Honig im Kopf (2014)

Honig im Kopf ist eine deutsche Tragikomödie von Til Schweiger aus dem Jahr 2014. Schweiger spielte eine der Hauptrollen, führte Regie und schrieb zusammen mit Hilly Martinek das Drehbuch. Die weiteren Hauptrollen sind mit Emma Schweiger und Dieter Hallervorden besetzt; in Nebenrollen sind unter anderem Jan Josef Liefers, Fahri Yardım und Tilo Prückner zu sehen.

    Honig im Kopf (2014)

Nachdem seine geliebte Frau gestorben ist, wird der ehemalige Tierarzt Amandus (Dieter Hallervorden) zunehmend vergesslich. Bald ist er mit den Alltagsaufgaben seines neuen Singlelebens überfordert, deshalb nimmt sein Sohn Niko (Til Schweiger) den 70-Jährigen bei sich auf. Während Enkelin Tilda (Emma Schweiger) begeistert ist, den Opa im Haus zu haben, ist Schwiegertochter Sarah (Jeanette Hain) skeptisch. Sie sieht die Gedächtnislücken des alten Herrn und seine Weigerung, einen Arzt aufzusuchen, mit großer Sorge. Ihre kritische Haltung sorgt für weitere Spannungen in der durch diverse Seitensprünge ohnehin schon belasteten Ehe mit Niko. Als Amandus bei dem fehlgeschlagenen Versuch, einen Kuchen zu backen, fast das ganze Haus abfackelt, wird dann doch der Entschluss gefasst, für den Alzheimer-Kranken einen Platz in einem Pflegeheim zu suchen. Das wiederum kann Tilda überhaupt nicht verstehen. Das Mädchen hat eigene Ideen, wie es seinem Opa am besten helfen kann und macht sich mit ihm heimlich auf den Weg nach Venedig, wo Amandus einst seine Flitterwochen verbrachte. Eine turbulente Reise beginnt…

aus: filmstarts.de

So langsam komme ich mit meiner Frau in die Jahre. Die ersten Wehwehchen haben wir längst hinter uns gebracht. Und auch mit der Vergesslichkeit ist das so eine Sache. Okay, ich weigere mich schon längere Zeit, mir allen Käse zu merken. Aber nach und nach spielt der Gehirnkasten doch schon kleine Streiche. Da interessiert man sich auch plötzlich für einen Film, wie den von Til Schweiger: Honig im Kopf.


Honig im Kopf (Trailer)

Wo Til Schweiger drauf steht, ist meist auch nur Til Schweiger drin. Und so liefert er schöne Bilder, gefühlvolle Musik, Humor (allerdings oft mit dem Hammer verabreicht) und viel Emotionalität. Leider vertragen sich solch hemmungslos eingeflößte Dosen Schweiger‘sche Familienkomödie nicht sonderlich gut mit einem ambitionierten Film über Alzheimer, denn darum geht es letztendlich im Film.

Wäre da nicht Dieter Hallervorden, der nach seiner mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneten Darbietung in „Sein letztes Rennen“ wiederum eine weitere bemerkenswerte Leistung abliefert, dann wäre der Film nur eine seichte Komödie. Hallervorden macht aus Amandus einen willensstarken und eigensinnigen Mann, der mit Humor und Charakter gegen das Vergessen kämpft, ohne die Momente von Resignation und Verlorenheit zu beschönigen. Sicherlich ist auch die Leistung von Emma Schweiger erwähnenswert. Trotz des engagierten Protagonisten-Duos und einzelner starker Momente ist der überlange Film ein Fehlschlag. Til Schweiger findet nie die richtige Balance zwischen Krankheitsdrama und Komödie. Vielleicht hätte Schweiger zumindest dem ersten Teil seines Films auch den Untertitel Opa allein zu Haus geben sollen.

Und geradezu ätzend finde ich die Hauruck-Regie von Schweiger. Man schaue nur den Trailer an: Die kürzer als sekundenlangen Schnitte (im Film sind solche Sequenzen noch um einiges länger) verursachen Augenkrebs und fördern vielleicht auch noch die Alzheimer-Krankheit.

Mich verwundert es übrigens nicht, dass im Zusammenhang mit diesem Film von Manipulation in Hinsicht auf die Bewertungen durch Zuschauer die Sprache war: So sind wohl zahlreiche merkwürdige Bewertungen auf Film-Community-Portalen aufgetaucht, die den Verdacht nahelegen, dass es sich um Fake-Bewertungen handelt.

Okay, trotz der Überlänge (über 130 Minuten) und Til Schweiger (besonders als Regisseur) hat mich das Spiel von Dieter Hallervorden dazu verleitet, den Film zu Ende zu sehen. Ich kenne Hallervorden natürlich schon länger, auch seine Arbeit mit den Wühlmäusen. Die tollpatschige, vom ihm dargestellte Figur Didi in diversen Kinofilmen hat mir aber nie so ganz zugesagt. Mit seinem Alterswerk (Hallervorden wurde kürzlich 80 Jahre alt) überzeugt er dann aber auch mich.

Ach ja, noch eins: Immerhin hat sich Schweiger bemüht, nicht zu sehr zu nuscheln.


Honig im Kopf: Was passiert mit jemandem, der an Alzheimer erkrankt? – Im Film „Honig im Kopf“ liebt die junge Tilda (Emma Schweiger) ihren Großvater (Dieter Hallervorden) über alles. Im Filmausschnitt seht ihr eine passende Erklärung für das, was im Kopf des Opas gerade geschieht.

Tatort (600) aus Bremen: Scheherazade (2005)

Es sind jetzt 14 Jahre her, dass sich die Terroranschläge vom 11. September ereigneten. Vier Jahre danach wurde in der ARD die Tatort-Folge (600) Scheherazade ausgestrahlt, die diese Anschläge thematisierte.

Zu den Anschlägen vom 11. September haben sich viele Verschwörungstheorien entwickelt. Deren Vertreter gehen meist davon aus, dass die US-Regierung und/oder ihre Geheimdienste die Anschläge wissentlich zugelassen oder selbst durchgeführt haben. Eine dieser Theorien, nämlich die These von einer „kontrollierten Sprengung“ (controlled demolition) der eingestürzten WTC-Gebäude mit heimlich platzierten und gezündeten Explosivstoffen, ist Ausgangspunkt der Tatort-Folge aus Bremen mit den Ermittlern Inga Lürsen und Nils Stedefreund. Hinzu kommt, dass mehrere der Attentäter zuvor in Hamburg lebtenund dort zu einer Gruppe islamistischer Studenten an der Technischen Universität Hamburg-Harburg gehörten. Sie sollen nach Zeugenaussagen dort als „Hamburger Terrorzelle“ seit Frühjahr 1999 die Anschläge auf das WTC und das Pentagon zu planen begonnen haben.

    Tatort – TV-Reihe der ARD (seit 1970)

Völlig verängstigt taucht eine junge Frau im Kommissariat von Inga Lürsen und Stedefreund auf. Nach einer langen Nacht, kurz bevor ein Täter endlich gestehen will, platzt sie mitten in das Verhör. Der Täter schweigt wieder.

Hauptkommissarin Inga Lürsen ist genervt und müde. Manu berichtet von einem brutalen Mord an ihrem Freund, aber Inga Lürsen glaubt ihr nicht. Für sie ist Manu eine Märchenerzählerin wie Scheherazade. Bereits vor Jahren hat sie Manu mit einem Geständnis überführt, für Totschlag im Drogenmilieu, und schon damals erzählte Manu oft Geschichten und nur selten die Wahrheit. Aber Manu lässt nicht locker, sie beharrt darauf, dass ihr Freund in den Terror um den 11. September verwickelt war. Nur Stedefreund – fasziniert von dieser Frau – ist bereit, sich auf ihre Behauptungen einzulassen. Er überredet Inga Lürsen, gemeinsam mit Manu zu der Wohnung zu fahren, in der die Leiche liegen soll; doch die Kommissare finden nichts – keine Leiche, keine Spuren, keinerlei Hinweise auf Manus Geschichte. Aber Stedefreund will der Geschichtenerzählerin glauben.

Nur für Inga scheint der Fall ganz klar, bis plötzlich ihre alte Liebe auftaucht, und dann muss auch sie sich für eine Wahrheit entscheiden.


Tatort (600) aus Bremen: Scheherazade (2005)

Nun die Tatort-Serie beschäftigt sich immer wieder mit aktuellen Themen. So wagte man sich in Bremen gut drei Jahre nach den Ereignissen vom 11.09.2001 an den brisanten Stoff. Christian Jeltsch schrieb das Buch. Er zeichnete auch für andere Vorlagen mit aktuellen politischen Motiven verantwortlich. Regie führten Peter Henning und Claudia Prietzel. Erwähnenswert ist auch die hervorragende Kameraarbeit von Ngo The Chau, der hierfür den Deutschen Fernsehpreis 2005 (Beste Kamera) und den Deutschen Kamerapreis (Fernsehspiel) bekam.

Am Ende bleibt dieser Fall zwangsläufig ungeklärt. Auch von dem Toten gibt es keine Spur. Aber der Zuschauer weiß, dass hier ‚höhere Interessen‘ eine Rolle spielen. Was als Zufall erschien, war von langer Hand geplant. Natürlich ist alles Fiktion. Aber wie die Wirklichkeit aussieht, wissen nur die wenigsten.

