Kategorie-Archiv: Ei, wie witzig

Deutschland sucht den Super-Witz-Schrott

Der Witzableiter (14): Pointen, die sich verdrückt haben

Fortsetzung von: (13): Ein Spiel mit doppelten Böden

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute im 14. Teil um Auslassungen, also um fehlende Teile, die intuitiv ergänzt werden müssen, um einen Witz zu verstehen. Mancher ist dabei schon auf der Strecke geblieben, weil er die Pointe verpasst hat.

Müller geht an Krücken. „Verkehrsunfall“, sagt er. „Schrecklich!“ ruft sein Kollege aus, „ohne Krücken können Sie nicht gehen?“ „Weiß nicht“, sagt Müller, „mein Arzt sagt ja, mein Anwalt nein.“ Das ist nicht ganz leicht zu verstehen. Leider sind diesmal Witze dran, die einen ganzen Gedankengang auslassen.

Eine auffallend attraktive Frau kauft in einer Pariser Parfümerie ein Eau de Toilette und bezahlt mit einem Fünfhundert-Franc-Schein. „Bedauere“, sagt die Dame an der Kasse, „der Schein ist nicht echt.“ „Dann hat man mich“, sagt die Frau, „eben vergewaltigt.“ Ein bißchen Lebenserfahrung gehört wohl zum Verstehen dieser Witze dazu. Schließlich muß der Witzhörer die Auslassung mit eigenen Kenntnissen überbrücken. „Wünschen die Herrschaften noch etwas?“ fragt der Hoteldiener, nachdem er das Gepäck des Paares abgesetzt hat. „Danke, nein“, sagt der Mann. „Vielleicht noch etwas für die Frau Gemahlin?“ „Ach ja, das ist eine Idee“, sagt der Mann, „bringen Sie mir eine Postkarte.“

Der Soziologe Helmuth Plessner hat diese Technik als „witzige Prägnanz“ bezeichnet, die einen ganzen Gedankengang übergeht und zu „einer verschwiegenen Mehrdeutigkeit“ führt. Als Beispiel zitierte er selbst den Stoßseufzer eines Berliner Zoobesuchers angesichts einer Giraffe: „So ’n Hals und denn ’n Kümmel!“ Diese Auslassung kann man wohl deshalb recht leicht verstehen, weil es sich um einen Einfall aus den Tiefen des Gemüts handelt.

Verschlüsselter ist schon ein Ausspruch, den Sigmund Freud als Beispiel für eine Auslassung zitiert. Sie stammt aus der Festschrift eines Wiener Künstlerballes. Auf Hochdeutsch etwa: „Eine Frau ist wie ein Regenschirm. Man nimmt dann doch die Droschke.“ Das muß ich wohl erläutern. Es fehlt der Zwischensatz „wenn es regnet“ und am Schluß die Gleichsetzung Droschke/Dirne. Das ist Doppelsinn aus der Zeit der doppelten Moral. Uns kommt es heute zu rätselhaft vor.

„Warum bist du eigentlich nie Soldat gewesen?“ „Keine Ahnung. Dabei habe ich bei jeder Musterung mit dem Stabsarzt sogar um tausend Mark gewettet, daß ich tauglich bin. Aber immer vergeblich.“ Hier spürt man, finde ich, deutlich die Verwandtschaft von Witz und Rätsel. Als Rätsel würde der Gedanke wohl lauten: „Wie kann man eine Musterung mit Geld beeinflussen, ohne zu bestechen?“ Der Unterschied besteht darin, daß ein Rätsel die Einzelteile gibt und nicht das Ergebnis, während der Witz das Ergebnis (hier: Wette) gibt, aber uns ein fehlendes Teil intuitiv ergänzen läßt.

Witzableiter (14)

„Einer aus meiner Klasse“, erzählt der Sohn seinem Vater, „hat behauptet, ich sähe dir ähnlich.“ „So, so“, sagt der Vater, „und was hast du ihm geantwortet?“ „Nichts“, sagt der Sohn, „er ist stärker als ich.“ Das ist so ziemlich das Komplizierteste, was ein Witzhörer heute noch hinnimmt. Früher scheint das anders gewesen zu sein. Jean Paul zitiert 1804 eine Anekdote, deren Knappheit er besonders gelungen findet:

Ein römischer Kaiser fragte einen Fremden, über die Familienähnlichkeit spottend: „War deine Mutter nicht in Rom gewesen?“ – und dieser versetzte: „nie, aber wohl mein Vater.“ Heute ist dieser Witz schon deshalb unverständlich, weil man sich mit hochgestellten Herrschaften nicht mehr so auskennt. Es geht hier – wenn beide Männer Halbbrüder sind – um die Frage, wessen Mutter dann das uneheliche Kind hatte. Etwas verzwickt. Dennoch zitieren diesen Witz, leicht modernisiert, noch Sigmund Freud und Arthur Koestler als Vorbild für eine gelungene Auslassung.

„Ich habe mich gestern mit meinem Mann gestritten.“ „Und wer hat gewonnen?“ „Der Juwelier.“ Das ist doch wenigstens auf Anhieb zu begreifen, auch wenn hier ebenfalls viel ausgelassen worden ist. Aber das Ende ist bekannt („Der Juwelier“), und die Lücke schließen wir intuitiv.

