gewalt verherrlicht wird, wo sie diskriminierende Inhalte transportiert oder Brutalität ausdrückt. Wobei man sicher darüber streiten kann, ob solche Musik zum Abbau oder zum Aufbau von Aggressionen beiträgt. Es kommt vermutlich auf den Menschen an, der sie hört.

Lendas, Kreta – 30.06.2007

Mein Urlaub geht unaufhaltsam seinem Ende entgegen, morgen früh wird gepackt und dann geht es zurück nach Hause. Mir fällt auch langsam wirklich nichts mehr ein, und ich bin gespannt, was Ihr inzwischen so getrieben habt.

In nächster Zeit werde ich vermutlich kaum zum Schreiben kommen, die Katzen und die Arbeit warten. Vielleicht gibt’s hin und wieder ein kurzes Lebenszeichen von mir – mal sehen.

Ganz liebe Urlaubsgrüße von
Kretakatze

PS.: Es ist der 02.07. und das Arbeitsleben hat mich zurück. Ein paar kleine Programmfehler waren während meiner Abwesenheit aufgetreten, aber nichts so Dringendes, dass man es nicht für mich bis nach meinem Urlaub hätte aufheben können.

Auch meine Katzen hatten eine kleine Überraschung für mich vorbereitet – sie hatten eine tote Maus im Wäschekorb versteckt. Diese nette Idee scheinen sie bereits kurz nach meiner Abfahrt vorausblickend in die Tat umgesetzt zu haben, damit die Maus bis zu meiner Rückkehr auch das nötige Reifestadium erreicht hat. Der dezente Geruch im Badezimmer sowie die zahlreichen gut entwickelten Maden, die sich im der Wäsche tummelten, zeugten davon, dass ihnen das Timing optimal gelungen war. Wie ich schon einmal erwähnt habe: Wenn die Kinder mal aus dem Gröbsten raus sind, muss man deswegen nicht verzweifeln…

Gerade eben habe ich noch dieses Video von Nothing Is Easy gefunden, aufgenommen am 23.06.2007 in Iraklio. Eigentlich müsste ich irgendwo im Bild sein, ich habe mich aber noch nicht entdeckt… Und auch dieses Video (neues Intro zu Aqualung) stammt vom Konzert in Iraklio, offensichtlich aufgenommen von jemandem, der direkt hinter den Steh-Reihen saß. Die Handys scheinen doch nicht so gut zu filmen, wie ich dachte.

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 77: Jethro Tull auf Kreta – Teil 2

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!

Lendas, Kreta – 24.06.2007/25.06.2007

Nun bin ich also in Lendas angekommen, und es ist brütend heiß. Das war es schon gestern in Iraklio – 39°C nach Auskunft meines Autoverleihers, in Athen wohl sogar 42°C. Es ist kurz vor Mitternacht, ich sitze auf der Terrasse vor dem Zimmer und die Luft ist zum Schneiden – an Schlafen nicht zu denken. Aber fangen wir von vorne an.

Gestern war also der große Tag, an dem ich mein erstes Jethro Tull Konzert erleben sollte. Nach 10 Uhr war ich in Xerokambos aufgebrochen und gegen 2 Uhr kam ich in Iraklio an. Da ich, wie ich schon wiederholt erwähnt habe, immer sehr für sparsame Haushaltsführung bin, hatte ich beschlossen mein Nachtlager im Youth Hostel aufzuschlagen. Schließlich brauchte ich nur eine Schlafunterlage für die Nacht, und außerdem liegt es nicht weit von meiner Autovermietung entfernt. Nun, jetzt weiß ich auch wie diese Art der Unterbringung zu bewerten ist: Nicht zu empfehlen. Das Etablissement in Iraklio ist äußerst schlicht, nicht unbedingt sauber und kostet immerhin 10 EUR die Nacht. Auch beunruhigte mich von Anfang an die Auskunft, dass um 24 Uhr die Pforte geschlossen wird. Wer bis dahin nicht im heimischen Hafen eingelaufen ist, darf unter freiem Himmel nächtigen. Und schließlich wußte ich nicht so genau, wie lang das Konzert dauern könnte.

Wie auch immer – bis 15 Uhr hatte ich im Youth Hostel eingecheckt und mein Gepäck in einem 8-Bett-Zimmer auf einer Pritsche abgeladen. Bei der Autovermietung war niemand anzutreffen, also machte ich mich erst einmal auf den Weg die Busverbindung nach Lendas für den nächsten Tag auszukundschaften. Dazu war ein kleiner Fußmarsch von 20 Minuten zur Busstation erforderlich. Auf dem Weg kam ich an zahlreichen Plakatwänden vorbei, an denen die verschiedensten Konzerte angekündigt wurden – nur konnte ich nicht den Zipfel eines Plakats von Jethro Tull entdecken. Das begann mich zu beunruhigen.

Mich peinigte der Gedanke, dass das Konzert vielleicht inzwischen abgesagt worden war, und ich nur nichts davon mitbekommen hatte. Oder hatte man aus organisatorischen Gründen nur einfach vergessen Plakate zu kleben? Das soll ja schon 1976 Cat Stevens in Athen passiert sein – er durfte vor nahezu leerem Haus auftreten. Oder hatte man die Plakate überklebt, weil längst ausverkauft war? Um eine Antwort zu erhalten würde mir nichts anderes übrig bleiben, als vor Ort am Kipotheatro die Lage zu peilen. Nachdem ich an der Busstation mit der Information beglückt worden war, dass weder samstags noch sonntags Busse nach Lendas fahren – ich würde also zumindest für die letzten 30 km ein Taxi brauchen – machte ich mich auf zum Ort der Handlung, dem „Gartentheater“, in dem Jethro Tull nach meiner Information heute Abend 20 Uhr auftreten sollten.

Nochmals 20 Minuten Fußmarsch bei sengender Hitze, ich mußte mich durchfragen. Trotzdem war ich eigentlich erstaunt, wie nahe alles beieinander lag. Nach der Karte hätte ich die Entfernungen viel weiter geschätzt. Iraklio, die fünftgrößte Stadt Griechenlands, ist im Zentrum eigentlich auch nur ein großes Dorf.

Als ich am Kipotheatro ankam war es ca. 16:30 Uhr. Im Cafe vor dem Eingang saßen eine Handvoll Leute, sonst war nichts los. Der Eingang stand offen, und hier hingen tatsächlich auch ein paar Jethro Tull Plakate. Ich warf einen Blick in die heiligen Hallen und bekam folgendes zu sehen: Kipotheatro1 Kipotheatro2. Es sah tatsächlich so aus, als ob hier ein Konzert vorbereitet würde. Das ließ mich Hoffnung schöpfen. Wenn ich nur auch schon ein Ticket hätte. Der Verkaufsschalter am Kipotheatro war geschlossen. Und auch sonst hatte ich bislang nirgendwo einen Laden entdecken können, der so aussah als ob dort Konzertkarten zu bekommen wären.

Nur als Einschub zwischendurch: Selbst ich war von der Überschaubarkeit dieser Lokalität überrascht. Ich schreibe das nur, weil immer wieder von verschiedener Seite vermutet wird, Mr. Anderson ginge auf Tournee um Geld zu scheffeln. Spätestens wenn man die Größe dieser Venue sieht muss einem klar werden, dass so eine Vermutung lächerlich ist. Für die paar Kröten, die hier zu verdienen sind, würde ich mir den Stress eines Konzerts jedenfalls nicht antun. Hier tritt nur auf, wer es wirklich nötig hat, oder wer es überhaupt nicht nötig hat. Bei Mr. Anderson würde ich das Zweite vermuten. Konzerttourneen scheinen sein Hobby zu sein, solange er nicht draufzahlt, ist es ok.

Jetzt wurde es aber wirklich langsam Zeit, dass ich das Auto loswurde. Also nochmal zur Autovermietung. Nach einem Telefonat, 10 Minuten warten auf den Vermieter, einer Limo und einem Schwätzchen war das auch erledigt. Nichts wie zurück zum Kipotheatro. Wer wußte schon, wann der Verkaufsschalter öffnen und sich die Menschenmassen drängen würden. Es war ca. 17:45 Uhr als ich ankam, und diesmal klang mir bereits das Intro zu Locomotive Breath entgegen. Der Eingang stand immernoch offen und so bot sich mir das folgende Bild: Kipotheatro3. Eindeutig waren bereits die Herren Perry, Goodier und O’Hara auf der Bühne zu erkennen, der äußerst Rechte (Stage Left) könnte Mr. Barre sein. Nur vom Meister keine Spur. Würden Jethro Tull etwa ohne Mr. Anderson auftreten? Das wäre ja mal ganz was Neues.

Während ich photographierte lief ein Trupp schwarz gekleidete Sicherheitsleute an mir vorbei. Es wollte zwar Keiner etwas von mir, aber ich dachte ich sollte vielleicht doch besser nicht so auffällig im Weg herumstehen. Außerdem hatte ich noch ein Telefonat zu erledigen. Als ich 18:00 Uhr zurückkam, tönte mir eine Flöte entgegen – Mother Goose. Da war der Meister wohl doch noch eingetroffen. Allerdings: Jetzt war der Eingang zu und mindestens 15 bis 20 Sicherheitsleute standen oder saßen herum. Pech!

Wie man vielleicht schon auf den Bildern gesehen hat, ist das Kipotheatro von beiden Längsseiten von hohen Mauern eingeschlossen. Die im Bild rechte ist die Außenseite der historischen Stadtmauer. Links des Theaters führt eine Straße den Berg hinauf. Der Hang ist ebenfalls durch eine Mauer abgesichert. Von der Straße her ist die Mauer natürlich so hoch gezogen, dass man nicht von oben ins Theater hineinsehen kann – das wäre ja auch zu einfach. Allerdings zieht sich die Mauer mit einer Höhe von nur etwa einem Meter bis kurz hinter den Eingang, und von dort aus konnte ich durch die Zweige einer Kiefer hindurch zumindest Teile der Bühne einsehen. Hier bezog ich für die nächsten anderthalb Stunden Stellung.

Ich konnte nun erstmals den Meister erspähen, wie er in schwarzem T-Shirt und schwarzer Hose, Flöte in der Hand, auf er Bühne herumsprang. Und – welch Wunder – er trug keine Kopfbedeckung. Hatte ihn etwa die kretische Sonne dazu animiert, sie sich auf’s blanke Haupt scheinen zu lassen? Wäre es gar möglich, dass es ohne den lächerlichen Kopf-Fummel auftreten würde? Die Aussichten für den Abend wurden immer erfreulicher.

Gegen 18:30 Uhr war der Soundcheck zu den Instrumenten „akustische Gitarre und Gesang“ fortgeschritten. Es wurde der Anfang von „Thick As A Brick“ geboten – das klang nicht einmal so schlecht. Als ca. 19:00 Uhr noch ein komplettes „Farm On The Freeway“ gespielt wurde, kam bei mir langsam richtig Stimmung auf. Dem Meister schien allerdings irgendetwas nicht gefallen zu haben. Es gab eine kurze Diskussion und danach wurde ein Teil wiederholt.

Eigentlich sind diese Open Air Venues garnicht so schlecht. Sollte ich wirklich kein Ticket mehr bekommen, dann hatte ich hier auf der Mauer im Schatten einer Platane trotzdem einen luftigen Sitzplatz, von dem aus ich einiges sehen und alles hören konnte. Aber meine diesbezüglichen Bedenken waren grundlos. Inzwischen hatte der Kartenverkaufsschalter geöffnet und die Länge der Schlange hielt sich in Grenzen. Tickets schienen noch genug vorhanden, es wurde vom dicken Block herunter verkauft und ich erhielt das Ticket No. 5 (ein Jethro Tull Ticket ist ja vielleicht nichts sooo Sensationelles, aber nicht jeder hat eins in griechischer Schrift…). Auf dem Ticket las ich dann auch die „richtigen Öffnungszeiten“: Einlass 19:30 Uhr, Beginn 21:30 Uhr!!! Um Mitternacht schließt das Youth Hostel, und für die Strecke brauche ich mindestens 20 Minuten zu Fuß. Das könnte knapp werden. Ich begann mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich die Nacht auf einer Parkbank verbingen würde, während mein Gepäck sanft auf der Pritsche ruhte.

Ticket Jethro Tull 2007 auf Kreta

Nach dem Kartenkauf bezog ich wieder meinen Logenplatz auf der Mauer. Jetzt wurde es richtig rockig, gegen 19:20 Uhr stand „Sweet Dream“ auf dem Programm. Danach wurden noch Ausschnitte aus „America“ und nochmals „Mother Goose“ geboten. Der Soundcheck schien um 19:40 Uhr beendet, die Herren verschwanden von der Bühne. Inzwischen hatten auch die ersten Besucher Stellung vor dem Eingang bezogen, und es wurde Zeit, dass ich mich für den Einlass günstig positionerte. Das gelang mir auch problemlos.

Das Publikum, das sich allmählich vor dem Eingang sammelte, war erstaunlich bunt gemischt. Neben einem älteren deutschen Ehepaar waren Griechen allen Alters vertreten, teilweise ganze Familien einschließlich Kindern unter 10. Außerdem bemerkenswert viele junge Leute und Jugendliche, aber auch ein typischer, mindestens 60-jähriger kretischer Opa. Natürlich muss man dabei bedenken, dass es sich um eine Samstag Abend Veranstaltung handelte. Bestimmt hatten sich einige Zuschauer nach dem Motto – „Was gibt’s diesen Samstag?“ – „Jethro Tull spielen“ – „Kenne ich nicht, aber gucken wir mal, was das ist“ – zu diesem Konzertbesuch entschlossen. Viele der Jugendlichen waren wahrscheinlich einfach gekommen, weil ein Rock-Konzert angesagt war. So groß wird das kulturelle Angebot in Irakio nicht sein – zumindest was „ausländische“ Musik und Rockmusik betrifft. Da nimmt man mit, was man bekommen kann.

Trotzdem muss man sich bei den Preisen doch wundern, wer sich das alles leisten wollte. 40 EUR sind für einen 13- oder 14-Jährigen (und es gab eine ganze Menge Jungs in etwa der Altersklasse) doch bestimmt eine Menge Geld, und wenn eine dreiköpfige Familie für einen Samstag Abend 120 EUR hinblättern muss, ist das auch kein Pappenstiel. Wenn ich da an die Preise in meiner Jugend denke – Cat Stevens 1976 kostete 16 DM, Al Stewart 1977 14 DM, Dire Straits 1979 waren schon teuer mit 20 DM. Früher war halt alles besser und vor allem billiger.

Kurz nach 20:00 Uhr wurden dann tatsächlich die Tore geöffnet, man wurde gruppenweise eingelassen und ggf. gefilzt (so wie ich z.B. mit meinem kleinen Rucksack – Wasserflasche, ein Apfel, eine Packung Kekse und eine Packung Nüsse gingen aber anstandslos durch, das Seitenfach mit der Kamera interessierte niemanden). Da ich gleich in der zweiten eingelassenen Gruppe war, hatte ich noch praktisch freie Platzwahl, und ich positionierte mich in der Mitte der vierten Reihe ungefähr auf gleicher Fußhöhe mit der Bühne – das sollte sich später noch als gute Wahl erweisen. Aus unerfindlichen Gründen wollte sich niemand neben mich setzen, so dass die Plätze rechts und links von mir frei blieben (eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass ich sooo gestunken habe…), obwohl sich das Theater allmählich füllte. Gegen 21:30 Uhr konnte ich jedenfalls in den Reihen vor und hinter mir keine freien Plätze mehr erkennen, stattdessen saßen inzwischen Zuschauer auf den Mäuerchen rechts und links oder standen in den Gängen. Auch die Stehplätze hinter den Sitzreihen schienen nicht unbenutzt zu bleiben. Ich dagegen tronte in der Mitte der vierten Reihe auf drei Plätzen wie die Königin von Saba.

Nachdem ich mich auf meinem Sitz häuslich eingerichtet hatte, war bis zum Konzertbeginn noch über eine Stunde totzuschlagen. Etwas Abwechslung bot das Programm auf der Bühne, hier hantierten 3 Männer mit einer Leiter, um sämtliche Scheinwerfer neu zu justieren. Hinter mir hatte sich ein griechischer Jethro Tull Experte – so um die 40 – platziert, der seiner Gesellschaft lautstark die Bedeutung von Aqualung und Songs From The Wood näherbrachte, selbst Marin Barre’s Stage Left war ihm nicht unbekannt. Vor mir hatte ein Ehepaar für die gesamte Verwandschaft und Bekanntschaft gleich 10 Plätze belegt, setzte sich dann direkt vor mich und begann zu qualmen, was die Lunge hergab (Dazu muss man wissen: Mir wird von Rauch in kleinsten Mengen schlecht – ich rieche, wenn sich jemand in 100 m Entfernung eine Zigarette anzündet). Überhaupt schien sich um das strikte Rauchverbot, auf das schon am Eingang hingewiesen wurde, niemand zu scheren. Vor und während der Vorstellung stiegen aus dem Publikum immer wieder regelrechte Rauchwolken auf. Die Sicherheitskräfte hatten damit kein Problem.

Nachdem sich das Publikum weitgehend auf den Plätzen etabliert hatte, begann es sich mit Lebensmitteln einzudecken. Jede Menge Bier in Pappbechern wurde in Freundeskreisen verteilt, hinter mir wurden Chipstüten durchgereicht. Inzwischen begann es einzudunkeln, und die Bühnenscheinwerfer mussten nochmals ausgiebig getestet werden. Dazu wurde auch das Publikum angestrahlt und ausgeleuchtet. Mehrmals traf mich einer der Scheinwerfer so ins Auge, dass ich danach einige Momente lang überhaupt nichts mehr sah. Das ist Körperverletzung, hoffentlich machen die das nicht auch während der Vorstellung so!

Dann endlich, um 21:45 Uhr (es wird wohl doch die Parkbank werden) ging das Licht aus, einige Schattengestalten huschten über die Bühne, dann Licht an und los ging’s mit „Living In The Past“. Gejohle und Beifall aus dem Publikum, und jetzt wurde mir schnell klar, warum vor der Bühne Absperrgitter aufgestellt und dahinter Sicherheitsleute postiert waren. Wie auf Kommando stürzte Publikum aus den Gängen, von hinten und von der Seite vor zur Bühne, die erste Reihe wurde einfach überrannt. Schon nach wenigen Takten war von der ersten Sitzreihe nichts mehr zu sehen, wer dort gesessen hatte musste notgedrungen auch stehen, sonst wäre er wohl erstickt. Direkt vor der Bühne bildeten sich etwa 4 Steh-Reihen, aber von meinem Sitzplatz in der vierten (jetzt dritten) Reihe konnte ich gerade eben bequem über die Köpfe hinweg sehen – das hatte ich mal wieder optimal getroffen.

Was mir sofort auffiel: Oh nein, er hat doch wieder die schwarze Abdeckplane übers bare Haupt gezogen, und hat er sich eigentlich den Bart passend zum Kopfverband gefärbt? Der war doch früher nicht schwarz, oder? Ansonsten war Mr. Anderson mit der gleichen gelb-rot gemusterten Weste bekleidet, die ich schon aus den Südamerika-Videos kannte. Eigentlich kam ich mir vor wie in YouTube mit Vergrößerung.

Was mir nach dem Soundcheck schon klar war: Es war keine Geigerin mit von der Partie, die Herren waren unter sich und spielten das „klassische“ Programm. Ich werde jetzt nicht jeden gespielten Titel einzeln durchgehen, sondern nur allgemein ein paar Anmerkungen machen. Eine tabellarische Zusammenfassung des Konzerts einschließlich Setlist findet Ihr am Ende meines Beitrags.

Nach dem ersten Titel musste Mr. Anderson erst einmal mit dem Publikum schimpfen: Warum denn hier alle vor an die Bühne rennen, es wäre doch nicht nett den dahinter Sitzenden die Sicht zu versperren. Also zurück auf die Plätze, er habe schließlich noch nicht einmal richtig angefangen. Das brachte ihm zwar ein paar Lacher ein, aber natürlich hat sich trotzdem niemand auch nur einen Zentimeter von der Stelle gerührt. Immerhin, er hat’s versucht, das fand ich eigentlich ganz nett.

Was mir schon bei „Living In The Past“ auffiel – die Stimme hatte nachmittags beim Soundcheck noch besser geklungen. Auch bei „Mother Goose“ und erst recht bei „Thick As A Brick“ bekam er die hohen Töne nicht und lag teilweise im Ton daneben. So etwas tut mir immer in der Seele weh, ich hätte am liebsten beim Singen ausgeholfen. Bei den lauteren Titeln fiel es nicht so auf, da hörte man die Stimme teilweise kaum. Vielleicht liegt es auch vor allem an der Tonhöhe. Beim „Locomotive Breath“ am Schluss klang die Stimme wieder garnicht so schlecht.

Der zweite gespielte Titel war „Jack In The Green“. Hier habe ich versucht, mit meiner (schon etwas älteren) Digitalkamera ein paar Photos zu machen. Nach dem zweiten Bild waren die Akkus leer, andere hatte ich nicht dabei (auf der Pritsche im Youth Hostel…). Letztendlich hätten mir andere Akkus aber auch nichts genützt, denn offensichtlich war meine Kamera von den Lichtverhältnissen überfordert. Ich glaube die Griechen um mich herum haben mit ihren Handys bessere Photos geschossen. Teilweise wurde mit dem Handy wohl auch gefilmt, die Dame schräg vor mir verfolgte das Geschehen immer wieder minutenlang über das 5×5 cm Display ihres Handys, statt sich die Aktion auf der Bühne 3 m vor ihrer Nase anzusehen. Mit der Faszination der Technik kann ein Mr. Anderson halt selbst in Lebensgröße nicht mehr mithalten.

Da die beiden von mir gemachten Bilder so schlecht sind, dass sie schon fast wieder einen künstlerischen Wert besitzen, möchte ich sie Euch nun doch nicht vorenthalten. Ihr werdet sehen, man sieht so gut wie nichts: Bild1 Bild2

Ich bin bei diesem Live-Erlebnis einmal wieder zu dem Schluss gekommen, dass bei solch einem Konzert die eigentliche Attraktion nicht das ist, was man sieht, sondern dass man aufgrund der Lautstärke die Musik nicht nur hört sondern auch fühlt. Und so kam die richtige Begeisterung beim Publikum auch immer dann auf, wenn es laut und schnell wurde. „Living In The Past“, „Sweet Dream“ (angekündigt als „a lot of noisy guitar from Mr. Barre“), „Aqualung“ (aber erst der „eigentliche“ Teil nach dem neuen Intro), „My God“ und zum Schluss natürlich „Locomotive Breath“ kamen daher am besten an. Dabei war die Lautstärke für mein Gefühl absolut ok, weder zu leise noch zu laut.

Auch die diversen Flötensolos oder geflöteten Instrumentalstücke brachten Stimmung – „The Donkey An The Drum“ (klingt wegen des ungeraden Takts für mich auch wie ein griechischer Tanz, das Publikum ging entsprechend mit), „Bourree“ (von Mr. Anderson als „a piece of porn Jazz“ angekündigt) und „King Henry’s Madrigal“ (dazu gab’s einige launige Anmerkungen zu König Henry, seiner poetischen Ader und seinen „kopflosen“ Frauen) wurden vom Publikum entsprechend freudig aufgenommen. Weniger gut konnte Martin Barre mit seinem „After You, After Me“ landen – auch ich merkte, dass ich nach kurzer Zeit nach den Glühwürmchen Ausschau hielt (es flogen tatsächlich einige herum), überprüfte wieviele Sterne am Himmel standen etc.. Nun ja, ich habe ja bereits an anderer Stelle erwähnt, dass Instrumentalmusik nicht so mein Fall ist und Gitarrensolos mich üblicherweise eher langweilen. Dem übrigen Publikum schien es ähnlich zu gehen.

Allgemein war zu bemerken, dass die Aufmerksamkeit des Publikums nachließ, sobald das Spotlight längere Zeit von Mr. Anderson auf Mr. Barre schwenkte (wegen eines Solos), und der Erstere evt. sogar vorübergehend hinter Schlagzeug oder Kulisse verschwand. Der Show-Effekt, den ein Ian Anderson auf die Bühne bringt, ist auch heute noch nicht zu unterschätzen. Auch wenn es teilweise albern wirkt, wenn er wie Rumpelstilzchen über die Bühne hüpft und stapft, die Beine schmeißt oder Grimassen zieht, es gibt einfach immer etwas zu sehen. Irgendwie verstehe ich ja, wenn er sich nicht seriöser kleidet, es würde zu seinem unseriösen Auftreten nicht passen. Ich komme aber immer mehr zu dem Schluss, dass eine Montur im Stile „Pontischer Kriegstänzer“ Mr. Anderson’s Naturell am ehesten entgegen käme. Wenn er sich schon unbedingt einen schwarzen Putzlappen auf den Kopf binden muss, dann wäre das die passende Tracht dazu. Sie würde viele seiner „Aufführungen“ weniger lächerlich sondern stattdessen symbolhaft bedeutsam erscheinen lassen. Ich denke ich werde ihm mal einen Tipp geben müssen.

Ernsthafte Geschmacklosigkeiten oder Entgleisungen gehörten nicht zum Programm. Die üblichen Schlüpfrigkeiten eben: Die große Blockflöte (gespielt in „Mother Goose“ von Mr. Barre) und die kleine Flöte (Mr. O’Hara), und ob es nun auf die Größe ankommt? Natürlich durfte auch der „Flötenpenis“ wieder nicht fehlen, obwohl er es nicht allzu sehr übertrieben hat. Ich weiß nicht ob Mr.Anderson aufgefallen war, dass sich im Publikum kleine Kinder (und gleich vorne an der Bühne auch eine ganze Reihe ziemlich junge Mädchen) befanden.

Auch auf die Erwähnung der Konkurrenz (bzw. den Hinweis darauf, in welcher Klasse er spielt) musste man natürlich nicht verzichten. So verkündete Mr. Anderson, jetzt komme sein bekanntestes Stück, „Smoke On The…äh…Stairway To…Aqualung“. Na ja, „Whole Lotta…Brick“ fand ich den besseren Gag, aber der ist ja nun halt auch schon 30 Jahre alt. Um noch kurz bei „Aqualung“ zu bleiben – das neue Intro passt meiner Meinung nach überhaupt nicht, es ist viel zu süßlich. Die Melodie erinnert mich an den Titanic-Schmachtfetzen (ist jetzt nicht abwertend gemeint, ich mag dieses Lied) „The Heart Does Go On“, eigentlich scheint es mir das Intro zu diesem Titel zu sein. Ein Intro zu „Aqualung“ müsste viel rockiger klingen.

Was die Setlist betrifft, dürfen natürlich bei Auftritt an einem Ort, an dem man bestenfalls alle 10 Jahre mal vorbeikommt, die Klassiker nicht fehlen – „Living In the Past“, „Bourree“, „Thick As A Brick“, „Aqualung“ und „Locomotive Breath“ sind daher unvermeidlich. Ansonsten fand ich die Auswahl allerdings stark „1969-lastig“, auch „Farm On the Freeway“ und „Budapest“ sind meiner Meinung nach nicht beide notwendig. Die Titel klingen für mich irgendwie ähnlich, und „…Freeway“ gefällt mir besser. „America“ halte ich nun für völlig überflüssig. Ich hätte mir eher noch ein oder zwei Stücke aus der „Songs-From-The-Wood-Heavy-Horses-Phase“ gewünscht, auch ein Titel aus „Broadsword“ oder noch etwas rockiges aus „Crest Of A Knave“ hat meiner Meinung nach gefehlt. Aber natürlich muss Mr. Anderson die Auswahl auch danach treffen, was er stimmlich noch halbwegs hinbekommt – es ist ein Jammer.

Zusammenfassend würde ich trotzdem sagen, dass es ein gelungener Abend war und auch das griechische Publikum zufrieden nach Hause ging. Ganz besonders dankbar war ich den Jungs dafür, dass sie ohne Pause durchgespielt haben und daher laut meiner Uhr um 23:33 Uhr (einschließlich Zugabe) fertig waren. Das gab mir Chancen der Parkbank zu entkommen. Nachdem ich mich durch den Stau in den Theatergängen gekämpft hatte, eilte ich durch die Stadt nach Hause und erreichte die rettende Pforte um 5 vor 12. So konnte ich mich noch zu meinem Gepäck auf die Pritsche legen und trotz der Affenhitze habe ich tatsächlich ein paar Stunden geschlafen.

So, das war’s erst einmal zum Thema „Jethro Tull auf Kreta“.

Es grüßt Euch
Kretakatze

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Jethro Tull in Iraklio, Kreta – Samstag 23.06.2007

Venue: Kipotheatro „Nikos Kazantzakis“ (Gartentheater)
Offiziell laut Internet Einlass ab 19:00 Uhr, Beginn 20:00 Uhr
Offiziell laut Ticket Einlass ab 19:30 Uhr, Beginn 21:30 Uhr
16:30 Uhr: erste Vorbereitungen auf der Bühne
17:45 Uhr: Intro von Locomotive Breath, die Herren O’Hara, Goodier, Perry (und Barre) auf der Bühne
18:00 Uhr: eine Flöte tönt (Mother Goose), Tor ist geschlossen
18:30 Uhr: Soundcheck „akustische Gitarre mit Gesang“ – Thick As A Brick
19:00 Uhr: Farm On The Freeway (komplett und ein Teil wiederholt)
19:20 Uhr: Sweet Dream (Ausschnitt) – America (Flöte) – Mother Goose (Flöte)
19:40 Uhr: Soundcheck beendet, die Herren verschwinden
20:00 Uhr: Einlass

Beginn: ca. 21:45 Uhr
Es treten auf die Herren Anderson, Barre, Perry, Goodier, O’Hara
(Wer welches Instrument spielt muss ich wohl nicht extra erwähnen)

Setlist:
Living In The Past
Jack In The Green
The Donkey And The Drum
Thick As A Brick (Really don’t mind…, Spin me back down the years…, A son is born…, I come down from the upper class…, So you ride yourself…)
Mother Goose
Sweat Dream
King Henry’s Madrigal (Pastime With Good Company)
Bourree
Nothing Is Easy
Barre Solo: After You, After Me
Farm On The Freeway
Aqualung (mit neuem Intro)
America
My God
Budapest
Zugabe: Locomotive Breath

Es wurde ohne Pause durchgespielt
Ende: kurz nach 23:30 Uhr

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 76: Jethro Tull auf Kreta – Teil 1

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!

Xerokambos, Kreta – 19.06.2007

Nun sitze ich also hier am Ende der Welt im Schatten auf der Terrasse vor meinem Zimmer, Meeresblick inbegriffen. Gestern hat mich ein wenig der Sonnenbrand ereilt, und da es heute außerdem sehr windig – eher schon stürmisch – ist, werde ich wohl erst gegen Abend an den Strand gehen. Und inzwischen tue ich, was ich nicht lassen kann – ich schreibe. Ich habe nämlich etwas getan, was ich bei jedem Anderen bislang mit Spott und Häme quittiert hätte, ich habe tatsächlich meinen Laptop mit in den Urlaub genommen. Mich hat doch der Gedanke gequält, dass mich auch im Urlaub die Schreibwut überkommen könnte, und dass es einfach furchtbar wäre, wenn ich dann meine „Schreibmaschine“ nicht griffbereit hätte. Das hätte mir wo möglich den ganzen Urlaub versaut. Und das wollte ich nicht riskieren. Außerdem kann ich so jeden Abend gleich die neuen Bilder von der Digitalkamera herunterladen. Die wäre sonst schon nach 3 Tagen übergelaufen, ich habe alleine gestern 45 Aufnahmen gemacht. Im Urlaub packt mich nämlich immer auch die Photographierwut.

Aber das interessiert Euch sicher alles garnicht, Ihr wollt eher wissen wie es um meine Jethro Tull Aktivitäten bestellt ist. Um es kurz zu machen, ich habe immernoch kein Ticket fürs Konzert, und vor Samstag bekomme ich hier am Ende der Welt (äußerste Südostküste Kretas, von Iraklio 175 km entfernt) auch keines mehr. Dummerweise bin ich an einem Sonntag in Iraklio gelandet, und man hat mich schon am Flughafen darüber aufgeklärt, dass sonntags die Karten-Verkaufsstellen geschlossen haben. Allerdings hat man mir glaubhaft versichert, dass es bestimmt am Samstag noch Karten gäbe. Jethro Tull wären hier nicht so bekannt, da könne ich sicher auch noch an der Abendkasse mein Ticket lösen. Überhaupt wäre es bei solchen Veranstaltungen hier üblich, nachdem alle zahlenden Gäste eingelassen sind einfach die Tore für Jedermann zu öffnen, falls es noch freie Plätze gibt. Ob Meister Anderson über diese griechischen Sitten informiert ist… Vielleicht gilt dieses Verfahren aber auch nur für griechische und nicht für schottische Konzerte.

Aber komme ich nun zu Euren letzten Mails. Wilfried hat Einiges über typisch amerikanische und typisch britische Mentalität geschrieben. Nun war ich selbst einmal ein Vierteljahr in den USA, aber darüber, wie „die Amerikaner“ sind, würde ich jetzt deswegen keine Aussage machen wollen. Ich habe diese 3 Monate auf einer Ranch in Texas gearbeitet, und außer den Ranch-Besitzern, deren nächstem Verwandten- und Bekanntenkreis und einigen mexikanischen „Gastarbeitern“ (fast alle illegal) niemanden kennengelernt. Das wäre genauso, als hätte ich 3 Monate auf einem Aussiedler-Berghof im Bayrischen Wald verbracht und wollte jetzt etwas über „die Deutschen“ erzählen. Natürlich hat man trotzdem, wie Wilfried schon richtig vermerkt hat, aufgrund von Medienberichten und Hollywood-Filmen so seine Vorstellungen.

Zum Stichwort „unverbindliche Art der Amerikaner“ fand ich folgenden Kommentar bemerkenswert, den man unter diesem Video von Almost Saturday Night nachlesen kann (es geht einmal wieder um John Fogerty):„I met John backstage at a Connecticut show in ’97, thanked him for writing this song, my favorite, and asked could he add it to the setlist next time he came around. He said „Sure!“ And he did. I’ll take full credit(j/k).“ Natürlich kann man den Wahrheitsgehalt solcher Kommentare nicht nachprüfen. Trotzdem erscheint mir dieser glaubhaft. Man stelle sich im Gegenzug vor: Man trifft Mr. Anderson backstage (ich weiß nicht genau, was man tun müsste um in diesen Genuss zu kommen, bei Mr. Fogerty reicht dafür evt. die Mitgliedschaft im örtlichen Fanclub), dankt ihm dafür, dass er „A Passion Play“ geschrieben hat und bittet ihn ein Stückchen daraus zu spielen, wenn er das nächste Mal vorbeikommt. Er sagt „Aber klar doch!“ und tut das dann auch tatsächlich. Eher unwahrscheinlich, oder? Jetzt ist natürlich „A Passion Play“ nicht mit „Almost Saturday Night“ vergleichbar. Ob man vielleicht mit, sagen wir mal, „We Used To Know“ bessere Chancen hätte? Allgemein glaube ich, dass dieses „Sie-wünschen-wir-spielen“ Prinzip bei den wenigsten Musikern funktionieren würde.