Heute Ruhetag (55): Christan Morgenstern – Galgenlieder

    Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen.
    Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathrustra

Christian Morgenstern (1871 in München; 1914 in Untermais, Tirol, Österreich-Ungarn) war ein deutscher Dichter, Schriftsteller und Übersetzer (u.a. August Strindberg und vor allem Henrik Ibsen). Besondere Bekanntheit erreichte seine komische Lyrik, die jedoch nur einen Teil seines Werkes ausmacht.

Morgensterns bekanntestes Werk sind seine Galgenlieder, ein erstmals im März 1905 im Verlag Bruno Cassirer (Berlin) erschienener Gedichtband, an dem er seit 1895 gearbeitet hatte. Die Galgenlieder wurden zunächst 1895 im kleinen Kreis von acht Freunden, dem Bund der „Galgenbrüder“, bei Ausflügen zum Galgenberg in Werder (Havel) bei Potsdam im privaten Kreis vorgetragen. Es handelt sich dabei um eine Reihe von formal und inhaltlich kindlich anmutenden, sprachspielerischen Gedichten, die Morgenstern „Spiel – und Ernst=Zeug“ nannte. Bald schon entfernte er sich vom ursprünglichen Thema des Galgens und erweiterte diese um sprachspielerische, oft Dinge verlebendigende, grotesk anmutende Gedichte.

Wie die Galgenlieder entstanden

Es waren einmal acht lustige Könige; die lebten. Sie hießen aber so und so. Wer heißt überhaupt? Man nennt ihn. Eines Tages aber sprachen die lustigen Könige zueinander, wie Könige zueinander sprechen. »Die Welt ist ohne Salz; laßt uns nach Salz gehen!« sagte der zweite. »Und wenn es Pfeffer wäre«, meinte der sechste. »Wer weiß das Neue?« fragte der fünfte. »Ich!« rief der siebente. »Wie nennst du’s?« fragte der erste. »Das Unterirdische,« erwiderte der siebente, »das Links, das Rechts, das Dazwischen, das Nächtliche, die Quadrate des Unsinnlichen über den drei Seiten des Sinnlichen.« »Und der Weg dazu?« fragte der achte. »Das einarmige Kreuz ohne Kopf mit der Basis über dem Winkel«, sagte der siebente. »Also der Galgen!« sagte der vierte. »Esto«, sprach der dritte. Und alle wiederholten: »Esto«, das heißt »Jawohl«. Und die acht lustigen Könige rafften ihre Gewänder und ließen sich von ihrem Narren hängen. Den Narren aber verschlang alsogleich der Geist der Vergessenheit. –

Betrachten wir den ›Galgenberg‹ als ein Lugaus der Phantasie ins Rings. Im Rings befindet sich noch viel Stummes.

Die Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. Man weiß, was ein mulus ist: die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Schulbank und Universität. Nun wohl: ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgenberg die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre.

    Heute Ruhetag = Lesetag!
    Laß die Moleküle rasen,
    was sie auch zusammenknobeln!
    Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
    heilig halte die Ekstasen!

Bundeslied der Galgenbrüder

O schauerliche Lebenswirrn,
wir hängen hier am roten Zwirn!
Die Unke unkt, die Spinne spinnt,
und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

O Greule, Greule, wüste Greule!
Du bist verflucht! so sagt die Eule.
Der Sterne Licht am Mond zerbricht.
Doch dich zerbrach’s noch immer nicht.

O Greule, Greule, wüste Greule!
Hört ihr den Huf der Silbergäule?
Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!
da taut’s, da graut’s, da braut’s, da blaut’s!

[…]

Christan Morgenstern: Galgenlieder

Zu Martin Walser (6): Walser und die Krimis – Teil 2

In Friedrichshafen am Bodensee ist nicht viel los. Viel zu wenig, um Tassilo S. Grübel (Bruno Ganz) ein Auskommen als Privatdetektiv zu sichern. Er betreibt das „Büro für Auskunft und Wissen“ zusammen mit seiner Mutter (Herta Schwarz) und seinem Freund, dem stellungslosen Grafiker Hugo (Axel Milberg). Damit überhaupt mal ein Auftrag reinkommt, provoziert Tassilo die Fälle selbst und schreibt z. B. Erpresserbriefe an seine reichen Nachbarn. Er selbst nimmt dann die Ermittlungen auf und kümmert sich um die Geldübergabe. Und obwohl er doch weiß, dass er es nicht mit echten Gangstern zu tun hat, ist er mit seiner Arbeit ständig überfordert und ihm schlottern die Knie. In weiteren Rollen sind Renate Schroeter als Isle Blickle, Lisa Kreuzer als Mia von Mufflings, Charles Brauer als James Blickle und Karl Heinz Vosgerau als Georg Feuerstein zu sehen.

Wann genau die Hörspiele um die Figur Tassilo S. Grübel samt seiner Frau Biddie, seiner Mutter und seinem Freund Hugo Billingsreuther aus der Hand von Martin Walser entstanden sind, habe ich nicht mit Sicherheit in Erfahrung gebracht. Im Band 10 seiner Werke in zwölf Bänden finden sich alle von Walser verfassten Hörspiele. Interessant ist zu wissen, dass Walser 1949 während seines Studiums begann, für den neu gegründeten Süddeutschen Rundfunk als Reporter zu arbeiten und Hörspiele zu schreiben. Eine zwischenzeitliche Festanstellung beim SDR ermöglichte ihm 1951 die Promotion in Tübingen mit einer Dissertation über Franz Kafka. Zusammen mit Helmut Jedele bildete er den Kern der „Genietruppe“ des Stuttgarter Hörfunks und baute als freier Mitarbeiter den Fernsehbereich des Senders mit auf. Er führte Hörspielregie und wirkte 1953 am Buch der ersten Fernsehfilmproduktion des deutschen Nachkriegsfernsehens mit. Parallel dazu vertiefte er als Rundfunkredakteur und Autor seine Kontakte zur Literaturszene.

Ich gehe aber davon aus, dass die Tassilo-Hörspiele frühestens in den 1970er-Jahren entstanden sind (wahrscheinlich von 1974 bis 1989). Der Inhalt lässt darauf schließen. Diese wurden ab 1974 produziert und vom Westdeutschen Rundfunk ausgestrahlt. Es dauerte einige Jahre, bis man diese Hörspiele mit Bruno Ganz in der Titelrolle verfilmte. Die sechsteilige Fernsehreihe Tassilo – Ein Fall für sich wurde im Frühjahr 1991 vom ZDF gesendet. Die sechs jeweils einstündigen Fernsehfolgen liefen um 21.15 Uhr. Regie führte Hajo Gies, der auch für viele Tatort-Folgen (Schimanski) als Regisseur verantwortlich zeichnete. Das Drehbuch schrieben Rolf Basedow und Hermann Naber. Bis auf die letzte Folge (100 Jahre Blickle) dienten die Hörspiele von Martin Walser als Vorlage.

1 Verteidigung von Friedrichshafen 17.02.1991
2 Hilfe kommt aus Bregenz 24.02.1991
3 Zorn einer Göttin 03.03.1991
4 Lindauer Pietà 17.03.1991
5 Das Gespenst von Gattnau 24.03.1991
6 100 Jahre Blickle 31.03.1991

    Tassilo – Ein Fall für sich - ZDF 1991

Mit der Ausstrahlung der Serie im Jahr 1991 im Fernsehen wurden die Hörspiele von Martin Walser auch als Suhrkamp-Taschenbücher (st 1884 – st 1889) veröffentlicht. Das sechste Hörspiel war (abweichend von der TV-Serie) das Stück Säntis. Über eine erste Auflage hinaus haben es die Hörspiele leider nicht geschafft. Auch wartet man vergebens auf eine Wiederholung der Reihe im Fernsehen. Man kann nur spekulieren: Schaut man z.B. bei Wikipedia nach, so findet man kein Wort zu diesen Hörspielen, als hätte es diese nie gegeben. Wahrscheinlich ist es Martin Walser ganz recht, dass keine Worte mehr über diese ‚Fingerübungen des Autors vom Bodensee‘ verloren werden. Nichtsdestotrotz sind die Hörspiele um Tassilo S. Grübel in Antiquariaten erhältlich. Ich habe alle sechs Bände für wenig Geld und in einem passablen Zustand erstanden und während meines Sommerurlaubs gelesen. Es sind kleine Bände von meist 80 Seiten und lassen sich ziemlich schnell lesen.

Martin Walser: Tassilo – sechs Hörspiele (1991)

Einen Martin Walser als Autor von Kriminal-Hörspielen, wenn auch mit ironischen Unterton, hätte kaum einer erwartet. Aber trotz aller Ironie versteckt sich hinter dem auch Gesellschaftskritik. Im Spiegel vom 11.02.1991 heißt es u.a.: Tassilo fungiert in Walsers Handlungskonstruktion als Katalysator, der die Verderbtheit der Reichen und Mächtigen in ihrer schmutzigen Reinheit hervortreibt, ohne daß sich der Detektiv je von klassenkämpferischem Ernst überwältigen ließe – ein Hofnarr unter reichen Narren.

Wer Martin Walsers Werk ein wenig kennt, wird in diesen Hörspielen trotz allzu salopper Sprache auch immer wieder den Roman-Autor herauslesen. Dax beginnt mit den ‚selbstsprechenden‘ Namen der Protagonisten und endet nicht bei Wortbildungen wie Beunruhigungstheater oder Selbstmordgesicht.

Dass sich bereits für die Hörspiele die Crème de la Crème der deutschen Schauspielerriege getroffen hat (u.a. auch Walser-Tochter Franziska Walser samt Ehemann Edgar Selge), wird durch die Verfilmung noch getoppt: allen voran Bruno Ganz, Axel Milberg und Marianne Hoppe.