Eine amerikanische Fluggesellschaft bot in einer Werbeaktion allen Ehefrauen an, ihre Männer auf Geschäftsreisen zu begleiten – zum halben Preis. Später wurden alle Frauen, die das Angebot genutzt hatten, schriftlich gefragt, wie ihnen die Reise gefallen habe. Die Antworten lauteten alle gleich: „Welche Reise?“

Es ist weniges so peinlich wie der Augenblick, da man zugeben muß, als einziger nicht mitlachen zu können, weil man die Pointe verpaßt hat. Beim Rätsel darf man scheitern, einen Witz aber muß man sofort mitkriegen, oder man hat verspielt. Man hat schon deshalb verspielt, weil man später nicht mehr lachen kann, wenn die Suche zu mühsam gewesen ist.

Hier blamiert sich hoffentlich nicht der geneigte Leser, sondern nur die dritte Dame, die unfreiwillig ein Geheimnis preisgibt: An einem heißen Sommertag gehen drei Damen in der Anlage ihres Tennisclubs spazieren. Plötzlich geraten sie an einen Mann, der nackt im Gras liegt und, um nicht erkannt zu werden, schnell sein Gesicht bedeckt. Da sagt die eine Dame: „Im ersten Moment dachte ich, es sei mein Mann, ist er aber nicht.“ „Das hätte ich dir gleich sagen können“, meint die zweite. Die dritte Dame sieht noch mal kurz hin und sagt dann: „Der ist überhaupt nicht aus unserem Tennisclub.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 41/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (13): Ein Spiel mit doppelten Böden

Fortsetzung von: (12): Absurde Zumutungen ganz logisch

In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, erfahren wir heute etwas von der Anspielung als eine Technik des Witzes. Dabei geht es besonders um den paradoxen Widerspruch zwischen dem Gewicht einer Sache und der Verschwiegenheit, mit der sie angedeutet, also ‚angespielt’ wird.

Ein Bauer hat mit seinem Vieh Pech. Die Kühe nehmen nicht auf oder verkalben. Darum bittet er den Herrn Pfarrer, ihm doch seinen Stall auszusegnen. Der Pfarrer kommt gern und besprengt die Tiere mit Weihwasser. Nach einigen Monaten fragt der Pfarrer, ob das Aussegnen geholfen habe. „Freilich“, antwortet der Bauer, „nur hat unsere Tochter wohl auch einen Spritzer abbekommen.“

Eine Andeutung genügt, im Witz allemal. Man nennt das gewöhnlich eine Anspielung. Der Bauer hat ja auch Grund zu dieser Zurückhaltung. Je heikler eine Sache, desto dringender ist Diskretion geboten. Also greift man zu einer Anspielung.

„Na, was hat Franz-Josef gesagt, als du ihn zur Rede gestellt hast?“ „Ach, nichts weiter. Und die Schneidezähne wollte ich mir sowieso ziehen lassen.“

Wir sehen schon: nicht jede Anspielung wäre witzig. Es muß um Dinge gehen, die man nicht gern ausspricht. Als Technik ähnelt die Anspielung dem Flüstern oder den heimlichen Blicken: Was verborgen bleiben soll, wirkt umso heftiger. Der Witz macht sich diesen Widerspruch zunutze.

Als der Viertkläßler nach Hause kommt, fragt ihn die Mutter nach dem Zeugnis. „Das habe ich dem Tim mitgegeben“, sagt er, „der will damit seine Eltern erschrecken.“

Gute Gelegenheit, diese Technik anzuwenden, ergibt sich, wenn die äußeren Umstände sowieso keine offene Darstellung zulassen, wie bei dieser Geschichte aus den USA: Ein Marinesoldat schreibt während des Zweiten Weltkrieges an seine Eltern: „Ich darf nicht sagen, wo ich gerade bin, aber was ich gestern geschossen habe, war ein Eisbär.“ Einen Monat später kommt wieder ein Brief. „Ich kann nicht schreiben, wo ich gerade bin, aber gestern habe ich mit einem Hula-Mädchen getanzt.“ Zwei Wochen danach kommt ein weiterer Brief. „Ich kann nicht schreiben, wo ich gerade bin, aber der Mann im weißen Kittel sagt, ich hätte besser mit dem Eisbär getanzt und das Hula-Mädchen erschossen.“

Der Freud-Schüler Theodor Reik, der in den zwanziger Jahren als einziger die Witzforschung seines Lehrers fortsetzte, sagt zu Recht von der Technik der Anspielung: „Sie besteht in einem demonstrativen Verdecken, das die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und die Phantasie zur völligen Enthüllung reizt.“ Gerade was der Witz nicht sagt, hört man am lautesten. Das gilt auch von der unfreiwilligen Selbstentlarvung. Der Verbindungs-Student zu seinen Freunden: „Ihr seid ja ganz schön voll gewesen heute nacht. Fünfmal habt ihr mich fallen lassen.“

Witzableiter (13)

Eine Belastung in eigener Sache findet sich auch in diesem Witz: „Warum kommst du so spät aus dem Büro?“ „Blöder Scherz der Kollegen. Keiner hat mich geweckt.“

Wir haben ja schon manches Paradox im Witz gefunden, heute haben wir ein neues kennengelernt, nämlich den paradoxen Widerspruch zwischen dem Gewicht einer Sache und der Verschwiegenheit, mit der sie angedeutet wird. Witze mit Anspielungen zeigen dieses Paradox besonders deutlich.