Wilfried hat weiterhin ein Zitat aus einem Buch von Dietrich Schwanitz aufgeführt, in dem es um die amerikanische Tischsitte geht, zuerst das Steak mit dem Messer zu zerkleinern, um dann allein mit der Gabel essen zu können. Jetzt kenne ich den Zusammenhang nicht, aus dem der Ausschnitt entnommen ist, aber der Text scheint mir doch eher witzig gemeint zu sein, denn besonders viel Sinn macht der Inhalt für meine Begriffe nicht. Wer hält denn den Colt in der linken Hand, wenn man ihn zum Schießen rechts braucht? Im Übrigen habe ich auch schon Deutsche so essen sehen. Ich denke Tischmanieren sind eher eine Frage von sozialer Herkunft, Gewohnheit und Bequemlichkeit.

Dann war ich erstaunt zu lesen, dass Mr. Anderson aufgrund seiner Bildung der „Upper Class“ zuzurechnen sei. Habe ich da etwas nicht richtig mitbekommen? Ich dachte er ist mit 16 von der Schule abgegangen, hat keinerlei abgeschlossene Berufausbildung und kann außerdem weder Noten lesen noch hat er einen Führerschein. Was davon prädestiniert nun für die „Upper Class“? Da hat ja Mr. Fogerty mehr zu bieten, der hat zumindest mal einen High School Abschluss.

Nicht dass ich hier falsch verstanden werde – ich bin die Letzte, die glaubt, dass ein bestimmter Bildungsabschluss gleichzusetzen sei mit einem bestimmten Intelligenzgrad. Zu meinem Freundeskreis zählen mehrere Personen mit Realschulabschluss, von deren gesundem Menschenverstand ich noch manches lernen kann und deren Rat mir immer willkommen ist, während ich Personen mit Hochschulexamen kenne, die so hohl sind wie ein Luftballon (und auch ungefähr so aufgeblasen). Ich erwähne die Bildung des Mr. Anderson nur, da sie von Wilfried als Grund für seine Zugehörigkeit zur „Upper Class“ aufgeführt wurde. Die würde ich aber eher in Anderson’s Herkunft aus dem Randbereich der High Society sehen – der Vater als Hoteldirektor verkehrte wohl eher in den „besseren Kreisen“ und kannte auch einige Prominenz.

Nach eigenen Worten kommt Mr. Anderson allerdings „down from the upper class“, d.h. sie ist seine Herkunft, die er aber verlassen hat, er zählt sich selbst nicht mehr dazu. Für ihn scheint sie auch eher gleichbedeutend zu sein mit „High Snobiety“, mit der er sowieso nichts zu tun haben möchte. Er sieht sich selbst lieber als den einfachen „Landmann“. Der elitäre Anspruch, von dem ich schrieb, bezieht sich ausschließlich auf sein Metier, die Musikbranche, und schlägt sich in einem ausgeprägten Konkurrenzdenken nieder. Mr. Anderson möchte gerne immer und überall der Beste sein – der Beste auf seinem Instrument, der beste Texter, der beste Songschreiber etc.. Nach eigenen Angaben ist er als Kind der „Upper Class“ von klein auf auf Erfolg getrimmt worden (Wind Up: „…they groomed me for success…“ – Thick As A Brick: „…a son is born, an we pronounce him fit to fight…“). (Sorry, wenn meine Zitate nicht ganz korrekt sind, ich kann hier nirgends die genauen Textstellen nachschlagen…). Diese Erziehung scheint bei ihm auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.

Ich kenne keinen anderen Musiker, der sich ständig in der Öffentlichkeit derart mit der „Konkurrenz“ vergleicht. Kein Konzert und kein Interview, bei dem er nicht irgendwann den Namen mindestens eines anderen Musikers oder einer anderen Band erwähnt. Am häufigsten sind das Led Zeppelin, die er wohl einerseits bewundert und andererseits für seine stärkste Konkurrenz hält. Anspielungen auf „Stairway To Heaven“, „Whole Lotta Love“ oder auch „Led Zeppelin’s famous hit Whole Lotta Brick“ (für meine Begriffe sein bester Gag) gehören praktisch zu jedem Auftritt, aber auch Deep Purple’s „Smoke On The Water“ findet Erwähnung. Aussprüche wie „On guitar Martin Lancelot Barre, balding as ever, comes next to Elton John“ oder „I think we could be Johnny Cash, if we tried very hard“ sind ebenfalls typisch für ihn. In einem Interview von 1975 vergleicht er sich mit David Bowie, in einem anderen Interview von 1977 zählt er fast die gesamte damalige Rock-Elite auf (darunter auch wieder Led Zeppelin, Elton John und David Bowie) und bringt dann gar noch Beethoven ins Spiel, und bei einem Interview von 2003 lässt er sich ausgiebig über Michael Jackson aus, obwohl ihn kein Mensch danach gefragt hat. Man muss ihn eigentlich nur 2 Minuten reden lassen, schon ist er bei einem anderen Musiker, mit dem er sich vergleicht. Dieses „Ich-muss-der-Beste-sein-Wo-stehe-ich“ scheint ihn ständig zu verfolgen. Und wenn er meint, in irgendeinem Punkt besser zu sein als ein Anderer, dann bringt er das entsprechend deutlich zum Ausdruck.

Xerokambos, Kreta – 20.06.2007

Es ist immernoch sehr windig und auch der Sonnenbrand muss noch ein bißchen gepflegt werden. Also sitze ich einmal wieder auf der Terrasse…

Wilfried hat einige Beispiele für das „politische Engagement“ des Mr. Anderson aufgeführt, die für mich allerdings eher unter die Rubrik „soziales Engagement“ fallen würden. Einsatz für Natur- und Artenschutz zählen für mich ebenso dazu wie Auftritte zugunsten von Tsunami-Opfern, AIDS-Kranken oder Obdachlosen. Gesellschaftskritische Anmerkungen in einigen Songtexten haben für mich nichts mit Politik zu tun, genauso wenig wie öffentliche Bekundungen gegen amerikanische Flaggen oder Hippies. Und wenn Mr. Anderson mal, wie hier, einem bekannten Politiker die Hand schüttelt, dann ist das „PR“ und keine politische Aktion. Unter politischem Engagement verstehe ich eigentlich eher die Stellungnahme zu aktuellen tagespolitischen Ereignissen oder Entscheidungen bzw. den Versuch diese zu beeinflussen.

Um einmal wieder Mr. Fogerty zum Vergleich heranzuziehen: Sein Fortunate Son von 1969 wandte sich gezielt gegen den Vietnam-Krieg und gegen die politische Entscheidung vor allem die Söhne der „Lower Class“ in diesem Krieg zu „verheizen“. Im Jahre 2004 hat er mit Deja Vu (All Over Again) gegen den Irak-Krieg und seine Folgen protestiert. Der Irak-Krieg hätte auch ein Thema für Mr. Anderson sein können, schließlich hat sich auch Großbritannien heftig an diesem Krieg beteiligt. Mir ist aber nicht bekannt, dass sich Mr. Anderson zu diesem Thema vernehmbar geäußert hätte, zumindest nicht musikalisch. Das soll jetzt keine Kritik sein, es ist nur eine Feststellung. Ich halte Mr. Anderson für einen eher unpolitischen Menschen. Allein im Bereich Natur- und Umweltschutz zeigt er ein gewisses politisches Interesse, was sich in Liedern wie z.B. dem bereits aus anderen Gründen erwähnten Silver River Turning oder auch Farm On The Freeway niederschlägt.

Nun hängt das politische Engagement amerikanischer Künstler auch mit speziellen amerikanischen Gepflogenheiten zusammen. Traditionsgemäß werden in den amerikanischen Wahlkampf-Zirkus so ziemlich alle erwähnenswerten Künstler aus Musik und Film mit eingebunden, jede Partei versucht sich zu schnappen, wessen sie habhaft werden kann. Und so wurde auch Mr. Fogerty schon auf diversen Wahlkampfveranstaltungen der Demokraten gesichtet, wo er vermutlich zum musikalischen Rahmenprogramm beitragen und anschließend seine Wahlempfehlung ins Mikrophon sprechen durfte. In den USA kann man sich als Künstler also der Politik viel weniger entziehen als in Großbritannien. Andererseits hat man auch größere Chancen, mit dem was man sagt oder singt politisches Gehör zu finden, denn spätestens im nächsten Wahlkampf wird man wieder gebraucht. Das führt wohl allgemein zu einem stärkeren politischen Engagement amerikanischer Künstler, als man es aus anderen Ländern gewohnt ist. Trotzdem: Zuerst hat Mr. Fogerty seine Songs geschrieben (darunter mit „Working Man“ z.B. auch ein Titel über die Arbeitsbedingungen einfacher Arbeiter), dann sind die Demokraten zu dem Schluss gekommen „Der könnte zu uns passen“.

Nun wird es aber Zeit, dass ich mich dem armen Lockwood zuwende, den ich offensichtlich durch meine letzten Bemerkungen zu Brian May und seinem Gitarrenspiel persönlich schwer getroffen habe. Lieber Lockwood, ich war bestürzt zu lesen, dass Dir meine Worte die Tränen in die Augen getrieben haben. Bitte entschuldige vielmals mein unsensibles Vorgehen. Ich weiß, mir mangelt es immer wieder am nötigen Fingerspitzengefühl, meine oftmals kritischen Ansichten schonend und positiv motivierend vorzubringen. Ich werde mich bemühen in Zukunft meine Worte mit mehr Feingefühl zu wählen.

Und da stehe ich nun schon vor dem Problem: Wie tue ich das? Das von Dir zuletzt verlinkte „The March of the Black Queen“…wie soll ich sagen…könnte bei mir einen ersten Preis gewinnen für das wirrste Musikstück, das ich je gehört habe. Es klingt als ob Musikschnipsel aus ungefähr einem Dutzend unterschiedlicher Songs unterschiedlicher Musikrichtungen per Zufallsgenerator zusammengestückelt worden wären. Wobei keine dieser Musikrichtungen meinem Geschmack entspricht. Oh je, das war jetzt wahrscheinlich auch wieder nicht besonders feinfühlig formuliert. Bitte nicht gleich weinen! Queen ist halt vermutlich einfach nicht mein Fall. Diesen Eindruck hatte ich schon in den 70ern, und daran hat sich wohl auch nichts geändert.

Da kann ich mit Mr. Clapton, der „Supergroup“ Cream und dem Titel „White Room“ schon mehr anfangen. Cream waren mir bislang nur dem Namen nach bekannt, auch von Eric Clapton hatte ich wohl noch nie bewusst etwas gehört. Dass er das Solo in „While My Guitar Gently Weeps“ spielt, war mir unbekannt, gibt aber unbedingt Pluspunkte. Und „White Room“ klingt interessant, der Song hat etwas…

Außerdem kommt mit Cream nun eine weitere Art von Rockband ins Spiel – neben der „One-Man-Band“ (a la Jethro Tull, Dire Straits oder CCR) und der „Group Band“ (z.B. Queen) nun noch die „Supergroup“. Sie besteht ausschließlich aus Frontmännern und hat offensichtlich eine noch kürzere Halbwertzeit als die „One-Man-Band“. Schon nach 2 Jahren war sie am Ende, da ihre 3 Köpfe in unterschiedliche Richtungen marschieren wollten. Insbesondere Mr. Clapton scheint sich danach kreuz und quer durch die Musiklandschaft gespielt zu haben, so wie in seinem Leben wohl auch noch so manches andere kreuz und quer gelaufen ist. Da kann man sich nur wundern, dass er das alles doch relativ unbeschadet überstanden zu haben scheint und heute noch auf einer Bühne stehen und spielen kann. Ich gönne es ihm. Jimi Hendrix dagegen, auch wenn das hart und herzlos klingt, weine ich keine Träne nach. Weder konnte ich je mit seiner Musik etwas anfangen, noch hat er meiner Meinung nach irgend einen positiven Einfluss auf seine Umwelt ausgeübt – eher ganz im Gegenteil.

Xerokambos, Kreta – 21.06.2007

Gestern habe ich die neue Erfahrung gemacht, dass auch Krabben ganz unterschiedliche Charaktere haben können. Gegen Abend saß ich auf einem meerumspülten Felsplateau und konnte etwa eine Stunde lang gleich 3 Exemplare gleichzeitig beobachten. Die erste, durch die ich auf die „Krabbenstelle“ überhaupt erst aufmerksam wurde, war von der gefräßigen Sorte. Sie ließ sich durch mich nicht stören und knabberte an einem Stück Meerespflanze, als ich sie entdeckte. Es sah lustig aus, wie sie bald mit der linken und bald mit der rechten Schere ein Stückchen Pflanze abzwickte und ins Maul schob (sagt man bei Krabben so?). Die zweite saß in einer dunklen Felsspalte etwa einen halben Meter entfernt, und hatte sich genauso dunkelgrau gefärbt wie der Untergrund. In Abständen lugte sie mit ihren Stielaugen aus der Felsspalte hervor, zuckte aber jedesmal sofort zusammen, sobald ich mich bewegte, und verschwand wieder in ihrem Versteck – ein scheues und ängstliches Exemplar. Die Dritte schien – im Gegensatz zu den anderen beiden – farbliche Tarnung nicht nötig zu haben. Mit ihren rotbraunen Flecken auf hellem Grund hob sie sich deutlich vom sandfarbenen Felsen ab. Sie war die größte und dickste von Allen und von eher phlegmatischem Typ. Ungefähr im Abstand von je 10 Minuten bewegte sie mal ein Bein oder knapste ein Stück Alge vom Stein, während inzwischen Vielfraß Nr. 1 etwa 30 cm entfernt quer über den Fels wanderte und dabei den schmierigen Algenfilm abgraste. Dieses Tier hat wirklich eine Stunde lang ununterbrochen gefressen und war damit noch nicht fertig, als ich mich schließlich auf den Heimweg machte.

Soweit zu meinen neuen Erkenntnissen aus dem Reich der Krabben. Ich schreibe das alles nur, um Euch einen kleinen Einblick in meinen erlebnisreichen Tagesablauf zu geben. Irgendwelcher Bezug zu den Herren Anderson, Fogerty und Co. wäre rein zufälliger Natur.

Kommen wir zurück zur Musik. Was die Leistungen des Mark Knopfler betrifft, scheinen wir uns ja alle ziemlich einig zu sein. Und der Rest der Welt wohl auch. Ich finde es erstaunlich, mit wem oder für wen Mr. Knopfler schon in die Gitarrensaiten gegriffen hat. Von Bob Dylan, der ihn schon 1979 für sein Album „Slow Train Coming“ angeheuert hatte, über Eric Clapton bis John Fogerty (wie wir ja schon gesehen und gehört haben). Ich habe den Eindruck so ziemlich jeder, der eine Gitarre halten kann, möchte wenigstens einmal mit ihm zusammen arbeiten um ihm über die Schulter zu schauen und zu sehen, wie er das macht.

Weitere Gitarristen kenne ich nicht – jedenfalls ist mir keiner aufgefallen, der mich besonders beeindruckt hätte. John Fogerty würde man ja offiziell bestimmt nicht dazu zählen wollen – wobei mir das eigentlich ziemlich schnuppe ist. Wie ich schon erwähnt habe finde ich das Solo aus I Put A Spell On You (hier mal eine Live-Version aus Woodstock) auch ziemlich stark. Aber im Moment möchte ich dieses Video eigentlich nur zur Überleitung auf ein neues Thema benutzen: Pleiten, Pech und Pannen in Musikvideos.

Eigentlich gibt es keine Woodstock-Videos von CCR, aufgrund der schlechten Qualität hat sie John Fogerty nie zur Veröffentlichung freigegeben. Wenn man die Aufnahmen sieht, weiß man auch warum. Wegen organisatorischer Mängel fand der Auftritt von CCR erst zwischen 1:00 und 3:00 Uhr nachts statt als die meisten Fans schon schliefen (oder sonstwie voll zugedröhnt waren). Auch die Kameraleute und die Tontechniker waren wohl schon in Tiefschlaf versunken. Das Bild ist kaum ausgeleuchtet, man sieht nur schemenhaft ein paar Dunkelmänner auf der Bühne, dazu ist der Ton übersteuert und schäppert. Irgendwie müssen einige Fans doch der Aufnahmen habhaft geworden sein und haben versucht, noch das beste daraus zu machen. An der Kameraführung konnten aber auch sie nichts mehr ändern. Beim Gitarrensolo von „I Put A Spell On You“ (siehe oben) wird ausgiebig Fogerty’s Rücken gefilmt, der Gitarrenhals von hinten oder das Schlagzeug statt der Gitarre (und zwar möglichst von vorne) – wer möchte denn sowas sehen?

Was für die Amerikaner und CCR Woodstock war, war für die Briten und Jethro Tull die Isle Of Wight. Davon gibt es durchaus gelungene Aufnahmen, die man ja auch auf DVD erwerben kann, aber auch hier gibt es eine Stelle, bei der ich immer lachen muss, da sie dokumentiert wie die Kameraleute damals von den neuen Herausforderungen eines Rockkonzerts (und vor allem eines Ian Anderson) doch etwas überfordert waren. Offensichtlich waren sie bis dahin gewohnt, dass man um einen Sänger zu filmen seine Kamera auf’s Mikrophon ausrichten und sich dann auf ein Nickerchen ablegen kann. Das hat bei Mr. Anderson so nicht ganz funktioniert.

Nachdem er seine vier Strophen von We Used To Know abgesungen hat, vollführt er einen seiner berüchtigten Fallrückzieher, wodurch er innerhalb von Sekundenbruchteilen komplett aus dem Bild verschwindet. Es vergehen einige Schrecksekunden bis der Kameramann merkt, dass er einen nackten Mikrophonständer filmt. Mit zittriger Hand geht er auf die Suche nach dem Objekt seiner Begierde, das zu diesem Zeitpunkt noch ungefähr 20 cm flach über dem Boden schwebt. Bis er es entdeckt hat, springt dieses allerdings auf und rennt davon. Er versucht verzweifelt ihm mit wackliger Kamera zu folgen, bekommt es aber nie so recht ins Bild. Schließlich wird auf die Kamera auf der vom Zuschauer aus rechten Bühnenseite umgestellt, von der aus vermutlich die ganze Aktion komplett im Bild gewesen wäre. Warum eigentlich nicht gleich so?

Xerokambos, Kreta – 22.06.2007

Gestern habe ich nach dem Baden noch eine kleine Wanderung in eine Schlucht unternommen. Immer nur in Gesellschaft von Krabben fand ich es auf die Dauer doch etwas öde, ich wollte einmal wieder die Ansprache eines Wirbeltiers, und in Schluchten trifft man üblicherweise auf Ziegen. In dieser hatte ich allerdings Pech. Die einzigen Lebewesen, auf die ich traf (außer den Insekten) waren ein paar Vögel, vor allem ein Bussard oder Habicht, der sich etwa 3 Meter über meinem Kopf schlechtgelaunt aus eine Felshöhle stürzte. Ich hatte ihn wo möglich beim Brüten gestört.

Abends in der Taverne hatte ich dann nochmals Pech. Auch hier am Ende der Welt ist ja schon die Neuzeit eingekehrt, und bei Kostas kann man gratis im Internet surfen. Also dachte ich, ich schaue mal in meinen Emails nach, ob es etwas Neues von Wilfried oder Lockwood gibt. Die technischen Gegebenheiten, die ich vorfand, entsprachen allerdings nach meiner Erinnerung dem Stand aus dem letzten Jahrtausend. Es dauerte mindestens 5 Minuten, bis auch nur die Verbindung zum Internet hergestellt war, und danach dauerte jeder Seitenaufbau ungefähr genauso lang. Als ich auf diese Weise nach einer halben Sunde endlich bei Yahoo eingeloggt und in meinem Postfach angekommen war, konnte dann plötzlich die Seite mit den Mails nicht angezeigt werden und der Rechner hängte sich komplett auf. Restart – Dauer ca. 10 Minuten – neue Verbindung mit dem Internet. Das Einloggen konnte ich mir diesmal sparen, aber wieder konnte die Seite mit den Mails nicht geöffnet werden. Dann habe ich testhalber mal versucht, meine eigene Homepage aufzumachen – ging auch nicht. Da habe ich mich bei Yahoo wieder ausgeloggt (wenigstens das ging noch!) und bin unverrichteter Dinge gegen Mitternacht nach Hause gezogen.

Soweit mein pannenreicher Tag von gestern. Und nun zu den pannenreichen Videos. Das letzte, das mir zu diesem Thema im Moment einfällt, ist der CCR-Clip zu Sweet Hitch-Hiker von 1972 – eigentlich weniger ein Pannen-Video als mehr ein weiteres Beispiel für unsinnige Kameraführung. Nahaufnahmen sind wirklich sehr schön, aber man kann es auch übertreiben. Wenn eine Nahaufnahme so nah ist, dass nur noch zwei Zähne im Bild sind, dann fragt man sich langsam, was das soll.

Apropos Zähne – ich finde es immer wieder herzerfrischend wie die Herren um 1970 beim Singen ihre nicht immer tadellosen Gebisse entblößt haben. Mr. Anderson’s Zahnfehlstellungen lassen sich z.B. sehr schön anhand dieses bei mir besonders beliebten Witch’s Promise Video analysieren. John Fogerty’s lückig vorstehende Schneidezähne können u.a. in den bereits verlinkten Videos zu …Grapevine oder …Backdoor besichtigt werden. Das oben erwähnte Video zu „Sweet Hitch-Hiker“ wäre sicher auch als Arbeitsgrundlage für einen Kieferorthopäden oder Zahntechniker geeignet. Heute stehen bei diesen Herren die Zähne makellos in Reih und Glied, was vermuten lässt, dass sie alle nicht mehr echt sind. Ich fand sie mit den Original-Zähnen irgendwie netter, das hatte sowas Ursprüngliches. Meine Zähne sind jedenfalls immernoch so schief wie damals…

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Heute gab es bei mir am Strand noch mehr Pannen. Zunächst einmal war es nicht nur windig sondern stürmisch. Eigentlich meide ich Sandstrände an solchen Tagen, aber es gab da noch ein bestimmtes Felsplateau, bei dem ich schnorcheln wollte, direkt am Sandstrand. Während ich im Wasser war muss wohl der Wind aufgefrischt sein. Als ich plitschnass herauskam geriet ich jedenfalls direkt in einen Sandsturm und wurde mit Sandkörnern paniert. Das liebe ich garnicht, also schnappte ich schnell meine Sachen, um barfuß quer über den Strand zu den windgeschützten Felsen zu laufen. Ungefähr auf halbem Wege trat ich in irgendetwas – AUA – konnte mich aber nirgends hinsetzen und hatte im Sandsturm auch keine Lust dazu. Also humpelte ich bis zu den Felsen weiter, wo ich schließlich am Wasser einen Stein zum Hinsetzen fand. Dort konnte ich mir dann einen kleinen Glassplitter aus der sandigen Fußsohle ziehen.

Während ich noch darauf wartete, dass der Schmerz nachlässt, fiel mir ein, dass es mir vor Jahren in Italien noch viel schlimmer ergangen war. Im zarten Alter von 16 Jahren war ich mit meinen beiden besten Freundinnen für zwei Wochen nach Sorrent in Urlaub gefahren. Es war das erste Mal, dass wir unbeaufsichtigt auf den Rest der Menschheit losgelassen waren, und der Rest der Menschheit in Form von Horden heißblütiger Italiener auf uns. Ich möchte mich jetzt nicht über die Details dieses erlebnisreichen Urlaubs auslassen, nur soviel: Falls Ihr noch Töchter unter 18 Jahren habt, lasst sie nicht allein nach Italien! Ich glaube nicht, dass sich die Zustände inzwischen gebessert haben. Übrigens: Falls die Töchter schon über 18 sind, würde ich sie auch nicht fahren lassen. Aber ich komme vom Thema ab.

In diesem Urlaub war es uns allen Dreien gelungen bereits am ersten oder zweiten Tag in Seeigel zu treten, übrigens auf der Flucht vor Italienern. Da die Stacheln nicht mehr aus den Füßen zu bekommen waren, haben wir praktisch 2 Wochen Urlaub mit Seeigel-Stacheln in den Füßen verbracht. Wir konnten zwar nur mühsam laufen, aber es war trotzdem ein toller Urlaub, der uns immer in guter Erinnerung bleiben wird. Beim Gedanken daran war der Glassplitter schon bald vergessen.

Ich hatte danach noch einen schönen restlichen Nachmittag auf den Felsen, aber ich sollte noch nicht die letzte Panne erlebt haben. Auf meinem Weg zurück vom Strand zum Zimmer komme ich immer an einem Salzsee vorbei. Es ist eine mit Meerwasser gefüllte Senke, die schon vor Wochen durch eine Sandbank vom Meer abgetrennt wurde und seither vor sich hin dümpelt. Das seichte Wasser hat Badewannen-Temperatur, die Algen wachsen, es stinkt. Man kann zusehen, wie der „See“ durch Verdunstung von Tag zu Tag kleiner wird, in ein paar Wochen wird es nur noch eine salzverkrustete Sandfläche sein, so wie seinerzeit im August, als ich das letzte Mal hier war.

Am Rande des Sees ragen inzwischen einige Sandkuppen aus dem schlammigen Wasser, und es schien mir eine nette Abwechslung, meinen Weg zurück über diese Sandkuppen zu nehmen. Allerdings hatte ich nicht mit deren schmieriger Konsistens gerechnet. Bereits beim Sprung von der zweiten zur dritten Kuppe – ich musste einen kräftigen Satz machen – rutschte ich auf der glitschigen Oberfläche aus und fiel der Länge nach hin. Zum Glück konnte ich meine diversen Badesachen vor der Algenbrühe bewahren, aber davon abgesehen war ich großflächig schlammverschmiert und in meinen Sandalen befand sich je ungefähr ein Pfund sandiger Schlick – es sind die Sandalen, die ich morgen ins Konzert anziehen wollte, ich habe keine anderen.

Nun ja, ich habe die Sandalen inzwischen gewaschen und zum Trocknen aufgehängt, hoffentlich sind sie morgen wieder brauchbar. Ansonsten steht mir morgen ein anstrengender Tag bevor – Sachen packen, zurück nach Iraklio fahren (ca. dreieinhalb Stunden reine Fahrzeit), Zimmer für die Nacht finden, Busfahrzeiten nach Lendas für Sonntag in Erfahrung bringen, Auto zurückgeben, und nicht zuletzt – irgendwie ins Jethro Tull Konzert kommen. Mal sehen, wie mir das alles gelingen wird. Vermutlich komme ich frühestens übermorgen wieder zum Schreiben, dann aus Lendas.

Bis dahin grüßt Euch

Kretakatze

PS.: Um noch ein weiteres Mal auf das Karohemd-Thema zurückzukommen (nicht gleich stöhnen…) und dabei noch einen weiteren Aspekt ins Blickfeld zu rücken: Tatsächlich gibt es einen Fernsehauftritt von 1969, bei dem John Fogerty in einem einfarbig schwarzen Hemd erscheint: Es ist die Aufnahme von Fortunate Son, die ich schon mehrfach verlinkt hatte. Das hat mich zunächst tief betrübt, bis ich am Schluss dieser bei gleicher Gelegenheit aufgenommenen Version von Down On The Corner erkannt habe, warum. John trägt das gleiche Hemd wie sein Bruder Tom, wahrscheinlich sollte das der „Brüder-Look“ sein. Ich würde soweit gehen zu vermuten, dass man John vor diesem Auftritt von höherer Stelle nahegelegt hatte, mal was Gescheites anzuziehen, schließlich hatten CCR bei irgendeiner Wahl den ersten Platz belegt und ein kurzer Auftritt zusammen mit dem Moderator war auch noch angesagt. Tom hatte sich zu diesem feierlichen Anlass gar extra noch eine weiße Kravatte ans schwarze Hemd gebunden und sah daher wohl so seriös aus, dass er schließlich als einziger von der Truppe auch noch ein paar Worte sagen durfte.

Was mir bei dieser Gelegenheit auch noch auffiel: Doug Clifford war zu dieser Zeit bei Auftritten üblicherweise mit einem geringelten T-Shirt bekleidet. Auch er erscheint zu diesem Anlass im einfarbigen Hemd, allerdings: Dafür ist die Hose gestreift. Ich finde die Jungs wirklich so goldig… Tatsächlich fällt mir ein nicht geringelter Doug Clifford ungefähr genauso heftig ins Auge wie ein unkarierter John Fogerty. Ich weiß nicht mehr, was die Jungs auf dem Poster über meinem Bett anhatten, aber ich würde wetten: Fogerty war kariert und Clifford war geringelt. Es ist wirklich unglaublich, wie sich diese Bilder aus frühster Kindheit und Jugend für immer ins Gehirn einbrennen.

Jetzt bin ich aber immer noch nicht ganz bei dem Punkt, zu dem ich eigentlich kommen wollte – sorry, ich bin heute ziemlich weitschweifig. Aber jetzt kommt’s gleich. Wenn man mich nun fragen würde, wie die anderen beiden Band-Mitglieder eingekleidet sein müssten, dann würde ich sagen: Stu Cook – gemustertes Hemd, Tom Fogerty – einfarbiges Hemd. Ob auch wegen dem Poster, weiß ich nicht, aber diese Kleiderordnung passt zu fast allen Videos, die ich bisher gesehen habe. Und das finde ich ein geradezu geniales Prinzip. Man vepasst in einer Gruppe jedem sein eigenes Muster: Einer kariert, Einer gestreift, Einer sonstwie gemustert und Einer einfarbig. Das hat einen ungeheuren Wiedererkennungswert selbst bei Personen mit schwerer Sehbehinderung oder solchen, die sich keine Gesichter merken können (so wie ich zum Beispiel). Heutzutage werden nach monatelanger Markterforschung derartige Gruppen am Reissbrett entworfen, und CCR haben das schon Ende der 60er Jahre einfach so aus dem Ärmel geschüttelt. Bewundernswert!

Bei Jethro Tull hätte dieses Prinzip leider nie funktioniert, denen wären schon nach kurzer Zeit die Muster ausgegangen. Dabei hätte ich es bei denen viel nötiger gehabt. Die CCR-Jungs sahen alle so unterschiedlich aus, die hätte ich auch ohne Muster auseinanderhalten können. Bei den Jethro Tullern hatte ich da immer Probleme – Alle mit so langen Haaren und ziemlich zugewachsen, Anderson und Barre beide irgendwie blond gelockt, dazu von Jahr zu Jahr mindestens ein Musiker ausgetauscht – da wären klar abgegrenzte Muster oder Farben zur Identifikation schon hilfreich gewesen.

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 75: Andersons Interview

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

mit dem Video von „Brighton Rock“ scheine ich wirklich einen Griff ins Klo getan zu haben. Zum operettenhaften Eindruck der ersten Queen-Platten: Gerade das gefällt mir daran. Aber lassen wir das; ich will nicht missionieren.

David Lindley ist mir in der Tat vollkommen fremd. Sein „Bon Tempes Roulez“ drängt mich nicht dazu, mehr von ihm hören zu wollen.

Wilfried hat in seiner letzten mail ein Interview mit Ian Anderson vorgestellt. Leider, lieber Wilfried, verstehe ich nicht, was Du daran glaubhaft findest. Der Meister erklärt hier seiner gläubigen Gemeinde, dass er weiterhin auf Tour geht, um sich immer weiter in Richtung des perfekten Auftritts zu entwickeln. Das ist doch der reinste Hohn, soviel Arroganz hätte ich nicht einmal ihm zugetraut. Wenn er nach Perfektion strebt, hätte er vor über 20 Jahren aufhören sollen, spätestens nach seiner Halserkrankung.

Wenn er auf seinen Instrumenten nach eigener Aussage einen falschen Ton trifft, – was niemand bemerkt – so stört ihn das. Aber es ist ihm gleichgültig, wenn er (wie neulich in einem Blog-Kommentar sehr treffend zu lesen war) den Hals wie ein Ganter strecken muss, um einen hohen Ton zu treffen. Wo ist die Verbindung zwischen seinem aktuellen Gesang und Perfektion ?

Seine Aussage, dass er sich mit seinem Alter und seiner physischen Kondition gut arrangieren kann, nehme ich ihm ebenfalls nicht ab. Wenn es so wäre, würde er sein gefärbtes Resthaar nicht unter einem Lappen verstecken. Seine schlaffen Arme sind wirklich sein geringstes Problem. Ansonsten versteht es der Meister wie eh und je, sich und seine Musik gekonnt in Szene zu setzen. Ich wünsche ihm, dass er damit ein unkritischeres Publikum erreicht als ich es bin.

Als Geschenk für den Meister zu seinem runden Geburtstag fällt mir noch etwas Gehässigeres ein als ein (längst überfälliger) Rentenbescheid: Ein Mitschnitt des Tampa-Konzerts oder vom Hippodrom, damit er sich vergegenwärtigen kann, was die Fans unter Perfektion verstehen.

In eigener Sache: In NRW haben die Ferien vergangenen Donnerstag begonnen. Ich muss noch zwei Wochen zur Arbeit, um dann ab dem 9. Juli für vier Wochen Urlaub (incl. Abbau von Überstunden) zu nehmen. Vier Wochen ! So lange hatte ich noch nie an einem Stück Urlaub. Hoffentlich geht das gut. Das ist schon fast „Pappa ante portas“.

Mit den besten Wünschen für ein trockenes Wochenende verbleibe ich
Lockwood

22.06.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

nach längerer Sendepause melde ich mich wieder bei Euch. Entschuldigt, aber die letzten Tage hatte ich keine große Lust auf Herrn Anderson, zudem gab es auf der Arbeit reichlich Stress (ich bin einfach urlaubsreif, muss aber noch bis Ende des Monats durchhalten, aber dann …).

Aber zunächst zu Dir, Kretakatze, wie war Dein Urlaub, hoffentlich nicht zu heiß, oder? – und warst Du beim Tull-Konzert in Iraklio und wenn ja, wie war es? Der erste Teil der Deutschland-Tour ist ja vorbei und es gibt dazu viele unterschiedliche Meinungen, auch viele Bildchen usw., im Laufi-Forum ist davon vieles zu finden. Oder hier von der Kieler Woche (ohne Segelboote).

Achtung, Anderson!