Überhaupt: Neben Axel Milberg, den wir als Kieler Tatort-Ermittler Klaus Borowski kennen, geben sich bei den Hörspielen bzw. bei der TV-Serie auch noch andere Tatort-Kommissare die Hand in die Klinke; so Charles Brauer (KHK Brockmüller aus Hamburg) und Dieter Eppler (Kommissar Liersdahl aus Saarbrücken). Und wer von den vielen anderen Schauspielern hatte nicht irgendwann einmal einen Auftritt in einer Tatortfolge.

Für mich war die Lektüre der sechs Hörspiele ein sommerlicher Genuss. Damit wird das literarische Bild von Walser abgerundet. Jetzt wünsche ich mir noch unbedingt die Wiederholung der Tassilo-TV-Reihe. Es muss ja nicht zur besten Fernsehzeit sein. Irgendwo ins Nachtprogramm geschoben würde mir genügen. Hier Textpassagen, Inhaltsangaben (aus den Klappentexten) und Produktionsübersichten der sechs von Martin Walser verfassten Hörspiele:

    Also, Tassilo, die Würfel sind gefallen. Zuerst ein Kompliment für Ihre Logik: Außer mir haben tatsächlich sieben Häuser den Brief von der Bande. Mein rechter Nachbar, James Blickle, leitet die Verteidigung. Die Polizei ist verständigt, und zwar international.
    Die Verteidigung von Friedrichshafen (st 1884)

Tassilo Grübel erlebt eine folgenschwere Enttäuschung: Der Erfinder Sigrist, der ihn gerade als Werbemanager eingestellt hat, bringt sich um. Tassilo ist seinen Job los, bevor er ihn angetreten hat. Und er ist schon umgezogen, nach Friedrichshafen, wohnt dort vorerst mit seiner amerikanischen Frau Biddie bei seiner Mutter. Tassilo hat hier Kindheit und Jugend verbracht, er kennt die Leute, die Gegend. Daß so viele Wohlhabende am See wohnen, bringt ihn auf die Idee, ein Büro für Auskunft und Wissen zu gründen, ein Detektiv-Büro. Weil es aber in dieser Gegend viel weniger Unsicherheit gibt als etwa in Amerika, beschließt er, die Reichen nach Gangsterart zu beunruhigen, um dann als ihr Schützer und Retter auftreten zu können, das natürlich für gutes Honorar. Ohne seinen Freund Hugo könnte Tassilo, weil es ihm an praktischen Fähigkeiten fehlt, dieses Beunruhigungstheater nicht inszenieren. Auch mit Hugos martialischer Hilfe wird es eine so schwierige Kampagne, daß das Geld nachgerade fast als ehrlich verdient empfunden werden kann.
(Klappentext)

Sendedaten für das Hörspiel im Westdeutschen Rundfunk Köln
Die Verteidigung von Friedrichshafen

Mitwirkende:
Tassilo S. Grübel Wolfgang Reichmann
Biddie Sabine Sinjen
Tassilos Mutter Susi Nicoletti
Hugo Billingsreuther Karl-Michael Vogler
Benedetta von Woflsberg Biggi Fischer
Mia von Mufflings Louise Martini
James Blickle Heinz Baumann
Georg Feuerstein Hans Dieter Zeidler
Baron Oschatz-Tötensen Erik Frey
Frau Koppenwallner Isolde Stiegler
u.a.

Regie Heinz Wilhelm Schwarz
Dauer 75‘50
Produktion WDR/SWF/BR
Redaktion Klaus Schöning
Erstsendung 02.10.1974

    Ein bißchen Vertrauen! Gnädige Frau. Ein kleines bißchen Vertrauen!!! Und die Minuten werden weniger furchtbar sein. Sträuben Sie sich doch nicht so, einem Tassilo S. Grübel einmal fünfunddreißig bis fünfundvierzig Minuten lang zu vertrauen!
    Hilfe kommt aus Bregenz (st 1885) [Titel aus: KafkaTagebuch vom 06.07.1916]

James Blickle, Herr eines weltweit florierenden Unternehmens und Sproß einer schwäbischen Großbürgerfamilie, wird zum Gegenspieler Tassilos. Jede Begegnung wird zu einer Beleidigung des Kleinbürgers durch den Großbürger. Tassilo versucht zurückzuschlagen. Evi, eine Frau, die mit Männern à la Blickle betrübliche Erfahrungen gemacht hat, will sich beteiligen. Blickle soll verführt werden. Solange er mit Evi in seinem Berghaus in Graubünden ist, will Tassilo dafür sorgen, daß Frau Blickle fürchten muß, ihr Mann sei von einer besonders unbarmherzigen Terroristenbande entführt worden. Will sie ihn wieder, soll sie bezahlen. Wenn Blickle am Montag zurückkehrt, kann er seiner Frau nicht verraten, wofür sie bezahlt hat. Aber auch dieses Geld zu verdienen wird viel schwieriger, als Tassilo dachte.
(Klappentext)

Sendedaten für das Hörspiel im Westdeutschen Rundfunk Köln
Hilfe kommt aus Bregenz

Mitwirkende:
Tassilo S. Grübel Paul-Felix Binz
Biddie Sylvia Joost
Tassilos Mutter Renate Steiger
Evi Suttner Franziska Walser
Cornelia Rundel Dorothée Reize
Hugo Billingsreuther Charles Brauer
Ilse Blickle Sibylle Courvoisier
James Blickle Hans Wyprächtiger
Mia von Mufflings Iris Eick
Bedienung Elisabeth Gyger
Telefonistin Inka Friedrich
Telefonist Stephan Heilmann
Rosina Ruth Aders
Bahnhofsansager Stephan Heilmann,
Hans-Stefan Rüfenacht
Regie Otto Düben
Assistenz Thomas Werner
Dauer 72‘00
Produktion WDR/SWF/BR
Redaktion Klaus Schöning
Erstsendung 01.11.1988

    Hugo: „Du bist also der Veranstalter, Tassilo.“
    Tassilo: „Der Verkehrspolizist, Hugo, daß es glimpflich läuft. Verstehst du? Nicht gleich Kollision, Explosion, Schluß. Die Sache muß sich entwickeln können.“

    Das Gespenst von Gattnau (st 1886)

Gertrud Hotz, ehedem Gefährtin des Schriftstellers Färber (siehe st 1889 Säntis), bringt Tassilo zu dem alten Erfinder Kaspar Knechtle in Gattnau. Ein Journalist, Julius Weil, ist in alten sowjetischen Armee-Zeitungen auf diesen Erfinder der Schallkanone gestoßen und will wissen, was aus dieser Erfindung geworden ist. Knechtle war immerhin nach 1945 zwei Jahre eingesperrt gewesen. Die Schallkanone in den Händen eines Alt-Nazis – eine beunruhigende Vorstellung. Tassilo und Hugo zäumen diesen Fall so auf, daß nicht nur eine Zeitung, sondern die ganze Medienwelt zum Geldgeber werden soll. Sie verdienen zwar wieder einmal nicht so viel, wie sie sich ausgerechnet hatten, aber sie machen eine gründliche Erfahrung mit verschiedenen Arten von Journalismus.
(Klappentext)

Sendedaten für das Hörspiel im Westdeutschen Rundfunk Köln
Das Gespenst von Gattnau

Mitwirkende:
Tassilo S. Grübel Franz Matter
Biddie Dhana Moray
Tassilos Mutter Renate Steiger
Gertrud Hotz Franziska Walser
Kaspar Knechtle Sigfrit Steiner
Hugo Billingsreuther Günther Sauer
Julius Weil Peter Roggisch
1. Journalist Jochen Striebeck
2. Journalist Dieter Eppler
3. Journalist Martin Umbach
Journalistin Wibke Gröndahl
Ilse Blickle Sibylle Courvoisier
Journalisten, Bedienung, Eva Maria Beyerwaltes, Linda Joy und
Frauenstimme, Kellner Michael Habeck

Regie Otto Düben
Assistenz Uwe Schareck
Dauer 80‘45
Produktion WDR/SWF/ORF,
Studio Vorarlberg
Redaktion Klaus Schöning
Erstsendung 24.11.1987

    Lieber Tassilo, bitte tun Sie was. Wir treffen uns übermorgen wieder hier. Sie sollen auch mehr bekommen … Die siebzehntausend teilen wir. Wir beide. Achtfünf für jeden. Das ist unser Geheimnis, Tassilo.
    Zorn einer Göttin (st 1887)

Tassilo hält sich an den Unternehmer Blickle beziehungsweise an Frau Blickle. Die Unternehmensgattin ist eine schöne und kluge Frau. Daß sie unten den Affairen ihres Mannes zu leiden hat, wird für Tassilo eine Chance, noch einmal etwas Geld zu verdienen. Er muß ja auch von etwas leben. Als Blickle mit der Geliebten im Berghaus ist, stiehlt Tassilo mit Frau Blickles Einverständnis Blickles Lieblingsgemälde: Zorn einer Göttin vom Magritte. Diese Katastrophenmeldung bringt Blickle sofort zurück. Es gelingt auch, ihn durch Produktion weiterer Katastrophenstimmung im Haus zu halten, aber am Ende kommt für Tassilo viel weniger Geld heraus, als er erwarten durfte. Auch Frau Blickle ist, was Rechnen betrifft, Tassilo überlegen.
(Klappentext)