Der beliebteste Schauspieler des Stadttheaters hat seine Frau verloren. Auf der Straße kondoliert ihm später ein Bewunderer und sagt: „Ich habe in der Friedhofskapelle gesehen, wie sehr Sie gelitten haben.“ „Da hätten Sie mich erst mal“, entgegnet der Mime, „am Grab erleben sollen.“

Die Schauspieler, sie sind willkommene Opfer des Witzes, weil bei ihnen (wie beim Witz) auch manches einen doppelten Boden hat. Damit auch mal ein anderer Beruf drankommt, veranschauliche ich die Technik jetzt lieber an diesem Beispiel. Ein Pfarrer besteigt die Kanzel und beginnt mit den Worten: „Liebe Gemeinde, die Predigt fällt heute aus, denn ich habe euch etwas zu sagen.“

Meist behandele ich, wie Sie wissen, die Technik eines Witzes, hier etwa die Anspielung. Aber Ihnen ist natürlich auch längst klar, daß die Gefühle, die von dieser Technik ausgelöst werden, das Entscheidende sind. Peinlichkeiten, Aggressionen – oder Bosheiten wie hier: Ein junger Mann will frühmorgens im See baden, splitternackt. Da warnt ihn ein Angler: „An ihrer Stelle würde ich was anziehen, die Fische schnappen hier schon nach dem kleinsten Wurm.“

Ich merke, daß ich Ihnen hauptsächlich Beispiele erzählt habe, in denen die Akteure eine absichtliche Anspielung machen. Es muß aber nicht immer so sein. Der Witzhörer bekommt auch dann eine Anspielung, wenn sie im Witz unfreiwillig passiert ist. Etwa hier: „Du Mutti, heute hat mich die Lehrerin gefragt, ob ich noch Geschwister habe. Ich habe nein gesagt.“ „Und was hat die Lehrerin dazu gesagt?“ „Gott sei Dank.“

Ob Absicht oder nicht, das kann auch in der Schwebe bleiben, etwa wenn der Patient sagt „Herr Doktor, ich bin schizophren“, und der Arzt antwortet: „Prima, dann sind wir ja schon zu viert!“

Bosheiten sind zwar auch willkommen wie die des Chefs, der zu seinen Angestellten sagte: „Ich überreiche Ihnen Ihr Gehalt am besten in einer Geschenkpackung.“

Aber es geht auch netter. So werden wir zum Schluß versöhnlich. Es läutet, Mike macht auf. Seine Freundin steht vor der Tür. „Ich komme gerade von der Untersuchung beim Frauenarzt“, sagt sie, „willst du uns nicht reinlassen?“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 40/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (12): Absurde Zumutungen ganz logisch

Fortsetzung von: (11): Das komische Ende von der Wende

Die nächsten Witze in Eike Christian Hirschs Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschienen, drehen sich um das Absurde. Philosophisch eingebend von Albert Camus abgehandelt operieren manche Witze bewusst mit dem Absurden. Besonders im jüdischen Witz stoßen wir auf Absurditäten, also Surrealitäten, die scheinbar den Alltag auf den Kopf stellen.

Die Kuh ist krank. Der Bauer stellt sich vor sie, reißt ihr das Maul auf und sagt zu seiner Frau: „Heb du mal den Schwanz hoch und probier mal, ob du mich sehen kannst.“ „Nein.“ „Dann ist es Darmverschlingung.“ Damit haben wir, sie merken es, abgehoben und die Realität für heute weit unter uns gelassen. Das Absurde ist nicht jedermanns Geschmack, aber es ist witzig.

Zwei Tropenforscher sprechen über einen dritten. „Ich verstehe nicht, wieso der ohne Moskitonetz schlafen kann.“ „Das ist ganz einfach. In der ersten Hälfte der Nacht ist er so besoffen, daß er die Stiche nicht spürt. Und in der zweiten Hälfte sind die Moskitos so besoffen, daß sie nicht mehr stechen können.“ Ein bißchen Unsinn muß sein. Schon Urvater Kant pflegte nachsichtig zu sagen: „Es muß in allem, was ein lebhaftes erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein.“ Und er setzte mahnend hinzu: „Woran der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden kann.“

Der Patient klagt über Potenzschwierigkeiten. Der Arzt greift zu einem Phosphor-Präparat. „Damit wir uns richtige verstehen, Herr Doktor“, meint der Patient, „leuchten soll er nicht.“

Das Bedürfnis nach Absurdität hat sich bei den Witzkonsumenten wohl allmählich gesteigert. Besonders groß war es nach dem Zweiten Weltkrieg, da waren die surrealistischen Witze Mode, in denen meist ein Zebra eine Bar betrat. Etwa so: In ein Lokal kommt ein Mann, bestellt einen Kaffee. Er trinkt ihn aus, ißt die Untertasse auf, ißt die Tasse auf und legt den Henkel beiseite. Dann zahlt er den Kaffee und das Geschirr und geht. Langsam löst sich die Erstarrung der Gäste, und einer fragt den Ober: „Sagen Sie mal, verstehen Sie das?“ Der Ober antwortet: „Nein, wo doch die Henkel das Beste sind.“