Es sind auch einige Bilder vom Publikum dabei, die mich wirklich nachdenklich gestimmt haben. Okay, ich bin nun wirklich auch nicht mehr der Jüngste, aber betrachtet man z.B. das Foto unten, dann deutet wenig daraufhin, dass das die Besucher eines Rockkonzertes sind. Es sieht irgendwie nach einem Freiluft-Rentnertreff aus. Stimmt nicht ganz, ziemlich vorn links ist ein junges Gesicht zu sehen (aber wohl ein Enkel, der seine Großeltern begleiten musste oder ein Zivi, der den Rollstuhl schiebt – vielleicht gibt es für Begleitpersonen von Rollstuhlfahrern freien Eintritt zum Konzert).

Rentnertreff

Auch noch einige Worte zum Anderson-Interview. In gewisser Hinsicht halte ich es nicht nur für aufschlussreich, sondern durchaus für glaubhaft, wenn man es aus der Sicht von Ian Anderson betrachtet. Ältere Menschen haben nun einmal die Gewohnheit, die Dinge manchmal so hinzubiegen, dass diese für sie ‚stimmig’ werden (So hebt man gern manche ‚Sachen’ hervor, um andere zu ‚verdecken’). Rein instrumental denke ich wirklich, dass Ian Anderson nach höchster Perfektion strebt. Das hat nichts mit seinem Gesang zu tun (immerhin hat selbst er inzwischen gemerkt, „dass das Alter auch in meiner Stimme seine Spuren hinterlassen hat“, wie er sagt; okay, das ist äußerst beschönigend betrachtet). Und instrumental ist er, was die spieltechnische Seite betrifft, sicherlich besser, als z.B. beim Tampa-Konzert. Von daher wäre es keine so gute Idee, Herrn Anderson einen Mitschnitt von diesem Konzert zum Geburtstag zukommen zu lassen. Er würde mit sich unnachsichtig jeden Fehler aufzeigen wollen, der ihm damals unterlaufen ist.

Okay, es geht natürlich nicht nur um Spieltechnk. Unser Hauptkritikpunkt ist und bleibt eben der Gesang. Ein Grund, weshalb ich vorerst in kein Konzert mehr gehen werde. Kann man aber Herrn Anderson deshalb verbieten, weiterhin Konzerte zu geben? Andere sind nachsichtiger mit ihm. Erst jetzt habe ich über youtube eine Nachricht von einem 17-jährigen Mädel bekommen, die das Konzert in Chemnitz gesehen hat und es „einfach nur geil“ fand. Also sind es dann doch nicht nur Rentner, die die Konzerte besuchen, sondern es ist auch Jungvolk. Das mit dem „einfach nur geil“ lasse ich dabei unkommentiert durchgehen.

Kretakatze hat ihren Urlaub hinter sich, Lockwood muss nur noch diese eine Woche durchstehen (Pappa ante portas ist gut, so lange Du nicht versuchst, den Haushalt zu managen, wirst Du zu Hause geduldet sein, Lockwood, ich kenne das). Ich muss mich noch über drei Wochen quälen. Aber auch das werde ich schaffen. Und dann geht es zwar nicht nach Kreta, aber in die Berge.

Übrigens, das Montreux-Konzert von Jethro Tull 2003 gibt es ab 24. August auch als DVD. Ich könnte mir denken, die Scheibe anzuschaffen. Eigentlich warte ich vor allem auf die Veröffentlichung alten Materials von Konzertaufzeichnungen, die das ZDF in seinen Archiven hat. Entsprechende Ankündigungen gab es ja bereits.

Jethro Tull live at Montreux 2003

Für erstes soll das genügen. Man/frau liest sich weiterhin.
Eine angenehme Woche wünscht Euch
Wilfried

03.07.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 74: Favourite Guitarists (2)

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

Lockwood hat in seinem letzten Beitrag Brian May und die Gruppe Queen ins Spiel gebracht, und das fand ich sehr interessant. Anscheinend war Queen eine Gruppe mit mehr als einem Kopf, und siehe da, diese Band hat in unveränderter Zusammensetzung zwanzig Jahre zusammen gespielt. So sieht das wohl aus, wenn Musiker zusammen arbeiten, von denen keiner alles alleine kann und die sich für ihre kreative Arbeit gegenseitig benötigen und befruchten. Das hätten viele Jethro Tull Fans von „ihrer“ Gruppe wohl gerne genauso und machen Mr. Anderson einen Vorwurf daraus, dass das nicht nach ihren Wunschvorstellungen geklappt hat. Aber was kann Mr. Anderson dafür, dass er eine One-Man-Show ist? Sollte er lieber ein paar Talente weniger haben, damit er für dies oder das doch einen oder mehrere andere Musiker braucht, die nicht austauschbar sind? Und ist es jetzt so wichtig, ob er seine One-Man-Show „Jethro Tull“,“Ian Anderson“ oder sonstwie nennt?

Und welche Rolle spielt Martin Barre in diesem Theater? Das kann ich natürlich auch nur vage vermuten. Zusammenbrechen würde sicher nichts, wenn er nicht da wäre. Andererseits ist es schon ziemlich einsam, so ganz ohne „alten Freund“, könnte ich mir vorstellen. Und jemand anderen, der so geduldig und gutmütig alle seine Eskapaden mitmacht, wird Mr. Anderson so leicht nicht finden. Irgendwie haben die beiden schon fast etwas von einem alten Ehepaar…

Zurück zu Brian May – nach dem was ich bei Wikipedia gelesen hatte, war ich mächtig gespannt. Es klang, als könne es eine Musik sein, die ganz nach meinem Geschmack ist und die ich bislang nur durch einen dummen Zufall noch nicht entdeckt hatte. Singender Klang der Gitarre – genau das liebe ich. Aber dann war ich doch ziemlich enttäuscht. Brighton Rock klingt für mich wie ein startender Düsenjet, teilweise vielleicht auch wie eine startende Mondrakete. Mit Musik hat es für meine Ohren nur bedingt zu tun. Eine Melodie konnte ich auch nicht entdecken. Erst etwa ab 7:00 entlockt Mr. May seiner Gitarre tatsächlich so etwas wie Gesang. Aber auch hier wieder – es klingt ganz nett, aber da fehlt immernoch die Melodie. Was ist der Unterschied zwischen einer Melodie und hintereinander gereihten Tönen? Es ist nicht wirklich zu erklären. Eine Melodie lebt, sie spricht zu mir. Sinnvolle Worte und Sätze, die ich verstehe. Und die Sprache des Brian May verstehe ich wohl nicht. Es hat mich ein wenig gewundert, lieber Lockwood, dass Dir so etwas gefällt, da Du doch sonst eher ein Liebhaber akustischer Musik bist. Und sehr akustisch klingt das für mich nicht.

In zwei Punkten bin ich allerdings mit Dir völlig einer Meinung. Mr. May macht persönlich wirklich einen sehr sympathischen Eindruck. Und „The Green Fields Of France“ ist eine großartige und beeindruckende Ballade. Ein zeitloses Lied, das ich mir gerne auch noch öfter anhören werde! Es liefert außerdem einen nahtlosen Übergang zu dem Titel, der mir als erstes in den Sinn kommt, wenn ich das Wort „Gitarre“ höre – akustische Gitarre allerdings. Ich habe ihn im Rahmen des Themas „Gitarristen und Gitarrensoli“ nicht erwähnt, da es ja mehr um elektrische Gitarre ging, und da ich auch nicht einen Musiker mit dem anderen erschlagen möchte. Einer nach dem anderen… Aber hier kommt es nun, das epische Meisterwerk von Al Stewart über Hitlers’s Russland-Feldzug aus Sicht eines russischen Soldaten: Roads To Moscow.

Nachdem ich dieses Lied im Radio gehört hatte, habe ich mir die erste Platte von Al Stewart gekauft. Der sind noch ein knappes Dutzend weitere gefolgt. Al Stewart ist der dritte Schotte in meiner Sammlung (von der zeitlichen Reihenfolge her eigentlich der erste…). Irgendwie habe ich’s mit den Schotten. Und weil diese akustische Gitarre so schön klingt, hier gleich noch ein zweiter Titel hinterher:
On The Border. Und wer jetzt noch sehen und hören möchte, wie sich zwei ältere Herren auf ihren Klampfen austoben bei einem „Scottish-Irish Jig“, kann auch noch diese ziemlich abgefahrende Version von Al Stewart’s Hit Time Passages anklicken.

Um nun noch einmal auf John Fogerty zurückzukommen. Auf seiner Homepage lese ich gerade, dass die Aufnahmen für das neue Album abgeschlossen sind und die Veröffentlichung im Herbst geplant ist. 12 funkelnagelneue Songs, die Titel kann man schon mal nachlesen. Und was liest man auf Meister Anderson’s Website. Jedenfalls keinen Ton mehr von einem neuen Album. Wollte der nicht eigentlich auch im Frühjahr etwas aufnehmen?

Nach den Studioaufnahmen stürzt sich Fogerty nun wieder „on the road“, ab nächste Woche tourt er quer durch Europa, darunter sind auch (wie Wilfried ja schon erwähnt hat) 8 Auftritte in Deutschland. An den meisten Orten kommt er etwa 2 bis 3 Wochen nach Jethro Tull durch, z.B. Zwickau, Gelsenkirchen oder Berlin. Wenn ich mir die Terminpläne der Herren Anderson und Fogerty anschaue, wird mir ganz schwindelig. Mr. Anderson hat wohl die längere Liste, dafür sind bei Mr. Fogerty die Termine fast noch enger. Gerademal einen Tag Luft zwischen einem Auftritt in Österreich und einem Auftritt in Montreal – die Zeit sitzt man ja fast allein im Flugzeug, wie vereinbart er das mit seinem Jetlag? Da werde ich den Eindruck nicht los, die Herren wollen sich selbst beweisen, dass sie noch keine 60 sind und unterziehen sich dem Härtetest.

Ich muss zugeben, dass ich in den letzten Jahren auf Tour-Aktivitäten von Rock-Senioren nicht geachtet habe, aber dieses Jahr scheint mir wirklich fast jeder unterwegs zu sein. Neben Jethro Tull, bei denen das ja nun nichts ungewöhnliches ist (same procedure as every year) und John Fogerty, der seit 2004 von Jahr zu Jahr mehr aufzudrehen scheint, z.B. auch Elton John, Joe Cocker, Robert Plant, Bryan Adams, Meat Loaf, die Stones, The Who und Genesis. In Athen kann sich Mr. Anderson mit Alice Cooper die Türklinke in die Hand geben, der tritt dort in der gleichen Location einen Tag vor ihm auf. Sie scheinen alle gegen die Zeit anzurennen, die ihnen davon läuft. Wenn man einmal 60 oder darüber ist, weiß man nie, wie lange man diesen Tourstress gesundheitlich noch durchhalten kann, das kann jeden Tag vorbei sein. Und ich fange an richtig wehmütig zu werden bei dem Gedanken, dass vermutlich innerhalb der nächsten 10 Jahre alle diese Herren einer nach dem anderen für immer von der Bühne verschwinden werden. Da kann jede Tour die letzte gewesen sein.

So, nachdem es mir nun sicher gelungen ist, Euch in melancholische Schwermut zu versetzen, möchte ich Euch jetzt mit ein paar Kinderliedern wieder aufheitern. Lockwood meinte ja, einige CCR-Titel wären so ernst und traurig, dass sie kaum für 7-Jährige geeignet scheinen. Hideaway und Fortunate Son – der erste Song klingt wirklich sehr traurig, der zweite eher wütend – sind auch wohl kaum die Hit-Titel bei den Kindern, obwohl durchaus auch Kinder traurig oder wütend sein können. Sehr, sehr wütend sogar, wenn ich da an meinen Sohn denke… Es werden eher Songs wie Down On The Corner oder Looking Out My Backdoor sein, die auch wirklich wie Kinderlieder klingen. Und wenn ich noch diese Bilder dazu sehe, dann denke ich, CCR müssen wohl doch die erste Boy Group gewesen sein – wie die Jungs von nebenan, immer nett, adrett und gutgelaunt, und für jeden Geschmack Einer dabei… Aber ich weiß, Ihr steht mehr auf Kate Bush als auf Boy Groups.

Inzwischen fand ich auch einen neuen Altersrekord für einen CCR-Fan unter diesem Video von Proud Mary: „CCR Rock!I remember dancing and singing to this song when I was like 5 and I knew all the words“. Weitere Kommentare unter dem gleichen Video: „i totally agree with you, duno how old you are but im 14 and i cant stand rap and hip hop crap.“ – „I’m just 13 and I love the CCR!“ – „same here…oh right…14“ – „I used to sing and dance to this song as a little kid.“ – „I’m just 16 and I love the music of the CCR!!“ – „im only 15 and i like ccr.“ Und unter Have You Ever Seen The Rain geht es geradeso weiter: „i’m 13 and i agree. todays music is crap.“ – „same here man. im 15 and i listen to all the early rock bands.“ – „Yeah, I’m 16 and even though this music is older, we still grow up with our parents listnening to it. So it’s part of us also. I LOVE this song.“ – „yo im 12 althoug profile says otherwise i love classic rock ccr ledzeppelin? acdc all of those are way better than almost all of the crap nowadays“ – „I agree and i’m 12 too“ usw. – da sind noch mehr von der Sorte. Das lässt mich für die heutige Jugend hoffen, wenn es auch traurig ist, dass sie kaum gute Musik von ihrer eigenen Generation geboten bekommen und ihren Großvätern beim Rocken zusehen und zuhören müssen. Aber es könnte bedeuten, dass in einem John Fogerty Konzert nicht nur 50- bis 60-Jährige zu finden sind.

Übrigens habe ich dann auch noch unter einigen vielbesuchten Jethro Tull Videos nach ähnlichen Kommentaren gesucht – Fehlanzeige. Dort outen sich weder 5-Jährige noch 15-Jährige. Nur Solche, die in den 70ern 15 waren. Woran das liegen könnte, ist mir auch nicht ganz klar. Dass die 5-Jährigen von Aqualung oder Thick As A Brick überfordert sind, verstehe ich schon, aber warum fehlen auch die 15-Jährigen? Vermutlich liegt es daran, dass im Radio die alten CCR-Hits auch heute noch bedeutend öfter zu hören sind als die Tull-Klassiker.

Noch einmal kurz zur Auflösung des „Rätsels“ der beiden Textpassagen von Anderson und Fogerty. An zwei Merkmalen hätte man den Anderson’schen Text vielleicht erkennen können, auch ohne nachzuschlagen. Zum Einen verwendet Anderson Worte, die ich nicht kenne. „Boulder“ mußte ich nachschlagen, „steelhead“ kann ich nur erraten. Bei Fogerty kenne ich jedes Wort. Zweitens stammt Anderson aus Schottland, er sitzt zum Angeln auf einem Felsen. Fogerty angelt in den Sümpfen Louisianas, da gibt es keine Felsen. Also sitzt er auf einem Baumstamm. Lustig fand ich allerdings, dass Fogerty „catfish“ angelt, die scheinen nicht nur von Mr. Anderson auf Platten-Covers gezüchtet zu werden, sondern auch „On The Bayou“ frei herumzuschwimmen (oder wo auch immer der „Green River“ fließt).

Und zu Lockwood’s Frage wegen der Aussprache von Mathilda – ich nehme an die getrennte Aussprache von „t“ und „h“ ist darin begründet, dass es sich um einen zusammengesetzten Namen handelt, aus „Mat“ und „Hilda“ nämlich (wobei ich nicht weiß, für was genau „Mat“ die Abkürzung sein soll).

So, jetzt verabschiede ich mich aber endgültig in den Urlaub. In 24 Stunden muss ich schon am Flughafen am Check-In erscheinen. Um die Zeit gehe ich sonst gerade eben ins Bett…

Erholt Euch gut von mir!
Liebe Grüße
Kretakatze

PS.: Da ich für Blödsinn immer Zeit finde, habe ich mir für den Schluss noch etwas Schönes ausgedacht. Schließlich sollt Ihr mich nicht vergessen, während ich im Urlaub bin. Also habe ich mich extra Euch zuliebe ins John-Fogerty-1970 Outfit geworfen und mir – in Ermangelung einer E-Gitarre – mein Gitarrenbanjo umgehängt. Dann hat mein Sohn einige meisterliche Bilder von mir geschossen. Die Photoserie trägt den Titel Kretakatze Rockt 2007 (live): (1) (2) (3) (4) . Ich denke jetzt sollten keine Zweifel mehr daran bestehen, dass ich aufgrund meines aktuellen seelisch-geistigen Gesundheitszustands einen kleinen Urlaub dringend nötig habe.

15.06.2007

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Hallo Kretakatze & Wilfried,

in der Aufzählung der besten Gitarristen dürfen die Herren Clapton und Hendrix natürlich nicht fehlen. Menschen, die etwas vom Gitarrenspiel verstehen, zählen sie zur Weltspitze. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Wie bereits gesagt, kann ich mich in meinen Beurteilungen nur danach richten, ob mir die Musik gefällt oder nicht. Der Musik von Clapton und Hendrix kann ich nichts abgewinnen. Das wird für die meisten Rockfans befremdlich klingen. Das ist so, als würde ein Freund der klassischen Musik sagen, dass er mit Beethoven nichts anfangen kann. Aber in meinem Fall ist es nun mal so. Mark Knopfler und die Dire Straits liegen mir da schon eher. Ihre Single „Brothers in Arms“ ist einer meiner Lieblingssongs. Die Tatsache, dass ich nicht sagen kann, welcher Gitarrist aufgrund seiner handwerklichen Fähigkeiten mein Favorit ist, bedeutet im Umkehrschluss, dass ich auch nicht sagen kann, welcher Gitarrist für mich der Schlechteste ist.

Ich habe mir Wilfrieds Link zu Artist United angesehen. Das Lied war mir vollkommen fremd und den Jahren, in denen ich das Lied durch meine Unkenntnis nicht hören konnte, weine ich nicht nach. Bunt zusammengewürfelte Künstler, die sich für ein Hilfsprojekt einsetzen, waren einmal sehr en vogue. Man kann trefflich darüber streiten, ob eine solch Aufnahme bereits eine politische Aktivität darstellt oder mehr eine Gelegenheit für einen Künstler, sich noch einmal ins Gespräch zu bringen. Ich hege meine Zweifel, ob durch dieses Projekt ein Quadratmeter Regenwald vom Bagger verschont geblieben ist.

Bei den Künstlern in diesem Projekt waren einige, bei denen ich annehmen muss, dass ihr Lebenswandel (dicke Limousinen, Sportwagen, beheizte Pools, klimatisierte Garagen, Privatjets usw.) nicht auf ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein schließen lässt. Mr. Anderson mag hier eine Ausnahme bilden, aber in der Summe mache ich mir schon Gedanken über die Glaubwürdigkeit einer solchen Aktion. Das wirklich bemerkenswerte an dem Liedchen ist für mich die Tatsache, dass Größen wie Anderson und May zusammen mit dem deutschen Schlagersternchen Sandra an einem Projekt arbeiten. Diese Kombination hätte ich mir in meinen tollsten Fieberphantasien nicht ausdenken können. Vielleicht gibt es auch ein gemeinsames Video von Jimmy Hendrix und Mary Roos, wer weiß ?

Das Stichwort Brian May bringt mich zur letzten Vorurlaubs-Mail von Kretakatze. Hier schreibt sie, dass sie bei Mr. May endlich eine singende Gitarre zu hören hoffte, aber von einem startenden Düsenjet enttäuscht wurde. Das hat mich schwer getroffen. Mit Tränen der Wut und der Enttäuschung in den Augen habe ich das betreffende Video noch einmal aufgerufen und versucht, es mit den Ohren von Jemanden zu hören, der nicht mit der Musik von Queen aufgewachsen ist. Und siehe da: stellenweise erinnert die Liveversion tatsächlich an einen startenden Jet; das Bild passt sehr gut. An dieser Stelle kann ich also nur empfehlen, sich die Studioaufnahme dazu zu Gehör zu bringen. Leider kann ich bei youtube kein Video zur Studioaufnahme finden. Ich weiß weder aus noch ein: Da preise ich Mr. May als meinen Lieblingsgitarristen, mit dem Erfolg, dass er als akustischer Umweltverschmutzer abgestempelt wird. Ich bin vollkommen am Ende !

Bitte, bitte, liebe Kretakatze: Vielleicht gibt es in Deinem Verwandten- oder Bekanntenkreis jemanden, der die ersten Queenalben aus der Zeit von 1974 – 1977 in seiner Sammlung hat. Falls dem so ist, mach Dir bitte die Mühe, dort einmal hineinzuhören. Da ist von startenden Jets keine Spur. Vielleicht ist das aber bei der Vielzahl unserer Themen zuviel verlangt. Mein Gott, was habe ich getan ??? Ich möchte Dir versichern, dass Mr. May durchaus in der Lage ist, so etwas wie eine Melodie zu spielen. Die Liveaufnahme von Brighton Rock war möglicherweise nicht der bestmögliche Einstieg in die Queen-Musik.

Nach einigem Suchen habe ich eine andere Studioaufnahme von Queen gefunden: The March of the Black Queen. Eine Aufnahme, die dazu geeignet ist, den Brighton Rock – Radau aus dem Wembleystadion zu relativieren. Bitte, liebe liebe Kretakatze, tu‘ mir den Gefallen und hör‘ es Dir einmal an ! Wenn Du danach Dein Urteil nicht revidieren kannst, gebe ich mich geschlagen.

Großer Absatz

Das „Roads to Moscow“ ist ein schönes Lied. Natürlich nicht zuletzt wegen der akustischen Gitarren. Aber auch der textliche Inhalt verdient eine Würdigung. Bei Gelegenheit werde ich mir den Text hierzu besorgen. Darüber hinaus bin ich leider kein großer Fan von Al Stewart.

Der Hinweis auf die überraschend deutsche Aussprache von „Mathilda“ ist schlüssig und einleuchtend. Allerdings frage ich mich, ob die englischsprachige Weltbevölkerung wirklich darüber informiert ist, dass sich dieser Name aus zwei althochdeutschen Begriffen zusammensetzt. Mir war das bis eben neu. Apropos Aussprache: Wilfried, hast Du eine Erklärung dafür, warum Mr. Clapton sein After Midnight wie Äfter ausspricht ?

Für heute ist es genug. Es ist sogar schon gar nicht mehr heute.
Bis bald also
Lockwood.

17.06.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood;

wenn wir eine Gruppe oder einen Musiker mögen und von denen ein bestimmtes Lied, dann verstehen wir es kaum, wenn andere nicht die gleiche Begeisterung aufbringen. Aber so ist das nun einmal. Lockwood kann nicht viel mit griechischer Musik und Clapton anfangen, Kretakatze wenig mit „Queen“ – und auch ich habe meine Schwierigkeiten, mich für das eine oder andere Lied zu begeistern, was ihr mögt. „Queen“ z..B. lag mir nie so recht und liegt mir auch heute nicht – trotz Lockwoods Bemühungen. Das Gitarrensolo von Brian May von „Brighton Rock“ war ein Eigentor von Lockwood; vielleicht hat man deshalb das Wembley-Stadion abgerissen und neu aufgebaut 😉 Aber auch „The March of the Black Queen“ kann mich nicht überzeugen. Es ist nicht meine Musik, zu operettenhaft. Jetzt bekommt Lockwood von beiden Seiten Druck, der Arme. Aber er wird es überstehen.

Al Stewart kenne ich eigentlich nur vom Hörensagen. „Year of the Cat“ habe ich sicherlich schon öfter gehört, aber nicht gewusst, von wem das ist. Und da es nicht „meinem Geschmack“ entspricht, gab es keine Veranlassung zu forschen, von wem das ist. Die „Roads to Moscow“ finde ich ganz okay. Aber Al Stewart insgesamt sagt mir wenig zu. Die Texte mögen in Ordnung gehen, aber die Musik ist mir etwas „zu leicht“ (auch wenn ich jetzt einen Aufschrei höre, aber sie erinnert mich etwas an Chris de Burgh und der ist mir einfach zu schmalzig).

Aber wir haben neben Jethro Tull wenigstens noch eine gemeinsame Schnittstelle: Mark Knopfer und Dire Straits. Ich habe mir damals auch eine LP von denen gegönnt, weil mir das Gitarrenspiel sehr gut gefiel (und heute noch gefällt). „Sultans of Swing“ findet sich so auch in den Top 100 der besten Gitarrensoli.

Ja, die Gitarrenspielerei! Ich pendle ja mit dem Zug zwischen Zuhause und Arbeitsstätte und höre mir jetzt schon mehrere Tage diese „100 Greatest Guitar Solos“ an. Fast die Hälfte der Stücke lässt sich dem „Hard Rock“ (Heavy Rock, Metal Rock, was weiß ich) zuordnen und besteht meist aus turnerischen Übungen (immer höher, immer schneller). Also abgehakt! Dann gibt es viele Stücke, die mir einfach nicht gefallen. Ich gebe euch darin völlig recht: Die Musik muss einem gefallen, sonst taugt auch das beste Solo nichts. Am Ende, so fürchte ich, bleiben gerade einmal ein Dutzend Stücke übrig, bei denen dann auch das Gitarrensolo halbwegs überzeugt. Ein Stück habe ich Euch eben genannt: „Sultans of Swing“ von Dire Straits, für mich nach wie vor: Aqualung mit Martins Solo.

Und dann gibt es sicherlich Gitarristen, die auf den diversen Bestenlisten nicht auftauchen, die mir trotzdem sehr gut gefallen, z.B. Ry Cooder, der sich u.a. auch viele Verdienste für seinen Einsatz zum Erhalt traditioneller Musik erworben hat (Stichwort: Buena Vista Social Club). Und in diesem Zusammenhang David Lindley (Prince Of Polyester genannt, Euch ist er sicherlich völlig unbekannt), der mit Ry Cooder zusammengearbeitet hat und wie er u.a. die Slide-Guitar spielt. Zu weiteren erwähnenswerten Gitarristen später mehr.

Apropos: David Lindley … als kleine Kostprobe ein kleines Lied von ihm : Bon Tempes Roulez. Wie gesagt, man nennt ihn den Prince of Polyester. Wenn es einen Preis fürs scheußlichste Outfit eines Musiker geben würde, so bekäme Ian Anderson durch Lindley echte Konkurrenz.

Womit ich bei Ian Anderson wäre. Dank der augenblicklich zu Ende gehenden Konzerttour von Jethro Tull durch Deutschland (Fortsetzung im Juli) finden sich in den News im Internet diverse Berichte. Zunächst aber zu den Reaktionen im Laufi-Forum von unseren Eingeweihten und Hardcore-Fans: Germany 2007 (wenn der Link noch klappt, ich fürchte der gute Laufi hat sein Forum in die Grütze gehauen oder es wurde gehackt): Zunächst ist viel von Euphorie zu lesen. Aber dann … Plötzlich kehrt sich der Eindruck und von Verriss zu sprechen, wäre fast schon geschmeichelt. Wie diese so völlig unterschiedlichen Beurteilungen der Konzerte zu Stande kommen, vermag ich kaum zu ergründen. Deshalb will ich mir das auch ersparen. Die verriss-ähnlichen Kritiken dürften aber, so fürchte ich, den Nagel am ehesten auf dem Kopf treffen.

Ich bin u.a. auch über ein Interview mit Herrn Anderson gestolpert, das mir in mancherlei Hinsicht sehr aufschlussreich (auch glaubhaft) erscheint. Zunächst eine mögliche Erklärung, warum Ian Anderson immer noch auf Tour geht (Geld allein kann nicht die Ursache sein), hierzu der Meister:

„Ich versuche mich in die Richtung des perfekten Konzerts zu bewegen. Ich weiß natürlich, dass es falsch ist anzunehmen, dass man tatsächlich irgendwann zu absoluter Perfektion gelangen kann. Aber es macht mir Spaß, es wenigstens zu versuchen. Ich weiß, dass ich immer noch Fehler mache. Jede Nacht haue ich mal daneben, spiele drei oder vier Noten falsch. Das mag Ihnen als Zuschauer gar nicht auffallen, vielleicht noch nicht mal den Typen in der Band, aber mir fällt es auf. Es dreht sich alles darum, keine technischen Fehler zu machen. Aber es ist auch mehr, es ist das Übertragen von Emotionen. Diese Kommunikation ist die ästhetische Seite ein Performer zu sein. Mit anderen Worten, es geht nicht nur um die technische Perfektion, es ist auch die Suche nach der besten Möglichkeit einen Gedanken oder eine Idee für einen Song zu kommunizieren.“

Zu seinem Piratenoutfit zwar kein Wort, aber doch etwas zu Alter und Aussehen :

„Ich möchte, dass die Leute meine schlaffen Arme sehen und mein gealtertes Gesicht und ich möchte, dass sie hören, dass das Alter auch in meiner Stimme seine Spuren hinterlassen hat. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich ein alter Mann bin. Ich kann immer noch richtig sauer werden auf der Bühne und ich denke, dass meine Musik nach wie vor eine große emotionale Bandbreite abdeckt. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich nichts von diesen Aktionen unternehmen muss, was sich die jüngeren Leutchen heute so antun. Ich bin nun mal keine Zwanzig mehr. Aber ich kann mich mit meinem Alter und meiner physischen Kondition gut arrangieren.“

Bildchen gibt es natürlich auch von den Konzerten, u.a. vom Auftritt in der Zitadelle Spandau in Berlin.

Ian hoch auf dem roten Stuhl (Leipzig 07.06.2007)
Ian hoch auf dem roten Stuhl (Leipzig 07.06.2007)

Nun, Kretakatze, ein wirklich neues Album von Jethro Tull ist zwar immer noch nicht in Sicht, aber um die Wartezeit zu überbrücken, gibt es ab 24.08.2007 ein Doppelalbum: Live in Montreux 2003. Leider interessiert mich der Audio-Teil weniger als das Video, das ich zwar in beschiedener Qualität habe, aber gern in bester DVD-Auflösung hätte. Vielleicht kommt das ja dann später auch noch auf den Markt. Genug Anderson …

Kretakatzes Fotoserie mit dem Gitarrenbanjo finde ich höchst interessant. Ich mutmaße, dass Du dem Instrument auch einige wohlklingende Töne entlocken kannst (ich sehe Dich den D-Dur-Akkord greifen, auch C- oder ist es F-Dur; wie lange habe ich selbst schon nicht mehr auf der Gitarre gespielt; das Gitarrenbanjo müsste gleich gestimmt sein, oder?). Da ich gerade bei Deinen Fotos bin: Was hat es eigentlich mit dem Klauenbeschneiden auf sich? Warst Du früher in der Landwirtschaft tätig?

Nun am Samstag tritt ja Jethro Tull in Kreta auf. Hoffen wir, dass unsere gute Kretakatze noch ein Ticket bekommt, denn ich bin gespannt, wie ihr Urteil über das Konzert ausfällt.

Gruß nach Kreta. Und Gruß an Dich, Lockwood.
Gönnen wir uns eine kleine Verschnaufpause.

Wilfried

P.S. Lockwood, wann machst Du eigentlich Urlaub? Deine Kinder müssten doch bereits ab Donnerstag Ferien haben. Bei uns ist es bis zu dem Sommerferien noch vier Wochen hin.

P.P.S. Der Meister wird übrigens am 10. August d.J. 60 Jahre alt. Nur als Vorwarnung. Vielleicht fällt Euch ja etwas Hübsches ein, was man ihm ‚schenken’ könnte. Ich denke da an so etwas Ähnliches wie einen ‚Rentenbescheid’.

19.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 73: While my Guitar gently weeps

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

diesen Beitrag muss ich einmal wieder mit einer Entschuldigung beginnen. Mir ist klargeworden, dass die Ursache für meine „John-Fogerty-Karohemd-Psychose“ in meiner ganz persönlichen Vergangenheit zu suchen ist, und nicht, wie ich das getan habe, verallgemeinert werden kann. Insbesondere möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich Euch hier mit meinen persönlichen Psychosen belästigt habe. Es ist nämlich so, dass ich selbst einen gewissen Teil meiner Vergangenheit im Karohemd-Outfit verbracht habe – hauptsächlich beim Kühe melken und Schafe hüten. Zum Beweis hier ein Bild von Kretakatze 1984 in Karohemd, Latzhose und Gummistiefeln beim Klauen schneiden (Bild ist miserabel, da aus einer Zeitung abgescannt – das Tier vor mir auf dem Boden ist ein Lamm mit schwarzem Kopf und schwarzen Beinen).

Tatsächlich habe ich, soweit ich mich erinnern kann, selbst jahrelang bei der Arbeit ausschließlich karierte Hemden getragen. Insofern erscheinen mir vermutlich Personen in Karohemd instinktiv vertraut, da sie mich an mich selbst erinnern. Dazu kommt, dass ich inzwischen bei genauerer Betrachtung weitere, über das karierte Hemd hinausgehende äußere Ähnlichkeiten zwischen Mr. Fogerty und mir entdecken konnte. Das reicht von den vorstehenden Schneidezähnen bis zur Pony-Frisur – ich möchte jetzt nicht in die Details gehen. Das alles könnte dazu geführt haben, dass ich mich unbewußt in einer unangemessen übersteigerten Form mit der Person des Mr. Fogerty identifiziert habe. Ich bitte daher, meine bisherigen Ausführungen betreffend Mr. Fogerty in diesem Lichte ggf. neu zu bewerten – Danke!

Uff – und jetzt wechseln wir ganz schnell das Thema. Bringen wir mal einen ganz anderen Musiker ins Spiel, mit dem ich garantiert keine Ähnlichkeit habe…

Von der Sorte „One-Man-Band“ habe ich in meiner Plattensammlung nämlich noch eine weitere Gruppe stehen (bemerkenswerterweise habe ich dort nur Solo-Musiker oder „One-Man-Bands“ stehen): Mark Knopfler und seine Dire Straits. Auch hier gibt es eine Geschichte mit einem Bruder, der nach relativ kurzer Zeit die Band verlässt und sich mit einer Solo-Karriere versucht, in diesem Fall Mark’s jüngerer Bruder David. Auch er wird nie ersetzt, die Truppe spielt zu dritt weiter. Von den Dire Straits hat man seit bald 15 Jahren nichts mehr gehört, obwohl die Band nie offiziell aufgelöst wurde. Mark Knopfler ist dagegen durchaus noch aktiv, so spielte er z.B. im Jahre 2004 auf dem letzten Album von John Fogerty mit – sozusagen Brothers In Arms, Brüder unter sich. Dabei sollte man meinen, dass Knopfler mit Ian Anderson mehr Gemeinsamkeiten hat als mit John Fogerty. Zum Einen sind beide Schotten und Literaten (Knopfler ist studierter Journalist), und zum Anderen hat Anderson schon einmal ein Album herausgebracht, von dem man sagt es klingt als wäre es von Knopfler. Just für dieses Album hat er dann auch noch einen Grammy bekommen. Da wäre es doch naheliegend auch einmal zusammen zu musizieren. Aber das könnte Anderson vielleicht seinem Martin Barre nicht antun. Oder er befürchtet, dass er neben Knopfler doch nur als der Zweitbeste erscheinen könnte? Fogerty dagegen scheint keine Probleme damit zu haben sich einen Gitarristen „einzukaufen“, von dem er auch noch etwas lernen kann.