Sendedaten für das Hörspiel im Westdeutschen Rundfunk Köln
Zorn einer Göttin

Mitwirkende:
Tassilo S. Grübel Paul-Felix Binz
Biddie Sylvia Joost
Tassilos Mutter Renate Steiger
Hugo Billingsreuther Charles Brauer
James Blickle Hans Wyprächtiger
Ilse Blickle Sibylle Courvoisier
Evi Suttner Franziska Walser
Silke Ruth Hungerbühler

Regie Otto Düben
Assistenz Thomas Werner
Dauer 51‘35
Produktion WDR/BR/SWF
Redaktion Klaus Schöning
Erstsendung 25.05.1989

    Um ein Haar, Tassilo. Tassilo, das wünsch ich dir nicht, das wünsch ich meinem schlimmsten Feind nicht, daß er als alter hilfloser Mensch in die Hände eines mitleidlosen Feindes fällt …
    Lindauer Pietà (st 1888)

Tassilo S. Grübel, wie er, seit er Detektiv ist, heißt, gerät in eine der großbürgerlichen reichen Familien am See, lernt die wahrhaftige Dame Maximiliane Metzger-Fürst kennen. Weil er als Detektiv immer noch keine Kundschaft hat, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die kostbare Pietà aus der Villa Seefrieden zu entwenden, um sie als Detektiv wieder zurückerobern zu können. Freund Hugo sorgt wie immer für die technische Ermöglichung der dem Zwang zum Geldverdienen entsprungenen Tassilo-Idee. Tassilo verdient dann weniger, als er hoffte, aber er erfährt dafür zur Genüge, wie es in einer süddeutschen Großbürgerfamilie zugehen kann. Vor allem aber hat er eine wirkliche Dame kenngelernt.
(Klappentext)

Sendedaten für das Hörspiel im Westdeutschen Rundfunk Köln
Lindauer Pietà

Mitwirkende:
Tassilo S. Grübel Heinz Meier
Biddie Ricarda Benndorf
Tassilos Mutter Lina Carstens
Hugo Billingsreuther Dieter Eppler
Maximiliane Metzger-Fürst Brigitte Horney
Berti Metzger-Fürst Peter Heusch
Klothilde Metzger-Fürst Franziska Oehme
Isabell Metzger-Fürst Uta Sax
Anke Metzger-Fürst Louise Deschauer
Rudi Metzger-Fürst Victor Weiß
Dr. Buchinger Karl E. Ludwig
Else Buchinger Marianne Mosa
Miesbach Hans Goguel
Dr. Neukamm Walther Schultheiß

Regie Günther Sauer
Assistenz Frank Hübner
Dauer 75‘55
Produktion WDR/SWF/BR
Redaktion Klaus Schöning
Erstsendung 29.10.1975

    Ich kann denen nicht nachspionieren, Herr Grübel. Ich bin nicht mehr jung genug, um mit dem Selbstmördergesicht vor dem Fenster dieses … Herrn auf- und abzugehen. Aber ich muß wissen, wie und was! Alles!!! Verstehen Sie, Herr Grübel.
    Säntis (st 1889)

Tassilo bekommt endlich einen wirklichen Auftrag. Dem berühmten Schriftsteller Fritz Färber, der zwischen Lindau und Wasserburg am Bodensee wohnt, ist seine junge Gefährtin, Gertrud Hotz, von einem jungen, noch ganz unbekannten, unbewährten Schriftsteller, Peter Streich, einfach weggenommen worden. Der berühmte Schriftsteller sehnt sich nach seiner Gertrud, er leidet. Gertrud, vom Beruf Fotografin, ist mit dem jungen Schriftsteller in ein altes Bauernhaus am Westende des Bodensees gezogen. Tassilo soll beobachten, wie die zwei leben, ob sie auskommen, ob Gertrud vielleicht zurückzuerobern wäre. Färber will schriftliche Berichte über alles, was in der Bauernhausidylle in Oberuhldingen passiert. Tassilo gestaltet die Berichterstattung so, daß seine Mutter und sein Frau Biddie zu Hause nicht mehr um jede Mark streiten müssen. Was dann daraus wird, zeigt, daß Tassilo in Färber an jemanden gekommen ist, der es viel besser versteht, Unglück so zu manipulieren, daß Glück daraus wird.
(Klappentext)

Sendedaten für das Hörspiel im Westdeutschen Rundfunk Köln
Säntis

Mitwirkende:
Tassilo S. Grübel Joseph Bierbichler
Tassilos Mutter Maria Singer
Dr. Fritz Färber Hans Wyprächtiger
Gertrud Hotz Franziska Walser
Peter Streich Edgar Selge
Nuntia Heidy Forster
Liss Lobkowitsch Ilse Pagé
Joe Keckeisen Karl Lieffen
u.a.

Regie Alf Brustellin
Dauer 84‘00
Produktion WDR/SWF/BR
Redaktion Klaus Schöning
Erstsendung 25.12.1978

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siehe auch:
Zu Martin Walser (1): Ich bin nicht Walser
Zu Martin Walser (2): Links und DKP-nah
Zu Martin Walser (3): Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede
Zu Martin Walser (4): Tod eines Kritikers
Martin Walser und der Tatort
Jörg Magenau: Martin Walser – eine Biografie
Zu Martin Walser (5): Walser und die Krimis – Teil 1

Tatort und Fußball

Vor dem Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2016 der deutschen Mannschaft gegen Polen am letzten Freitag schaute ich mir noch die Tatort-Folge 805 aus Ludwigshafen (2011) an: Im Abseits. Gerwissermaße als Einstimmung auf das Fußballspiel. Diese Folge wurde anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 gezeigt und hat Gastauftritte einiger prominenter Vertreter des DFB (neben Theo Zwanziger, dem damaligen DFB-Präsidenten, auch Joachim Löw, Steffi Jones u.a.). Es geht dabei um den Mord ein einer Fußballspielerin:

Die Frauenfußballmannschaft vom FC Eppheim ist beim Training, während die attraktive Fadime Gülüc ein Fotoshooting hat. Der Fotograf möchte, dass sie auch in aufreizenden Dessous posiert. Sie lehnt das zunächst ab, willigt dann aber doch ein. Nach dem Duschen wird sie erschlagen aufgefunden.

Allzu aufregend ist dieser Fall zwar nicht (am Ende ist der Platzwart der Täter), vor allem der Auftritt der DFB-Oberen hat eher etwas Peinliches. Aber immerhin gibt es da einen kleinen Gag, den sich die Ausstatter des Films geleistet haben. Als Abonnent des Magazins für Fußballkultur 11 Freunde fiel es mir natürlich gleich ins Auge. Als Kriminalhauptkommissarin Lena Odenthal den verdächtigen Manager des Vereins verhört, sieht man sie vorn auf einem Tisch liegen: nein, keine Ausgaben von 11 Freunde, sondern Ausgaben von 11 Freundinnen.

Kriminalhauptkommissarin Lena Odenthal – 11 Freund/innen

Anschließend legte also die deutsche Fußballnationalmannschaft los und siegte mit 3:1 gegen die Polen. Es war ein ansehnliches Spiel mit kleinen Schönheitsfehlern in der Abwehr. Heute in Glasgow gegen die Schotten kann man alles klarmachen für die Qualifikation zur EM im nächsten Jahr in Frankreich.

UEFA Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich

Es reichte zwar nur zu einem 0:0 gegen Kasachstan: Aber neben Gastgeber Frankreich, den Engländern und Tschechen haben es auch die Isländer in Gruppe A geschafft: Bereits nach acht von zehn Spieltagen haben sie sich für die EM 2016 qualifiziert. Glückwunsch! Dagegen muss der WM-Dritte, die Niederlande, um eine Qualifikation bangen. Nach der 0:3-Niederlage in der Türkei sind sie nur noch Gruppen-Vierte und würden als solcher ausscheiden. Zuvor hatten die Holländer zu Hause gegen Island 0:1 verloren.

Mit Gareth Bale sind auch die Waliser in Gruppe B auf dem besten Weg, sich neben Belgien die Fahrkarte nach Frankreich zu holen. In Gruppe C streiten sich Spanien, die Slowakei und die Ukraine um die Plätze. Neben Deutschland haben die Polen in Gruppe D die besten Chancen für eine direkte Qualifikation. England hat sich bereits in Gruppe E qualifiziert. In Gruppe F liegen neben Nordirland und Rumänien noch die Ungarn gut im Rennen. Österreich führt die Gruppe G vor Schweden und Russland an und könnte mit einen Unentschieden heute in Schweden alles klar machen. In Gruppe H führt Italien knapp vor Norwegen und Kroatien. Am spannendsten ist es wohl in Gruppe I, wo sich Portugal, Albanien und Dänemark ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.

Neben Island sind es also die vermeintlich Kleinen, die für Furore sorgen: Albanien, Nordirland, auch Österreich und Wales haben gute Chancen sich direkt oder spätestens über die Play-off-Spiele der Gruppendritten für Frankreich zu qualifizieren.

Der Tatort aus Ludwigshafen ist nicht der erste, der sich um Fußball dreht. Im gleichen Jahr, 2011, gab es die Folge 794 aus Hannover: Mord in der ersten Liga, die sich mit Homosexualität und Homophobie im Profifußball beschäftigte. 2004 gab es zudem die Folge 581 aus Leipzig mit dem Titel Abseits, in deren Mittelpunkt das neue Leipziger Zentralstadion steht (heute heißt es nach diesem österreichischen Brausehersteller), das in zwei Tagen mit einer großen Feier eröffnet werden soll. Dort ist Susanne Fellner, Leiterin der Personalabteilung, erschlagen aufgefunden worden.