Das war damals ein Klassiker unter den surrealistischen Witzen. Der Mode entsprechend, wurde er 1952 von dem jungen Göttinger Soziologen Hans Paul Bahrdt in der Universitätszeitung existentialisch gedeutet: Hier erscheine eine „unverstehbare Welt“, und dadurch sei „der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Als nunmehr Unbehauster wird er eigentlich“. Heute sieht man das wohl bedeutend lockerer, denke ich. Gast in einer ländlichen Wirtschaft: „Was war denn das gestern abend für ein Hahn, den ich gegessen habe?“ „Wieso?“ „Er ist mir nicht gut bekommen. Heute nacht bin ich um vier Uhr aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen.“ Der Wirt bekommt feuchte Augen. „Um vier? Ja, ja, das war immer seine Zeit.“ Und doch gilt manches noch heute, was der Soziologe Bardt damals schrieb, etwa dies: „Jeder Witz eröffnet in der Pointe einen neuen Horizont mit einer neuen Bedeutung und lädt den Zuhörer ein, sich diesen Horizont anzueignen.“ Also gehen wir ruhig auf das Angebot ein und erweitern wir spielerisch unseren Horizont.

Witzableiter (12)

„Wissen Sie, wer da die hohen Absätze erfunden hat?“ „Nein.“ „Das war eine Frau, die immer nur auf die Stirn geküßt wurde.“ Und weil wir gerade beim Küssen sind, gleich noch ein Beispiel dazu, damit Sie merken, daß sich Absurdität nicht nur mit Tiergeschichten erreichen läßt.

Geflüstertes Gespräch zwischen zwei Juden in der Bahn. „Jossel, ist die Dame neben dir deine Frau?“ „Ja, ist sie.“ „Jossel, was machst du dich lächerlich und schleppst dieses Munuwel (Scheusal) mit auf eine Geschäftsreise?“ „Ach, ich konnte mich nur nicht entschließen, sie zum Abschied zu küssen.“ Der jüdische Witz hat auch auf diesem Gebiet die leiseren Mittel. Die Absurdität erreicht psychologische Tiefen. Oder logische, wie hier:

Moritz kommt zu spät in die Schule. „Herr Lehrer, es ist so ein Glatteis draußen, daß ich bei jedem Schritt vorwärts zwei zurückgerutscht bin.“ Lehrer, skeptisch: „Ja, wieso bist du dann hier?“ „Ich hab mich umgedreht und bin heimwärts gegangen.“

Der nicht-jüdische Witz hingegen hebt ruckartig vom Boden der Tatsachen ab, erreicht dann aber den gleichen Grad an Verrücktheit. Der Oberarzt stürzt in die Leichenhalle. „Gute Nachricht für Sie, Herr Müller“, ruft er, „nicht Ihr Puls ist stehengeblieben – nur meine Uhr!“ Eine Zumutung, finde ich, sind solche Witze doch manchmal. Erweiterung des Horizonts hin oder her – immer mag man das auch nicht. Vielleicht bricht der Horizont auch nur zu plötzlich auf. Darum kehre ich noch einmal zurück in die stillere Weisheit des Judentums mit seiner bizarren Logik.

Die Geschichte vom Blinden und dem Schwan war ein Klassiker, ihre Pointe sprichwörtlich. Zwei Juden sitzen im Restaurant, einer der beiden ist blind. „Willst du ein Glas Milch?“ fragt der Sehende. „Beschreib mir doch einmal die Milch“, bittet der Blinde. „Milch ist eine weiße Flüssigkeit.“ „Schön. Und was ist weiß?“ „Nu – weiß ist zum Beispiel ein Schwan.“ „Aha, und was ist ein Schwan?“ „Ein Schwan? Das ist ein Vogel mit einem langen krummen Hals.“ „Gut, aber was ist krumm?“ „Krumm? Ich werde meinen Arm biegen und du wirst ihn abgreifen. Dann wirst du wissen, was krumm heißt.“ Der Blinde tastet sorgfältig den aufwärts gebogenen Arm des anderen ab und sagt dann verklärt: „ So, endlich weiß ich, wie Milch ist.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 39/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (11): Das komische Ende von der Wende

Fortsetzung von: (10): Warum denn auf die Spitze gehen?

Mancher Witz erhält seine Wirkung durch eine Wendung zum Schlimmen am Schluss. In seiner Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschien, beschreibt Eike Christian Hirsch die Mechanismen solcher Witze – und erklärt, warum wir so schnell darauf reagieren.

Manche Geschichten sind offenbar erst zuende, wenn sie die schlimmste Wende genommen haben. Friseur zum Lehrling: „Warum hast du so dreckige Hände?“ „Es war heute noch keiner zum Haarewaschen da.“ Die Technik ist beneidenswert schlicht. Man nehme eine peinliche Situation und überbiete sie noch ein wenig. An Wirkung wird es nicht fehlen. Familie Haas hat an eine Studentin vermietet. „Mutti“, ruft Tobias, „bei der Studentin liegt ein fremder Mann im Bett!“ Die Mutter legt die Zeitung weg, als Tobias auch schon Entwarnung gibt: „Gar nicht wahr, ist ja nur Vati!“

Nehmen wir an, der Bub war unschuldig. Man kann das Ganze natürlich auch sauber inszenieren, etwa so: „Ein Hochzeitsgast macht sich an den Bräutigam heran. „Entschuldigen Sie, haben Sie Aktaufnahmen von Ihrer Frau?“ Der Bräutigam stammelt: „Nein, natürlich nicht!“ Darauf der Gast hilfsbreit: „Wollen Sie welche?“