Wie man an dem obigen „Brothers in Arms“-Video sieht, stehen da auch bei den Dire Straits schon in den 80ern (Video stammt vermutlich aus der Tour 1985/86) deutlich mehr als die eigentlichen 3 Bandmitglieder auf der Bühne. Ich könnte jetzt nicht einmal sagen, wer von diesen Musikern zu den Dire Straits gehört und wer „zugekauft“ ist. Was man auch sieht: Der völlig andere Bühnenauftritt im Vergleich zu Anderson. Knopfler erscheint in Jeans und T-Shirt, spricht üblicherweise so gut wie überhaupt nicht mit dem Publikum, steht mit unbewegtem Gesicht nahezu regungslos am Mikrophon und wirkt teilweise fast gelangweilt. Krasser geht’s eigentlich nicht mehr. Trotzdem habe ich mich noch nie bei einem Video von ihm gelangweilt.

Aber auch Knopfler hat im Laufe der Jahre dazu gelernt. So bewegt er sich jetzt mehr auf der Bühne und lächelt sogar gelegentlich! Im Gegensatz zu Anderson und Fogerty scheint ihm allerdings immernoch jede Eitelkeit fremd zu sein. Er erscheint auf der Bühne weißhaarig, kahlköpfig und bebrillt – wie er halt so ist. Und die Fans störts überhaupt nicht, die sind begeistert. Zum Beweis hier ein ziemlich gutes Bootleg von 2005, Knopfler’s „Werbespot“ für Deutschland und deutsches Bier:
Why Aye Man (Soundqualität nicht ganz so toll, aber ich wollte was Aktuelles). Das Einzige, was ich bei diesem Song schon beim ersten Hören einwandfrei verstanden habe, waren die Zeilen „plenty Deutschmarks here to earn“, „german beer is chemical free“ und „tonight we’ll drink the old town dry“. Wahrscheinlich wird er extra von der deutschen Bierindustrie dafür bezahlt, dass er diese Worte deutlich ausspricht, ansonsten bekommt er ja beim Singen die Zähne kaum auseinander. (Damit – wer möchte – wenigstens ein bißchen was vom Text versteht, hier noch der Original-Videoclip von 2002). Bleibt vielleicht noch zu ergänzen, dass sich Knopfler’s Stimme bislang nicht verändert zu haben scheint. Er hatte allerdings auch noch nie eine.

Diese wenigen Worte über Mark Knopfler hatte ich übrigens bereits geschrieben, bevor Du, lieber Wilfried, nach den Gitarristen und Gitarrensoli gefragt hast. Es hat nur zu meinen letzten Beiträgen nicht gepasst. Aber Du wirst Dir jetzt wahrscheinlich schon denken können in welche Richtung meine Antwort gehen wird. Wenn ich eine Rangliste der besten Gitarrensoli aufstellen sollte, dann wären mindestens die Plätze 1 bis 20 lückenlos von Mark Knopfler belegt. Danach hätten dann vielleicht auch noch andere Musiker eine Chance (in den Lücken). Das Solo aus I Put A Spell On You wäre sicher mit dabei, außerdem While my Guitar gently weeps und vielleicht noch ein paar Titel von Al Stewart, dessen beste Songs auf YouTube leider nicht zu finden sind (jedenfalls keine mit Gitarrensolo). Ansonsten kann ich mich Lockwood nur anschließen: Welche Gitarristen „gut“ sind, kann ich nicht beurteilen. Ich entscheide einzig danach, ob mir die Musik gefällt, ganz gleich ob sie leicht oder schwer zu spielen ist.

Tatsächlich war ich ziemlich überrascht Aqualung auf der Liste der Gitarrensoli zu finden – mir war bislang nicht einmal bewusst, dass es in Aqualung ein Gitarrensolo gibt (dabei dachte ich, ich kenne das Stück). Da kannst Du mal sehen, wie beeinduckt ich von dem Solo war. Ich muss zugeben, dass ich in der Musik von Jethro Tull Gitarrensoli nie wahrgenommen habe, ich kann mich an kein einziges erinnern. Das ist vermutlich eine fürchterliche Schande für einen Jethro Tull Fan – falls ich einer bin. Deshalb habe ich gerade noch einmal Aqualung angeschaut, damit ich wenigstens weiß, wovon wir sprechen. Und ja, das ist die Stelle wo Mr. Anderson kurz die Bühne verlässt und ich – zumindest geistig – auch. Es ist eins von den Gitarrensoli, die laut und schnell sind, aber für mich ohne erkennbare Melodie. Bei solcher Musik schalte ich ab.

Ich habe überhaupt ein Problem mit Instrumentalmusik. Für mich ist der Gesang, der Klang der menschlichen Stimme in der Musik sehr wichtig, um mein Interesse und meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Bei den meisten Instrumentalpassagen beginne ich mich schon nach 30 Sekunden zu langweilen. Instrumentalmusik muss schon sehr viel zu bieten haben, damit sie mich anspricht. Am ehesten gelingt das, wenn der Klang des Soloinstruments der menschlichen Stimme ziemlich nahe kommt, und auch die Melodie wie gesungen klingt. Dafür ist eine Querflöte schon einmal recht gut geeignet. Noch besser geht das mit einer elektrischen Gitarre, aber der Klang muss stimmen – lärmend und kreischend mag ich garnicht. Deshalb schaue ich bei den meisten Gitarrensoli eher auf die Uhr und frage mich, wann’s endlich vorbei ist.

Die einzige Ausnahme ist da Mark Knopfler. Dem kann ich stundenlang zuhören, ohne dass ich merke wie die Zeit vergeht. Eigentlich dachte ich, ich hätte Sultans Of Swing schon so oft gehört, dass es mir langsam zum Hals heraushängt, aber ich wollte trotzden eine Version in meine Playlist verlinken. Also habe ich mich durch die verschiedenen Versionen durchgeklickt, weil ich die beste heraussuchen wollte. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich seit anderthalb Stunden nicht anderes als verschiedene Versionen von Sultans Of Swing höre, und ich hätte noch eine Weile so weitermachen können.

Krasser Wechsel zu einem ganz anderen Musikstil.
Proud Mary in der Version von Ike und Tina Turner war mir bisher unbekannt. Vielleicht habe ich das Stück auch schon so gehört, nur habe ich es nicht mehr wiedererkannt. Die ursprüngliche Melodie kann ich in dieser Version nämlich nur noch mit großer Mühe erkennen, der Anfangsteil ist zu langsam und der Schluss zu schnell. Die Interpretation dieses Stücks scheint hauptsächlich aus Gekreische und Hinterngewackel zu bestehen. Was das mit dem Inhalt des Lieds zu tun hat, ist mir bislang verborgen geblieben. Und warum sich Tina zum Hinternwackeln gerade dieses Musikstück ausgesucht hat, wird mir wohl auch ein Rätsel bleiben. Jedenfalls weiß ich jetzt wieder, warum ich sie noch nie leiden konnte – sie schafft es ein gutes Lied bis zur Unkenntlichkeit zu versauen.

Lieber Wilfried, da finde ich Deine Version doch noch deutlich besser (wenn sie auch nicht ganz an das Original herankommt). Und das gilt noch viel mehr für „Dirty Old Town“. Während sich die „Originale“ (?) von den Pogues und den Dubliners in meinen Ohren kaum unterscheiden und beide so klingen, wie das Lied heißt – dirty and old, stumpf-dumpf trist und schwerfällig – klingt Deine Version flott und beschwingt. Also in meiner Hitparade belegst Du jedenfalls die vordernen Plätze deutlich vor der Prominenz! Und von „belegter Simme“ konnte ich auch nichts hören. Sei nur nicht so bescheiden. Warum habt Ihr das Musizieren eigentlich aufgegeben?

So, machen wir Schluss für heute. Und am besten verabschiede ich mich auch gleich in den Urlaub – ich werde mich höchstens noch einmal kurz melden, falls mir die Zeit noch reicht. Amüsiert Euch in der Zwischenzeit gut ohne mich!

Liebe Grüße
Kretakatze

PS.:Da ich nun schon einmal im Photoalbum gekruschtelt habe und außerdem nicht möchte, dass Ihr denkt ich laufe die ganze Zeit in Karohemden, Latzhosen und Gummistiefeln herum: Hier noch ein paar Bilder von mir, die beweisen, dass ich vielseitig veranlagt bin und nicht nur Klauen schneiden sondern auch griechisch tanzen kann. Dem möchte ich noch vorausschicken, dass unsere Tanztruppe sehr laienhaft zusammengesetzt und ausgestattet war, also nicht vergleichbar mit Tanz-Videos, die ich bereits verlinkt hatte. Ich hoffe daher auf stark gedämpfte Erwartungen, damit ich diese zumindest noch knapp übertreffen kann (Die Bilder stammen übrigens von 1995):
Seimbekikos
Sirtaki
Chasaposervikos

11.06.2007

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Hallo Ihr beiden Hübschen,

Ihr wart ja wieder fleißig. Besonders Kretakatzes letzte Beiträge haben mir sehr gut gefallen. Du hast die beiden Herren, Fogerty und Anderson, wohl sehr treffend geschildert. Ich möchte dabei auf den von Dir angesprochenen Unterschied zwischen nationaler Herkunft einerseits und unterschiedlichem familiären und gesellschaftlichen Background andererseits kurz zurückkommen. Ich habe John Fogerty als typisch amerikanisch hingestellt. Ich muss dazu sagen, dass ich nie in den USA war. Aber man liest halt so manches und Hollywood gibt ja auch genügend Anschauungsunterricht. Was ist also typisch amerikanisch? Amerika ist bekanntlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und sicherlich gibt es dort einen allgemeinen Trend, die gesellschaftlichen Schranken aufzuheben (trotz der Rassenschranken). Auf jeden Fall fragt man zunächst weniger nach dem Staat, sondern ist gern selbst seines Glückes Schmied. Man ist freundlich und aufgeschlossen, aber doch meist sehr unverbindlich dabei (z.B. Einladungen, wozu und wohin auch immer, sollte man nicht unbedingt wörtlich nehmen). Und in einer Länderkunde von Dietrich Schwanitz in seinem Buch „Bildung“ las ich das Folgende:

„Wundere dich nicht, wenn beim Essen der Amerikaner zuerst das ganze Steak mit Messer und Gabel zerschneidet, dann das Messer hinlegt, die Gabel in die Rechte nimmt und die Linke unter dem Tisch auf das Knie stützt. Er braucht sie, um den Colt zu halten.“

Einfach gefühlsmäßig würde ich John Fogerty so auch als netten amerikanischen Guy sehen.

In Großbritannien dagegen herrscht auch heute noch ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein – sowohl in der Upper als auch Lower Class. Zur Upper Class gehört man dabei nicht unbedingt durch Geburt, sondern mehr noch durch eine entsprechend gute Schullaufbahn. In diesem Sinne gehört Ian Anderson sicherlich zur Oberklasse – und entsprechend gebärdet er sich auch. Also um Herrn Anderson halbwegs (tiefenpsychologisch) näher zu kommen, muss man vieles von dem verstanden haben, was als typisch britisch angesehen wird. Ich habe mich hierzu einmal etwas näher ausgelassen, wenn auch bezogen auf deutsche Verhältnisse: Die ‘neue’ und die ‘alte’ Unterschicht Teil 1 und Teil 2

Andersons politische Engagement ist nicht offensichtlich. Er nimmt an keiner Demonstration teil. Wir haben ihn auch nicht in Heiligendamm gesehen. Unpolitisch ist er dagegen mit Sicherheit nicht. Er hat sich z.B. im amerikanischen Fernsehen bewusst kritisch über die Allgegenwart der Amerikatümelei (in Form von amerikanischen Flaggen, die in jedem Vorgarten wehen) geäußert, was ihm u.a. ein Verbot bei einigen anderen Sendern einbrachte. Auch hat er sich oft genug ablehnend gegen George W. Bush geäußert (nun, gut, das ist kein Kriterium – welcher Mensch mit Verstand wird Bush mögen). Seine Texte sind gespickt mit kritischen Anmerkungen zum politischen Geschehen. Nur ein Beispiel: Vor einiger Zeit hatte ich das Solo-Album von Ian Anderson Walk into Light für mich digitalisiert. Auf dem Album gibt es das Lied Different Germany. Es thematisiert auf Anderson’sche Art die wachsende politische Tendenz in den 80-er Jahren in Deutschland nach rechts außen. Und, um noch einmal auf dunkle Segel am Horizont zurück zu kommen, es finden sich auch in vielen anderen Texten vielleicht verschlüsselte, aber durchaus entzifferbare Hinweise auf kritische (und damit durchaus politische) Stellungnahmen. Ähnlich ist es um das Lied „No Lullaby“ bestellt. Anderson bedient sich einer Bildersprache, die zunächst ein ‚oberflächliches“ Szenario wiedergibt. Erst wenn man am Lack kratzt, zeigt sich, dass sich das alles auch anders, eben ‚tiefer’ deuten lässt. So ist nun einmal die Sprache der Dichter: metaphorisch, meist auch reichlich kryptisch.

Neben seinem Engagement für Wildkatzen usw. hat er sich auch für den Regenwald stark gemacht, wie das folgende Video beweist (auch wenn das bereits längere Zeit her ist): Artists United For Nature – Yes We Can – hier hat er sich u.a. mit Musikern und Sänger wie Brian May (sic!), Joe Cocker, Harold Faltermeyer, Herbie Hancock, Chaka Khan und vielen anderen zusammen getan. Eine solche Aktion muss man auch als politisch werten.

Brian May und Mark Knopfler lasse ich gern als hervorragende Gitarrenkünstler gelten. Natürlich tauchen beide auch in den entsprechenden Bestenlisten auf. Martin Barre gilt weiterhin als unterbewertet, obwohl er einen sehr eigenen Stil entwickelt hat, der sich in einigen Stücken an der menschlichen Gesangsstimme orientiert. Mein Neffe, auch viele Jahre als Gitarrist unterwegs, war kein ausgesprochener Tull-, dafür aber ein um so größerer Barre-Fan. Er könnte Euch sicherlich einiges mehr zu dessen Stil und technisches Können erzählen. Ich muss eines gestehen: Dass ich ähnlich Kretakatze früher den guten Martin auch eher überhört habe, manchmal ihn eher als schlecht empfunden habe. Heute aber (und nach längeren Diskussionen mit meinem Neffen) bin ich hörtechnisch Martin Barre ‚hintergestiegen’. Er ist schon etwas gewöhnungsbedürftig.

Und Kretakatze hat es erfasst: „Crest of a Knave“ klingt wirklich sehr knopfler-isch. Zum einen klingt Martin Barres Gitarre sehr im Stile von Mark Knopfler; und dann ‚imitiert’ auch noch Herr Anderson dessen Stimme. Mich hat das damals auch sehr verwundert. Obwohl ich nicht unbedingt von Plagiat sprechen möchte, so würde es mich eigentlich schon interessieren, wie es bei Anderson & Co. dazu gekommen ist, sich an Dire Straits zu orientieren, denn leugnen wäre zwecklos.

Zu den Gitarrengöttern zählen sicherlich Eric Clapton und Jimi Hendrix. Beide haben ebenfalls einen unüberhörbaren eigenen Stil. Von Hendrix hätte ich gern mehr Stücke, in denen er nicht so vollgedröhnt daherspielt, als müsste er die ganze Welt in Flammen setzen. Bei diesen Endlossoli klappen mir auch die Ohren zu, schnell zum nächsten Stück. Clapton ist aber nun wirklich „God“. Er hat zwar kaum wirklich gute eigene Lieder erfasst (aber welcher gute Gitarrist hat das schon). Wie er aber z.B. mit Cream bei den Stücken White Room oder Crossroads in die Saiten haut, das hat schon etwas. White Room ist zudem ein Lehrstück für (künftige) Bassisten (ich finde das Stück einfach geil, eines meiner Liebensstücke eben).

Apropos Clapton: Kretakatzes Link auf den Beatles-Titel While My Guitar Gently Weeps – kein anderer als Clapton spielt hier das Solo (am Ende zusammen mit Harrison). Und zusammen mit Mark Knopfler war sich Clapton nicht zuschade, auch einmal nur auf der Gitarre zu schrammeln, hier eine andere Version von Sultans of Swing.

Zu anderen (auch meist unterbewerteten) Gitarristen später etwas mehr. Die Gitarre ist nun einmal in der Rockmusik DAS Instrument. Welcher Jugendliche, der daran denkt, einmal Musik zu machen (Rockmusik meine ich), der will natürlich Gitarre spielen. Keyboards, Schlagzeug, Bass – alles ganz nett, aber KLAMPFE, das ist es eben!

Zum Ende der ‚legendären’ Band Black Out: Das Ganze spielte sich in Bremen ab, weil alle Beteiligten dort wohnten. Ich bin dann Anfang der 80-er Jahre zwecks Studium nach Hamburg gezogen – und an den Wochenende nach Bremen gependelt. Das wurde mir mit der Zeit aber zuviel. Außerdem wollte unser Schlagzeuger öfter auftreten (wir übten in einem dunklen Keller), um zusätzlich Geld zu verdienen. Das wollten die anderen (und ich) aber nicht. Und so kam es, wie es kommen müsste. Es wurde liquidiert, was liquidiert werden musste. Und das war es denn. Also keine Streitigkeiten zwischen Brüdern.

Kretakatzes John-Fogerty-Karohemd-Psychose finde ich ganz normal. Was mein Outfit anbelangt, ich schrieb es bereits, da bewege ich mich ganz auf dem Fogerty’schen Niveau. Ich bin da das, was man bekanntlich den Schotten zuschreibt: geizig! Ich trage vielleicht nicht immer karierte Hemden, aber oft genug, und ansonsten Hemden, die eben bunt sind (wenn auch gestreift oder so statt kariert). Und die trage ich meist so lange, bis sie aus dem Leim gehen. Ähnliches gilt für meine Hosen, die meist Jeans sind (aber nicht von Armani). Ich sehe nicht ein, mich einem Modediktat zu beugen und mehr für Klamotten auszugeben, als es Not tut. Bequem muss es sein, dass ist das erste (und einzigste), was zählt. Anzüge, Schlips und Kragen sind nichts für mich. Es war wohl letztes Jahr, da habe ich zum ersten Mal selbst in meinem Leben einen Krawattenknoten gebunden (Anleitung aus dem Internet), übrigens eine Krawatte im Anderson-Tartan (klar: schottisches Karomuster), die ich spaßeshalber zu einer Familienfeier trug. Ansonsten mussten mir immer andere helfen (manchmal kommt man nicht umhin, ein solches Stranguliergerät zu tragen). Mit Jacketts und dergleichen tue ich mich ebenso schwer. Ist nun einmal so und ich stehe dazu.

Nun denn, ich wünsche euch noch einige geruhsame Arbeitstage. Und Dir, Kretakatze, wünsche ich einen schönen, erholsamen Urlaub. Ich drücke Dir die Daumen, dass es klappt mit der Eintrittskarte. Es steckt auch etwas Eigennutz dahinter, denn schließlich wollen wir wissen, wie sich Herr Anderson so gemacht hat im weiten Süden.

Wir lesen voneinander.
Viele Grüße

Wilfried

12.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 72: Favourite Guitarists (1)

Liebe Kretakatze, lieber Wilfried,

Wilfrieds Zeitdokumente von Black Out sind gute Beispiele dafür, dass auch mit geringem technischem Aufwand gute Musikaufnahmen möglich sind. Mich würde interessieren, wie es zum Ende der Gruppe gekommen ist. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht jedem der beteiligten Musiker leicht gefallen ist.

Wilfried, wirst Du die aktuelle intensive Beschäftigung mit John Fogerty zum Anlass nehmen, Dir sein Konzert in Hamburg anzusehen ? Ich denke, die Gefahr, dass sich seine Fans immer noch aus 7jährigen rekrutieren, ist eher gering. Eine persönliche Inaugenscheinnahme einer unserer Zielpersonen könnte unsere Diskussion gewiss zusätzlich beleben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich persönlich kein großer Freund von Open-Air-Konzerten bin, wegen Akustik und Stimmung, you know.

Ich bin Dir sehr dankbar für Deine Frage nach den Lieblingsgitarristen. Eine wirklich gute Idee und ein sehr schönes Thema. Natürlich schätzen wir alle die Saitenkünste des Martin Lancelot Barre. Seine Verdienste um die musikalische Qualität von Jethro Tull kann man nicht überbewerten. Er ist allerdings nicht mein Lieblingsgitarrist. Das hat überhaupt nichts mit seinen Fähigkeiten an der Rockgitarre zu tun, sondern einzig und allein damit, dass Jethro Tull für mich eine Folk-Rock – Band ist, mit der Betonung auf Folk. Mit anderen Worten: Mir gefallen der Gesang (der weiteren Vergangenheit) des Mr. Anderson und die akustischen Saiteninstrumente besser als die Aspekte der Rockmusik, die Mr. Barre in das Spektrum der Gruppe einbringt.

Mein favourite Guitarist ist Brian May von Queen. Er und seine Red Special. Die beiden gehören zusammen wie John Wayne und die Winchester. Trotz meines wenig musikalischen Gehörs würde ich die Red Special unter hundert anderen Gitarren heraushören. Das wohl populärste Zeugnis seiner Kunst legte Mr. May mit dem Solo in der Live-Version von Brighton Rock ab: Durch eine spezielle Spieltechnik (Echo- und Delay-Effekte) ist er in der Lage, mit sich selbst mehrstimmig zu spielen (der Mehrstimmen-Effekt beginnt etwa bei Minute 2:20, aber es lohnt sich, das ganze Video anzusehen). Diese Live-Version hörte ich erstmals auf dem Album Live Killers Ende der 70er Jahr. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von dem Echo-Effekt. Ich wusste nur, dass dort mehr als eine Gitarre zu hören ist. Damals dachte ich, dass sich ein anderes Bandmitglied mit einer Gitarre bewaffnet hat um Mr. May zu unterstützen. Aber, meine lieben Freunde, ein Mr. May hat keine Unterstützung nötig.

(Wem das Brighton-Rock – Solo gefallen hat, mag zusätzlich auf eine kleine Gitarrenschule von Mr. May klicken.)

Neben dem einzigartigen Klang seines Instruments und seinem virtuosen Spiel ist es einfach seine sympathische Erscheinung, die ich an ihm schätze. Ähnlich wie Mr. Barre blieb Mr. May als graue Eminenz bescheiden im Hintergrund. Er hat auch schöne Hände, der Lange. Für mich war er mindestens ebenso entscheidend für den Queen-Sound und den Erfolg der Gruppe wie Mr. Mercury seligen Gedenkens.

Jimmy Page von Led Zeppelin zähle ich ebenfalls zu den ganz großen. Obwohl: Seine Auftritte gefallen mir nicht immer. Ich habe irgendwann einmal einen Auftritt der Gruppe gesehen, bei dem er eine 3-stöckige Gitarre umgeschnallt hatte. Mehr Instrument als Page. Man konnte nur noch vermuten, wer sich hinter diesem Instrument befand. Das ist in meinen Augen reine Protzerei. Dessen ungeachtet steht das Led Zeppelin – Album „Physical Grafitti“ weit oben auf meiner persönlichen Bestenliste.

(Das wäre vielleicht auch ein interessantes Thema: Die Lieblings-Alben unserer Dreier-Runde, getrennt nach JT und dem Rest der Welt).

Beim Schreiben dieser Zeilen wird mir klar, dass ich die Leistung eines Gitarristen nicht objektiv beurteilen kann. Für mich ist entscheidend, ob das, was er spielt, mir gefällt. Ein Beispiel: Möglicherweise ist Ricky King der beste Gitarrist aller Zeiten, aber von mir wird er niemals auch nur einen einzigen Punkt bekommen.

An Wilfried: Als ich vom Evangelischen Kirchentag in Köln hörte, habe ich tatsächlich daran gedacht, ob Familie Albin sich daran beteiligen wird. Diese Frage ist nun beantwortet. Leider scheinen die Kirchentage ganz schön ins Wasser zu fallen; das ganze Rheinland liegt seit Tagen unter einer Gewitterfront.

Ich teile den Eindruck von Kretakatze, dass Mr. Anderson in seinen Texten fast nie politisch geworden ist. Er hat einige gesellschaftskritische Texte geschrieben (Thick As A Brick, Aqualung, Cross Eyed Mary…), aber zu Innen- oder Außenpolitik hat er sich so gut wie nie geäußert. Ungewöhnlich für einen Intellektuellen.

Dass er sich, seine Musik, Texte und sein Publikum für etwas Besonderes hält, versucht er erst gar nicht zu kaschieren. Ich denke da an ein Interview mit ihm, in dem er sinngemäß sagt: „Ich erwarte nicht, dass jeder Künstler solche Texte schreibt wie ich. Es muss auch Texte für Fußballfans geben.“ Das klingt nicht bloß latent arrogant. Ein wenig egozentrisch ist er schon, unser Mr. Anderson. In diesem Zusammenhang: Deine Einschätzung, liebe Kretakatze, dass Jethro Tull de facto ein Solo-Unternehmen ist, teile ich uneingeschränkt. Die Bezeichnung Jethro Tull für seine häufig wechselnde Ansammlungen von Studiomusikern halte ich für den reinsten Etikettenschwindel. Das bringt mich wieder auf den guten Mr. Barre. Welche Rolle spielt er wirklich im Andersonschen Musiktheater ? Ist er ein Freund, den man nicht im Regen stehen lassen will ? Oder ist er eine musikalische Säule, ohne die das Potenkimsche Gebilde namens Jethro Tull zusammenbrechen würde ? Ich wüßte dazu gerne die Meinung des Mr. Barre. Mr. Anderson’s Meinung dazu interessiert mich nicht; dem kann man sowieso nichts glauben.

Liebe Kretakatze, die von Dir vorgestellten CCR-Songs „Hideaway“ und „Fortunate Son“ wirken sehr ernst, traurig, melancholisch. Wenn man diese beiden Lieder hört, kann man sich nur schwer vorstellen, dass sehr viele Kinder zu den CCR-Fans zählen.

Den von Dir getippten Text von JT habe ich nicht erkannt. Ich musste nachschlagen. Der Text ist aus dem Lied „Silver River Turning“ aus dem Album „Nightcap“. „Nightcap“ gehört zu den späten Alben der Gruppe, die ich mir schon gar nicht mehr gekauft habe. Zu viele Metamorphosen sind im vorausgegangen.

Ich erlaube mir, dass o.g. Antikriegslied von CCR als Brücke zu missbrauchen, um auf zwei weitere Antikriegslieder aus dem britischen Umfeld aufmerksam zu machen. Es sind Lieder des zeitgenössischen schottischen Liedermachers Eric Bogle, die oft von Künstlern aus dem irisch-schottischen Dunstkreis interpretiert werden. Beide Lieder haben die Schrecken des Ersten Weltkriegs zum Inhalt: The Green Fields of France behandelt den jungen Gefreiten Willi McBride, der in den Schützengräben Frankreichs ums Leben kam. Durch dieses Lied ist Willi McBride wohl der bekannteste Gefallene des Ersten Weltkriegs geworden. Das Lied gehörte zum Repertoire unserer lokalen Irish-Folk – Gruppe und ich kann Euch versichern, dass ich dabei jedesmal eine Gänsehaut bekam. Der Sänger konnte den Eindruck vermitteln, er habe selbst an der Somme im Schützengraben gelegen.

The Band played Waltzing Mathilda, hier in einer Version von den Pogues, handelt von der furchtbaren Schlacht um Gallipoli. Und Wilfried hat Recht; dieses Lied ist auch von Tom Waits interpretiert worden. Anmerkung des Autors: Ich verstehe nicht, warum das th in Mathilda nicht wie das englische ti-ädsch ausgesprochen respektive gesungen wird.

Meine Lieben, ich wünsche Euch einen schönen Sonntag und einen sanften Einstieg in die neue Woche !

Wenn ich mich recht erinnere, steht Kretakatze kurz vor ihrem verdienten Urlaub, oder ?
Bis bald
Lockwood

09.06.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

ich fürchte mit meiner Bemerkung zu Kate Bush habe ich etwas überzogene Erwartungen geweckt. Tatsächlich war ich natürlich auch Anno 1978 von ihrem Titel Wuthering Heights begeistert. Nun ist sie auch ungefähr so alt wie ich, höchstens ein paar Monate älter, und es war damals etwas Neues für mich, dass jemand im gleichen Alter in den Charts war. Ich habe auch ein paar Fernsehauftritte von ihr gesehen und fand ihre Darbietung ziemlich stark – da sie halt nicht nur einfach dasteht und singt, sondern ihre Lieder praktisch darstellt. Ihre Stimme fand ich anfangs ziemlich gewöhnungsbedürftig – sie klingt doch etwas kindlich-quäkend – aber bei einem Titel wie Wuthering Heights kann einen das auf Dauer nicht stören. Das ist der Urschrei des Verlangens, und den kann ich auch fünfmal hintereinander hören, ohne dass es mir langweilig wird.

Das war es dann aber auch schon mit Kate Bush und mir für die nächsten knapp 30 Jahre. Anfang diesen Jahres kam ich zu dem Schluss, dass ich mir ein paar Lieder aus dem Internet herunterladen sollte von Musikern, von denen ich vielleicht ein oder zwei Stücke gut finde, so dass sich die Anschaffung einer ganzen CD nicht lohnt. Kate Bush und ihr Wuthering Heights standen ganz oben auf meiner Liste. Dann hatte ich da noch so vage in Erinnerung, dass es in den 70ern noch ein anderes Stück von Kate Bush gegeben hatte, das mir gefallen hatte, ich konnte mich nur weder an Melodie noch Titel erinnern. Schließlich habe ich meinen Sohn gefragt, ob er eine Idee hätte wo man im Internet nach so etwas suchen könnte, und er hat mir YouTube empfohlen. Das war der Anfang vom Ende meines Nachtschlafs. Den gesuchten Song von Kate Bush habe ich allerdings nicht gefunden, wahrscheinlich habe ich mir den nur eingebildet.

Nun finde ich Kate Bush’s Musik durchaus sehr anhörbar, ich habe aber keinen anderen Titel gefunden, bei dem mich die Melodie irgendwie angesprochen hätte, und ich habe auf der Suche nach dem „verlorenen Lied“ wirklich so ziemlich alles durchgeklickt. Aber ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn sie Dich , lieber Lockwood, mehr anmacht als – sagen wir mal John Fogerty (nein, das sollte nur ein Scherz sein…). Dass ein geschlechtsloser Außerirdischer mit dem von Dir verlinkten Video viel anfangen könnte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich fürchte man muss ein Geschlecht haben, um dieses Video zu verstehen.

Eine Bemerkung vielleicht noch zu „Room For The Life“: Mich erinnert Kate Bush’s Gesang in diesem Lied an Vogelgezwitscher. Nett anzuhören, aber für mich ohne greifbare Melodie. Allerdings finde ich, es passt recht hübsch zu einem zwitschernden Vögelchen, wie sie sich da in ihrem Nest räkelt… Ich glaube den geschlechtslosen Außerirdischen hast Du gerade gefunden.

Auch Deine Videos zu den Pogues habe ich angeschaut, aber ich fürchte, das ist nicht meine Welt. Mir erschienen sie beide düster und trist, was aber auch an den Bildern liegen könnte. Deshalb habe ich noch ein paar weitere Videos angeklickt, aber mit denen bin ich auch nicht viel glücklicher geworden. Irgendwie scheinen alle diese Lieder denselben „Hauruck“-Rhythmus zu haben, den ich als eintönig, schwerfällig und zu simpel empfinde. Er erinnert mich stark an deutsche Volksmusik. Und die Texte, soweit ich etwas verstehen konnte, sprechen mich auch nicht gerade an. Eigentlich hatte ich mir die irische Volksmusik etwas „filigraner“ und beschwingter vorgestellt. Sorry, aber ich fürchte, mit dieser Musik kann ich nichts anfangen.

Themawechsel! Diese Mail habe ich mit enttäuschten Erwartungen begonnen, und ich denke das ist ein interessantes Thema. Wir alle leben in dem Korsett der Erwartungen, die unsere Umwelt an uns hat, oder von denen wir denken, dass unsere Umwelt sie an uns hat. Eigentlich tun wir ständig nichts anderes, als uns Gedanken darüber zu machen, was unsere Mitmenschen von uns erwarten, und uns zu bemühen diese Erwartungen zu erfüllen – oft auch völlig unbewußt. Man möchte niemanden enttäuschen. Ich denke das gilt in noch viel höherem Maße für Künstler, die davon leben, dass sie Erwartungen erfüllen oder gar übertreffen. Was erwarte ich also z.B. von unseren Hauptakteuren Anderson und Fogerty?

Von Mr. Fogerty um 1970 erwarte ich zunächst einmal, dass sein Hemd kariert ist. Das klingt wie ein Witz, ist aber keiner. Zu Fogerty’s Erscheinungsbild gehört einfach, dass er kariert aussieht, und wenn er nicht kariert ist, dann bin ich enttäuscht. Es gibt 2 oder 3 Videos, in denen die Karos auf seinem Hemd so kontrastarm sind, dass es aus einiger Entfernung wie einfarbig aussieht. Das sticht mir sofort ins Auge. Ich bin verwirrt und irritiert. Kann es sein, dass das Hemd nicht kariert ist? Ich starre aufs Hemd, kneife die Augen zusammen, ob ich dann vielleicht doch Karos erkennen kann, auf die Musik achte ich schon längst nicht mehr. Dann geht die Kamera näher ran und ich sehe – ah, da sind ja doch Karos drauf, alles in Ordnung, ich kann aufatmen und mich erleichtert zurücklehnen. Und dann erst denke ich „Spinnst Du eigentlich?“. Es ist ein interessantes psychologisches Phänomen, das sich sicher lohnen würde näher zu ergründen. Zur rein optischen Gewöhnung – und der Mensch gewöhnt sich bekanntermaßen nur ungern um – kommen die Zweifel an der eigenen Menschenkenntnis. Da denkt man, man kennt einen Menschen seit über 35 Jahren, und dann muss man plötzlich feststellen: Er trägt auch unkarierte Hemden. So etwas verunsichert.