Zu Martin Walser (5): Walser und die Krimis – Teil 1

Wenn ein angesehener Schriftsteller zur Feder greift, um Kriminalromane zu schreiben, dann rümpft mancheiner die Nase. Oder es wird einfach die Tatsache unter den Tisch gekehrt, dass einer einmal zu diesem Zwecke die Feder ergriff …

Anders kann ich es mir nicht erklären, dass von keinem anderen als Martin Walser beflissentlich die Veröffentlichung von immerhin sechs Krimis, die allerdings als Hörspiele gestaltet wurden, verschwiegen wird, z.B. bei Wikipedia kein Wort.

    Tatort – TV-Reihe der ARD (seit 1970)

Nicht verschweigen konnte man bis jetzt seine Mittäterschaft bei dem Schreiben zu einem Drehbuch für eine Folge der ARD-Reihe Tatort. Ich habe es erst jüngst erwähnt (seinen Schwiegersohn Edgar Selge betreffend, Schauspieler wie seine Frau, Franziska Walser, Martin Walsers Tochter). Es handelt sich um eine Tatort-Folge aus Hamburg mit den Ermittlern Paul Stoever (Manfred Krug) und Peter Brockmöller (Charles Brauer) aus dem Jahr 1989: Armer Nanosh. Das Drehbuch hierzu schrieb Martin Walser zusammen mit Asta Scheib.

Das Walser durchaus große Sympathie für seinen Schwiegersohn hegt, lässt sich daraus ersehen, dass er eine Rolle hauptsächlich für diesen verfasst hat, wenn es dann am Ende auch die Rolle des … ist – aber ich will nicht zu viel verraten. Okay, es ist nicht einer der besten Tatort-Folgen. Interessant ist er aber trotzdem …


Tatort (220) aus Hamburg (1989): Armer Nanosh

Nun, ich taste mich langsam voran. Bevor ich zu den anfangs erwähnten sechs Kriminal-Hörspielen komme (als Stichwort sei bereits der Name Tassilo genannt), sei noch auf eine Kurzgeschichte von Martin Walser hingewiesen, die der Länge wegen wohl nur mit anderen Werken in Buchform erschienen ist; diese hier aber nicht aufgeführt zu haben, käme einem Verbrecher gleich, gelt?

Um es gleich zu sagen: Die Walser’sche Erzählung hat Marcel Reich-Ranicki als Herausgeber in Die besten deutschen Erzählungen, also die nach Ansicht Reich-Ranickis besten deutschen Erzählungen, veröffentlicht. Neben Goethe, Brecht, Namensvetter Robert Walser, Kafka u.v.a. darf Martin Walser in dieser Auswahl nicht fehlen, auch wenn sich zu Lebzeiten Reich-Ranickis beide nicht immer wohlgesonnen waren.

Es handelt sich um die Erzählung Selbstporträt als Kriminalroman:

„Unser Freund“ hat ein nicht näher beschriebenes Verbrechen begangen.

Unser Freund hat ein harmloses Verbrechen begangen. Er hält sein Verbrechen für harmlos. Er tut zumindest so, als halte er sein Verbrechen für harmlos. Er ist nicht bereit zuzugeben, dass sein Verbrechen ein ernsthaftes, ein schlimmes Verbrechen sein könne. Er ist sehr empfindlich, wenn jemand auf sein Verbrechen zu sprechen kommt.

Sobald jemand sein Verbrechen erwähnt, braust er auf. Erst wenn man ihn hemmungslos für sein Verbrechen lobt, beruhigt er sich. Dann lächelt er wie ein dreizehnjähriges Mädchen, dem man sagt, es sehe hundertmal verführerischer aus als Marilyn Monroe. Unser Freund behauptet allerdings, es sei ihm peinlich, gelobt zu werden und beschuldigt sich erneut des Verbrechens.

Ja, wer denn nicht, sagen wir dann! Ob er uns jemanden sagen könne, der in der Geschichte der Menschheit irgendeine Rolle spiele, und kein Verbrechen begangen habe! Schon eine Rolle zu spielen, oder spielen zu wollen in der Geschichte der Menschheit, sei ja der Beginn jedes großen Verbrechens …

Unser Freund verdächtigt uns alle, dass wir lügen, wenn wir ihn loben, und er unterstellt uns, dass wir auf der Seite des Inspektors stünden.

Der Inspektor, also. Die große Gegenfigur unseres Freundes. Er redet andauernd von diesem Inspektor. […]
Der Inspektor ist ein Verbrecher, der nicht den Mut gehabt hat, etwas zu begehen.

Der Inspektor verfolgt unseren Freund, und der beobachtet jeden seiner Schritte, ist genaugenommen mehr hinter dem Inspektor her als der hinter ihm. Inzwischen hat jedoch der Inspektor das Interesse an unserem Freund verloren.

Das ist für einen, dem das Verfolgtwerden zum Lebensinhalt geworden ist, offenbar das Schlimmste.

(Quelle. dieterwunderlich.de)

Das klingt nach Kafkas Prozess – und im ‚Inspektor‘ lässt sie der eben jene frühere Kritiker-Papst Reich-Ranicki erkennen (vergleiche Zu Martin Walser (4): Tod eines Kritikers). Eine literarische Fingerübung des ‚Autors vom Bodensee‘.

Für heute genug: zu den sechs genannten Kriminal-Hörspielen von Martin Walser in den nächsten Tagen mehr …

Stud. Med.

Endlich geschafft. Jetzt ist er ein Studiosus medicinae. Gestern kam die Zulassung von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Die nächsten Wochen dienen der Wohnungssuche. Und Papierkram liegt auch noch reichlich an.

    Studiosus medicinae – He looks like a doctor: Jan

Heute ist er schlauer und hätte vielleicht doch etwas mehr getan: Mit einer Abi-Note von 1,8 kann man nicht ohne weiteres Medizin studieren. So also der Umweg über eine Ausbildung zum MTA in Göttingen. Und im Mai dann der Medizinertest, um die Abi-Note aufzupolieren. Das hat auch bestens geklappt. Am 5. Oktober geht’s also los – in Mannheim! Glückwunsch, Jan, und viel Erfolg in den nächsten Jahren! Dein Vaddern

Ben Lyttleton: Elf Meter – Die Kunst des perfekten Strafstoßes

Champions-League-Finale 2012, FC Bayern München gegen FC Chelsea, Elfmeterschießen. Wie schaffte es Torwart Petr Čech, sechsmal in die richtige Ecke zu springen? Und warum versagten auf Seiten der Bayern ausgerechnet erfahrene Spieler wie Schweinsteiger und Robben?

Auf der Suche nach dem Geheimnis des perfekten Elfmeters sprach Ben Lyttleton mit Spielern, Trainern und Sportwissenschaftlern. Er erfuhr, welcher Teufel Panenka ritt, als er den entscheidenden Elfmeter im EM-Finale 1976 elegant über Sepp Maier hob. Er diskutierte mit Jens Lehmann, warum die Deutschen so gut im Elfmeterschießen sind. Und er lernte, welche körperlichen und mentalen Faktoren den Schützen beeinflussen. Gleichzeitig erzählt dieses Buch von den größten Elfmeterdramen, den sichersten Schützen, den besten Elfmeterkillern, aber auch von tragischen Helden wie Roberto Baggio, der im WM-Finale 1994 den entscheidenden Schuss vergab.

Wie berichtet, habe ich mich vor einiger Zeit für ein Abonnement der Monatszeitschrift 11 Freunde – Magazin für Fußballkultur entschieden. Mir gefällt das ganz einfach, wie hier witzig, sogar auf gewissem höheren literarischen Niveau über Fußball gefachsimpelt wird. Wirklich empfehlenswert. Als Abonnent kann man an immer neuen Auslosungen teilnehmen und dabei vor allem Bücher über Fußball gewinnen. Ich habe es öfter gewagt – und gewonnen! Vielen Dank!

    WilliZ Dauerkarte bei ‚11 Freunde‘

Eigentlich habe ich bei solchen Sachen kein Glück. Aber diesmal klappte es. Und das Buch, das ich gewann, habe ich inzwischen mit viel Spaß gelesen: Ben LyttletonElf Meter: Die Kunst des perfekten Strafstoßes – aus dem Englischen von Olaf Bentkämper – Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel Twelve Yards. The Art and Psychology oft he Perfect Penalty – Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015.