Hochzeiten sind gewiß ein heißes Pflaster für solche Begebenheiten. Gleich noch ein Beispiel: In der Hochzeitsnacht sagt sie leise: „Ich muß dir etwas beichten, ich war schon mal mit einem Mann zusammen …“ Da gesteht er: „Ich auch.“ Die Technik ist so einfach, daß wir zum ersten Mal das Gefühl haben können, ein Rezept in der Hand zu haben, um selbst Witze zu erfinden. Wenn die Sache so anfängt: Der Schauspieler steht betrunken auf der Bühne und weiß seinen Text nicht mehr. Verzweifelt versucht ihm die Souffleuse das nötige Stichwort zu geben … Wie könnte das weitergehen? Mit einer kleinen Verschlimmerung etwa so: Da lallt der Mime: „K-keine Ein-zzelheiten! Wie heißt das Stück?“

Die Technik ist allerdings noch etwas komplizierter. Die schlimme Wendung zum Schluß wird gewöhnlich eingeleitet von einer scheinbaren Besserung. So sagt der Schauspieler zuerst recht sicher: „Keine Einzelheiten!“ als sei er noch Herr der Lage. Der Sohn der Vermieter beruhigt seine Mutter mit „Gar nicht wahr …“ und der Lehrling brachte die Verschlimmerung wie eine Entschuldigung vor. Erst durch dieses Hakenschlagen wird die Erzählung komisch. In der Konditorei beißt der Gast in den Christstollen. Vergebens. „Der ist ja hart wie Marmor!“ ruft er. „Ich tausche Ihnen den Stollen gern in Apfelkuchen um“, sagt der Ober. „Aber ich habe den Stollen doch schon angebissen.“ „Das macht nichts, wir haben auch angebissenen Apfelkuchen da.“

Witzableiter (11)

Vor einer Woche haben wir uns den Verstehensprozeß des Witzes angesehen und festgestellt, da findet eine Rückkopplung statt. Dem scheint die Beobachtung zu widersprechen, daß wir einen Witz immer sehr schnell verstehen. So plötzlich wie die folgende Entgegnung kommt auch unser Verstehen: „Hast du etwas zum Chef gesagt, daß ich ein Idiot bin?“ „Nein, er wusste es bereits.“ Diese Antwort, die doch keineswegs trivial gedacht ist, verstehen wir auf Anhieb. Wie kommt das?

Ich glaube, wir reagieren reflexhaft, wie in wirklicher Gefahr. Und es ist auch eine Gefahr, wenn man sich, vom Witz verwirrt, nicht mehr orientieren kann. Der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick sagt, eine solche Konfusion erschrecke uns. „Im Bruchteil einer Sekunde und ohne zu überlegen, können wir komplizierte. lebensrettende Entscheidungen treffen.“ Auch wenn es im Witz nicht um lebensbedrohende Dinge geht – eine unerwartete Konfusion schreckt uns auch hier und läßt uns augenblicklich reagieren. Danach erst setzt die Rückkopplung ein wie eine Rückversicherung.

Hein fährt seit Monaten zur See. Immer allein unter Männern, nur die Arbeit und das Wasser. Kurz vor der Heimfahrt telefoniert er mit seiner Braut: „Wenn wir anlegen, dann stehst du am besten mit einer Matratze auf dem Rücken am Kai“, sagt Hein. „Okay“, flüstert sie, „aber mach ja, daß du als erster von Bord kommst.“

Daß wir einen Witz blitzartig schnell verstehen, ist wohl eine absolute Notwendigkeit. Der Mensch ist darauf angewiesen, „eine Ordnung im Lauf der Dinge zu sehen“ (Watzlawick). Und umgekehrt muß ein Witz wohl so schnell wirken, daß wir gar nicht erst Gelegenheit haben, uns gegen ihn zu wehren. Der Witz ist die Textsorte mit der schnellsten Kommunikation überhaupt. Das zeichnet ihn aus. Sie sagt zu ihrem Mann: „Es muß für eine Frau schrecklich sein, wenn sie merkt, daß sie alt wird.“ Antwortet er: „Viel schrecklicher ist es, wenn sie es nicht merkt.“ Wenigstens im Witz merkt man immer alles gleich.

Zum Schluß trägt die Überbietung uns ganz aus dieser Wirklichkeit heraus – als Vorgeschmack auf die Witze, die ich ihnen das nächste Mal ausführlich vorstellen will. Zwei Mäuse haben einen Elefanten gefangen und wollen ihn verspeisen. Sagt die eine: „Eigentlich ist ein Elefant für uns zu wenig, paß auf ihn auf, ich fange noch einen zweiten.“ Die Maus zieht also los und kommt bald mit neuer Beute zurück, findet die andere Maus aber allein und hört sie schluchzen: „Ich kann nichts dafür, der Elefant ist mir ausgerissen.“ „Lüg doch nicht“, faucht die erste Maus, „du kaust ja noch!“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 38/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (10): Warum denn auf die Spitze gehen?

Fortsetzung von: (9): Paradox? Im Prinzip ja

Im 10. Teil der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, behandelt dieser den Übertreibungswitz und zeigt auf, wie witzig Über-, natürlich auch Untertreibungen sein können. Hier wird einiges ‚auf die Spitze’ getrieben.