Desweiteren erwarte ich, dass das, was er singt, nicht klingt wie Mary Don’t You Weep. Nach diesem Video hätte ich fast geheult, ich habe zweimal Witch’s Promise gebraucht, um die Fassung zurückzuerlangen. Auch ich habe meine Erholungsvideos, und gegen süßlich-schmalztriefend, was ich besonders schlecht verkrafte, hilft Witch’s Promise am besten. Ansonsten habe ich eigentlich keine besonderen Erwartungen, das Übliche eben. Er sollte was singen, wenn möglich dazu ein bißchen Gitarre spielen, und falls er was sagt, keinen allzu großen Blödsinn reden. Das war’s dann auch schon.

Sollte ich jetzt aber ein neues Video entdecken mit der Überschrift „Jethro Tull – Thick As A Brick 1972 live Part2“ von TullTapes (nein, Ihr braucht jetzt nicht danach zu suchen, das gibt’s nicht, das ist nur Wunschdenken), dann würde ich einen Meter hoch vom Stuhl aufspringen, eine Flasche Champagner kaltstellen… nein, ich will Euch jetzt nicht mit dem ganzen Vorbereitungs-Prozedere langweilen. Vermutlich würde ich auch nichts von alledem tun, da ich reflexartig innerhalb von Millisekunden dieses Video anklicken würde, bevor mein Gehirn auch nur an Champagner denken kann. Was ich dann erwarten würde, wäre nicht weniger als ein Paradoxon: Ich würde erwarten, dass ich etwas zu sehen bekomme, das ich nicht erwarte. Etwas Sensationelles eben, das ich mir noch nicht einmal vorstellen kann.

Wenn man es geschafft hat, in seinen Mitmenschen eine derartige Erwartungshaltung aufzubauen, dann hat man eigentlich ausgespielt, dann sitzt man in der Falle. Solche Erwartungen kann man auf Dauer nicht erfüllen, da bleibt nur noch eins: Man schert sich einen feuchten Sch***rott um das, was von einem erwartet wird, und tut etwas ganz anderes. Am besten das genaue Gegenteil, oder einfach sonst etwas Schreckliches, Fürchterliches, Entsetzliches. Jedenfalls irgend etwas, mit dem man erreicht, dass diese unerfüllbaren Erwartungen so heftig enttäuscht werden, dass sie eines jähen Todes sterben. Diese Strategie scheint Mr. Anderson nun schon seit einigen Jahrzehnten zu verfolgen.

Bei mir hatte er damit Erfolg. Meine Erwartungen sind inzwischen auf knapp über den absoluten Nullpunkt gesunken. Finde ich ein neues Video mit der Überschrift „Jethro Tull – Thick As A Brick 2007 live“, dann gehe ich folgendermaßen vor: Ich mache zuerst einige entspannende Atemübungen. Dann spreche ich mir selbst Mut zu, indem ich mir sage, dass es eigentlich nichts Schlimmeres geben kann als das, was ich bereits gesehen habe, und dass ich das ja auch überlebt habe. Schließlich klammere ich mich am Stuhl fest und klicke das Video an. Wenn ich das Video überstanden habe, ohne vom Stuhl gefallen zu sein, und ohne laute Entsetzensschreie von mir gegeben zu haben, dann fühle ich mich bereits positiv berührt. „Hm“, denke ich mir, „das war ja garnicht so schlimm, da kann ich ja auch mal ins Konzert gehen.“ Wenn man bei seinen Fans eine derartige Erwartungshaltung erzeugt hat, ist das eine Basis, auf der man aufbauen kann. Von da an kann es eigentlich nur noch aufwärts gehen.

Um es noch einmal kurz zusammenzufassen. Ein einfaches Konzept, wie das von Mr. Fogerty – eingängige Melodie, starke Stimme, kariertes Hemd – lässt sich durchaus 40 oder mehr Jahre durchhalten, solange einem die dafür notwendigen Melodien einfallen, die Stimme mitmacht und es karierte Hemden gibt. Dieses Glück war Mr. Fogerty bislang beschieden. Ein Konzept wie das von Mr. Anderson – jedes Jahr etwas neues, jedes Jahr besser und jedes Jahr sensationeller als im Jahr zuvor – lässt sich unmöglich 40 Jahre durchhalten. Es ist erstaunlich genug, und beweist Mr. Anderson’s Genialität, dass es ihm etwa 10 Jahre lang gelungen ist. Allerdings erklärt das auch noch nicht, warum Mr. Anderson ins Gegenteil verfallen musste: Seine Fans fast jährlich mit neuen Fehlgriffen zu schockieren.

Nachdem ich nun kürzlich meine tiefenpsychologischen Fähigkeiten an Mr. Fogerty angewandt und ihn bis auf den Grund seiner Seele durchleuchtet habe, wäre es wohl eigentlich an der Zeit, nun auch Mr. Anderson dieselbe Behandlung angedeihen zu lassen. Nur muss ich zugeben – da bin ich völlig überfordert. Nicht in meinen kühnsten Phantasien kann ich mir vorstellen, was in seinem Kopf vorgeht. Deshalb bin ich ja überhaupt in diesem Weblog gelandet. Ursprünglich war ich hier von YouTube mal hergesurft, um ein paar Videos anzuschauen. Dann habe ich diesen Link gesehen „Was ist bloß mit Ian los?“. „JA!“ habe ich mir gesagt, „Das ist doch genau das, was ich auch gerne wüßte. Vielleicht steht’s ja hier.“ – klick. Leider, so muss ich gestehen, lieber Wilfried und lieber Lockwood, wurde ich bitter enttäuscht. Ich mußte feststellen, dass Ihr auch nicht mehr wisst als ich, ja dass Ihr bereits mit so einfachen Fragen wie Haar- und Augenfarbe völlig überfordert seid. Da habe ich beschlossen, Euch ein wenig hilfreich unter die Arme zu greifen. An dem Versuch der Beantwortung der Frage „Was ist bloß mit Ian los?“ kann aber auch ich nur hoffnungslos scheitern.

Lieber Wilfried, zu Dir, der Gruppe „Black Out“ und Deinen Gesangskünsten bin ich jetzt noch garnicht gekommen. Aber das verdient eingehende eigene Betrachtung, und deshalb werde ich mich darüber erst in meiner nächsten Mail auslassen. Solange schon einmal vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast die alten Aufnahmen auszugraben und aufzubereiten. Das muss auch entsprechend gewürdigt werden – in meiner nächsten Mail…

Seid lieb gegrüßt
Kretakatze

PS.: Und hier jetzt wie versprochen die Videos zu diesen beiden Textpassagen vom letzten Mal:


Take me back down where cool water flows,
Let me remember things I love,
Stopping at the log where catfish bite,
Walking along the river road at night…

I walked down that boulder road,
Through a child’s eye saw places where I used to go.
Where I crawled barefoot with a fishing pole
To the rock that overlooked that steelhead hole…

Den catfish hat Mr. Fogerty im Green River gefangen, während Mr. Anderson dem steelhead (ich nehme mal an, das ist eine Fischart) in Silver River Turning (mit komplettem Text in der Beschreibung des Videos) aufgelauert hat. Die Texte sind sich so ähnlich, aber wenn man die beiden Titel so kurz hintereinander hört, sticht einmal wieder der enorme Unterschied in Art und Qualität der Musik ins Ohr – es sind extreme Gegensätze.

10.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 71: Stolze Maria in schmutziger, alter Stadt

Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank für die Komplimente zu meinen unvorstellbaren Link-Künsten. So ganz langsam komme ich im 21. Jahrhundert an. Ich gestehe, dass ich mich zwischen zwei IT-Profis manchmal klein und hilflos fühle. Aber dank Wilfrieds geduldiger und effektiver Nachhilfe kann ich die schlimmsten Lücken schließen.

Zum Verhältnis von Abba und CCR (ich glaube, es gibt nicht viele Foren, in denen diese beiden Namen in einem Satz genannt werden):
In meiner letzten mail wollte ich ausdrücken, dass ich es mir nicht vorstellen kann, ein CCR-Lied von den Abba-Damen gesungen zu hören. Das liegt aber allein an meiner schon sprichwörtlichen Unmusikalität und nicht daran, dass es musiktechnisch unmöglich wäre. Ich habe ganz einfach zu wenig musikalische Vorstellungskraft. Das Abba-Cover vom „Midnight Special“ klingt vollkommen nach Abba. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es aus der Feder von jemand anderem stammen könnte. Mit dieser Coverversion ist meine unzureichende Phantasie in musikalischen Fragen unwiderlegbar bewiesen.

Liebe Kretakatze, ich muss zugeben, dass ich Deinen vorangegangenen Beitrag über die Parallelen zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty gründlich missverstanden habe. Ich habe aus Deinen Zeilen das herausgelesen, was ich herauslesen wollte. Du wirst bei mir noch häufiger den Hang zur selektiven Wahrnehmung und kognitiver Dissonanz feststellen müssen. Also, vielen Dank für die Richtigstellung !

Deine Frage, warum Fogerty-Fans so zufrieden mit ihrem Star sind, während Anderson-Fans ganze Bücher mit ihren Lamentis füllen können, finde ich sehr interessant. Fast ein Sinnfrage, gerade für JT-Fans. Hätte ich mich also als junger Mensch für CCR begeistert, so wäre ich jetzt ein zufriedener Mann. Aber das klappte damals nicht und es klappt heute nicht. Wie gesagt, die Musik von Mr. Fogerty ist für mich ok, mehr aber auch nicht. Trotz aller Enttäuschungen der letzten Jahrzehnte habe ich meinen Status als selektiven JT-Fan nie bereut. Es reicht schon, mir einige der alten Tull-Platten anzuhören, um zu wissen, dass ich auf der richtigen Seite stehe.

Zurück zu Deiner Frage: Möglicherweise kennen wir die Antwort. Es ist die Beständigkeit, die die Fogerty-Fans bei der Stange hält. Er ist für seine Fans eine feste und berechenbare Größe. Eine Konstante in ihrem Leben. Der Fels in der Brandung des Zeitgeistes. Etwas, woran man sich klammern kann in Zeiten der Veränderungen und Umbrüche. Er ist jemand, der die Brücke zur guten alten Zeit schlägt, in der bekanntlich alles besser war. Er ist fleischgewordene Nostalgie, ein Bollwerk gegen eine nicht immer lustige Gegenwart und eine ungewisse Zukunft. Im krassen Unterschied dazu hat der aktuelle Mr. Anderson außer seinem Namen nichts, was mich an seine ruhmreichen Zeiten erinnert. Er ist ein anderer geworden. In Aussehen, Stimme, musikalischer Orientierung. Dein Bild der Metamorphosen passt hier sehr gut. Leider.

Abrupter Themenwechsel: Wenn man ein Bild der irischen Folklore zeichnen möchte, sollte man sich nicht zu lange bei den Dubliners aufhalten. Sie sind möglicherweise die populärsten Vertreter dieser Musik jenseits der Insel, aber bestimmt nicht die Besten. Ich möchte dem geneigten Leser an dieser Stelle eine weitere Formation vorstellen: Die Pogues spielten eine gefällige Mischung aus Folk, Rockabilly und Punk. Dabei interpretieren sie Traditionals ebenso wie eigene Werke. Die Pogues zähle ich ebenso wie die Dubliners nicht zu den Archetypen der irischen Folklore, aber sie machen deutlich, wie weit sich dieser Begriff dehnen läßt. Genialer Frontmann der Pogues war Shane McGowan, an dessen Alkoholsucht die Gruppe zerbrochen ist. McGowan ist vielleicht der hässlichste Mann, der jemals freiwillig eine Bühne betreten hat, aber auch das hat einen enormen Wiedererkennungswert. Neben Jethro Tull sind die Pogues für mich die Allergrößten !

Dass Jethro Tull – Fans hochintelligente, gebildete, sprachlich und musikalisch interessierte Intellektuelle mit hohen Qualitätsansprüchen sind, habe ich schon lange geahnt. Nach der letzten mail von Kretakatze wird es zur Gewissheit.

Das Faible für Kate Bush haben wir Drei gemeinsam. Vor einiger Zeit haben Wilfried und ich einige Gedanken zu dieser einzigartigen Künstlerin ausgetauscht. Gerade habe ich mir ihr Video zu Room for the Live noch einmal angeschaut. Ich bin jedesmal hin und weg. Ich habe noch nie einen Bühnendarbietung mit einer stärkeren femininen Austrahlung gesehen als diesen Auftrittt. Mrs. Bush verkörpert hier alles, was eine Frau ausmacht. Vielleicht haltet Ihr mich für einen Macho, aber das Risiko gehe ich ein. Wenn ich einem geschlechtlosen Außerirdischen erklären müsste, was eine Frau ist, würde ich ihm dieses Video zeigen. Kate Bush kenne ich seit ihrem Wuthering Hights, also seit 1978, und damit länger als JT, auf die ich erst später gestoßen bin.

1978 war ich zarte 15 und Ihr müsst Euch klar machen, welche Wirkung dieses Lied auf einen pubertierenden Jüngling haben kann. Irgendwie, wenn auch auf eine andere Art, stehe ich heute noch in ihrem Bann. Wenn ich abends im Bett liege und lese, höre ich dazu oft ihr letztes Album „Aerial“. Sie hat wirklich nichts von ihrer Faszination verloren.

Liebe Kretakatze, es würde mich interessieren, was Du zu Mrs. Bush zu sagen hast.

Das war es von meiner Seite für heute.
Es grüßt Euch herzlich
Lockwood

07.06.2007

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Hi Mädel(s) und Jung(s),

zunächst zu John Fogerty und dem Lied „Proud Mary“. Leider muss ich Dich enttäuschen, Kretakatze, aber bei dem Lied habe ich vor vielen Jahren in der Band lediglich Bass-Gitarre gespielt … und beim Chorus mitgebrummt: Rrrrroollin’, rrrroollin’, rrrroollin’ on the river. Und irgendwie kam dann noch ein Gezirpe a la doo-up-doo-doo-doo (oder so) ab dem Mittelteil hinzu.

Ich habe in den Tiefen meines Archivs geforscht und habe tatsächlich eine Aufnahme auf Kassette gefunden (ich habe zwar noch Tonbänder mit besserer Qualität, aber ohne funktionierendes Tonbandgerät nützen die mir nicht viel). Hier also die legendäre Gruppe Black Out mit „Proud Mary“ (Gesang übrigens von meinem Bruder mit seiner damaligen Frau):

Zur Ergänzung hier eine Version von Ike & Tina Turner-Proud Mary Live 1974.

Durch Lockwoods viele Links zu den Dubliners bin ich auf das folgendes Video bei youtube gestoßen: The Dubliners (Luke Kelly) – Dirty Old Town. Auch das Stück hatten wir gecovert – und mich dazu sogar als Sänger. Und damit sich der Kreis (fast) schließt: Wir kannten das Lied in einer Version von Rod Stewart und der ist bekanntlich Schotte. Ich habe lange überlegt, ob ich es euch wirklich antun soll (Proud Mary sollte für heute eigentlich genug sein). Die Aufnahme ist ziemlich bescheiden und meine Stimme belegt wie ein vielschichtiges Sandwich. Ich habe wenigstens noch die Höhen etwas herausgekitzelt … Nun, denn, ich denke, Ihr wollt es nicht anders: Hier also nochmals Black Out, diesmal mit „Dirty Old Town“:

Jetzt aber bitte keinen zu stürmischen Beifall. Dafür noch etwas zu John Fogerty. Der kommt Anfang Juli (wohl der 3.) tatsächlich nach Hamburg und gibt dort (fast könnte ich hier schreiben) im Stadtpark ein Open-Air-Konzert. Und da treten eigentlich nur die (fast) ganz Großen auf (okay, Jethro Tull ist 2001 und 2003 auch im Stadtpark aufgetreten).

Zum Thema Folklore im Allgemeinem: Sicherlich kannst Du, Kretakatze, nicht viel zur deutschen Folklore, speziell zum deutschen Volkslied, sagen; aber zur griechischen Folklore hast Du doch schon vieles beigetragen, wie anders lassen sich die griechischen Tänze deuten, wenn nicht als Volkstanz. Und Lockwood ist ja jetzt bemüht, uns die irische ‚Volksmusik’ Stück für Stück näher zu bringen. Vielen Dank dafür. Mit der einen oder anderen Ergänzung aus der schottischen Ecke (Irland und Schottland haben viele gemeinsame Wurzeln) kann ich dann vielleicht auch aufwarten.

Ich möchte noch einmal kurz auf das Wort ‚Volkslied’ zurückkommen. Der gute Herder hat den Begriff ja geprägt und die englische Bezeichnung ‚popular song’ hiermit übersetzt. Wir gehören einer Generation an, die noch oft die Begriffe Pop- und Rock-Musik benutzt. Von Pop-Musik spricht heute fast keiner mehr. Und Rock-Musik beinhaltet so viele Schublädchen, dass man darüber schnell den Überblick verliert. Nun ‚Pop’ kommt von englisch ‚popular’ und wird meist im Sinne von populär (bekannt, gängig, beliebt) benutzt. Der begriffliche Zusammenhang mit ‚Volk’ ist dabei verloren gegangen.

Kurz zum Technischen, das mit den Standbildern aus den youtube-Videos: Die Videos können ja angehalten werden, dann macht man eine Hardcopy (des Bildschirms – unter Windows mit der Druck-Taste), fügt das Bild in ein Grafik-Programm ein und bearbeitet es dort (z.B. Ausschneiden). Leider klappt das nicht mit allen Videoformaten (z.B. nicht bei RealMedia). Da benötigt man meist schon Videobearbeitungsprogramme usw.

Ich bin im Internet über diverse Listen der ‘100 greatest guitar solos’ gestolpert und habe mir auch schon viele der Liedchen angehört. Martin Barres Solo auf ‚Aqualung’ findet dabei die entsprechende Würdigung (einmal Platz 25, ein anderes Mal sogar Platz 9). Dem stimme ich gern zu. Es ist allerdings auch vieles dabei, bei dem ich mich frage, was diese Lieder/Soli hier zu suchen haben. Da würde ich Creedence Clearwater Revival mit I Put A Spell On You durchaus eine Chance geben, sich zu platzieren. Und natürlich fehlen mir Gitarristen, die ich für hervorragend halte. Ich weiß, dass das wieder ein neues Thema ist. Ich werde mich vielleicht in einem eigenen Beitrag dazu äußern. Mich würde nur interessieren, welche Gitarristen ihr gut findet (vom guten Martin einmal abgesehen – wer würde ihn als Tull-Fan nicht in den Gitarrenhimmel heben wollen).

Soll von meiner Seite her heute reichen. Wenn ich mich die nächsten Tage etwas rar mache: Wir haben Besuch von den sizilianischen Freunden meiner Frau, die für eine Woche ihre alte Heimat besuchen (ich hatte sie früher einmal erwähnt). Hoffentlich bleibt das Wetter einigermaßen. Und Lockwood, mein Sohn ist dieser Tage in Köln, ja, Kirchentag und so. Von dort sind es ja nur noch rund 80 km bis zu Dir.

Ansonsten schon heute ein schönes Wochenende.
Viele Grüße
Wilfried

P.S. Wir müssen etwas auf unseren Lockwood achten. Vor lauter Linkerei findet er jetzt auch kaum noch den nötigen Schlaf (ach nein, der konnte ja heute ausschlafen, denn er hatte einen Feiertag, Fronleichnam – du auch, Kretakatze? Ich durfte heute arbeiten!)

P.P.S. Dass sich Herr Anderson selbst die Haare färbt, bezweifle ich. Wozu hat er seine Frau? Nein, im Ernst, ich kenne keinen Mann, der sich selbst die Haare färbt, wenn er sie sich färbt. Und die Prominenz lässt sich die Haare von ‚seinem’ Friseur färben. Daher gibt es neben Bank- und Steuer- ja auch das Friseurgeheimnis (siehe Gerdi Schröder, dessen Friseur nach Sibirien verbannt wurde, nachdem dieser gegen jenes verstoßen hatte).

P.P.P.S. Ist ja nun wirklich kein Witz: Ich habe Lockwoods neueste Mail zwar auf der Arbeit gelesen, aber noch nicht die Links ‚gelüftet’. Und was kommt mir da jetzt entgegen: Dirty Old Town von den Pogues (nur zur Klärung des zeitlichen Zusammenhangs: Gestern hatte ich meine alten Aufnahmen eingespielt und auch schon mit dieser Mail begonnen …) Zu den Pogues später wohl etwas mehr. Irgendwie klingt da einiges nach Tom Waits.

07.06.2007

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Hallo Ihr Lieben!

Lieber Lockwood, Du solltest Dein Licht nicht so unter den Scheffel stellen. Außerdem – wir alle neigen zu selektiver Wahrnehmung, und ich kann verstehen, wenn nicht jeder sofort meinen wilden Phantasien folgen kann. Was ich mit „wilden Phantasien“ meine, wirst Du wahrscheinlich an meinem heutigen Beitrag noch erkennen. Deinen Ausführungen betreffend der Frage, warum Fogerty-Fans zufrieden sind und Anderson-Fans nicht, habe ich nichts hinzuzufügen – sie waren schlüssig und umfassend! Trotzdem gibt es von mir heute noch einmal einen Beitrag „volle-Kanne-Fogerty“ (sorry!), aber ich denke, das war dann der letzte in dem Umfang. Zu Deinen Videos und Kate Bush komme ich nächstes Mal, dafür muss ich mir noch ein bißchen Zeit lassen. Und was Abba und CCR betrifft – ich glaube, dass die beiden Gruppen sich musikalisch wesentlich näher sind als Abba und Jethro Tull oder CCR und Jethro Tull.

Manche Dinge erkennt man besser, wenn man sie vor einem kontrastfarbigen Hintergrund betrachtet, und deshalb werde ich jetzt – wie bereits erwähnt – noch einmal Mr. Fogerty bemühen und dabei auch noch tiefenpsychologisch werden. Es wurde hier schon angesprochen, dass ein Grund für den sehr unterschiedlichen Stil – betreffend Musik, Kleidung, Auftreten, eigentlich alles – der Herren Anderson und Fogerty die Tatsache ist, dass der Eine sehr schottisch-britisch und der Andere sehr amerikanisch ist. Ich glaube, das ist erst die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte ist im unterschiedlichen familieren und gesellschaftlichen Background der beiden Musiker zu suchen.

Ian Anderson singt „I come down from the upper class … my father was a man of power…“. Auch wenn er sich anschließend damit brüstet, seinen Vater „zurechtgestaucht“ zu haben, schwingt da doch Bewunderung mit und bestimmt der Wunsch, ihm in diesem Punkte nicht nachzustehen.

Anderson hat schon immer ein gewisser elitärer Anspruch angehaftet. In einem Interview ist es ihm wichtig zu betonen, dass er in seinen Texten versucht hat Worte zu verwenden, die sonst kaum jemand verwendet, und über Themen zu schreiben, über die noch nie ein Anderer geschrieben hat. Seine Texte sind häufig so verklausuliert, als ob sie einen Intelligenztest darstellen sollten. Seine Musik ist für höchste Ansprüche konzipiert, sie besteht vielfach aus komplexen Melodien in komplizierten Rhythmen und ist aufwändig arrangiert. Er ist stolz darauf, auf höchstem Niveau gegen den Strom zu schwimmen und trotzdem erfolgreich zu sein. Auf simplere Gemüter schaut er gerne ein wenig herab.

John Fogerty dagegen verkündet „I’m no senator’s son … I’m no millionaire’s son … I’m no fortunate son…“. Für mich steckt da auch so etwas drin wie „I come up from the lower class“.

Der Fogerty’sche Text entstammt dem Stück Fortunate Son, das üblicherweise als Protestsong gegen den Vietnamkrieg betrachtet wird. In meinen Augen ist es eigentlich eher ein Lied gegen die Ungleichbehandlung von „upper class“ und „lower class“ in der amerikanischen Gesellschaft. Obwohl Fogerty nicht wirklich aus der „lower class“ stammt – seine Mutter war Lehrerin – hat er sich immer mit den einfachen Leuten identifiziert, wie einige seiner Songtexte beweisen. Insofern hat er auch immer nur einfache Songs für’s einfache Volk schreiben wollen. Das Prinzip seiner Musik ist entsprechend simpel: Eine einfache, eingängige Melodie, vorgetragen von einer starken Stimme. Das Ganze muss dann nur noch ein bißchen instrumentell ausgefüttert werden.

An der obigen Version von Fortunate Son (TV-Studio Playback zur Originalaufnahme von 1969) finde ich übrigens noch interessant, dass sie Zeitgeschichte dokumentiert – den Vietnamkrieg und sein Einfluß auf die Rockmusik, andererseits aber auch die Möglichkeiten der Rockmusik, sich politisches Gehör zu verschaffen. Mir ist nicht bekannt, dass Jethro Tull jemals derart politisch geworden wären, aber vielleicht wisst Ihr da mehr als ich.

Auffällig ist an dem Songtext von „Fortunate Son“ aber auch dieses wiederholte „I’m no…son“. Fogerty’s Vater verließ die Familie, als dieser noch klein war, er hat ihn nur wenig gekannt. Soweit in seinen Liedern ein „Dad“ vorkommt – und das tut er an 3 oder 4 Stellen – ist der gerade am Weggehen, oder er schickt seinen Sohn fort. Am bittersten klingt das in dem Titel Porterville

They came and took my Dad away to serve some time,
But it was me that paid the debt he left behind.
Folks said I was full of sin, because I was the next of kin.
I don’t care! I don’t care!…

Vielleicht hat er sich aufgrund des „Makels“, von einem Vater im Stich gelassen worden zu sein, dem er – nach Meinung anderer – wohl auch noch ähnlich ist, auch einfach „lower class“ gefühlt…

Und jetzt möchte ich noch einmal auf das Thema „Band oder Solo-Karriere“ zurückkommen. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass ich glaube Mr. Anderson wäre eigentlich von Natur aus schon immer eher ein Solo-Musiker gewesen. Nach meiner Meinung sollte das Wesen einer Band darin bestehen, dass alle Musiker gleichberechtigt im Team zusammenarbeiten. Natürlich wird immer irgend einer die Führung übernehmen, aber die Arbeit sollte so verteilt sein, dass jeder seinen Beitrag leisten und sich auch im Ergebnis wiederfinden kann. Sonst macht so eine „Teamarbeit“ keinen Spass.

Die wichtigsten Aufgaben in einer Band sind Musik und Texte zu schreiben, das (oder die) Soloinstrument(e) zu spielen und zu singen. Üblicherweise ist der Sänger fürs Publikum die Hauptperson, er ist Gesicht und Stimme der Band, auf ihn sind Augen und Kameras gerichtet, er kommuniziert mit dem Publikum. Er wird also die meiste Aufmerksamkeit bekommen, dahinter müssen die Anderen immer ein bißchen zurückstehen. Wenn aber schließlich alle wichtigen Aufgaben in einer Band praktisch nur noch von einer einzigen Person wahrgenommen werden, wie das bei Jethro Tull und CCR der Fall war (bzw. ist), dann werden die anderen Bandmitglieder schließlich zur Staffage und zur Hintergrund-Dekoration degradiert. Die Kleinarbeit in der Entwicklungsphase der Songs, wenn zusammen an den Arrangements und am Sound gefeilt wird, wird vom Publikum üblicherweise nicht wahrgenommen und auch nicht honoriert. Wer hier welchen Beitrag geleistet hat, ist im Nachhinein nicht mehr zu erkennen. Für kreative Musiker ist das auf Dauer eine ziemlich unbefriedigende Situation. In einer solchen „Band“ wird es eine hohe Fluktuationsrate geben, oder sie zerbricht ganz. Da ist es ehrlicher, Solo zu arbeiten und sich nach Bedarf die erforderlichen Musiker „einzukaufen“ wie es ja Mr. Anderson im Prinzip auch schon seit Jahren tut – nur halt immer noch unter dem Namen Jethro Tull, da der bekannter ist als sein eigener.

Ich denke in diese „Band-Karriere“ ist Anderson nur durch seine Anfänge in einer Schülerband und seine musikalischen Schulfreunde „hineingerutscht“. Natürlich hat er sich in jungen Jahren auch erst noch entwickeln müssen. Bei Gründung von Jethro Tull war vermutlich noch jedes Bandmitglied der Meinung, mehr oder minder gleichberechtigt mitarbeiten zu können. Nach und nach hat dann einer nach dem anderen gemerkt, dass sie neben Anderson keine Chance haben, und sind gegangen. Nachgerückt sind Musiker, die dann schon wußten, auf was sie sich einlassen, und die zumindest eine zeitlang bereit waren das zu akzeptieren. Da dieses System in den 70ern erfolgreich war und gut funktioniert hat, hatte Anderson auch keinen Grund auszusteigen.

Als er es nach 15 Jahren Jethro Tull dann doch versucht hat, war er in einer musikalischen Phase, die eigentlich keiner so recht hören wollte. Entsprechend war der Erfolg bescheiden. Da hat er halt Jethro Tull weitergemacht, das hat sich vermutlich allein wegen des Namens besser verkauft, auch wenn nichts anderes drin war. Aber letztendlich hat er Jethro Tull genau so betrieben, als ob er Solo wäre. Als Band in dem Sinne, wie sich das manche Fans so vorstellen und wie es in den 70ern – zumindest nach außen – auch ausgesehen hat, hätte Jethro Tull nie so lange überleben können. Wäre Anderson von Anfang an ein Solo-Musiker gewesen, wäre musikalisch vermutlich auch nichts anderes herausgekommen, es hätte nur einen anderen Namen gehabt. Um aufzutreten muss man nicht in einer Band spielen, Elton John, David Bowie und Sting treten auch auf.

Bei CCR war die Situation ganz anders, da diese Truppe einen ganz anderen Zusammenhalt hatte. Als sie 1972 endgültig auseinanderbrach, hatte John Fogerty fast die Hälfte seines Lebens in diesem fixen „Familienverband“ verbracht, er war praktisch darin aufgewachsen. Anfänglich hatte man ihn vielleicht nur mitmachen lassen, damit „der Kleine“ halt aufgeräumt ist – als großer Bruder hat man ja manchmal auch Babysitter-Pflichten. Im Laufe der Jahre hat „der Kleine“ den Rest der Gruppe dann einfach überrollt – erst war er besser an der Gitarre als Tom, dann hatte er auch noch die interessanter klingende Stimme (Tom konnte durchaus auch singen) und zum Schluss hat er auch noch die Hits geschrieben. Alle anderen Mitglieder von CCR haben auch Songs geschrieben, dabei ist aber nie ein Hit herausgekommen. Ich glaube nicht, dass es seine Absicht war die Anderen platt zu machen, es ist einfach passiert.

Als Tom 1971 ausgestiegen ist, war wahrscheinlich niemand schockierter als John. Da war nicht irgendjemand gegangen, sondern sein Bruder, und einen Bruder kann man nicht ersetzen. Deshalb blieb die Position des Rhythmus-Gitarristen bei CCR auch unbesetzt. Danach kam in über einem Jahr nur noch eine Platte heraus, zuvor hatten CCR über 3 Jahre hin alle 6 Monate ein neues Album auf den Markt geschmissen – der rote Faden war weg und die Luft war raus. John hat noch versucht was er konnte, durch Kompromisse bei der Arbeit am letzten Album (es entstand nach dem Motto: Jeder schreibt 3 Songs und die spielen wir dann…) wenigstens seine „Restfamilie“ zu retten, aber sie ist ihm unter den Fingern weggebrochen. Ich glaube ich weiß, von wem er sich in diesem Song (Hideaway – hatte ich schon einmal verlinkt – siehe Text in der Videobeschreibung) verabschiedet.

Und ich verabschiede mich jetzt auch für heute, es wird mal wieder Zeit, dass ich etwas anderes tue…


Seid gegrüßt

Kretakatze

PS.: Heute gibt’s als Nachschlag zwei Textpassagen, die eine stammt von Anderson und die andere von Fogerty. Es geht um Kindheitserinnerungen und einen Fluß:

Take me back down where cool water flows,
Let me remember things I love,
Stopping at the log where catfish bite,
Walking along the river road at night…

I walked down that boulder road,
Through a child’s eye saw places where I used to go.
Where I crawled barefoot with a fishing pole
To the rock that overlooked that steelhead hole…

Sicher habt Ihr als Experten den Anderson’schen Text sofort erkannt, aber Ihr werdet zugeben, dass der Inhalt der beiden Passagen doch ziemlich ähnlich ist. Die Links zu den Songs gibt’s dann nächstes Mal.

07.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 70: Von folkloristischen grauen Haaren aus Dublin

Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

bevor ich zu meinem Vortrag über Folklore komme, doch noch einige Anmerkung zu Ansehen und Kleiderordnung bei Rockmusikern. Ich hatte schon einmal einige Bildchen unter dem Motto: Nur älter, nicht schöner … hier an anderer Stelle veröffentlicht. Ja, der Zahn der Zeit nagt unerbittlich an einem, da hilft nichts (oder nur wenig, wenn auch nicht lang, z.B. Haare färben). Herr Anderson ist wahrlich ein doppelt tragisches Beispiel für den Verfall der menschlichen Hülle. Erst fallen ihm die Haare aus, dann versagt die Stimme, genauer: Gesangsstimme, denn seine Sprechstimme ist nach wie vor stabil. Dank an Kretakatze für das kleine sehr aktuelle Video mit dem Interview, zeigt es Ian Anderson, für uns alle überraschend, auch mit grauen Haaren (Ist etwa sein Friseur gestorben?).

Ian Andersons graue Haare

Zu den Auftritten von Tiefseetauchern, Bären und dem weißen Kaninchen Harvey und den geigenden vier Damen unter Lockenperücken usw. bei früheren Tull-Konzerten habe ich noch einmal nachgeforscht, bin aber bisher nicht fündig geworden. Ich erinnere mich nur an Bilder in Musikzeitschriften u.ä. und denke, dass es im Zusammenhang mit „A Passion Play“ gewesen sein musste.

Dass mit der versagenden Stimme bei dem Lied von Nikos Papazoglou finde ich etwas merkwürdig. Das Lied heißt doch auf Deutsch „Niemand singt hier …“, und beim scheinbaren Versagen hat auch gleich ein Zuschauer ein Mikrophon zur Hand (und schließlich singen alle!): Ist das Ganze nicht eine abgekartete Sache? Im Falle von den Dubliners (Fields of Athenrye – lese ich da nicht Athen heraus?) singt das Publikum auch mit – ohne dass es dem Sänger die Stimme verschlägt. Lockwood, ist das ein traditionelles irisches Lied?

Kretakatzes Parallelen zwischen Fogerty und Anderson finde ich ziemlich interessant. Auch ist die Schlussfolgerung im Bezug auf Ian Andersons Experimentierfreude nicht von der Hand zu weisen: Da ist ein festes Team von Musikern eher hinderlich. Warum also doch die Band? Genauso gut kann man fragen, weshalb Herr Anderson immer noch auf Tour geht. Genug Geld müsste er längst haben. Herr Anderson tritt eben gern öffentlich auf, liebt es, sich ‚zur Schau’ zu stellen. Und wie ein großes Kind verkleidet er sich auch gern (z.B. als Pirat, ein am Kopf verletzter Pirat). Da er nicht mehrere Instrumente gleichzeitig spielen kann, so braucht er also ein mehr oder weniger festes Team. Die Betonung liebt auf „mehr oder weniger“ wie an der Personalpolitik von Herrn Anderson abzulesen ist. Jethro Tull als solches ist wirklich längst ein Solo-Projekt. Auf der anderen Seite verkaufen sich CDs von Jethro Tull besser als die unter dem Namen Ian Anderson.