    Ben Lyttleton: Elf Meter – Die Kunst des perfekten Strafstoßes

In einer der Ausgaben der „11 Freunde“ (#163 Juni 2015) hatte dann auch schon der stellvertretende Chefredakteur des Magazins, Tim Jürgens, eine Rezension des Buches geschrieben (die ich hier sicherlich ungestraft wiederholen darf):

Die Entschlüsselung des Elfmeter-Codes

Wie viel besser wäre es um den englischen Fußball bestellt, gäbe es mehr Typen wie Matt Le Tissier? Im Gegensatz zu seinen Kollegen empfand es das Enfant terrible nämlich stets als Hochgenuss, Strafstöße auszuführen: ‚Ich mochte es, wenn das ganze Stadion auf mich schaute, das tat meinem Ego gut. Außerdem war es die einfachste Art, ein Tor zu schießen, vor allem, wenn ich nicht mal laufen musste.“ Da aber nicht jeder Profi diese Leichtigkeit empfindet, macht es sich der renommierte englische Autor Ben Lyttleton zur Aufgabe, das Geheimnis des perfekt geschossenen Elfmeters zu entschlüsseln. Zur Bewältigung dieser Sisyphosaufgabe sprach der mit einer Vielzahl prominenter Schützen und Torhüter und wertete zahllose Statistiken über Anlaufwinkel, bevorzugte Torecken, Reaktionszeiten und situative Entscheidungen Einzelner aus. So erfährt der Leser, dass Miro Klose bei allen Elfmetern, die er ausführte, als sein Team nicht im Rückstand war, stets in seine ‚natürliche‘ Torecke schoss. Wir lernen, dass Antonin Panenka 1976 kein Affekttäter war, sondern zwei Jahre lang an der Strafstoßtechnik feilte, die ihn im EM-Finale berühmt machte. Und dass bei Shootouts gegen die Niederlande 63 Prozent der Torhüter die richtige Ecke der Oranje-Schützen ahnen. Jede Frage, die wir uns je zum Elfmeter stellten, wird abendfüllend und anhand historischer Ereignisse beantwortet und in Gesetzmäßigkeiten überführt. Diese lesen sich mitunter zwar ein bisschen wie eine Diät, die zu Bewegung und Obst rät: ‚Lass dich nicht verunsichern‘, ‚Entscheide dich für eine Ecke und zaudere nicht‘, ‚Höre nicht auf Medien‘. Dennoch: Diese Scheinwissenschaft ist ein großer Spaß. Lyttleton überlässt nichts dem Zufall: Er beschreibt minutiös den Tagesablauf der Teams beim ersten Shootout der WM-Geschichte, um nachzuweisen, warum 1982 die deutsche Elf einen psychologischen Vorteil gegenüber Frankreich hatte. Die Versuchsanordnungen sind so vielfältig, dass der Leser gut gelaunt durch 320 anekdotengeschwängerte Seiten schmökert, um am Ende doch festzustellen, dass kein Elfmeter wie der andere ist und im Ernstfall die Psyche jede überzeugende Statistik ad absurdum führt. Oder wie Lothar Matthäus über den Unterschied der DFB-Elf zu den ‚Three Lions‘ bei der WM 1990 sagte: ‚Wir machten uns keinen Kopf. Statt groß drüber nachzudenken, konzentrierten wir uns.‘


Antonín Panenka – letzter Elfmeterschütze im Endspiel Europameisterschaft 1976 in Jugoslawien

Der Panenka (oder Panenka-Heber) hat es mir übrigens angetan. Und so habe ich noch zwei weitere auf diese Weise geschossene Strafstöße gefunden, die von keinen anderen als von Zidane bzw. Messi geschossen wurden.


Zinédine Zidane mit einem Panenka bei der WM 2006 im Endspiel 2006


Lionel Messi mit einem Panenka in einem Spiel der spanischen Liga 2015

Wenn man überlegt, dass viele Meisterschaften durch Strafstöße und durchs Elfmeterschießen entschieden werden, dann wird einem schnell klar, welche Bedeutung diesen zukommt. Kein Geringerer als Johan Cruyff behauptete, man könne das Elfmeterschießen nicht trainieren. Sicherlich sind die Bedingungen im Training völlig andere als z.B. bei einem Turnier wie eine Weltmeisterschaft. Aber es ist sicherlich hilfreich, das Schießen von Elfmetern zuvor – vom Ablauf her – trainiert zu haben. Je mehr man diesen Ablauf verinnerlicht hat, umso größer werden die Erfolgsaussichten sein. Wer nach 120 Spielminuten überhastet ‚am Punkt‘ antritt, verringert diese mit Sicherheit:

‚Sich Zeit zu nehmen, bedeutet keine Treffergarantie, aber zumindest verschießt man nicht wie so viele andere Spieler aus meinen Studien, weil man sich nachlässig und unachtsam auf den Schuss vorbereitet hat‘, betonte [der norwegische Sportpsychologe Geir] Jordet. ‚Indem man sich auf eine Strategie konzentriert, die auf gesicherten Daten basiert, hat man sich selbst und die Situation gleich besser im Griff und erhöht seine Erfolgsaussichten. Sich eine Sekunde mehr Zeit zu nehmen, um durchzuatmen, wirkt entspannend und erhöht die Konzentration, und wenngleich es die Spieler nicht direkt in einen meditativen Zustand versetzt, kann es die nachteiligen Auswirkungen von Stress ein wenig dämpfen.“ (S. 48)

Apropos Cruyff: Er gehörte wie viele andere prominente Fußballspieler zu denen, die sich am liebsten vor dem Elfmeterschießen gedrückt haben. Aber zumindest einmal schrieb er Elfmetergeschichte, als er 1982 mit Ajax Amsterdam in einem Ligaspiel mit Hilfe seines Mitspielers Jesper Olsen einen Elfer auf kuriose, aber durchaus regelkonforme Art verwandelte: Beim Spiel in der niederländischen Eredivisie zwischen Ajax und Helmond Sport am 5. Dezember 1982 spielte Johan Cruyff einen Elfmeter kurz ab, worauf Olsen den gespielten Ball dem Niederländer zurückspielte, der dann den verdutzten Torhüter ganz einfach bezwingen konnte. Allerdings soll Cruyff samt Olsen wohl nicht die ‚Urheberrechte‘ daran haben.


Johan Cruyff und Jesper Olsen: Elfer der kuriosen Art (1982)

Da die durchschnittliche Trefferquote vom Punkt etwa 78 % beträgt, ist bei jedem Elfmeterschießen mit einem Fehlschuss zu rechnen. Dieser Wert sinkt auf 71 % bei Weltmeisterschaften, was […] ein Hinweis darauf ist, wie sich der erhöhte Druck auf die Spieler auswirkt. Für Mannschaften, die auf England treffen, steigt der Wert allerdings. […] In den sieben Elfmeterschießen, die England bei Welt- und Europameisterschaften bestritten hat, trafen die Gegner 83 % (29 von 35) ihrer Schüsse. Die Engländer selbst verwandelten nur 66 % (23 von 35). (S. 45)

Ausgangspunkt des Buchs sind die Probleme englischer Nationalspieler beim Elfmeterschießen. Aber dabei bleibt es nicht: Neben Anleitungen, die durch Statistiken aller Art untermauert werden, und vielen Anekdoten erfahren wir als Leser am Ende dann auch noch einiges zur Geschichte des Strafstoßes und der Entscheidungsfindung bei KO-Spielen durch das Antreten und Schießen ‚vom Punkt‘. „Unterhaltsam, brillant, meisterhaft“ nennt die Sunday Times das Buch und trifft damit den Nagel auf den Kopf (oder vom Punkt ins Tor). Daher sei dieses Buch jedem Fußballfan wärmstens ans Herz gelegt. Ich habe es auf jeden Fall mit Genuss gelesen.

siehe u.a.:
Alle Fakten zum Elfmeterschießen
10 psychologische Fakten über Fußball

Tschingis Aitmatow: Dshamilja

    Ich schwöre es, die schönste Liebesgeschichte der Welt.
    Louis Aragon

Im zentralasiatischen nordöstlichen Kirgisien, irgendwo im Tal des Kukureufluses, im Sommer des dritten Kriegsjahres, 1943, hat sie sich abgespielt, „die schönste Liebesgeschichte der Welt“ (Aragon). Said, der damals Fünfzehnjährige, der nicht wußte, wie Liebe sich zuträgt, erzählt sie mit großem Erstaunen.
(aus dem Klappentext)

    Ich war erschüttert. Die ganze Steppe schien zu erblühen, zu wogen, die Dunkelheit wich, und in der unendlichen Weite sah ich die Liebenden. Sie bemerkten mich nicht, sie hatten alles auf der Welt vergessen und wiegten sich im Takt des Liedes. Ich erkannte sich nicht wieder. Und dennoch: das war Danijar in seinem offenen, abgewetzten Uniformhemd, aber seine Augen schienen in der Dunkelheit zu leuchten. Und das war meine Dshamilja, die sich an ihn lehnte, aber sie war so stille und scheu, und an ihren Wimpern blitzten Tränen. Das waren zwei neue, unendlich glückliche Menschen. Und war das denn nicht das Glück? Danijars Lieder galten nur ihr, er sang für sie, er sang von ihr.
    Tschingis Aitmatow: Dshamilja(S: 96)

Mit seiner kleinen Erzählung von Dshamilja und Danijar hat der Kirgise Tschingis Aitmatow eine wunderbare Liebesgeschichte geschrieben, die sicherlich auch uns, die wir fernab der asiatischen Steppe leben, auf besondere Weise berührt. Denn sie spielt in einem Dorf namens Talas am Fluß Kukureu im Nordosten Kirgisiens (Talaskaja Oblast) an der Grenze zu Kasachstan und – wie bereits erwähnt – vor längerer Zeit im Jahr 1943. Aber auch wenn uns die beiden Liebenden von Ort und Zeit so weit entrückt sind, mit dieser Erzählung kommen sie uns ganz nah. Wer mag da dem guten Louis Aragon widersprechen: Es ist wirklich die schönste Liebesgeschichte der Welt!

    Tschingis Aitmatow: Dshamilja

Die Erzählung Dshamilja – aus dem Russischen von Gisela Drohla – habe ich als suhrkamp taschenbuch 1579 – erste Auflage 1988 – Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, vorliegen und zum ersten Mal vor nun 27 Jahren (eben 1988) gelesen.