Der baumlange Milliardär aus Texas kommt während der Hauptsaison nach Saint Tropez. Er erscheint mit diamantglitzernden Manschettenknöpfen in der Halle des teuersten Hotels. Eine Karawane dienstbarer Geister folgt mit Koffern, Skier, Schlittschuhen, Pelzen und einer kompletten Winterausrüstung. Dem fassungslosen Empfangschef bleibt der Mund offen stehen. Dann wendet er sich an den Gast: „Verzeihen Sie bitte, aber es gibt hier keinen Schnee …“ „Keinen Schnee!?“ dröhnt der Texaner. „Der kommt mit dem Rest des Gepäcks.“

Übertreibungs-Witze sind eine Spezialität der Amerikaner, nicht erst seit Mark Twain diese Art von Humor unsterblich gemacht hat. Es soll auch heute noch jährlich Wettbewerbe in den Staaten für die beste lügenhafte Übertreibung geben. „Unser Badezimmer ist so klein – wenn die Sonne reinscheint, müssen wir rausgehen.“ „Das ist noch gar nichts. Unsere Küche ist so niedrig, daß wir darin nur Omelettes und Schollen backen können.“

Zugegeben, das Baumuster ist schlicht und läßt sich endlos variieren, aber wer wird denn gleich die Nase rümpfen? Das tut ein deutscher Professor, der jüngst schrieb: „Der Übertreibungswitz wendet sich vor allem an primitive Geister.“ Also denn – mehr davon. Hier sind sie. Ein Bauführer zu seinen Leuten: „Nehmt euch ein Beispiel an der Konkurrenz. Da wird nicht krankgefeiert. Wenn einer zum Beispiel Schüttelfrost hat, meldet er sich zum Sandsieben.“

Jede Übertreibung baut eine neue Wirklichkeit neben der alten auf. Sie muß irgendwie noch glaubhaft sein, wenigstens auf den ersten Blick. Die eigentliche Wirklichkeit muß man in ihr noch wiedererkennen – wie in der Karikatur das wiedergegebene Objekt. Der Referent für kirchliche Entwicklungshilfe eilt zu seinem Vorgesetzten und sagt: „ Bruder Nikodemus aus Niger klagt schon wieder über den dortigen Wassermangel.“ „Das tut er doch in jedem Brief“, sagt der Vorgesetzte. „Stimmt, aber diesmal ist die Briefmarke mit einer Reißzwecke befestigt.“

Daß es sich hier ebenfalls um eine Paradoxie handelt, muß ich kaum erwähnen. Das wissen Sie ja schon. Nur werden Sie mich vielleicht fragen, wo denn hier die zwei Positionen seien, die angeblich zu jeder Paradoxie gehören. Richtig, es ist nur eine zu sehen. Die zweite Position ist, so scheint es, die Wirklichkeit, wie wir sie kennen und vor der als Hintergrund die Übertreibung doch überhaupt erst als solche zu erkennen ist. Etwa so: Ein Tourist fragt den Bürgermeister des Kurorts: „Ist das Klima hier wirklich so gesund?“ „Und ob“, gibt der zurück, „um den Friedhof endlich einweihen zu können, waren wir gezwungen, unseren ältesten Einwohner zu vergiften.“

Wer hat schon etwas dagegen, wenn sich jemand so klar ausdrücken kann wie jener Zahnarzt, der zu seinem Patienten sagte: „Sie brauchen den Mund nicht so weit aufzureißen. Ich bleibe während der Behandlung draußen.“

Witzableiter (10)

Dagegen hätte auch Immanuel Kant nichts gehabt, der allerdings empfindlich war gegen Übertreibungen wie die, jemand habe „in einer Nacht graue Haare bekommen“. In seiner „Kritik der Urteilskraft“ (1790) erzählt er hingegen gern als gelungene Übertreibung die Geschichte von einem Kaufmann, „der aus Indien mit all seinem Vermögen in Waren nach Europa zurückkehrend, in einem schweren Sturm alles über Bord zu werfen genötigt wurde und sich dermaßen grämte, daß ihm darüber in derselben Nacht die Perücke grau ward.“ (Das Wort Perücke ließ Kant vorsichtshalber gesperrt drucken).

Gleich im Anschluß daran teilt Kant eine treffende Beobachtung mit über die Art, wie man gewöhnlich einen Witz versteht. Er meinte, daß wir uns zwar plötzlich in unserem ersten Verständnis der Geschichte getäuscht sähen, aber „unsere verfolgte Idee wie einen Ball noch eine Zeitlang hin- und herschlagen, indem wir bloß meinen, ihn zu greifen und festzuhalten“.

Das finde ich deshalb so treffend beobachtet, weil wir wirklich zwischen Verblüffung und Erleuchtung noch eine Weile hin- und herschwingen, indem wir unsere alte Täuschung und unsere neue Einsicht miteinander vergleichen. Patient zum Arzt: „Herr Doktor, mein Schielen hat sich verschlimmert. Wenn ich weinen muß, laufen mit jetzt die Tränen schon den Rücken kreuzweise herunter.“

Das Hin und Her vergleicht Kant mit dem Schwingen einer Saite. Heute würde man wohl von einer Rückkopplung sprechen können. Mit diesem technischen Vergleich ließe sich auch der Streit schlichten, den wir das letzte Mal diskutiert haben, ob die Verblüffung zuerst kommt oder das Verständnis. Beide wechseln sich wohl noch eine Weile ab und beeinflussen sich dabei gegenseitig.