Noch etwas zum Vergleich Fogerty – Anderson: Beide sind stark von ihrer Herkunft geprägt. John Fogerty ist bis heute in vielen Dingen sehr amerikanisch (Kleidung, Musik, sicherlich auch Essen); Ian Anderson ist zum einen Schotte, aber auch ein typischer Brite, der das Extravagante liebt.

Hier also mein kleiner Vortrag zum Thema Folklore. Der passt vielleicht nicht mehr so ganz in den Kontext unseres zuletzt geführten Gedankenaustausches, aber da ich mich nun einmal hingesetzt und folgendes verfasst habe, müsst Ihr Euch das schon einmal anhören (lesen): Ich habe ihn allgemein gehalten, um ihn gewissermaßen allgemeingültig zu halten, wenn im Mittelpunkt auch die deutsche Folklore steht. Zum Volkstanz habe ich mich nur kurz geäußert, dürfte da aber von Kretakatze sicherlich ergänzt werden.

Folklore in Lied und Tanz

Der Begriff „Folklore“ kommt aus dem Englischen und umfasst zunächst alle Überlieferungen aus dem Volk, neben Sprichwörtern, Märchen und ähnlichem natürlich auch Volkslieder, Balladen und Tänze (Volkstänze). Im angelsächsischen Raum hat sich für Volkslieder der Begriff „Folk“ durchgesetzt.

Wir in Deutschland tun uns aus geschichtlichen Gründen etwas schwer mit dem Begriff Volksmusik. Ich schrieb vor längerer Zeit:

Natürlich finde ich „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ und dergleichen auch zum Kotzen. Aber das ist nicht die deutsche Folklore oder nicht allein, sondern immer noch der ‚volksnahe‘ Beitrag, der sich aus der Nazizeit herübergerettet hat. Schriebst Du nicht etwas von Liederjan oder Zupfgeigenhansl (und ‚Schelmish‘)? Da greift man durchaus auf altes, ‚deutsches‘ Liedgut zu, was weder schwarz noch braun angehaucht ist.

Ich sehe hier zunächst eine Zweiteilung. Auf der einen Seite die Volksmusik (Volkslieder), die sich aus langer Tradition entwickelt hat, oft mit politischem Hintergrund und mit Themen besetzt, die den Alltag des (nicht nur) niederen Volkes betreffen. Daneben die volkstümliche Musik (Schunkelmusik), die sich gern als Volksmusik ausgibt, aber die lediglich der Unterhaltung dient (und daher kommerziell ausgeschlachtet wird). Themen hier: Herz und Schmerz und schwarz-braune Haselnüsse. Dieser Art von Volksmusik bedienten sich auch die Nationalsozialisten.

Das deutsche Volkslied hat eine lange Tradition und beginnt mit den Minnesängern und Bänkelsängern. Bereits hier lässt sich diese Zweiteilung beobachten:

• Die Minnesänger, die auch den Grundstein für das Kunstlied legten, dem sich später bekannte Komponisten von Mozart bis Franz Schubert bedienten

• Die Bänkelsänger, die sich mehr den volkstümlichen Liedern (und Moritaten) widmeten

Als „Vater“ des Volksliedes gilt Johann Gottfried Herder, der auch diesen Begriff prägte (Herder gilt übrigens als Meister der Neologismen, so stammt auch der Begriff Zeitgeist von ihm). Und bei ihm begegnen wir auch dem schottischen Volkslied. Überhaupt beschäftigten sich in der Zeit der Romantik u.a. Achim von Arnim sowie Clemens Brentano mit Volksliedern und die Brüder Grimm mit Märchen und Sagen.

Die „Herkunft“ eines Volksliedes lässt sich bereits erahnen. Beim zum Kunstlied erhobenen Volkslied kennen wir in der Regel Dichter und Komponist. Es wurde zum Volkslied, weil es in den Volksmund übergegangen ist. Beim eher volkstümlichen Lied sind beide, Dichter und Komponist, meist nicht mehr bekannt. Auch ein schlicht und leicht fassbares Lied in Text und Melodie ist hierzu zu zählen. Aber es gibt natürlich Mischformen. So gibt es viele Gedichte, die zu einer Volksweise (Melodie) gesungen werden (z.B. „Der Mai ist gekommen“). Auch der schottische „Volks“-Dichter, Robert Burns, bediente sich häufig traditioneller Musik, z.B. „A Man’s A Man for A’ That“. Überhaupt sind es diese Mischformen, die ich vorrangig zur (nicht nur) deutschen Folklore, zu den Volksliedern zähle. Die Lieder, für die wir (sicherlich nicht immer richtig) den angelsächsischen Begriff „Folk“ verwenden, einfach um eine Abgrenzung zum volkstümlichen Lied zu schaffen. Und aus dieser Quelle schöpfen heute viele Musiker, kreieren ihre eigenen Lieder, die dann unter anderen Begriffen wie Folkrock, Politrock usw. an und in unsere Ohren dringen.

Volkslieder beider Art sind meist regional entstanden, haben sich aber oft national ausgebreitet, teilweise auch über die (staatlichen bzw. sprachlichen) Grenzen hinweg.

Wie verhält es sich nun mit Volkstänzen? Musikalisch bedient man sich nach meiner Meinung hier aus beiden Töpfen (Kunstlied und volkstümliches Lied, eher aber letzteres als so genannte Volksweise). Im Gegensatz zu den Volksliedern sind Volkstänze meist regional begrenzt, was u.a. auch mit den durch regional verschiedenen Trachten zusammenhängt. Das lebendige Vorhandenseins dieses Brauchtums ist zudem von Region zu Region sehr unterschiedlich und wird eher in ländlichen Gegenden gepflegt. Dort, wo Volkstänze besonders einem breiteren Publikum (Touristen) vorgeführt werden, greift man eher auf „standardisierte“ Tänze zurück.

Soviel fürs erste. Einen Aspekt habe ich vernachlässigt. Es geht um die Marschmusik, die immer wieder gern in so genannten Volksmusiksendungen gezeigt wird, in Deutschland z.B. irgendwelche böhmischen Blaskapellen; in Schottland die bekannten Drums and Pipes Bands. Wie der Name schon sagt, Marschmusik, gibt es hier eine (pseudo-)militärische Ausrichtung. Sicherlich ein Grund mehr, weshalb mir solche Hitparaden der Volksmusik zuwider sind.

Weiterhin frohe Schaffen!
Viele Grüße

Wilfried

04.06.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Mr. Anderson färbt seine Haare. Seit Jahren. Ich bin froh, dass es nun einen Bildbeweis für meine Behauptung gibt. Ganz kann er sich dem Jugenlichkeits-Wahn also auch nicht entziehen. Findet er, nicht ich. Aber auf mich hört ja keiner.

Die Gemeinsamkeiten zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty scheinen sich auf Personalpolitik und andere Äußerlichkeiten zu beschränken und nicht so sehr auf die Musik. Das erleichtert mich; ich dachte schon, ich hätte wieder die simpelsten Dinge wie Tonart, Rhythmus und Halbtöne nicht erkannt.

Die Fields of Athenrye sind nicht unbedingt ein Paradebeispiel für irische Folklore. Es ist nicht der „klassische“ Folk. Es ist fast wie ein Schlager, wenn auch mit sehr ernstem Hintergrund. Das Lied handelt von der großen Hungerkatastrophe, die die grüne Insel Mitte des 19. Jahrhunderts heimgesucht hat.

Eben so wenig wie das Lied verkörpern die Dubliners die ursprüngliche Folklore. Die Dubs sind mehr für Schunkel- und Trinklieder zuständig. Und auch für Kampf- und Kriegsgesänge, von denen es in Irland reichlich gibt. Natürlich besteht auch an Liebesliedern kein Mangel. Ich habe die Felder von Athenrye trotzdem als erstes Beispiel ausgesucht, um einen sanften Einstieg in die irische Folklore zu finden. Die „echte“ Folklore der Insel ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Will man einen Kulturschock vermeiden, sollte man sich ihr langsam nähern.

The Fields of Athenrye sind erst in den 70er Jahren komponiert worden, also für meine Begriffe zu jung, um als `Traditional` durchzugehen. Der im gelinkten Wikipediatext erwähnte Paddy Reilly ist übrigens niemand anderer als der nette Opatyp, der das Lied im Video singt. Mr. Reilly spielt seit 1995 bei den Dubliners, genau wie hunderte vor ihm und nach ihm. Jethro Tull und CCR stellen nicht die Spitze der Personalfluktuation dar. Ist Euch aufgefallen, wie alt das Publikum in dem Video ist ? Ich schätze das Durchschnittalter auf 61,7 Jahre. Entweder war das Konzert auf Betreiben eines Seniorenclubs zustande gekommen oder die Dubliners erreichen die jungen Menschen nicht mehr. Beides halte ich für möglich.

Wie in meiner kurzen Beschreibung des Dubliners-Repertoire schon angeklungen, scheint sich die Welt der Iren hauptsächlich um drei Dinge zu drehen: Trinken, Liebe und der Kampf gegen die Engländer. Tatsächlich habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Iren den Hass auf alles Englische schon mit der Muttermilch aufnehmen. Betrachtet man die Geschichte der beiden Länder, wird das niemanden wundern. Angefangen bei Edward I, über Henry VIII und Oliver Cromwell bis in unsere Tage wird nicht viel dafür getan, um die politischen Wogen zu glätten. Aber das nur am Rande, ich möchte kein Geschichtsforum eröffnen.

Ich wollte eigentlich nur sagen, dass die Songs einer so populären Gruppe wie den Dubliners zu einem nicht geringen Anteil politisch angehaucht sind. Ohne Zweifel spielen sie Volksmusik, und somit ist Wilfrieds These über das politisch motivierte Volkslied auch für den irischen Teil der Welt untermauert. Und tanzen können die Iren natürlich auch (vermutlich am besten dann, wenn sie genug getrunken haben). Ihre wichtigsten Tänze sind Reel und Jig.

Als eines der katholischsten Länder der Erde (was immer das heißen mag) kennen die Iren auch religiöse Lieder. Hier als Beispiel der Text eines Liedes, das sich so gar nicht nach Kirchenlied anhört. Seit Riverdance wissen wir auch, dass die Iren steppen können.

Einige Gedanken zu der letzten mail von Kretakatze:
Ich bin versucht, Werbung für Israel zu machen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass unsere Kretakatze ihr El Dorado in der Ägäis gefunden hat. Dabei ist Israel von Kreta nur einen Katzensprung entfernt. Nein, im Ernst: Israel ist in erster Linie für den historisch und religiös Interessierten die engere Wahl; tolle Strände, nette Menschen und ein schönes Hinterland finden sich auch anderswo.

Zum Schönheitsideal: Es gibt sicher einige Faktoren, die hier hineinspielen. Ein Anthropologe schrieb einmal, dass wir uns als Partner den Menschentyp aussuchen, der uns von frühester Jugend vertraut ist. Also: ist meine Mutter dunkelhaarig- und äugig, werde ich mir auch eine solche Frau suchen. Wir alle kennen sicher -zig Fälle, die dieser Theorie widersprechen. Jedoch: bei meinen ersten Freundinnen (möge der Himmel ihnen ein glückliches Leben bescheren) war das so.

Liebe Kretakatze, Deine frühe Vorliebe für CCR hat mich angenehm überrascht. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass junge Mädchen in den 70ern Abba, Smokie und Bay City Rollers hörten. Schön zu sehen, dass es auch anders ging.

Mein Bett ruft und ich werde dem nachgeben.
Bis bald
Lockwood

04.06.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

heute muss ich zuerst einmal dem Lockwood ein großes Kompliment machen – er verlinkt inzwischen wie ein Weltmeister, da komme ich ja kaum noch mit. Vielen Dank auch für die zahlreichen interessanten Videos zu den Dubliners. Das muss ich erst noch ein bißchen verdauen. Auf’s erste Hören muss ich allerdings sagen, dass mich davon nichts so richtig vom Hocker reisst. Abgesehen vom angenehmen akustischen Sound klingen die Melodien für mich doch alle ein bißchen – tja, langweilig. Von Rhythmus und Takt erinnert mich alles stark an deutsche Volksmusik, und die spricht mich auch nicht gerade an. Aber wenn ich mich recht entsinne, müsste es eigentlich auch ein paar ziemlich flotte irische Tänze geben, oder? Auf jeden Fall ein sehr interessanter Ausflug auf die „Grüne Insel“, die weißen Flecken auf unserer Landkarte werden immer kleiner.

Lockwood hat außerdem Einiges über Beständigkeit und Wandel im äußeren Erscheinungsbild der Herren Anderson und Fogerty geschrieben. Dem kann ich nur zustimmen. Ich denke beide sind auf ihre Weise Phänomene. Anderson, weil er sich alle paar Jahre so derart wandelt, dass man kaum noch glauben kann dieselbe Person vor sich zu haben – es sind regelrechte Metamorphosen – und Fogerty, weil er über Jahrezehnte hin völlig unverändert wirkt, man kann garnicht glauben, dass schon wieder 10 Jahre um sein sollen. Unter einem Live-Video von Fogerty fand ich z.B sinngemäß den Kommentar: „Ist das wirklich erst dieses Jahr aufgenommen? Ich habe ihn vor 10 Jahren live gesehen, da sah er genauso aus“. Das könnte Mr. Anderson nie passieren.

Lockwoods Ansicht zu Down On The Corner kann ich aber nicht teilen. Für mich ist dieser Titel vom Stil her mehr Pop als Rock und würde daher für Abba bestens passen. Eine Coverversion macht ja auch nur dann Sinn, wenn sie sich in mindestens einem wesentlichen Punkt vom Original unterscheidet, sonst ist sie überflüssig. Und dieser Unterschied könnte in diesem Fall die völlig andere Stimme sein – warum nicht? Dass Abba stattdessen Midnight Special gecovert haben, wundert mich eher. Das hätte ich nicht für ihren Stil gehalten. Andererseits glaube ich, der Titel ist im Original auch nicht von CCR, die haben auch teilweise Songs gespielt, die sie nicht selbst geschrieben hatten. Grapevine gehört z.B. dazu, I Put A Spell On You (für meinen Geschmack ein echter Knaller!) und Nighttime Is The Right Time. Proud Mary stammt aber definitiv aus der Feder von John Fogerty. Es soll wohl eines der am häufigsten gecoverten Stücke überhaupt sein mit mehr als 100 Versionen, und jetzt gibt es auch noch eine Version von Wilfried! Die würde ich aber wirklich gerne Mal hören!

Überhaupt hat der Wilfried ja mal wieder ganz tolle Videos ausgegraben – Danke! Mr. Anderson sieht vergleichsweise richtig chic aus und benimmt sich auch beim Interview nicht daneben – na also, es geht doch! Auch der Gesang war schon schlimmer (man wird ja so bescheiden…). Das „Mother Europe“ klingt richtig gut. Weiter so! Auch die von Lockwood entdeckte Tull-Coverband ist ja wirklich super! Besser als das Original, würde ich sagen, jedenfalls besser als das, was man so in den letzten Jahren vom Original zu hören bekommen hat.

Von Wilfried wüsste ich gerne mal, wie er das mit den Standbildern aus den Videos macht – das könnte ich auch gerne! Übrigens braucht man zum Haare färben keinen Friseur, das macht man zuhause zwischen Wäsche waschen und Wohnung putzen – naja, ich jedenfalls. Mr. Anderson hat wahrscheinlich so viel zu waschen und zu putzen, dass er zum Färben keine Zeit mehr findet. Da er seine Haarreste üblicherweise unter einem Kopftuch verbirgt, wäre Haare färben ja auch nur eine unnötige Geldverschwendung – ein bißchen sparsam muss man schon sein. Mr. Fogerty ist da z.B. bei seiner Haarpracht verschwenderischer. Nur für die Augenbrauen scheint die Farbe dann nicht mehr gereicht zu haben, die sind nahezu weiß (Anschauungsbeispiel).

Und um noch einmal auf den Herrn Papasoglou zurückzukommen – seine Stimmprobleme sind echt, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich denke es ist nicht zu überhören, dass er kaum noch einen Ton herausbekommt. Abgesehen davon gehört er zufällig zu den Musikern, die ich selbst schon live erlebt habe – das war 1989 in Esslingen, einer Griechen-Hochburg im Stuttgarter Raum. Bei dem Konzert sah es aus wie hier im Club (die Sendung scheint in einem Club aufgezeichnet worden zu sein) – alles steht in den Gängen oder in den Reihen, zum Schluss auch auf den Stühlen, und tanzt und singt – ich auch. Das ist nicht gespielt, das ist echt. Der Herr mit dem Mikrophon ist nicht irgendein Zuschauer, ich habe mich auch schon gefragt, wer das sein könnte. Vielleicht der Moderator der Sendung oder der Besitzer des Clubs, in dem die Sendung aufgezeichnet wurde.

Zum Thema Volksmusik, Folk(lore) und Volkstanz fällt mir leider garnichts ein, lieber Wilfried. Ich muss zugeben, dass ich mit dieser Musik wenig anfangen kann, es sei denn sie tendiert zum griechisch-orientalischen oder zum mittelalterlichen. Mit sonstiger mitteleuropäischer Volksmusik habe ich mich sehr wenig befasst. Trotzdem fand ich Deinen Beitrag zu diesem Thema sehr interessant, gerade auch was die Texte des Dichters Robert Burns betrifft.

Aber jetzt noch einmal zu Anderson – Fogerty. Aus Lockwoods Reaktion auf meinen letzten Vergleich schließe ich, dass nicht so richtig deutlich geworden ist, was ich mit meinen vielen Worten eigentlich sagen wollte. Deshalb jetzt noch einmal als kurze Zusammenfassung:

Bislang habe ich lediglich den Werdegang bzw. die Entwicklung der beiden Musiker und ihrer Bands verglichen, zur Musik habe ich mich noch nicht näher geäußert. Die Unterschiede sehe ich vor allem in der Personalpolitik – insofern, als es bei CCR nie eine gegeben hat – und in der Fluktuation – ebenfalls in sofern, als es bei CCR nie eine gegeben hat. Die Band war 12 Jahre lang (von 1959 bis 1971) so statisch wie ein Monolith, um dann, ebenfalls wie ein Monolith, unter den inneren Spannungen einfach zu zerspringen. Jethro Tull dagegen war von Anfang an so dehnbar wie ein Kaugummi. Deshalb gibt es diese „Band“ auch heute noch.

Die Parallelen zwischen Anderson und Fogerty bestehen nach meiner Meinung vor allem in ihrem Werdegang – Beginn in jungen Jahren in einer Schülerband, kleine Auftritte, mäßiger Erfolg, lange Lehrjahre etc. – und in ihrem Wesensmerkmal, durch Fähigkeiten, kreative Ideen, Energie und Durchsetzungsvermögen eine Gruppe so dermaßen zu dominieren, dass Andere neben ihnen keine Luft mehr bekommen und keine Möglichkeit zur eigenen Entfaltung mehr sehen und schließlich das Weite suchen. Als „Äußerlichkeit“ würde ich eine solche Persönlichkeitstruktur nicht bezeichnen.

Ich habe Fogerty nicht deshalb für den Vergleich ausgewählt, weil ich zufällig vor 35 Jahren mal ein Bild von ihm über dem Bett hängen hatte – auch das ist vielleicht ein bißchen falsch rübergekommen. Das Poster hatte ich im Übrigen auch garnicht wegen ihm aufgehängt, sondern weil ich den Drummer Doug Clifford damals ziemlich süß fand. Aber lassen wir diese nebensächlichen Details. Jeder Vergleich macht ja nur Sinn, wenn es eine wesentliche Gemeinsamkeit gibt, von der ausgehend man untersuchen kann, warum dann unterm Strich doch etwas völlig anderes herausgekommen ist. Sonst könnte ich Anderson jetzt auch mit Luciano Pavarotti oder Heintje vergleichen und die wesentlichsten 357 Unterschiede aufzählen – das wäre nicht nur witzlos, sondern auch gähnend langweilig. Gut, den Vergleich Anderson – Fogerty findet Ihr vielleicht auch ziemlich öde, aber mich interessiert er eben gerade.

Die Frage, die ich mir stelle, ist folgende: Zwei Männer mit ähnlichen Voraussetzungen (siehe oben) gründen im Jahr 1967 je eine „One-Man-Rockband“, d.h. sie selbst als „Frontman“ zusammen mit ein paar Musiker-Statisten (oder zumindest entwickelt sich die Gruppe schnell in diese Richtung). Beide sind sie in ihrem Job erfolgreich (Musik machen und verkaufen), trotzdem ist bei dem Einen nach 5 Jahren die „Firma“ am Ende, während sie beim Anderen nach 40 Jahren immernoch läuft. Andererseits hat der „ohne Firma“ nach 40 Jahren begeisterte Fans, die meinen er wäre noch gerade so gut wie damals, während die Fans von dem „mit Firma“ jammern und klagen, dass nichts mehr ist wie vor 30 Jahren. Wie kommt’s?

Gut, das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die beiden aufgrund ihres unterschiedlichen Musikstils auch unterschiedliche Fans haben. Wenn ich mir z.B. die Mädchen ansehe, die hier auf diesem Bild ihre Arme sehnsuchtsvoll über den Bühnenrand recken, dann sehen sie für mich so aus als wären sie nicht älter als ich damals war (ich bin aber nicht dabei…). In einer leicht abgewandelten Version eines bekannten Ausspruchs bin ich versucht zu sagen: „Zeige mir Deine Fans, und ich sage Dir, wer Du bist.“ So fand ich unter einem CCR-Video z.B. diesen Kommentar: „I remember when this whole concert was on TV (I think it was live in 1971 or 72). I was so mad at my parents for not letting me stay up and watch it, even though they knew CCR was my favorite band. I was only 7 though, so now I can forgive them.“
Ich wage zu bezweifeln, dass es sehr viele 7-jährige Jethro Tull Fans gegeben hat. Tull-Fans sind üblicherweise hochintelligente, gebildete, spachlich und musikalisch interessierte Intellektuelle mit hohen Qualitätsansprüchen – so wie wir eben. Und die sind ziemlich schwer zufrieden zu stellen.

Eines möchte ich aber doch zur Ehrenrettung für Mr. Fogerty noch sagen. Ich glaube nicht, dass er nicht weiß, was ein Armani-Anzug ist. Im Stall lebt er auch nicht gerade, auch wenn er um 1970 herum auf der Bühne und im Fernsehstudio in Kleidung erschien, die aussah als wäre er gerade eben von der Feldarbeit hereingekommen – er ist tatsächlich, wie Anderson, auch sehr naturverbunden. In den letzten Jahrzehnten trug er, zumindest bei Filmaufnahmen, meist schwarze Hemden, auch gestreift oder gar gemustert wurde er bereits gesichtet. Ich könnte mir vorstellen, dass er das karierte Hemd nicht zuletzt seinen Fans zuliebe anzieht. Es ist ja auch so herrlich schön und einfach, wenn man nicht mehr braucht als ein Karohemd um bei seinen Fans das 1970-Feeling auszulösen. Davon kann Mr. Anderson nur träumen.

Jetzt lasse ich es für heute wieder erst einmal gut sein. Es ist ja schon wieder so spät – meine Güte…

Seid lieb gegrüßt

Kretakatze

PS.: Lieber Lockwood, warum findest Du es denn so schön, dass ich gerade eine Vorliebe für CCR hatte. Und das, obwohl die doch an Dir so (fast) spurlos vorübergegangen sind? Abba waren, glaube ich, erst später aktuell, so ab Mitte der 70er Jahre. Smokie weiß ich nicht mehr und Bay City Rollers sagen mir nichts. Ich glaube, da war ich aus dem Alter raus… Ach ja, Deine Vorliebe für Kate Bush fand ich interessant. Wegen Kate Bush bin ich erstmals auf YouTube gelandet. Aber dazu vielleicht ein andermal.

05.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 69: Kleiderordnung

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

John Fogerty’s CCR habe ich nie so richtig wahrgenommen und ich kann noch nicht einmal sagen, warum das so ist. Ihre Musik ist ok, der Gesang ist markant, mit hohem Wiedererkennungswert. Ich kenne zwar ihre Gassenhauer wie Proud Mary, Sweet Hitch Hiker usw, aber viel mehr nicht. Den Hinweis von Kretakatze auf Mr. Fogerty’s Beständigkeit in Hinsicht auf Garderobe und Stimme finde ich sehr interessant. Nicht zuletzt für einen Jethro Tull – Fan. Die Aussage, dass sich jemand jahrzehntelang nicht verändert oder weiterentwickelt, klingt zunächst einmal negativ. Wenn ich hingegen die Entwicklung des Mr. Anderson in den letzten Jahrzehnten betrachte, werden die positiven Aspekte dieser Aussage sichtbar.

Mr. Fogerty hat augenscheinlich seinen Geschmack in Fragen von Hemden, Jeans und Frisur nicht geändert. Er bleibt sich treu, wie man in solchen Fällen sagt. Er ist selbstbewusst genug, um auf jedes Diktat des Zeitgeschmacks zu pfeifen. An der jahrelangen Präsenz von CCR können wir ablesen, dass sich der Frontmann einer Band nicht unbedingt in aufsehenerregende Gewänder hüllen muss, um den Bestand der Gruppe zu gewährleisten. Statt über die Garderobe definiert sich Mr. Fogerty über die Stimme. Nicht das schlechteste Vorgehen für einen Sänger.

Das bringt mich wieder zu Jethro Tull. Mr. Anderson hatte gewiss ebenfalls die Möglichkeit, sich über seine musikalischen Fähigkeiten zu profilieren. Aber nein, in den letzten Jahren greift er zu Outfits, vor denen selbst die Kelly-Family zurückgeschreckt wäre. Ich kann das nicht verstehen. Wenn ich es nicht bereits mehrfach getan hätte, würde ich an dieser Stelle meinem Unmut und mein Unverständnis auf langen Seiten Luft machen.

Um zur Abwechslung einmal etwas Positives über Mr. Anderson’s Bühnenbekleidung zu sagen: Seine historischen Kostüme aus der Mitte der 70er Jahre gefallen mir gut. Sie passten wunderbar zur folkorientierten Musik, der sich die Gruppe damals verschrieben hatte. Und genau hier sehe ich den Unterschied zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty: Die Musik von Jethro Tull hat sich in den fast 40 Jahren ihres Bestehens stark verändert. Wenn nun Mr. Anderson Wert darauf legt, Musik und Kleidung aufeinander abzustimmen, kommt er um einen Wechsel des Kleidungstils nicht herum. Das sehe ich ein und das halte ich auch für richtig. Hinzu kommt, dass ein athletischer 30jähriger in engen Strumpfhosen eine bessere Figur macht als ein untersetzter Endfünfziger. Ich räume also ein, dass Mr. Anderson seine Bühnengarderobe an die jeweilige Musikrichtung und sein Alter angepasst hat. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen, im Gegenteil. Offen bleibt aber die Frage, warum Mr. Anderson seinem Alter und Leibesumfang gerecht zu werden versucht, indem er getupfte Schlabberanzüge und Kopftücher trägt. Wir wissen doch spätestens seit Eric Clapton, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, sich dem Alter entsprechend zu kleiden.

Vor meinem geistigen Auge entsteht gerade folgendes Szenario: Presseempfang für verdiente Haudegen der Rockmusik. Mr. Anderson im Piratenoutfit steht neben Mr. Clapton im Armani-Anzug. Ich denke, mehr muss ich nicht sagen.

Vor einigen Tagen überraschte mich jemand mit der Feststellung, dass der CCR – Song „Down On The Corner“ gut zu Abba gepasst hätte. Es mag sein, dass es Parallelen gibt, wenn man die musikalischen Parameter von CCR- und Abba – Titeln genauer untersucht. Aber das kann ich nicht leisten. Ich persönlich habe große Schwierigkeiten damit, die glockenklaren Stimmen der Abba – Frauen und die Synthi-Popmusik der Schweden mit der kernigen Stimme und dem urwüchsigen Rock’n’Roll des Mr. Fogerty unter einen Hut zu bringen.

Aber, meine lieben Freunde, jetzt haltet Euch gut fest: Zu meinem großen Erstaunen stellte ich heute rein zufällig fest, dass Abba einen CCR-Song gecovert haben ! Es handelt sich um „Midnight Special“. Leider ist die Abba -Version bei youtube nicht verfügbar. Das ist nicht verwunderlich: Ich kenne die Abba – Version aus einem Sammelalbum, das bisher unveröffentlichtes Material enthält. Ich gehe also davon aus, dass diese Coverversion nie als Single erschienen ist.

Die Tatsache, dass Abba ein Lied von CCR covern, reicht mir als Beweis dafür, dass es in der Musik dieser beiden Formationen keine so großen Unterschiede gibt, wie mein unzureichender Musikverstand mich das bisher glauben machen wollte. Tja, man lernt nie aus.

Mit dieser positiven Feststellung verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch ein wunderbares Wochenende !

Lockwood

01.06.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

was John Fogerty und CCR anbelangt, ist es mir ähnlich wie Lockwood gegangen, ich habe sie gelegentlich im Radio gehört oder bei Freunden, auch im Fernsehen gesehen, fand die Musik ganz gefällig, aber die Gruppe gab mir keinen weiteren Anlass, mich näher mit ihr zu beschäftigen. Gehört und fast schon wieder vergessen. Die Titel, die Lockwood genannt hat, kenne ich natürlich auch. Und Proud Mary (in der Interpretation mit Ike und Tina Turner) habe ich sogar früher mit meiner Band gecovert (das Original ist von CCR?).

Nun, Lockwood ist ja wohl nicht nur unser DNA-Spezialist, sondern auch für die ‚hohe Schneiderkunst’ (Haute Couture) zuständig. Ob Herr Fogerty überhaupt weiß, was unter Armani zu verstehen ist, bezweifle ich fast (von Armani dürften seine Jeans nicht stammen). Herr Anderson wird sicherlich nicht ständig in Anzügen dieser Marke herumlaufen, aber vielleicht hat er doch den einen oder anderen im Kleiderschrank. Neben den 20 Piratenkostümen besitzt er doch einiges Tragbare für den festlichen Anlass wie im Kloster Laach-Auftritt zu sehen war. Ich habe da übrigens ein hübsches Video von Jethro Tull zugespielt bekommen (Living in the Past), das zeigt Herrn Anderson mit Zylinder (muss aus dem Jahre 1993 stammen, da für das 25th Anniversary box set Werbung gemacht wird; Dave Pegg hatte wohl gerade die Gruppe verlassen und Jon Noyce kam erst 1995, wenn ich richtig informiert bin. So muss sich Herr Anderson für diesen Auftritt vom Arbeitsamt einen arbeitslosen Bassisten geholt haben). Ich bin nun wirklich kein Modekenner (und bewege mich auch eher im Fogerty’schen Geschmackslevel), aber das Jackett von Herrn Anderson erinnert mich an Batik-Arbeiten (oder ist ein Muster aus der Kunst der Maya?), modisch also sehr ‚gewagt’. Von dem Teil muss er mehrere Stücke besessen haben, ich erinnere mich an einen Auftritt mit Mandokis Soulmates im deutschen Fernsehen, bei denen er ähnliches trug (ich hab nachgeschaut, tatsächlich – das gleiche Stück – und schnell bei youtube eingespielt: Soulmates „Mother Europe“):

Die Stimme von Ian Anderson ist auf dieser Aufnahme (Living in the Past) bereits stark angekratzt, daher ist der instrumentale Teil etwas gedehnt worden, was ich aber sehr hörenswert finde (auch Martin Barres Gitarrenspiel).

Weiteres dann später (auch meinen „Folklore“-Vortrag und weiteres zu den letzten Griechenland-Videos).

Ich wünsche Euch eine angenehme Woche.
Bis bald

Wilfried

P.S. Ich bekomme gerade eine Mitteilung von dem Typen, der das „Living in the Past“-Video ins Netz gestellt hat: Ich nehme alles zurück (von wegen arbeitsloser Bassist): Der langmähnige Mensch ist angeblich kein anderer als der Sohn von Dave Pegg, Matt Pegg, der auch ab und zu bei Tull ausgeholfen hat. Interessant auch ihn einmal in Bild und Ton zu erleben!

03.06.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Wilfrieds Hinweis, dass Mr. Fogerty ebenso weit von Armani-Anzügen entfernt ist wie Mr. Anderson, ist an dieser Stelle berechtigt. Seit Maria Laach wissen wir, dass Mr. Anderson auch edlen Zwirn im Kleiderschrank hat, aber er hält es damit wie ich; die guten Stücke werden nur zu Weihnachten herausgeholt. Es gibt drei Gründe, warum ich keine Armani-Anzüge trage: Erstens sprengen sie mein Budget, zweitens würden sie in meiner Größe überhaupt nicht mehr gut aussehen und drittens habe ich keine Gelegenheit, so feines Tuch zu tragen. Aber an Mr. Clapton sehen sie topp aus!

Den Zylinder trug der Meister bei mehreren Gelegenheiten, wie ich dem Bildteil des Songbook entnehmen kann. Ich finde, er steht ihm gut zu Gesicht und macht einen schmalen Fuß. Jedenfalls passt dieser Aristokraten-Helm besser zum British Way of Live als der Kopfverband.

Das Jackett aus „Mother Europe“ ist zwar modisch gewagt, geht für meine Begriffe aber in Ordnung. Ich bin nicht grundsätzlich gegen modische Extravaganzen; ein Rockmusiker sollte sich in seiner Garderobe schon von einem Finanzbeamten unterscheiden.

Ich wusste nicht, dass Mr. Anderson schon seit den 90er Jahren bei Mandoki’s All-Star-Band mitspielt. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass diese Truppe sich erst vor einigen Jahren formiert hat, um bei Thomas Gottschalk aufzutreten. Bis auf den Meister und Herrn Mandoki kenne ich niemanden aus der Band. Und Herrn Mandoki kannte ich bis dahin nur als musikalischen Steppenreiter. Ihr wisst schon: „Dschingis Khan“, die deutsche Antwort auf die „Village People“.

Liebe Kretakatze, ich hoffe, Du verzeihst Wilfried und mir, dass CCR an uns spurlos vorübergegangen sind. Erst meine Probleme mit der griechischen Musik und jetzt das. Bitte bleibe uns gewogen und gib uns noch eine Chance !