Zum Inhalt: Said, ein 15-jähriger Junge, erzählt die Liebesgeschichte seiner Schwägerin Djamila. Während Djamilas ungeliebter Mann, Sadyk, im Zweiten Weltkrieg an der Front kämpft, lernt sie Danijar bei den täglichen Getreidefuhren zum Bahnhof mit ihm kennen. Er ist ein teilinvalider Frontheimkehrer, scheu, träumerisch und von den Menschen im Dorf gemieden. Erst als er eines Tages ein Lied singt, bemerkt Djamila, dass in ihm ungeahnte Qualitäten stecken. Er singt von der Landschaft und vom Leben und auch Said ist hingerissen von ihm. Djamila und Danijar verlieben sich ineinander und Said, der bisher versucht hat, Djamila von Männern fernzuhalten, da er selber auf eine für ihn noch unbegreifliche Weise in Djamila verliebt ist, billigt dies. Durch den Gesang Danijars entdeckt er sein eigenes künstlerisches Ausdrucksverlangen als Maler. Nach Sadyks Heimkehr von der Front eskaliert die Situation und die zwei Verliebten verlassen das Dorf und brechen so die Tradition, um miteinander leben zu können. Auch Said verlässt das Dorf und folgt seiner Berufung als Maler.

Der merkwürdige Reiz von „Dshamilja“ beruht darauf, […] daß wir das alles von innen erfahren durch Menschen, für die das alles natürlich ist, keiner Erklärung bedarf, so daß der Erzählfluß jene außerordentliche Leichtigkeit gewinnt, die der modernen, an einer Reportagekrankheit leidenden Literatur, in der alles vorher auf Karteikarten geschrieben zu sein scheint, so sehr fehlt. (Louis Aragon: Vorwort – S. 14 f. – Leseprobe: Vorwort zum Buch)

    Tschingis Aitmatow

Der Autor, Tschingis Aitmatow wurde 1928 im Dorf Sheker, Kirgisien, geboren. Mit fünfzehn war er der Sekretär des Dorfsowjets in Sheker. Genau in dieser Zeit spielt „Dshamilja“. 1946 studierte er an der Technischen Hochschule in Dshambul Veterinärmedizin. Nach dreijähriger Arbeit auf dem Experimentiergut des Wissenschaftlichen Viehzuchtforschungsinstituts von Kirgisien geht Aitmatow 1956 bis 1958 an das Literatur-Institut „Maxim Gorki“ nach Moskau. Aitmatows Name repräsentiert – auch in der westlichen Welt # die beste zeitgenössische Sowjetliteratur.

Bereits in den 1970er Jahren distanzierte er sich vom sozialistischen Realismus, sein Roman Der Richtplatz (auch: Die Richtstatt) gab 1987 wichtige literarische Impulse für die Perestroika.

1988–1990 war Aitmatow Vorsitzender des kirgisischen Autorenverbandes. In der Zeit der Perestroika war er als parlamentarischer Vertreter (Oberster Sowjet der UdSSR) aktiv, seit Ende 1989 auch als Berater Michail Gorbatschows. 1990 wurde er der letzte sowjetische Botschafter in Luxemburg. Bis März 2008 war er Botschafter für Kirgisistan in Frankreich und den Benelux-Staaten und lebte in Brüssel.

Nachdem der an Diabetes erkrankte Aitmatow bei Dreharbeiten im Wolgagebiet im Mai einen Schwächeanfall erlitten hatte, verstarb er am 10. Juni 2008 im Nürnberger Klinikum nach drei Wochen an den Folgen einer schweren Lungenentzündung.

Hannes Wader wurde durch die Erzählung zu seinem Lied „Am Fluss“ inspiriert („Es wird Abend, siehst du auch die alten Weiden dort am Fluß? Komm, in ihren Schatten kühlst du deinen müden Fuß …“).

Stockender Start

Es kommt einem Déjà-vu gleich, der Start des SV Werder Bremen in die neue Fußball-Bundesliga-Saison: Wie in der letzten Saison verliert Werder sein Heimspiel gegen Schalke mit 0:3. Und im Spiel in Berlin gegen Hertha BSC reicht es nur zu einem Unentschieden. Immerhin. Da fürchtete ich gegen die Borussia aus Mönchengladbach auch ähnlich Schlimmes wie im Vorjahr. Aber die Bremer überzeugten mit einer kämpferischen Leistung und mit einem 2:1-Sieg gegen inzwischen eher verunsicherte Gladbacher (nach drei Niederlagen zum Start finden sie sich auf dem letzten Tabellenplatz wieder), wobei sich Felix Kroos noch den Luxus erlaubte, einen Elfmeter weit links neben das Tor zu setzen.

Vestergaard (SV Werder Bremen) bejubelt das 2:1 gegen Gladbach

Nun bei Werder hat sich in den letzten Wochen vor dem Saisonstart einiges getan. Nach dem frühzeitigen Wechsel von Davie Selke an den Brauseherstellerverein in Leipzig, packten auch Nils Petersen (jetzt mit festem Vertrag beim FC Freiburg in der 2. Liga) und Franco Di Santo, der sich zuletzt noch mit großen Worten zu Werder bekannte und dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu Schalke zog, die Koffer. Gleich drei Stürmer verließen die Weser. Wie gut, dass man mit dem Ex-Kölner Anthony Ujah schon einmal für Nachschub gesorgt hatte. Statt eines ‚Traumsturms‘ mit Ujah/Di Santo gibt es jetzt einen mit den Herren Ujah und dem US-Amerikaner mit isländischen Wurzeln, Aron Jóhannsson – beide 24 Jahre alt, beide zunehmend aufeinander eingespielt.

Mit Cédric Makiadi, eine Altlast aus Zeiten von Robin Dutt, Eljero Elia und Ludovic Obraniak ist Werder drei Spieler losgeworden, wenn auch ablösefrei, die die Erwartungen in sie nie erfüllt und nur viel Geld gekostet haben. Der sicherlich schmerzhafte Abgang von Sebastian Prödl wurde durch Ulisses Garcia und eigenem Nachwuchs (Jannik Vestergaard war ja schon zuvor zu Werder gekommen) kompensiert.

Nach dem stockenden Start mit Niederlage, dann Unentschieden und jetzt einem Sieg kommt die Länderspielpause gerade recht, bevor es am 13. September (wieder einem Sonntag) um 15 Uhr 30 gegen Hoffenheim geht, die auch alles andere als gewünscht gestartet sind.

Sollten die Zahlen halbwegs stimmen, dann hat Werder für neue Spieler 8,7 Millionen € ausgegeben, dafür das Doppelte (17,4 Mill. €) für Verkäufe eingenommen – erlöst somit 8,7 Millionen €, die den Schatzmeister freuen werden. Sportlich, so glaube ich, ist die Mannschaft nicht schlechter geworden. Obwohl man im DBF-Pokal gegen die Würzburger Kickers zwar alles andere als geglänzt hat, aber immerhin eine Runde weiter ist, so fließt auch hier noch einiges an Geld in Werders Kassen. Neben der sportlichen ist die finanzielle Konsolidierung des Vereins unumgänglich.

Das ist natürlich nichts gegen die Summen, mit denen die Bayern hantieren (rd. 86 Millionen € Ausgaben stehen 33,5 Millionen € Einnahmen gegenüber). Aber selbst das ist wenig gegen das, was die englische Premier League investiert. Da werden allein in einzelne Spieler ‚Unsummen‘ gesteckt (z.B. Kevin De Bruyne, Spieler des Jahres 2015 in Deutschland, geht für kolportierte 75 Millionen € von Wolfsburg zu Manchester City – ob er da wirklich glücklich wird, mag ich trotz der 20 Millionen €, die er als Jahresgehalt bekommen soll, zu bezweifeln). Und ein Hammer wäre es, wenn lt. Wild-Zeitung Louis van Gaal, Trainer von Manchester United, angeblich 330 Millionen € (mit allem Drum und Dran) für den Brasilianer Neymar locker machen will. Die Entartung des Fußballs wird nicht nur durch Funktionäre a la Blatter vorangetrieben.

Nach nur drei Spieltagen in der neuen Saison findet man wieder Dortmund und ‚natürlich‘ Bayern München an der Tabellenspitze. Überraschend gut verkauft haben sich bisher die Aufsteiger Ingolstadt und Darmstadt. Am Ende rangiert (siehe oben) neben Hannover und Stuttgart eben Mönchengladbach, die damit als Tabellendritter der letzten Saison einen klassischen Fehlstart hinlegen (wie gut für Werder). Verunsicherung macht sich breit. Zudem dürften es die Gladbacher auch in der Gruppenphase der Champions League nicht leicht haben. Mit Manchester City, Juventus Turin und dem FC Sevilla warten hochkarätige Gegner auf sie. Nach Top kommt der Flop?

Ums kommende Wochenende herum steht dann auch wieder die Qualifikation zur Europameisterschaft 2016 an. Für das deutsche Team geht es am Freitag gegen den Gruppenersten, Polen – und dann am Montag darauf in Schottland schon fast um Alles oder Nichts. Für mich interessant ist auf jeden Fall das Spiel Niederlande – Island am Donnerstag. Das Spiel wird live von RTL Nitro übertragen (Spielbeginn wie auch bei den Deutschland-Spielen: 20 Uhr 45). Für die Isländer drücke ich die Däumchen, damit sie es verdientermaßen zum ersten Mal zu einem großen Turnier schaffen!

Der Fußballwahnsinn ist also wieder voll im Gange.

Tilman Spreckelsen: Das Nordseegrab – ein Theodor-Storm-Krimi

Als ich mit meiner Frau aus unserem Kurzurlaub in Sizilien kommend am Koblenzer Hauptbahnhof Anfang Mai d.J. am sehr frühen Morgen auf unseren Zug nach Bremen warteten (der Bahnstreik war da noch im vollen Gange), hatten wir einige Zeit, um uns mit Frühstück und Lektüre zu versorgen. So kaufte meine Frau u.a. den Roman Das Nordseegrab: Ein Theodor-Storm-Krimi von Tilman Spreckelsen.