Ich glaube, wir haben einen entscheidenden Punkt erkannt, wenn wir diese Hin- und Herbewegung beim Witz beobachtet haben. So funktioniert er. Dieses Springen, Schwanken, Flimmern ist sehr typisch. Noch einmal eine Probe:

Der Chef zum Buchhalter: „Am besten, Sie tragen den Jahresgewinn in Schwarz ein.“ „Es ist aber nur rote Tinte da, Chef.“ „So kaufen sie eben schwarze!“ „Dann sind wir wieder in den roten Zahlen.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 37/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (9): Paradox? Im Prinzip ja

Fortsetzung von: (8): So komisch wie ein Lexikon

Radio Eriwan – selbst bis zu uns hier im Westen sind die Witze gelangt. Ein Ausgangspunkt für einen weiteren Artikel von Eike Christian Hirsch in dessen Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschien, und uns Näheres über die Technik des Paradoxen im Witz aufzeigt.

Ein Hotelgast morgens zum Ober: „Ich hätte gern zwei zu hart gekochte Eier, eiskalten Speck, verkohlten Toast, tiefgefrorene Butter und lauwarmen Kaffee.“ Darauf der Ober: „Das dürfte etwas schwierig sein.“ Gast: „Wieso, gestern ging es doch auch!“ Diese Art, seine Meinung zu äußern, kann man wohl als „Darstellung durchs Gegenteil“ bezeichnen – und in diese Kategorie fallen auch alle Witze, die ich Ihnen heute vorstellen will.

Frage an Radio Eriwan: „Ist es wahr, daß man alle Pilze essen kann?“ „Im Prinzip ja. Einige Pilze nur einmal.“ Zugleich wahr und doch nicht – paradox. Daß alle Witze irgendwie paradox sind, habe ich Ihnen das letzte Mal erzählt. Auch die Darstellung durchs Gegenteil ist eine Spielart des Paradoxen. Fragt die neue Kollegin: „Wie ist denn der Chef?“ „Eigentlich hat er ein ziemlich ausgeglichenes Temperament. Er ist gleichermaßen ekelhaft.“

Diese Technik dient offenbar dazu, uns erst einmal ordentlich in die Irre zu führen. Bei diesem Beispiel eben erfahren wir erst im letzten Wort, dass wir vorher auf dem Irrweg waren. Um so größer ist unsere Verblüffung. Und darauf kommt es beim Witz schließlich an. Arzt nach gründlicher Untersuchung zum Patienten: „Lassen Sie es mich so sagen – Sie brauchen sich um die steigende Zahl der Verkehrstoten, um die zunehmende Kriminalität und um die Umweltverschmutzung keine Sorgen mehr zu machen.“

Diese Witztechnik gibt uns willkommene Gelegenheit, über die Verblüffung nachzudenken, auf die es jeder Witz bei uns abgesehen hat. Wer schon einmal Opfer eines Streichs war, weiß, wie unangenehm es ist, reingefallen zu sein und die Orientierung verloren zu haben. Für einen Augenblick schwankt uns der Boden unter den Füßen. Das hat kein Mensch gern. Unser Vergnügen am Witz stammt jedenfalls nicht aus dieser Verblüffung – eher aus der Erleichterung, wenn sie überwunden ist. Der Ehemann steigt von der Personenwaage. „Mein Gewicht ist völlig in Ordnung“, sagt er zufrieden zu seiner Frau, „nach der Tabelle sollte ich nur zwölf Zentimeter größer sein.“

Über die Verblüffung beim Witz sagt der Psychologe Peter R. Hofstätter nicht zu viel, wenn er schreibt: „Beinahe – aber eben nur beinahe – wären wir in einen unauslotbar tiefen Abgrund gestürzt; ganz anders als gedacht, haben wir jedoch wieder festen Boden unter den Füßen.“ Das Bild vom Abgrund, das Hofstätter verwendet, können wir auch ändern in das Bild eines Hindernisses, über das wir springen müssen. Erst scheut das Pferd, aber dann springt es doch. Freilich, es kann auch schief gehen, wie folgender Witz zeigt, der auch die Technik der Darstellung durchs Gegenteil verwendet: Der Reitschüler wagt seinen ersten Sprung. Das Pferd scheut und wirft den Reiter über das Hindernis. „Schon ganz gut“, lobt der Reitlehrer, „das nächste Mal müssen Sie nur noch das Pferd mitnehmen.“

Blitzableiter (9)

Staunen, Verblüffung, Reinfall und Kehrtwendung – das gehört offenbar zum Witz. Es ist seine negative Seite, damit erzeugt er die Spannung, die sich dann im Erkennen und Verstehen löst. Oder ist es umgekehrt, verstehen wir erst und staunen dann? Beobachten Sie sich doch einmal selbst: Der schwäbische Meister zu seinen Azubi: „Es gibt Domme ond Saudomme. Von de Domme bischt du koiner!“ Na, wie war das mit der Reihenfolge von Verblüffung und Verstehen bei Ihnen?