Vor einiger Zeit fragtest Du nach einem Beitrag zur irisch-schottisch-bretonisch-gälischen Folklore. Ich picke jetzt wahllos ein Stück dieses Genres heraus und stelle es zur Diskussion. Falls es Euch nicht gefallen sollte, habt bitte keine Hemmungen, das auch zu sagen.

Übrigens: Durch Zufall entdeckte ich eben ein Video einer weiteren Jethro Tull – Coverband. Musikalisch in Ordnung, aber eben nicht das Original.

So, genug für heute (am 7. Tage sollst Du ruhen !).
Ich wünsche Euch eine sonnige Woche

Lockwood

03.06.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

es ist wirklich immer wieder interessant, was man so aus fernen Landen hört, und inzwischen haben wir ja schon eine ganz nette Reise hinter uns – von Schottland über Island, Spanien und Kreta bis nach Israel. Ich war noch in keinem dieser Länder (außer Griechenland natürlich), mich hat es immer einseitig nur in eine Gegend gezogen. In nordischen Ländern ist es mir zu kalt – ich bin ein sehr wärmebedürftiger Mensch – und Israel ist wohl auch nicht für mich geeignet, denn ich bin weder blond noch attraktiv.

Schönheitsideale sind überhaupt auch ein interessantes Thema. Woher kommt es, dass ein Mensch oder sogar ganze Völker nun z.B. gerade blonde Haare für erstrebenswert erachten. In anderen Kulturen sind es auch kleine Füße, lange Hälse oder gar „angespitzte“ Zähne. Teilweise führt dieses Streben nach Schönheit regelrecht zur Selbstverstümmelung – auch Piercing würde ich dazu zählen. Da sind blond gebleichte schwarze Haare noch vergleichsweise harmlos.

Schönheitsideale unterliegen dem Wandel der Zeit. Häufig sind sie von Vorbildern abgeleitet, denen man nachzueifern versucht. In verschiedenen Epochen galt ein „griechisches Profil“ als schön, da man die Griechen der Antike wegen ihrer Kultur und Bildung bewunderte. In südlichen Ländern gilt offensichtlich ein mittel- oder nordeuropäisches Aussehen als attraktiv, vermutlich da man zu den Mitteleuropäern wegen ihres wirtschaftlichen Erfolgs und ihres politischen Einflusses aufschaut. In Mitteleuropa dagegen legt man sich ins Sonnenstudio um sich die Haut zu bräunen, um wie ein Südländer auszusehen, da das so gesund und naturverbunden wirkt. Es scheint – wie meist im Leben – besonders das erstrebenswert zu sein, was man nicht hat und was nur schwer zu erlangen ist.

Manchen Menschen kann man an ihrem Äußeren bereits ansehen, welche Vorbilder sie haben. John Fogerty z.B., den ich ja letztes Mal schon kurz erwähnt habe, und zu dem ich heute noch einmal ausführlicher kommen werde, scheint wohl ein Bewunderer der Beatles gewesen zu sein. Das lässt zumindest seine Frisur vermuten.

Wer nun vielleicht das Vorbild für Ian Anderson’s Löwenmähne gewesen sein könnte, vermag ich nicht zu erraten, aber in dieser britischen TV-Sendung vom 16.03.2007 sagt er etwas, das sehr aufschlussreich ist in Bezug auf die Frage, was ihn zur Wahl dieser Haartracht bewegt haben könnte. Diese Sendung war im Übrigen kein Interview, sondern eine Art Boulevard-Magazin, in dem es um die „Seitenlage“ des Scheitels eines britischen Oppositionspolitikers ging. Mr. Anderson wurde wohl als Experte für „haarige Angelegenheiten“ eingeladen. Sein Auftritt beginnt etwa bei 0:50 (leider kann man bei diesen Videos ja nicht in der Mitte aufsetzen), etwa ab 1:20 beschreibt er wild gestikulierend, wie die Haare von Personen aussehen, die wir sympathisch finden, und den entscheidenden Satz sagt er etwa bei 1:40 – „We love the guys with the crazy, fly-away hair“. Also ungefähr so wie bei diesem Herrn hier.

Mr. Anderson möchte also geliebt werden. Wer möchte das nicht? Leider hat es die Natur nicht gut mit ihm gemeint und ihn eines Großteils seiner Haarpracht beraubt. Wenn er wollte, könnte er aber heute sicher auch noch so ähnlich aussehen wie dieser Herr, mit dem er außer den Haarproblemen ja auch noch die Stimmprobleme gemeinsam hat – wir erinnern uns (mit Grausen). Aber offensichtlich möchte er das nicht. Er hat sich wohl gesagt „Entweder – oder, halbe Sachen mach‘ ich nicht“, hat die verbliebenen Haare abrasiert bis auf Streichholzlänge und versteckt diese rudimentären Reste nun noch unter einem Kopfverband. Das könnte man fast schon als Trotzreaktion betrachten.

Soweit zur Schönheit des Mr. Anderson. Jetzt möchte ich aber noch einmal zum Vergleich Anderson – Fogerty zurückkommen, den ich letztes Mal so kurz und provokativ angerissen hatte. Würde ich es bei diesen wenigen Worten belassen, dann würde ich wohl beiden Herren unrecht tun. Wie ich nun gerade auf John Fogerty komme, wo er auf den ersten Blick mit Mr. Anderson so gut wie nichts gemeinsam hat?

Creedence Clearwater Revival war die einzige Band, von der ich jemals ein Poster über meinem Bett hängen hatte. Das muss um 1971 gewesen sein, denn damals war ich Bravo-Leser, und es war ein Bravo-Poster. Ich war nicht direkt ein Fan, ich habe auch nur eine einzge Single von CCR – für ein Album hat mein damaliges Taschengeld noch nicht gereicht. Ich hatte ja nicht einmal einen Plattenspieler, und im Wohnzimmer hätte ich das nicht hören dürfen. Wie auch immer, als ich dieser Tage auf YouTube gelandet bin, habe ich natürlich auch die alten CCR-Hits ausgekramt und bin dabei auch auf die neuen Videos von John Fogerty gestoßen. Bis dahin wusste ich nicht einmal, dass er überhaupt noch Musik macht. Nach dem Ende von CCR 1972 hatte ich nichts mehr von ihm gehört.

Wohl noch aus meiner Bravo-Zeit weiß ich, dass es ein paar bemerkenswerte Parallelen zwischen Anderson und Fogerty gibt. In den meisten Punkten sind die Beiden aber praktisch exakte Gegensätze, so wie ihre Musik wohl auch die entgegengesetzten Enden der Rockmusik markiert. Fangen wir mit den Parallelen an…

Die Band Creedence Clearwater Revival wurde im Dezember 1967 gegründet – im gleichen Monat wie Jethro Tull! Vorher hatten die Jungs allerdings schon jahrelang unter anderen Bandnamen Rockmusik gemacht. Die Anfänge gehen auf 1959 zurück, als John’s 4 Jahre älterer Bruder Tom Fogerty in El Cerrito, Californien, zusammen mit seinem Freund Douglas Clifford (Drums) die Schülerband Blue Velvets gründete. Der damals 14-jährige John durfte vermutlich mitspielen, da er Tom’s kleiner Bruder war. Einige Monate später stieß dann noch Stuart Cook als Bassist dazu. Damit waren CCR eigentlich schon komplett.

Die Band spielte anfänglich Cover-Versionen aktueller Hits. Gegen Mitte der 60er Jahre begann John dann selbst Songs zu schreiben und löste seinen Bruder Tom nach und nach als Leadgitarrist und schließlich auch als Sänger ab. In dieser Zeit wurden auch schon erste Platten aufgenommen, allerdings mit wenig Erfolg. Die Gründung – eigentlich eher Umbenennung – der Band 1967 fiel zusammen mit einem Wechsel in der Plattenfirma und außerdem dem Zeitpunkt, zu dem sich der Youngster John endgültig auch als Bandleader durchgesetzt hatte.

Gleich das erste Album der Band Anfang 1968 schlug ein wie eine Bombe, 1969 wurden drei weitere Alben veröffentlicht und 1970 zwei. Die ausgekoppelten Singles gaben sich in den Top Ten die Türklinke in die Hand. Spätestens ab 1970 müssen CCR eine der kommerziell erfolgreichsten Bands der USA gewesen sein. Ich erinnere mich noch, dass sie von den Bravo-Lesern jährlich zur beliebstesten Rockband gekürt wurden.

Der Erfolg seiner Musik führte dazu, dass John Fogerty die anderen Bandmitglieder restlos an die Wand spielte und zu Statisten degradierte. Das konnte nicht lange gutgehen. Als Erster wollte sein Bruder Tom nicht mehr mitmachen, er stieg 1971 aus und versuchte sich in einer wenig erfolgreichen Solo-Karriere. 1972 verließen auch Doug Clifford und Stu Cook die Band, um zusammen mit anderen Musikern eine neue Gruppe zu gründen. Das war das Ende von CCR.

Ich glaube bis hierher kommt Euch die Geschichte so vor, als ob Ihr sie so ähnlich schon einmal gehört hättet. Auch Ian Anderson hatte es bis 1972 geschafft, alle anderen Gründungsmitglieder von Jethro Tull loszuwerden. Allerdings hatte er die „Lücken“ immer sofort wieder mit anderen Musikern aufgefüllt. Er konnte auch auf ein „Reservoir“ von eigenen musikalischen Schulfreunden zurückgreifen, während John Fogerty immer nur mit den Freunden seines großen Bruders musiziert hatte. Trotzdem wäre es für ihn sicher kein Problem gewesen ein paar neue Musiker zu finden, die sich gerne mit ihm auf die Bühne gestellt und auch ein paar Millionen verdient hätten. Aber von den Querelen des Gruppenlebens und dem harten Job eines Bandleaders hatte er offensichtlich genug. Stattdessen nahm er als erstes ein Soloalbum auf, bei dem er jedes Instrument selbst spielte und damit vollkommen ohne andere Musiker auskam. Ein Schritt so demonstrativ und radikal, dass er genauso gut von Ian Anderson hätte sein können.

Überhaupt habe ich mich schon mehrfach gefragt, warum es Mr. Anderson nicht schon viel früher mit einer Solo-Karriere versucht hat. Eigentlich war er in meinen Augen prädestiniert dafür, viel mehr als Mr. Fogerty. Das ist schon in seinem völlig anderen musikalischen Ansatz und Anspruch begründet. Er war immer der Experimentierer, der etwas Neues und Anderes ausprobieren wollte – neue Musikrichtungen, neue Instrumente, neue Formen der Darbietung. Da ist ein festes Team von Musikern eher hinderlich. Er hat das auch selbst einmal in einem Interview angedeutet.

Wenn man in einer Band einen Drummer, einen Bassisten und einen Gitarristen hat, dann kann man schlecht einen Titel z.B. nur für Keyboard, Flöte und Gesang schreiben. Da sind die übrigen Musiker traurig, weil sie nichts zu tun haben. Das lässt sich zwar bis zu einem gewissen Grad dadurch ausgleichen, dass man den Drummer ans Glockenspiel setzt und dem Gitarristen eine Querflöte in die Hand drückt (wie es Anderson ja auch schon getan hat), und wenn man mit Profis arbeitet, dann funktionert das auch. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass man immer eine bestimmte fixe Anzahl Musiker einsetzen muss, nicht mehr und nicht weniger. Und das schränkt die kreativen Möglichkeiten schon ein, ganz abgesehen davon, dass in so einem Team vermutlich manche neue Idee auch sehr schnell im Keim erstickt wird, da der eine Musiker dies und der andere das nicht mitmachen will oder nicht gut findet.

Kommen wir zu Mr. Fogerty zurück. Seine weitere Karriere enthielt mehr Tiefen als Höhen. Die ersten Solo-Platten konnten an die früheren Erfolge nicht anknüpfen, zumal er seinen Musikstil teilweise änderte und sein Repertoire um Gospels erweiterte. Mit Liedern a la Mary Don’t You Weep konnten seine Froschteich-Rock gewohnten Fans nichts anfangen – ich habe es auch fast nicht glauben können. Wie man sieht hat auch Mr. Fogerty musikalische Verirrungen und Verwirrungen hinter sich, wenn auch in eine andere Richtung als Mr. Anderson.

Dazu kamen jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit der ehemaligen Plattenfirma. Es ging um Verträge und die Rechte an den CCR-Titeln. Fogerty durfte seine eigenen Lieder nicht mehr spielen, er durfte nicht einmal etwas spielen, was so ähnlich klang (d.h. von sich selbst abschreiben). Das brachte seine musikalischen Aktivitäten schließlich erst einmal völlig zum Erliegen. Hier zeigt es sich, dass Mr. Anderson beim Abschließen von Verträgen und im Handhaben seiner „personellen Entscheidungen“ vermutlich cleverer war. Dadurch, dass er über jeden personellen Schnitt in der Band zumindest Martin Barre hinübergehoben hat, konnte er vermutlich auch den Namen Jethro Tull und die damit verbundenen Rechte und Pflichten wahren. Inzwischen ist Jethro Tull wahrscheinlich sowieso sein Privatunternehmen.

Bemerkenswerterweise im Abstand von jeweils etwa 12 Jahren gelangen Mr. Fogerty noch erfolgreiche Alben – mit „Centerfield“ erreichte er 1985 die Spitze der amerikanischen Album Charts, und mit „Blue Moon Swamp“ gewann er 1997 einen Grammy. Dazwischen lag noch ein weniger erfolgreiches Album und musikalische Sendepause. Erst seit Ende der 90er Jahre scheint er bei Live-Auftritten auch wieder CCR-Hits im Programm zu haben. Seither wird er anscheinend musikalisch auch wieder aktiver. So verkürzten sich zuletzt die Abstände zwischen neuen Studioaufnahmen dramatisch – nach „Deja Vu“ im Jahr 2004 ist er laut seiner Homepage zurzeit schon wieder in den Studios – da muss sich aber Mr. Anderson langsam mal ranhalten. Außerdem tourt Fogerty seit 2005 auch wieder jährlich durch Europa. Es scheint als ob es ihn beflügelt hätte, dass er sich 2004 nach über 30 Jahren mit seiner ehemaligen Plattenfirma (die inzwischen unter anderer Führung steht) vertraglich einigen konnte und nun auch wieder die Rechte an seinen CCR-Titeln hat. Dieses jahrzehntelange Hickhack um seine Musik muss wie ein böser Fluch auf ihm gelastet haben.

So weit für heute zu meinem Vergleich Anderson – Fogerty. Aber keine Sorge, ich bin noch lange nicht fertig, das war nur die Einleitung. In meiner nächsten Vorlesung werde ich dann im Detail auf Musik, Songtexte sowie Bühnenshow (insoweit man Fogerty’s Auftritte so bezeichnen kann) eingehen. Für heute habe ich Euch aber erst einmal genug gelangweilt.

Ich wünsche Euch einen guten Start in die Woche!

Liebe Grüße
Kretakatze

PS.: Als Anhang gibt es heute noch einen seltenen und ungewöhnlichen CCR-Song. Er wurde erst 1986 auf einer Compilation-Platte veröffentlicht und kann eigentlich nicht wirklich von CCR sein, denn er ist mit einem Keyboard instrumentiert, und bei CCR gab es nie einen Keyboarder. Es ist aber unverkennbar John Fogerty’s Stimme. Vielleicht ein erster Solo-Track? In diesem Video gibt es keine Bilder, dafür ist unter der Beschreibung der komplette Songtext abgelegt: (Wish I Could) Hideaway

03.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 68: Vom Sein und vom Schein

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

ich muss dem Lockwood Abbitte leisten – ich hatte ihm gegenüber behauptet, Sirtaki wird immer nur auf das Sorbas Lied getanzt. Nun habe ich im Internet eindeutige Beweise gefunden, die diese These widerlegen. Zu meiner größten Überraschung haben sich nämlich offenbar die Türken des Sirtaki angenommen und ihn zum Disco-Paartanz weiterentwickelt. Hier zuerst die Sorbas-Variante, bei der zum Schluss auch noch Teller zerschlagen werden – eine Tradition, die eigentlich zum Seimbekikos gehört. Sei’s drum, in den Sirtaki kann man alles reinpacken, da muss man es nicht so genau nehmen. Das sieht man auch bei diesem von Türken getanzten Sorbas-freien Paar-Sirtaki – er scheint mir gar Elemente aus dem Flamenco zu enthalten, teilweise kommt er mir jedenfalls irgendwie spanisch vor…

Und da wir gerade bei multikulturellen Tänzen sind, hier noch ein weiteres Kuriosum: Ein Tanz aus Sri Lanka. Im ersten Moment habe ich tatsächlich selbst geglaubt, dass diese ceylonesischen Tänzerinnen auf das armenisch-griechische Lied tanzen – es passt perfekt. Und wenn man das 12-saitige Banjo nicht sieht, dann denkt man fast man hört eine indische Sitar… Zum Vergleich hier noch das Original, dem der Ton entnommen wurde: Dinata Dinata. Dieses Lied ist überhaupt sehr vielfältig einsetzbar, so war es auch bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2004 in Athen der musikalische Hintergrund fürs Feuerwerk.

Tja, was der Einzelne aus einer Musik heraushört oder wo er Ähnlichkeiten zu entdecken meint, das scheint doch individuell sehr verschieden zu sein. Das griechische Lied „Mavra Matia“ klingt also schottisch und „Fat Man“ ist indisch – da wäre ich nie drauf gekommen. Tatsächlich gehört Fat Man z.B. zu den Titeln, die ich zwar seit Ende der 70er kenne, deren Existenz ich aber völlig vergessen hatte, da ich damals nichts mit ihnen anfangen konnte. So war ich erst vor zwei Monaten ziemlich überrascht das „Stand Up“- Album in meinem Regal zu finden – ich war fest davon ausgegangen, dass ich es nicht besitze. Erst als ich es wieder in den Händen hielt erinnerte ich mich schwach, dass es wohl so um 1980 herum einmal ein Geburtstagsgeschenk von meinem Bruder gewesen sein muss. Ich habe es einmal gehört, fand die Musik schrecklich, habe es in den Schrank gestellt und geistig verdrängt. Als ich die Platte jetzt aufgelegt habe fand ich einige Stücke durchaus hörenswert, und besonders Fat Man klang in meinen Ohren sofort vertraut – so griechisch eben.

In mancher Hinsicht verstehe ich Dich ja, lieber Lockwood. Ich muss zugeben, dass mir die traditionelle griechische Volksmusik auch nicht von Anfang an gefallen hat. Als Tourist ist man die übliche Bousouki-Musik gewöhnt und die „Laika“, die beim Griechen um die Ecke zum Souflaki aus dem Lautsprecher dudeln. Unter „Laika“ versteht man übrigens in Griechenland so ziemlich alle populäre Musik, die nicht älter als 100 Jahre ist, es ist also ein sehr weit gefasster Begriff. Auch große Teile der Musik von Mikis Theodorakis oder Jannis Markopoulos fallen darunter. Wie auch immer – als ich das erste Mal auf Kreta bei einem Tanzfest mit traditioneller Lira-Musik konfrontiert wurde, empfand ich das auch als ein furchtbares Gejaule (das habe ich natürlich niemandem gesagt…). Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mit diesen Klängen warm geworden bin, und es war dazu nötig darauf zu tanzen. Ich glaube diese Musik kann sich einem überhaupt nur beim Tanzen erschließen. Die Hoffnung, dass ich Tanzmuffel wie Euch davon begeistern kann, habe ich daher längst aufgegeben.

Wie ich schon einmal erwähnt habe, kann sich das Musik-Bedürfnis oder das Musik-Empfinden im Laufe der Jahre ändern, und ich bin davon überzeugt, dass ich nicht zuletzt wegen meines Ausflugs in die griechische Musik (wenn man 25 bis 30 Jahre als Ausflug bezeichnen kann) heute Zugang zu manchen Jethro Tull Stücken habe, mit denen ich in den 70ern nichts anfangen konnte – Fat Man, Witch’s Promise und A Passion Play gehören dazu. Im Laufe der Jahre haben sich meine Ohren an wilde Taktwechsel, schräge Rhythmen und dem üblichen mitteleuropäischen Musikgefühl zuwiderlaufende Melodien gewöhnt. Heute kommt mir das alles vertraut vor.

Schade, lieber Lockwood, dass Du mit der griechischen Musik so garnicht zurecht kommst. Was Du für Probleme mit der Sprache hast, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, und eigentlich kann doch Deine Abneigung gegen griechische Musik nicht schon immer so bestanden haben. Schließlich hast Du Dir selbst einmal freiwillig (nehme ich doch an) die „20 Sirtaki von Mikis Theodorakis“ gekauft. Das hätte ich jetzt nicht getan, Sirtaki ist nicht so mein Fall – für mein Empfinden zu langsam, öde und oberflächlich.

Aber wechseln wir das Thema, bevor der arme Lockwood noch über meinen langatmigen Ausführungen einschläft. Kommen wir zu roten Hüten, Piratenlook und gepunkteten Seiden-Pyjamas. Mir ist schon klar, dass das Golders-Green-Outfit eine Art modifizierten Reitdress darstellen soll, wie er in England z.B. zur Fuchsjagd getragen wird – durchaus sehr passend, wenn man beabsichtigt in einem Hippodrom ein Hunting Girl auf Velvet Green zu treffen. Zu solch einem Reitdress gehört auch eine Kopfbedeckung, im Original allerdings eher eine Art schwarze Reiterkappe, nicht gerade eine rote Melone. Da Mr. Anderson mit Reitkappe aber vermutlich auch nicht geistreicher ausgesehen hätte, will ich mich über den roten Hut ja garnicht mehr beschweren. Ich habe mich praktisch an ihn gewöhnt, man kann damit leben.

Auch das Piraten-Kopftuch finde ich garnicht mehr so schlimm, seit mir klargeworden ist, dass Mr. Anderson sich doch nur für einen pontischen Kriegstanz zurechtmachen will. Dass er dazu sein aktuelles Bühnen-Outfit noch arg aufpeppen müsste, finde ich nicht einmal – noch zusätzlich ein schwarz gefärbtes Bettlaken um den Kopf drapiert und ein altes Brotmesser in den Gürtel gesteckt – fertig! Wie ich Dich, lieber Wilfried, inzwischen kenne, könntest Du den Meister in Minutenschnelle mit diesen Utensilien ausstatten. Die Griechen würden ihn dann sicher mittanzen lassen, zumal er auch von Alter und Statur her perfekt zu ihnen passen würde und ihm die erforderlichen Tanzbewegungen keine Schwierigkeiten bereiten sollten.

Den gepunkteten Pyjama zum gleichfarbigen Kopfverband fand ich zwar auch nicht besonders geschmackvoll, übler fand ich da aber noch diesen Schmuddel-Look aus der „Under Wraps“-Tour, wo Anderson aussieht, als ob er zuvor 2 Wochen ungewaschen und unrasiert unter einer Brücke übernachtet hätte, oder diesen Halbstarken-Look mit unappetitlich durchgeschwitztem Lederwestchen auf blanker Männerbrust, in dem er Anfang der 90er Jahre auf Bühnen und im Fernsehen zu bewundern war. Der Gipfel ist für mich aber doch der Tampa-Auftritt, vielleicht weil es einfach ein so krasser Fehltritt zwischen den für meinen Begriff durchaus geschmackvollen und passenden Kostümen der Jahre davor und danach war, und weil mir die Bilder auch farblich einfach in den Augen brennen. Ab 1980 gab es ja dann eigentlich fast nur noch Fehltritte, da hat man schon garnichts anderes mehr erwartet. Aber dieses Thema habt Ihr sicher auch schon bis zum Abwinken behandelt.

Nun will ich doch noch einmal zu Tänzen zurückkommen (der arme Lockwood…), denn der Wilfried war ja fleißig und hat einen schottischen Tanz auf YouTube gestellt. Das bietet natürlich interessante Vergleichsmöglichkeiten. So arg viel Ähnlichkeit mit griechischen Tänzen kann ich aber nicht entdecken. Zum einen klingt der Dudelsack für meine Begriffe vergleichsweise schrill – vielleicht liegt’s auch am Ton. Der griechische dudelt jedenfalls für meine Ohren angenehmer. Dann handelt es sich offensichtlich um einen Tanz, den jeder für sich allein tanzt, auch wenn das hier vier Personen gleichzeitig tun. Ich kenne nur drei griechische Tänze – Seimbekikos, Tsifteteli (Bauchtanz) und Karsilamas (ein Paartanz), bei denen einzeln getanzt wird. Bei allen anderen Tänzen fasst man sich irgendwie an: Hand-Fassung (Sirtos, fast alle pontischen und makedonischen Tänze), Schulter-Fassung (Chasapikos, Pentosalis, Sirtaki und verwandte), Hand-Überkreuz-Fassung (z.B. Sonaradikos), Gürtel-Fassung (Tanz habe ich vergessen). Dieser „Körperkontakt“ ist ein ganz wesentliches Merkmal eines Tanzes, er schafft dieses „Gemeinschaftsgefühl“, das bei diesem schottischen Tanz bestimmt nicht so entsteht.

Und erst als die Kamera näher rangeht sieht man den nächsten gravierenden Unterschied: Da tanzen ja nur Frauen. Und das ist doch ein Schwerter-Tanz – oder? Der ist doch ursprünglich nicht für Frauen gedacht. Aber die tanzmuffeligen Männer glänzen mal wieder durch Abwesenheit und überlassen das Tanzen den Frauen. Typisch für wahrscheinlich fast alle Länder in Europa, außer Griechenland. Dort tanzt jeder vom 2-jährigen bis zum 90-jährigen, Männlein und Weiblein ohne Unterschied. Niemals würde man die Vorführung eines Schwerter-Tanzes Frauen überlassen. Früher durften sie bei Tänzen wie der jetzt schon mehrfach erwähnten Sera (Pontischer Kriegstanz) bestenfalls zur Verzierung dahinter stehen, klatschen oder vielleicht ein paar zaghafte eigene Schritte tun – aber bitte in einer eigenen Reihe und hinter den Männern! Heute dürfen sie auch mittanzen, aber nur im Familienkreis oder bei einem Tanzfest, nicht bei einer Vorführung. Und ja, dieser Tanz wird nicht nur auf der Bühne für Touristen aufgeführt, er wird auch noch privat auf Festen getanzt (da allerdings dann meist in seiner etwas vereinfachten „Verkleinerungsform“ der Seranitsa, bei der schon eher auch Frauen zugelassen sind). Und auch das ist noch ein wesentlicher Unterschied. In Griechenland „leben“ diese traditionellen Tänze noch. Ich wage zu bezweifeln, dass das in Schottland auch so ist.

Ach, der arme Wilfried, jetzt habe ich sein schottisches Tanz-Video völlig niedergebügelt. Aber so war das nicht gemeint, lieber Wilfried, wirklich ein sehr schönes Video, das Du da gemacht hast! Und als versöhnlicher Abschluss hier noch ein Kommentar, den ich auf YouTube unter einem Video des Lieds „Dinata Dinata“ (siehe oben) gefunden habe: Talking about different cultures, I am scottish and if I wasn’t I would love to be Greek! I love everything about the Greek culture from the history, the language to the music! I am hooked!. Na also, sage ich doch – Griechisch und Schottisch, das passt!

Lieber Lockwood, ich muss Dir völlig recht geben: Inzwischen haben sich so viele verschiedene Themen aufgetan, dass man in einem Zug garnicht mehr alle ansprechen kann. Jetzt habe ich mich langsam müde geschrieben, und zu den Mendel’schen Gesetzen bin noch nicht gekommen. Bitte nicht enttäuscht sein, ich fange nächstes Mal gleich damit an, versprochen.

Ich wünsche Euch ein schönes Pfingstfest!

Liebe Grüße

Kretakatze

PS.: Vielen Dank, lieber Wilfried, dass Du versucht hast Mr. Anderson von Beck’s Bier zu überzeugen. In seinem gegenwärtigen Outfit als pontischer Kriegstänzer würde er aber vermutlich auch nicht mehr optimal in eine Bierreklame passen. Ich werde mir noch etwas Besseres für ihn einfallen lassen müssen (man will ja doch, dass er finanziell nicht darben muss…)..

26.05.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

heute muss ich schon wieder eine frühere Aussage revidieren oder doch zumindest relativieren. Sicher werdet Ihr mich hier bald rausschmeissen, wenn ich weiterhin jeden Beitrag mit einem Widerruf beginne, in dem ich meine haltlosen Behauptungen vom Vortag zurücknehme. Wie ich schon einmal erwähnte, komme ich zu meinen Ansichten und Einsichten meist aus dem hohlen Bauch heraus. Manchmal sollte ich den vielleicht doch vorher mit etwas Substanz füllen. Ich werde versuchen mich zu bessern.

Ich hatte, stark vereinfacht, die blonden Haare des Achilles deutschen Archäologen in die Schuhe geschoben – nicht ganz wörtlich natürlich. Das war wohl doch etwas zu schnell geschossen. Später erst ist mir eingefallen, dass der Achilles eine Gestalt aus den Erzählungen des Homer und anderer antiker Schriftsteller ist, und es daher möglich wäre, dass z.B. Homer etwas über seine Haar- und Augenfarbe geschrieben hat. Dann wären die deutschen Archäologen unschuldig.

Ich muss zugeben, dass ich jetzt nicht in den letzten Tagen die Odysee und die Illias durchgearbeitet habe. Nach meiner bescheidenen Kenntnis war Achilles ein (bis auf seine berühmte Ferse) unverwundbarer Halbgott und damit eine Sagengestalt, deren tatsächliche Existenz eher ungewiss ist. Selbst wenn Homer etwas über seine Haarfarbe geschrieben haben sollte, kann man davon ausgehen, dass diese Beschreibung nicht auf eigener Anschauung beruhte. Das heißt: Homer hat die Haare des Achilles vermutlich nie persönlich in Augenschein genommen. Verlässliche Aussagen über Haar- und Augenfarbe des Achilles werden daher wohl noch viel schwieriger zu erlangen sein als verlässliche Aussagen über Haar- und Augenfarbe des Mr. Anderson. Und dies hat sich ja bereits als aussichtsloses Unterfangen erwiesen.

Im Prinzip geht es ja auch nicht speziell um die Haarfarbe des Achilles, sondern darum, ob die antiken Hellenen nur eher vom hellen, mitteleuropäischen Typ waren, oder doch eher dunkelhaarig und dunkeläugig. Ich will nicht ausschließen, dass es Berichte antiker Schriftsteller oder Chronisten gibt, in denen auch die Haarfarbe mancher ihrer Zeitgenossen Erwähnung findet. Ich will auch nicht ausschließen, dass es schon damals in Griechenland blonde und blauäugige Menschen gegeben hat – so wie heute ja auch. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Mehrheit der damaligen Bevölkerung so ausgesehen haben soll. Eine solche „Population“ wäre schon dem Klima und den Lebensumständen nicht angepasst gewesen, und wie ich außerdem bereits erwähnt habe – ich habe noch nie antike griechische Darstellungen blonder Menschen gesehen. Soweit meine langatmige Vorrede.

Nun zur weiteren genetischen Entwicklung griechischer Populationen. Lockwood hatte ja meine These angezweifelt, nach der die heutigen blonden Griechen und speziell Kreter (ich würde mich da gerne auf Kreter beschränken, da ich mich mit blonden Griechen aus anderen Landesteilen nicht auskenne) von mittel- und westeuropäischen Kreuzfahrern und venetianischen Kaufleuten abstammen. Diese These habe ich mir ausnahmsweise nicht selbst ausgedacht, sondern ich habe sie irgendwo einmal gelesen, und mir hat sie eingeleuchtet. Es gab mindestens 4 Kreuzzüge (je nachdem, welche Kriegszüge gen Osten man dazu zählt), die sich über insgesamt 200 Jahre hinzogen (ca. 1100 bis 1300 n. Chr.). Kreta war ein zentraler Anlaufpunkt im Mittelmeer, die „Franken“, wie sie von den Griechen heute noch genannt werden, haben mehrere Burgen auf Kreta gebaut, Stützpunkte sozusagen. Ich würde davon ausgehen, dass die eroberten Gebiete im Bereich des heutigen Israel und Libanon auch Nachschub aus der Heimat benötigt haben, dass es also auch so etwas wie Handelsrouten gab. Da kann ich mir schon vorstellen, dass auch der eine oder andere westeuropäische Spross auf Kreta hängengeblieben ist.

Um das Jahr 1200 fiel Kreta an Venedig, danach regierten dort bis etwa 1650 – also 450 Jahre – die Venetianer. Sie trieben einen regen Handel, die Städte waren voll von venetianischen Kaufleuten. Venetianer sind zwar im Prinzip Italiener, aber Norditaliener sind auch oft vom mitteleuropäischen Typ. Ich würde davon ausgehen, dass auch noch andere europäische Länder an dem Handel beteiligt waren. Auf jeden Fall kam in diesen Jahrhunderten durch die Handelsbeziehungen bestimmt auch viel frisches „Blut“ nach Kreta.

Um 1650 wurde Kreta dann von den Türken erobert. Erst 1898, also gerade mal vor reichlich 100 Jahren, wurde Kreta durch vertragliche Regelungen europäischer Großmächte mit den Türken frei. 1913 wurde es mit Griechenland wiedervereinigt. Soviel zur jüngeren Geschichte (nicht dass Ihr denkt, das wüsste ich alles auswendig – das habe ich bei Wikipedia abgeschrieben).

Die ca. 250 Jahre türkischer Herrschaft haben wesentlichen Einfluss auf Kultur, Lebensgewohnheiten und Sprache der Griechen gehabt. Dass sie wesentlichen Einfluss auf die genetische Zusammensetzung der griechischen Bevölkerung hatten, wage ich zu bezweifeln. Griechen und Türken sind wie Wasser und Öl. Man kann sie zusammen in eine Flasche gießen und 250 Jahre schütteln, es wird keine einheitliche Masse daraus werden. Hält man die Flasche ein paar Minuten still, dann werden sich die Substanzen wieder trennen, und man wird wieder eine Flasche mit zwei verschiedenen Flüssigkeiten in den Händen halten. Die gegenseitigen Abstoßungskräfte sind zu stark, als dass ein anderes Ergebnis zu erwarten wäre.

Wenn ich versuche zu erklären, warum das so ist, kann ich auch gleich dem Wilfried seine Frage beantworten, welche besondere Beziehung es zwischen Griechen und Armeniern gibt. Es ist die Religion. Griechen definieren sich in erster Linie über den Orthodoxen Glauben. Alle Völker, die ebenfalls orthodox sind – es muss nicht griechisch-orthodox sein – sind Freunde, Brüder, gehören praktisch zur Familie. Griechen fühlen sich daher engstens verbunden mit Georgiern und Armeniern, mit orthodoxen Syrern und Libanesen, mit Russen und Serben. Während der Kriege in Jugoslawien standen die Griechen z.B. immer kritiklos auf der Seite der Serben – weil sie orthodox sind.