    Tilman Spreckelsen: Das Nordseegrab - ein Theodor-Storm-Krimi

Apropos Sizilien und Theodor Storm: Im August 2000 (also vor nun 15 Jahren) weilte ich mit Frau und beiden Söhnen anlässlich einer sizilianischen Hochzeit schon einmal auf der großen Mittelmeerinsel. Dort in Marina di Ragusa fand gerade ein Bouquinistenmarkt, ähnlich wie in Paris an der Seine, statt, also ein Markt mit alten Büchern. Bei meinem Faible für Bücher (auch besonders für alte Bücher) kamen wir nicht umhin, dort ein wenig zu stöbern. Und so fiel uns Theodor Storms Roman Der Schimmelreiter – in deutscher Sprache – in die Hände. Der ältere meiner beiden Söhne wollte das Buch unbedingt haben, vielleicht des Titels wegen. So kauften wir es. Die letzten Tage dort im Süden fanden wir unseren Sohn immer wieder hingebungsvoll im Buch lesend. Dazu muss gesagt werden: Sohnemann war damals gerade zehn Jahre alt.

Urlaubszeit ist, wie öfter an dieser Stelle gesagt, auch Lesezeit. Nachdem meine Frau dem Theodor-Storm-Krimi gelesen hatte, nahm ich ihn mir während meines diesjährigen Sommerurlaubs vor. Husum (vor Jahren habe ich dort einmal bei einer Radtour in der Jugendherberge übernachtet, bin auch sonst schon öfter durch die Stadt gekommen), Theodor Storm und ein Kriminalfall – ein Mix, der Spannung verspricht.

Husum 1843: Die Stadt ist in Aufregung. Ein Bottich voll Blut, darin eine Leiche, die sich als Wachspuppe erweist. Wenig später wird ein echter Toter gefunden. Der junge Anwalt Theodor Storm spürt dem Geheimnis nach, in alten Dorfkirchen und vor den Deichen Husums. Ihm und seinem Schreiber Peter Söt schlägt die ohnmächtige Wut armer Bauern entgegen und das arrogante Schweigen der Reichen. Bis er auf ein fast vergessenes Schiffsunglück stößt, auf eine alte Schuld und einen Mörder, der diese Schuld eintreiben will.
(aus dem Klappentext)

Husum und Umgebung im 19. Jahrhundert

Was die Nordsee sich holt, gibt sie nicht mehr frei. Aber ihre Opfer sind nicht vergessen. – Husum im Jahr 1843: Eine falsche Leiche und eine echte, ein Schiffsunglück, das keines war, und ein Mörder, der Rache will: der junge Anwalt und zukünftige Dichter Theodor Storm stößt zusammen mit seinem geheimnisvollen Schreiber Peter Söt auf Wut, Schweigen und eine alte Schuld.

Zum Autoren: Tilman Spreckelsen wurde 1967 in Kronberg/Ts. geboren. Er studierte Germanistik und Geschichte in Freiburg und arbeitet heute als Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Mit diesem Roman gewann er den Theodor-Storm-Preis 2014. Begründet wurde das wie folgt: „Subtiles, von Ideenreichtum funkelndes Fortschreiben von Storms erzählten Welten.“

Man merkt ziemlich schnell, dass Tilman Spreckelsen nicht unbedingt ein Autor von Kriminalromanen ist. Er macht den Fehler, den jeder Anfänger macht, der sich an Krimis wagt: Er trägt etwas zu dick auf. Damit verzettelt er sich ziemlich schnell. Auch gibt es ein Zuviel an auftretenden Personen, sodass man manchmal nicht weiß, von wem gerade die Rede ist. Nicht umsonst hat der Autor am Ende des Buchs eine dem Leser hilfreiche Liste der wichtigsten Personen angefügt:

Die wichtigsten Personen (S. 266 f.):

Heinrich Bandmann, Kaufmann aus Hamburg
Christian Ulrich Beccau, Untergerichtsadvocat
Peter Behrens, Gastwirt in Schwabstedt
Hinrich Bohn, Gemeinderat in Schwabstedt
Henning Brauer, Gemeinderat in Schwabstedt
Claus Clausen, Schreiber von Johann Casimir Storm
Johann Dames, Kaufmann aus Husum
Harro Feddersen, Primaner
Johann Fenner, Gastwirt
August Gläser, Apotheker
Bottilla Sophia Greol, Dienstmädchen
Peter Heyne, Kaufmann in Friedrichstadt
Sophia Heyne, seine Witwe
Thede Honnens, Trinker aus Mildstedt
Reinhard, Hermann Ludwig Karl von Kaup, Bürgermeister von Husum
Heinrich Friedrich Kramer, Landvogt in Husum
Hans von Krogh, Amtmann
Johann Kuhlmann, Arzt
Paul Lüdersen, Kaufmann in Husum
Hinrich Möllers, Kaufmann in Plön
Knut Petersen, Gemeinderat in Schwabstedt
Carl Ernst Schmidt, Vermieter von Storms Kanzleiräumen
Anton Setzer, Amtsverwalter
Hanne, Laura und Sophie Setzer, Töchter des Amtsverwalters Setzer
Peter Söt, Schreiber von Theodor Storm (und Ich-Erzähler)
Johann Steffens, Armenhäusler aus Schwabstedt
Johann Casimir Storm, Koogschreiber, Abgeordneter und Anwalt in Husum, Vater von Theodor und Helene Storm
Helene Storm, Theodors Schwester
Theodor Storm, Anwalt in Husum
Friedrich Johann Christian Tostensen, Pförtner im Schloss
Christian Vorlauf, Geisterseher in Schwabstedt

So ist das Buch in erster Linie eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert, denn Spreckelsen hat die Hintergründe der damaligen Zeit sehr genau recherchiert – oder wie es auf der Rückseite des Buchs steht: Historisch genau, atmosphärisch dicht, nordisch gut: Theodor Storm und sein Gehilfe ermitteln

Für einen echten Krimifan fehlt es natürlich an ‚Psychologie‘ in dem Roman. Nun geschehen Verbrechen hier meist aus der Not der Täter heraus. Und die reichen Kaufleute ähneln in ihrer Arroganz heutigen Industriellen. Aber etwas mehr Farbe, besonders bei der Person des Theodor Storm, hätte ich mir schon gewünscht. Er bleibt recht blass.

Trotzdem hat mir dieser Krimi sehr gut gefallen. Sicherlich hat es mit diesem ungewöhnlichen Mix (Historie, Storm, der Norden, Mord) zu tun. Und es kann ja nur noch besser werden. Spreckelsen plant einen zweiten Band mit Storm und seinem Gehilfen, dem Schreiber Peter Söt. Dieser soll zu Weihnachten spielen und sich um eine Mordserie um eine religiöse Sekte ranken.

Fragen an Tilman Spreckelsen:

In ‚Das Nordseegrab‘ geht es um ein Schiffsunglück, bei dem es nicht mit rechten Dingen zugeht, um ehrenwerte Kaufleute und betrogene Bauern. Wie haben Sie Atmosphäre und Alltagsdetails des 19. Jahrhunderts recherchiert? Gab es solche Mordfälle wirklich?

Die Details waren mir sehr wichtig: ich wollte wissen, was man 1843 in Husum für ein Stück Butter bezahlen musste, auf welchem Weg man von Storms Wohnung zum Hafen kam, welche Kartenspiele bei vornehmen und einfachen Leuten beliebt waren oder was in diesem Jahr die Attraktionen der Schausteller auf dem Pfingstmarkt der Stadt waren. Ich habe alte Reisebeschreibungen gelesen, juristische Texte, das damalige Husumer Wochenblatt, Storms Briefe … Ich habe die Häuser in Husum besucht, in denen Storm lebte oder seine Freunde traf. Und viele der Verbrechen, die ich schildere, haben so oder so ähnlich tatsächlich stattgefunden. Nur dass sie bei mir in einem größeren Zusammenhang stehen.

Theodor Storm kennt man als Dichter und Autor von ‚Der Schimmelreiter‘. Wie kamen Sie darauf, Storm als Ermittler zu entdecken?

Storm war Jurist und hat damit immerhin eine zehnköpfige Familie ernährt – das ist nur heute wenig bekannt. Ich wollte mir vorstellen, wie er als junger Anwalt – noch ohne Familie – nach dem Studium wieder nach Husum zurückkehr, manchmal einen Mandanten betreut, einen Chor gründet, sich verliebt und sonst ziemlich in den Tag hinein lebt, immer ein bisschen unter der Fuchtel seines erfolgreichen Vaters. Und dann plötzlich tief in einem Fall steckt, ohne es richtig zu merken.

Ihr Kriminalroman spielt an der Nordseeküste in Husum. Was hat Sie an diesem Landstrich gereizt, was ist das Besondere an dieser Gegend?

Der Himmel, das Meer, Husums wundervolle Altstadt … Da ist vieles noch so wie zur Zeit Theodor Storms. Ganz spannend ist, wie sich dort die Grenze zwischen Land und See immer wieder verschoben hat und noch heute verschiebt. Wer vor Husum bei Ebbe durchs Watt läuft, hat unter den Füßen eine versunkene Welt. All die alten Dörfer mit ihren Kirchen, Häusern, Brunnen und Äcker, die sich das Meer geholt hat! Wahrscheinlich muss man wie Storm in einer solchen Landschaft leben, um den >Schimmelreiter< zu schreiben.