Mit den Armeniern verbindet noch zusätzlich, dass sie zur gleichen Zeit Opfer von Völkermord und Vertreibung wurden, wie die pontischen Griechen. Etwa zwischen 1915 und 1920 wurden im Osten der Türkei ca. 1 Mio. Armenier umgebracht oder vertrieben und im Westen der Türkei ca. 1,5 Mio. pontische Griechen (die übrigens von der Schwarzmeer-Küste stammen und nicht von der Ägäisküste, wie ich neulich geschrieben hatte). Gleichzeitig verließen ca. 500.000 türkisch-stämmige Bewohner Griechenland – ein Völkeraustausch. Wie ich schon sagte – hält man die Flasche still…

So wie die Griechen sich selbst und ihre Freunde am orthodoxen Glauben erkennen, so wird (stark vereinfacht, aber doch treffend) der Rest der Menschheit ebenfalls anhand seines Glaubens eingeteilt. Nicht orthodoxe Christen sind auch noch Menschen, Juden sind eigentlich schon keine mehr (es gibt einen unverhohlenen Antisemitismus in Griechenland, Juden sind verhasst – warum weiß ich auch nicht so genau), und Muslime sind der Teufel in Person. Und mit sowas paart man sich nicht. In solchen Kategorien denken übrigens auch Menschen, die sich selbst als Kommunisten und Atheisten bezeichnen. Allein mit Religion hat das nichts mehr zu tun.

Jetzt ist das alles ein bißchen überzeichnet, denn wenn man heute persönlich einen netten Türken kennenlernt, dann läd man den natürlich auch zu einem Gläschen griechischen Kaffee ein und tanzt Sirtaki mit ihm. Vermutlich hat es auch in den 250 Jahren Türkenherrschaft friedliches Zusammenleben und freundschaftliche Kontakte gegeben. Im Prinzip war aber diese Zeit gekennzeichnet von wiederkehrenden Aufständen der Griechen, die von den Türken blutig niedergeschlagen wurden und von ständigen Guerilla-Attacken der in die Berge geflohenen Widerstandskämpfer. Dass es in diesem Klima zu einer nennenswerten Vermischung der beiden Bevölkerungsgruppen gekommen sein soll, kann ich mir nicht vorstellen. Sonst müsste es auch heute noch auf Kreta ein paar Muslime geben. Oder wenigstens ein paar Menschen mit türkisch-stämmigem Namen. Ich habe nie einen getroffen.

Nun noch kurz zu den Mendel’schen Gesetzen. Du hast bezweifelt, lieber Lockwood, dass die rezessiven Gene für blonde Haare und blaue Augen auf Dauer gegen dominantes schwarz-braun bestehen könnten. Nun sterben Gene nicht deshalb aus, weil sie rezessiv sind, sondern weil sie einen Selektionsnachteil darstellen – wenn die Träger dieser Gene sich also weniger stark vermehren als die „Konkurrenz“, oder wenn sie gar ganz an der Fortpflanzung gehindert werden. Man kann wohl davon ausgehen, dass blonde Haare und blaue Augen, meist auch noch verbunden mit einer hellen Haut, in südlichen Ländern tatsächlich einen Selektionsnachteil darstellen. Gerade dann ist es aber für die Erhaltung eines Gens von Vorteil, wenn es rezessiv ist. Dadurch kann es sich nämlich in vielen Fällen hinter dem dominanten Gen „verstecken“, ohne dass der Träger den Selektionsnachteil erleidet, und kann so ungestört weitervererbt werden.

Jeder Tierzüchter weiß, dass er ein unerwünschtes Gen umso schwerer los wird, je stärker rezessiv es sich vererbt. Er kann dann nämlich die meisten Träger dieses Gens garnicht erkennen und dadurch auch nicht von der Zucht ausschließen. Irgendwann paart er dann unwissentlich zwei Träger dieses Gens miteinander und bums – hat er schon wieder so ein unerwünschtes Exemplar. Wird das dann ausselektiert, nimmt natürlich im Laufe der Zeit die Häufigkeit des Gens in der Population schon ab, aber langsam, sehr langsam. Nur so ist auch zu erklären, dass bestimmte rezessiv vererbliche Erbkrankheiten wie z.B. Bluterkrankheit oder Farbenblindheit einfach nicht aussterben wollen, und das schon seit Jahrtausenden.

In unserer heutigen Zeit der Sonnencremes und Bürojobs in klimatisierten Räumen ist auch der „Selektionsnachteil“ eines Blonden im Mittelmeerraum gegen Null gesunken. Stattdessen findet dort zur Zeit, wenn man das respektlos so nennen darf, eine regelrechte Verdrängungszucht statt. Horden attaktiver Mittel- und Nordeuropäerinnen fallen in die Urlaubsgebiete ein und schnappen sich dort die besten einheimischen Männer weg. In manchen Gegenden haben junge Griechinnen kaum noch eine Heirats-Chance – und das ist kein Witz. Der von mir bereits erwähnte dunkelblonde Grieche, der im Übrigen der Vater meines ebenso dunkelblonden Sohnes ist, hat später noch eine dunkelblonde Deutsche geheiratet und hat nun noch zwei blonde Kinder. Von all seinen zahlreichen Freunden ist gerade mal ein einziger mit einer Griechin verheiratet, alle anderen haben Ausländerinnen geheiratet – Deutsche, Holländerinnen, Engländerinnen, Schwedinnen, Österreicherinnen. Das geht jetzt so schon seit 20 bis 30 Jahren, und es wird immer schlimmer. Die Zahl der blonden Griechen ist rapide im Steigen begriffen.

Jetzt bin ich aber ganz schön weitschweifig geworden, und das musiklos, staubtrocken und Anderson-frei. Und es wird nicht besser, denn mein nächstes Thema hat auch nichts mit Jethro Tull zu tun.

Lieber Lockwood, was Du über Deinen Eindruck von den griechischen Tänzen geschrieben hast, hat jetzt mich fast erschreckt. Dass jemand diese Musik als herb und finster empfinden könnte, hätte ich nie vermutet. Gut, ich hatte natürlich bei den makedonischen Tänzen mit Absicht die am scheußlichsten klingenden ausgesucht, und dass ein Kriegstanz finster wirkt liegt in der Natur der Sache. Schließlich will man den Feind abschrecken, und das scheint den Tänzern ja bei Dir gelungen zu sein (kleiner Scherz am Rande, den Du mir hoffentlich nicht übel nimmst). Aber der Sonaradikos ist für meine Ohren ein fröhliches Lied, und der Sirtos mit Michalis Tsouganakis strotzt für meine Begriffe geradezu vor Lebensfreude – da hält mich kaum noch etwas auf dem Stuhl. Das Dinata Dinata ist auch vom Text her ein Lied über Stärke und Lebensfreude, aber den Text muss man meiner Meinung nach nicht verstehen um das zu hören. Du entwickelst Dich für mich immer mehr zum Rätsel…

Wenigstens weiß ich jetzt schon einmal etwas, was Dir gefällt – Abba. Das ist ein Anfang. Ich bin jetzt zwar nicht unbedingt ein spezieller Abba-Fan, aber ich höre ihre Musik auch recht gern. Da hätten wir mal einen ersten Ansatzpunkt. Was hörst Du denn sonst noch so, außer ein paar handverlesenen Platten von Jethro Tull? Nicht, dass ich jetzt an Dir herumkritteln oder Dich als zu wählerisch hinstellen möchte. Ich versuche nur herauszufinden, mit welchem musikalischen Kleinod ich vielleicht sogar Dir einmal eine Freude machen könnte.

Schließlich beginne ich mir ernsthaft Vorwürfe zu machen, dass ich durch meine unvorsichtige Auswahl fragwürdiger Tanz-Videos eine akute Ellinikophobie (Elliniko = Griechisch) bei Dir ausgelöst haben könnte. Gerne würde ich mein Möglichstes dazu beitragen, zumindest noch die drohende chronische Manifestation abzuwenden. Außerdem liegt es in meiner Forschernatur nicht eher zu ruhen, als bis ich den Krankheitserreger separiert und identifiziert habe. Ich denke Du ahnst bereits Übles.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe ist es nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache, die Du als „herb und finster“ empfindest. Ich kann mir nur vorstellen, dass das mit den vielen harten Lauten zusammenhängt – ps, ks, ts, ch und th, um nur die härtesten zu nennen. Für mich ist das ein Grund, warum mir die Sprache besonders gefällt, im Gegensatz zum langweiligen Trallalla-Blablabla des Italienischen (ich hoffe, das liest jetzt kein Italiener) gib es der Sprache etwas Herzhaftes und Handfestes. Im Prinzip hat Griechisch den gleichen Laut-Umfang wie Spanisch, nur kommen die harten ps, ks und ts wohl noch häufiger vor. Wer keine der beiden Sprachen versteht, kann sie nach meiner Erfahrung kaum auseinanderhalten. Hast Du mit Spanisch die gleichen Probleme?

Ich halte das Thema „Sprachen“ überhaupt für sehr interessant. Worin unterscheiden sie sich? Warum liegt einem die eine Sprache und eine andere nicht? Das wäre schon wieder das nächste, sehr weite Feld…

Aber jetzt bin ich müde, gute Nacht, Ihr Lieben…gäääähn…

Kretakatze

PS.: Nur für gesundheitlich stabile, nicht Ellinikophobie-gefährdete Personen – ohne Altersbeschränkung – hier doch noch ein kleines Gute-Nacht-Lied:

Areti Ketime Nanourisma (Wiegenlied) – live in Athen

Der türkische Name verwundert, und sie scheint selbst noch ein halbes Kind zu sein….

Sie spielt Sandouri (eine Art Hackbrett = Saiteninstrument) und singt dazu – orientalisch, traurig, schön…

27.05.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

ich denke, es braucht mehr Mut, einen „Fehler“ zuzugeben, als später aus Trotz auf einem falschen Standpunkt zu beharren. Die Gefahr, dass Du, liebe Kretakatze, aus diesem Forum ausgeschlossen wirst, sehe ich also nicht.

Zur hellenistischen Pigmentierung:
Vor etlichen Jahren habe ich die Iliade gelesen (die deutsche Übersetzung, nicht im Original) und mir ist nicht erinnerlich, dass Homer etwas über Haar- und Augenfarbe seiner Helden geschrieben hat. Selbst wenn er es getan hätte, wären diese Informationen von zweifelhaftem Inhalt; wir sind uns darüber einig, dass die Figuren des Trojanischen Krieges eher sagenhaft als historisch sind. Von Homer ist also keine Hilfe zu erwarten.
Die langfristigen Einflüsse der Franken auf die griechische Bevölkerung in Tateinheit mit einer gekonnten Auslegung der Mendelschen Gesetze sehe ich nach Deiner letzten mail in einem anderen Licht. Aus dieser wissenschaftlichen Betrachtung scheint es also tatsächlich möglich, dass blonde Griechen ein Produkt ausländischer Gene sind. Leider sagt diese Erkenntnis nichts über Färbung des Achilles aus. Der Trojanische Krieg, so er wirklich stattgefunden hat, tobte etwa 2.000 Jahre vor den Kreuzzügen und 3.000 Jahre vor den Touristenströmen. Falls Achilles und einige seiner realen Landsleute also wirklich blond waren, dann ohne mitteleuropäisches Zutun. Aber, wie ich schon letzte Woche gesagt habe, an Deinem Einwand der dunkelhaarigen Vasenbemalungen kommt man nicht so leicht vorbei.

Vielleicht hat man die Rolle des Achilles (interessant die englische Aussprache: Äikillis) mit Mr. Pitt besetzt, weil seit Siegfried ein strahlender Held blond zu sein hat. Sein Gegenspieler Hektor wird konsequenterweise dunkelhaarig besetzt.

Das Verhältnis der Pigmentierung einer Population zu ihrer Umwelt muss man mit Vorsicht betrachten. Es fällt uns leicht zu verstehen, warum Schwarzafrikaner eine dunkle Haut haben. Wegen der Sonne, klar. Warum sind aber nordamerikanische Prärieindianer oder die Steppenvölker Zentralasiens, die noch nicht einmal einen Schatten spendenden Baum kennen, nicht ebenso dunkelhäutig ? In den Bergen Neuguineas lebt ein Volk (den Namen habe ich vergessen), das als das Dunkelhäutigste weltweit gilt. Dieses Volk lebt auf einem Hochplateau, das ständig von Wolken und Nebel umgeben ist, sodass nur wenige Sonnenstrahlen den Erdboden erreichen. Wir sehen also, dass sich Hautfarbe und Sonneneinstrahlung nicht immer im Verhältnis 1:1 verhalten.

Deinen berechtigen Hinweis auf das gespannte Verhältnis zwischen Griechen und Türken habe ich bei meiner Theorie unterbewertet. Auch ohne genauere Prüfung räume ich ein, dass beide Völker kein großes Interesse an einer Vermischung hatten und haben.

Dass blonde Menschen auf die Völker des Mittelmeerraums eine große Anziehungskraft ausüben, habe ich bei einem Israelurlaub festgestellt. Als blonder Recke ist man bei den jungen Frauen Hahn im Korb und als blonde Frau braucht man schon eine Eskorte, wenn man sich frei bewegen will. Bei diesem Israelurlaub ist mir aufgefallen, dass es dort nur sehr attraktive Frauen zu geben scheint. Entweder gibt es dort keine unattraktiven Frauen oder diese trauen sich nicht vor die Tür. Der Blondwahn dieser Region führt dazu, dass einige der jungen, schwarzgelockten glutäugigen Frauen sich blond färben lassen. Das war in meinen Augen eine schreckliche Erfahrung. Um es mit den Worten eines Stammtischs zu sagen: Das ist, als würde ich an einem Mercedes den Stern abbrechen.

Vorläufiges Zwischenergebnis: In der Frage, ob der antike Hellene vom mitteleuropäischen oder orientalischen Typ war, sind wir noch keinen bedeutenden Schritt weiter gekommen. In den Weiten des Internets gibt es ein Forum zur Ethnologie, dort könnte man bestimmt eine Antwort finden. Ehrlich gesagt bin ich im Moment aber zu faul, um danach zu suchen.

Das Harte, Herbe, Finstere an der griechischen Sprache hat tatsächlich mit den vielen harten Lauten zu tun. Auch gibt es hier Zischlaute, die wir in dieser Form im Deutschen nicht kennen. Beispiel: Öichi ! Das ist sehr wahrscheinlich vollkommen falsch geschrieben; es bedeutet „nein“ oder „nicht“. Dann fällt mir noch Kazekato ein; wahrscheinlich auch total falsch geschrieben. Es bedeutet „setzen!“ oder „setz dich!“ Ich kenne diese Begriffe nur, weil meine griechischen Bekannten sie häufiger zu ihrer damals zweijährigen Tochter sagten. Es sind nur zwei Begriffe, die aber ausreichten, bei mir einen harten herben Eindruck der Sprache zu hinterlassen. Dieser Eindruck konnte durch Deine Videos leider nicht revidiert werden.

Selbst das Wiegenlied, das Du in Deiner letzten mail gelinkt hast, unterstreicht diesen Eindruck. Hinzu kommen die häufigen Vibratos im griechischen Gesang. Das klingt schon sehr orientalisch. Selbst Dein Wiegenlied erinnert mich an den Ruf des Muezzin.

Spanisch klingt in meinen Ohren angenehmer. Es enthält zwar Elemente aus dem Arabischen, aber irgendwie komme ich damit besser klar. Die zum Hören angenehmste Sprache ist für mich italienisch (Sorry !) Um meine Äußerungen etwas zu relativieren möchte ich erwähnen, dass ich überhaupt kein Talent für Sprachen besitze. Ich habe weder Kenntnisse im Griechischen, noch im Spanischen oder Italienischen.

In einem Punkt widerspreche ich allerdings vehement: Der Sprachunkundige kann spanisch und griechisch sehr wohl auseinanderhalten. Woran es liegt, kann ich nicht mit Wortlauten belegen, aber ich finde die Klangbilder beider Sprachen sehr unterschiedlich, trotz der gemeinsamen harten Laute. In meinen Ohren verhält sich spanisch zu griechisch wie Zwiebelkuchen zu rohen Zwiebeln. Ein etwas unglücklicher Vergleich, aber er macht deutlich, wie die beiden Sprachen auf mich wirken.

Ich kann nicht verstehen, warum ich für Dich zum Rätsel werde. Ich bin kein großer Mysterienträger. Dass ich mit griechischer Sprache und Musik nicht klar komme, mag außerhalb Deiner Erfahrungswelt liegen, aber das ist doch nichts Geheimnisvolles. Es ist eine Geschmacksfrage, nicht weniger, aber erst recht nicht mehr. Deswegen muss ich Dir doch nicht kryptisch erscheinen.

Und eine Griechenphobie hast Du in mir auch nicht erzeugt, jedenfalls keine, die über die angeborene latente Xenophobie hinausgeht. Vielleicht interpretierst Du in meine Nichtbegeisterung für die griechische Kultur zuviel hinein. Es ist ganz einfach eine fehlende Begeisterung. Es ist kein Hass, keine Angst, keine Ablehnung. Dass Du ganz anders über die Menschen der Ägäis denkst, habe ich begriffen. Aber diese unterschiedlichen Geschmäcker machen mich noch nicht zum Problemfall, oder ?

Sprachen sind auch für mich als Unkundigen ein interessantes Feld. Ich habe mich beispielsweise vor Jahren gefragt, wieso die finnische und die ungarische Sprache miteinander verwandt sein können. Liegen diese beiden Länder doch nicht gerade in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und eine gemeinsame Geschichte dieser Nationen ist mir auch nicht bekannt.

Für mich waren Finnen Nordeuropäer und Ungarn ein Konglomerat aus Mitteleuropäern und Nachfahren der Hunnen. Ganz so ist es wohl doch nicht. Eine Erklärung lieferte mir damals ein Sprachwissenschaftler, mit dem ich einen kurzen Briefwechsel unterhielt. (Prof. Gerhard Vollmer, der steht sogar in Wikipedia). Er empfahl mir damals die Lektüre eines Standardwerkes zur Entwicklung der Sprache und der Sprachen: „Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache“ von David Crystal. Den Erwerb dieses Buches habe ich nie bereut.

Ääh, ich fürchte, bei meiner letzten mail ist der Eindruck entstanden, dass ich nur Jethro Tull und Abba höre. Für Deine gezielte Nachfrage zu meinen Musikbedürfnissen bin ich deswegen dankbar. Wie jeder „richtige Junge“ habe ich mich im pubertären Alter für Rockmusik interessiert. Queen, AC/DC, Status Quo, ZZTop und wie sie alle hießen. Später ergänzten Werke von Big Country und Led Zepplin meine Plattensammlung. Zwischendurch natürlich immer wieder Jethro Tull. Mein Faible für Rockmusik hält bis heute an. Irgendwann in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam ich mit Britischer Folklore in Berührung, vorwiegend Irish-Folk. Hier hatten es mir besonders die Dubliners angetan. Wenn man auf dem Folkpfad ein wenig nach rechts und links schaut, stößt man zwangsläufig auf Jethro Tull. In den 80er Jahren hörte ich zum ersten Male Musik von den Pogues, für die ich eine ähnliche Begeisterung empfinde wie für JT. Zwischen all diesen Rockmusikern lief meine Vorliebe für Abba parallel im Hintergrund. Ich höre nicht oft Popmusik, aber, wie gesagt, wenn, dann von Abba. Sie haben wunderbare Melodien geschrieben und ich finde den Gesang von Agnetha Fältskog (die Blonde) überirdisch. Bevor ich es vergesse: Zum Thema Kate Bush habe ich mit Wilfried auch schon etliche Seiten gefüllt. Mein Pseudonym ist ein stark verdeckter Hinweis auf Mrs. Bush.

Alben der o.g. Künstler machen ca. 90 % meiner Plattensammlung aus. Daneben enthält sie Werke der klassischen Musik (Bach, Beethoven, Händel, Mozart) und einige Exoten: Theodorakis, Don Kosaken, Scottish Pipes and Drums und einiges mehr. Da fällt mir ein: Ich habe sogar eine LP von Vicky Leandros, aber ich glaube, das lässt Du nicht als griechische Musik gelten. Diese LP habe ich wegen dem Titel Lago Magiore im Schnee (Original von Mort Shuman) gekauft. Die anderen Titel auf dem Album kenne ich gar nicht.

Nicht, dass ich es bereue, mich als Abba-Hörer geoutet zu haben, aber diese Ergänzungen waren mir wichtig.

Ich wünsche allen Lesern und Griechen einen schönen Abend und eine geruhsame Nacht.
Lockwood

28.05.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

mit Rücksicht auf den öffentlichen Gesundheitszustand werde ich ab sofort meine Beiträge frei von griechischen Musik-Videos halten. Sollte ich es doch für angemessen oder notwendig erachten, Links zu griechischer Musik zu zu legen, werde ich dies nur noch am Ende als „Anlage“ unter der Rubrik PS.: und nach einem entsprechenden Warnhinweis tun.

Heute möchte ich noch kurz das Stichwort „Liedermacher“ aufgreifen, das Wilfried vor ein paar Tagen im Zusammenhang mit einem armenisch-griechischen Lied gebraucht hat. Zu diesem Titel – es war Meno Ektos – hat der Begriff meiner Meinung nach nicht gepasst. Unter Liedermacher-Stil verstehe ich etwas anderes. Aber natürlich gab und gibt es auch in Griechenland Liedermacher. Der bekannteste von ihnen war und ist Dionisis Savvopoulos, der bereits in dem Feuerwerks-Video von der Abschlussfeier der Olympischen Spiele zu sehen war – es war der ältere Herr mit der großen Trommel vor dem Bauch. Unter PS.: habe ich ein paar Stücke von ihm zusammengestellt, die teilweise auch von anderen Interpreten vorgetragen werden. Außerdem würde ich auch noch Miltos Paskalidis zu den griechischen Liedermachern zählen. Auch von ihm kann man dort noch ein Video finden.

Zudem habe ich im Anhang auch noch ein paar Links zu Titeln von und mit Nikos Papasoglou abgelegt. Er hat mit unserem allseits verehrten Mr.Anderson, den ich nun auch einmal wieder kurz erwähnen möchte, eine traurige Gemeinsamkeit: Seine Stimme hat böse gelitten. Als ich ihn zuletzt 1989 live gehört habe, klang er noch wie auf dem Video zusammen mit Savvopoulos. Als ich die neuen Aufnahmen gehört habe, bin ich wirklich erschrocken – er klingt völlig heißer, teilweise bekommt er kaum noch einen Ton heraus. Beim zweiten Video versagt ihm dann die Stimme vollends und das Publikum singt für ihn weiter – da könnte einem fast das Heulen kommen. Aber Ihr kennt das ja…

Dass es Papasoglou nun besonders wild getrieben und seine Stimme mit Gesangsakrobatik ruiniert haben soll, kann ich mir bei ihm nicht recht vorstellen. Wahrscheinlich sind bei manchen Menschen die Stimmbänder der Dauerbelastung durch das tägliche Singen auf Konzert-Tourneen einfach nicht gewachsen. Auch Stimmen altern und verändern sich. Das ist mir in letzter Zeit bei meinen Streifzügen durch YouTube aufgefallen, wo man gut Live-Auftritte desselben Musikers aus verschiedenen Jahren oder Jahrzehnten vergleichen kann (bei den Studio-Aufnahmen kann doch noch viel durch die Technik kaschiert werden).

Creedence Clearwater Revival’s John Fogerty zum Beispiel war seinerzeit nicht zuletzt für seine Reibeisen-Stimme berühmt. Er hatte nicht nur einen Frosch im Hals, das war ein ganzer Froschteich, mit dem er beim Singen gegurgelt hat. Zur Anschauung hier einer meiner Lieblingstitel: I Heard It Through The Grapevine (miserabel synchronisierter Clip von 1970). Eigentlich sollte man annehmen, dass jemand, der so singt, innerhalb kürzester Zeit seine Stimmbänder durchgeraspelt hat. Aber die scheinen bei Mr. Fogerty ganz schön zäh zu sein. Der gleiche Titel live 2006 klingt dann so (bescheidenes Bootleg, aber den Titel gibt’s von 2006 nicht besser).

OK, der Froschteich ist weg, aber die Stimme dröhnt noch ganz schön laut. Da kann Mr. Anderson nicht mithalten. Für weitere Detail-Vergleiche hier noch der Song Rock ’n‘ Roll Girl und die Ballade Deja Vu All over Again (ebenfalls Bootlegs von 2006), bei denen man den Herrn etwas besser aus der Nähe sieht. Was fällt auf: Er trägt noch immer die gleichen Jeans und das gleiche karierte Hemd wie vor 40 Jahren. Mr. Anderson würde in seine Kostüme von damals nicht mehr passen, und sie würden ihm heute auch kaum besser stehen das das, was er aktuell so trägt. Dafür waren sie allerdings auch bedeutend origineller als das Outfit von Mr. Fogerty! Und der nächste auffällige Unterschied: Auch wenn sein Gehopse auf der Bühne ein wenig ungelenk aussieht, sollte man doch nicht vermuten, dass Mr. Fogerty bei diesen Aufnahmen 61 Jahre alt war. Er scheint kaum gealtert zu sein. Weiterentwickelt hat er sich aber auch nicht.

Also wenn wir einen Musiker möchten, der nicht altert, immernoch das gleiche trägt wie 1970 und immernoch die gleiche Musik macht, und dessen Stimme durch nichts kaputtzukriegen ist, dann nehmen wir doch einfach Mr. Fogerty – oder?

Ich denke nach meinem Schreibmarathon über die Feiertage – das Wetter war aber auch so mies, da konnte man ja doch nichts anderes tun – werde ich es die nächste Woche über etwas langsamer angehen lassen. Lasst es Euch gutgehen!

Es grüßt Euch

Kretakatze

PS.: Achtung, die folgenden Musik-Videos könnten bei Personen mit entsprechender Disposition eine ernstzunehmende Ellinikophobie auslösen! Aufruf nur auf eigene Gefahr! Für Fälle von akutem Krankheitsausbruch oder Auftreten von anaphylaktischem Kulturschock Abba-CD bereithalten!

Dionisis Savvopoulos To chimona etouto (In jenem Winter)
Savvopoulos hat in den 70ern die „Neo Kima“, die Griechische „Neue Welle“ begründet – Liedermacher-Stil

Eleni Tsaligopoulou Thalassografia (Nicht wirklich übersetzbar, in einem: Darstellung des Meeres / Vermessung des Meeres / Beschreibung des Meeres) – professionelles Video
Das Lied ist im Original von Savvopoulos – mystisch-sehnsuchtsvoll, Bilder von Felsen und Meeresbrandung
Übersetzung: Trage uns weit, Trage uns zu fernen Orten, Wehe übers weite Meer, Wehe Wind, wehe (wird mehrfach wiederholt)

Sofia Avramidou Seimbekiko (Heißt so, wie der Tanz, den man darauf tanzen kann) – TV-Sendung (griechische Version von „… sucht den Superstar“
Das Lied ist im Original von Savvopoulos – langsam-tragisches Chanson zu Klavier
Der Text handelt von der Vertreibung der kleinasiatischen Griechen aus Smirni (= Ismir) 1922 und dem folgenden Flüchtlingselend – daher auch die Bilder im Hintergrund

Nikos Papasoglou und Dionisis Savvopoulos Acharnis – Paravasi (Acharnis: Ort in der Nähe von Athen – Überschreitung)
Beide Lieder sind von Savvopoulos – zwei Männer mit einer Klampfe unter einem Baum…

Nikos Papasoglou Pote Voudas Pote Koudas (Manchmal Buddha, manchmal Koudas (Personenname, ich weiß nur nicht von wem…)) – TV-Sendung
… manchmal Jesus und Judas… Das Lied handelt vom Spiel des Lebens – Tsifteteli (griechischer Bauchtanz)
Nikos hat erheblche Simmprobleme und ist in den letzten 15 Jahren bemerkenswert erblondet… Trotzdem ein hörenswerter Titel, der gute Laune macht (dem Publikum und mir jedenfalls)

Nikos Papasoglou Kanis edo den tragouda (Niemand hier singt) – TV-Sendung
Hier versagt ihm jetzt völlig die Stimme und das ganze Publikum hilft beim Singen aus… fast schon tragisch

Miltos Paskalidis Ederlezi – Fotia mou (Ederlezi: traditionelles Zigeunerlied aus Jugoslawien – Fotia mou: Mein Feuer – Liebeslied) live Bootleg
Dunkelblonder Grieche mit Brille; raucht, während er nicht singt, und hat noch beim Gitarre spielen die Zigarette in der Hand; intelektueller Rebell, der sein Publikum gern gegen den Strich bürstet – Liedermacher-Rock? Der griechische Herbert Grönemeyer?

28.05.2007

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Hallo Ihr beiden Hübschen,

Ihr müsst schon entschuldigen, wenn ich nicht mehr so ganz mitkomme, aber zz. steht mein Lust-und-Laune-Pegel etwa bei „mies“, was nichts mit Euch zu tun hat, sondern mit meiner Arbeit. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mich in Eure Diskussion um Haar- und Augenfarbe nicht einmischen möchte. Das ist mir inzwischen zu haarig geworden. Nur soviel: Ob nun wahre Helden blond und blauäugig zu sein haben, auch wenn diese eher der Sage als der Realität entsprungen sind, sollte man nicht allein Hollywood überlassen (und dort deutschen Regisseuren, z.B. Wolfgang Petersen). Weshalb blond immer wieder für so viel attraktiver gehalten wird, ist mir eher ein Rätsel. In einigen Fällen muss es mit einem unbegründeten Minderwertigkeitsgefühl zusammenhängen.

Ich wollte jetzt mit einem längeren Beitrag zum Thema Folklore – Volkslieder und Folk kommen. Aber dafür brauche ich dann doch etwas ‚mehr Luft’. Mit Lockwood hatte ich dieses Thema bereits angeschnitten.

So möchte ich doch etwas zum Thema Jethro Tull (speziell Ian Anderson) und deren Outfits anmerken. Damit wir nicht ganz so ohne Anderson bleiben. Im Rock-Lexikon von Siegfried Schmidt-Joos und Barry Graves in einer erweiterten Auflage vom Okt. 1975 steht u.a.:

‚…Im modischen Kleider-Zuschnitt der Charles Dickens-Ära erschienen die Musiker auf der Bühne, als alte Männer ließen sie sich für ein Cover-Foto schminken. Zunächst klang ihre Musik „wie eine elektrisch verstärkte Heilsarmee-Kapelle“ (‚Rolling Stone’). Später vollführten sie in der Maske von Tiefseetauchern, Bären und dem weißen Kaninchen Harvey eine Show, die als typisch englische Mischung von Rock, Music Hall, Burleske und Marty Feldmans Comedy Machine über die Rampe kam.

Anderson zog wieder alle Show-Register, ließ vier Damen unter Lockenperücken geigen, einen weiblichen Dirigenten unter Frackschößen verführerische Dessous offenbaren und verlieh der Komödie mit virtuosem Flötenfeuer den gewohnten Glanz. Er sei, urteilte Ulrich Olshausen, aus Menschenverachtung in die Rolle des Hofnarren geschlüpft: „Wenn er sich mit servilem Kratzfuß für den Applaus bedankt, dann ist er der Wissende, der mit seiner Unterwerfung diejenigen verhöhnt, von denen er abhängt.“’

14x Ian Anderson

Der Bär (John Irving lässt grüßen) und die Dirigentin sind mir dabei unbekannt geblieben. Man beachte: Der Artikel beleuchtet die Anfangsjahre der Band. Ich erinnere mich außerdem in diesem Zusammenhang einmal etwas mit dem Begriff Vauxhall gelesen zu haben (Vauxhall-Look oder so). Vauxhall ist ein Londoner Stadtteil und bekannt für die traditionelle English Music Hall und für viele Cabarets. Heute ist Vauxhall auch bekannt für Schwulenbars und Nachtclubs. Unter dem Vauxhall-Look versteht man wohl eine entsprechend laszive Kleiderordnung. Eine gewisse Schlüpfrigkeit im Auftritt lässt sich bei Ian Anderson nicht leugnen.

Wie bereits angedeutet, herrscht in einigen Stücken von Ian Anderson eine Diskrepanz zwischen Musik und Text (z.B. „Broadford Bazaar“ ist ein schönes Folk-Lied, aber der Text steckt voller Kritik). Hinzu kommt bei Live-Auftritten das schrille Outfit der Gruppe; man stelle sich also den Vortrag von „Broadford Bazaar“ im blau-grellen Tampa-Outfit vor. Absurder geht es eigentlich nicht. Okay, so krass kam uns Herr Anderson wohl noch nie daher. Eher so, dass zwei von den dreien (Musik, Text und Outfit) zusammenpassten. Der Tampa-Anzug fällt mit dem „Too old to rock ‚n’ roll“-Album zusammen und darf als Selbstironie gewertet werden. Und die Klamotten mit Melone nach Gutsherrenart von 1977 im Hippodrome entsprechen den rustikalen Liedern aus dem Wald.

Das Urteil der Menschenverachtung möchte ich nicht teilen. Der Kritiker stammt aus der Jazz-Szene. Und da sieht man alles wohl etwas seriöser und ernster. Ein wenig Hohn gegenüber dem Publikum traue ich Herrn Anderson aber schon zu. Wenigstens früher.

Warum aber nun dieser Zirkus? Hierzu hat Ian Anderson nie wirklich Stellung bezogen. Wenigstens ist mir keine entsprechende Aussage bekannt. Sicherlich spielen mehrere Faktoren hier eine Rolle. Zum einen ist es der Wunsch, sich von anderen (Rockgruppen) zu unterscheiden. Und: Welches Kind verkleidet sich nicht gern. Außerdem soll das Ganze einen Wiedererkennungswert haben. Darin ist Anderson ein Meister. Wer Jethro Tull zumindest vom Namen her kennt, weiß um das Männchen mit Flöte auf einem Bein. Der Drang nach Selbstdarstellung spielt sicherlich eine Rolle. Und wenn man erst einmal durch ausgefallene Bühnenauftritte bekannt geworden ist, dann kann man nicht plötzlich nur noch in Jeans und T-Shirt auftreten. Eigendynamik nennt man das wohl. Aber der Hauptgrund ist wohl der, dass Ian Anderson Brite ist. Die haben die Exzentrik scheinbar im Blut.

Großbritannien ohne Queen, ohne Monty Python und ohne schwarze Taxis und Doppeldeckerbusse (Lockwood, das Thema hatten wir bereits) wäre nicht vorstellbar. Und ich behaupte: ohne Jethro Tull würde der Insel auch etwas Wichtiges fehlen!

Nun denn …
Viele Grüße
Wilfried

29.05.2007

English Translation for Ian Anderson