Am Ende des vorigen Jahrhunderts veröffentlichte Theodor Lipps, Professor für Philosophie in München, eine Theorie des Komischen und behauptete darin, erst erstehe man den Witz und dann wundere man sich, denn ohne Verständnis könne man sich ja nicht wundern. Ihm widersprach sehr höflich sein holländischer Kollege G. Heymans: erst Verblüffung, dann Verständnis. Zur Begründung schrieb er: „Ich glaube, mich nun in dieser Sache einfach auf das Zeugnis der Selbstwahrnehmung berufen zu können.“ Prüfen Sie selbst: „Hat es bei Ihnen in den Ferien auch so oft geregnet?“ „Nein, nur zweimal. Zuerst drei Tage und dann zwei Wochen.“

Es mag ja so sein, daß man bei so manchem Witz erst glaubt, ihn verstanden zu haben, dann staunt und schließlich erst richtig begreift. Theodor Lipps, das Münchner Schulhaupt, gab dennoch nach und korrigierte sich (unter Philosophen eine ganz große Leistung). Er wollte nun allerdings „drei Stadien“ unterschieden wissen, und zwar „bei aller Komik“. So genau sind Fachleute. Ich meine aber, daß man so der Sache auch nicht auf den Grund kommt. Wie ich den Streit schlichten möchte, verrate ich Ihnen das nächste Mal, wenn er um die „Erleuchtung“ geht, die zu jedem Verstehen gehört. Hier nur so viel zum Streit: „Sie halten mich wohl für einen ausgemachten Trottel?“ „O nein, ich beurteile einen Menschen nie nach seinem Aussehen.“

Zum Schluß für heute empfehle ich Ihnen eine noch elegantere Liebenswürdigkeit, die Sie vielleicht bei passender Gelegenheit selbst verwenden können. „Hoffentlich sind wir nicht zu lange geblieben,“ erkundigt sich der Besuch zum Abschied. „Aber nein“, wehrt der Gastgeber ab, „um diese Zeit pflegen meine Frau und ich sowieso immer aufzustehen.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 36/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (8): So komisch wie ein Lexikon

Fortsetzung von: (7): Im Kopf, wo es blitzt

Im 8. Teil von Eike Christian Hirschs Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschien, kommen wir diesmal vom „Wortwitz“ zum „Gedankenwitz“, der sich oft aus einer „paradoxen“ Definition ergibt. Mancher Witz krönt sich so zum Aphorismus, einer eigenen literarischen Gattung.

Feldwebel: „Huber, wie können Sie es wagen, die Naturwissenschaftler auf eine so falsche Fährte zu locken. Die Herren suchen das Riesenfaultier in Südamerika, und Sie drücken sich hier in der Kaserne herum.“

Der Kern dieser Beschimpfung ist eine Definition, eigentlich sogar nur das Wort Faultier. Das scheint für einen Witz zu reichen. Und weil wir hier nach den einfachsten Baumustern für einen Witz suchen, ist uns diese Einsicht willkommen: Eine Definition reicht. „Was heißt hier Schlagerstar“, sagt der Produzent verächtlich, „ bei uns wird doch schon auf Platte genommen, wer einigermaßen gesund husten kann.“

Nicht jede Definition freilich ist ein Witz, sonst wäre nichts so komisch wie ein Lexikon. Ein bißchen Pfiff muß auch dabeisein, zum Beispiel Bosheit. „Hör mal, Anne“, sagt die Freundin, „dein Mann erzählt, er führe ein Hundeleben.“ „Stimmt“, bestätigt Anne, „er kommt mit schmutzigen Füßen ins Haus, macht es sich vor dem Ofen bequem, knurrt herum – und lauert aufs Essen.“

Eine zugespitzte und etwas verblüffende Auslegung des Wortes Hundeleben, fertig ist der Witz. Doch halt, ein bißchen Einkleidung ist meist noch drumherum, wie bei den „eingekleideten“ Mathematikaufgaben. Etwa so: „Mami“, fragt die kleine Tochter, „bekomme ich später auch einen Mann?“ „Natürlich, wenn du artig bist.“ „Und wenn ich nicht artig bin?“ „Dann bekommst du viele Männer.“

Man könnte sich die Pointe auch ohne Einkleidung, also ohne Dialog denken, einfach als Bonmot oder als Aphorismus. Da klingt das dann uneingekleidet so: „Wenn die Männer in die Jahre kommen, wo sie keine schlechten Beispiele mehr geben können, fangen sie an, gute Ratschläge zu geben.“ Auch eine Definition und darum formal kein Witz.

Das wirklich funktionierende Teil in einem Witz, der springende Punkt sozusagen, ist oft nur ein einziges Wort. Hier zum Beispiel: Die flotte Elvira zum Hausmeister: „Ich brauche noch fünf Schlüssel für mein Appartement.“ „Sollten wir da nicht besser gleich eine Drehtür einbauen?“ Mit dem einen Wort Drehtür definiert der Hausmeister den Wunsch der Mieterin. Knapper kann eine Pointe kaum sein.

Witzableiter (8)

Vom Berliner Witz sagt man, daß er sich besonders gern in knappen Definitionen ergeht („Du hast’s gut, du bist doof“) und ebenso kurz wie aggressiv ist. Als die U-Bahn plötzlich bremst, muß sich Bolle an einem Fahrgast festhalten. „Mensch“, sagt der, „ick bin doch keen Laternenpfahl!“ „Det stimmt“, meint Bolle, „dafür sind Se oben nich helle jenuch.“

Was macht diese Definitionen komisch, ist es die Bosheit? Nicht unbedingt, was vielleicht dieses Beispiel zeigen kann: Oliver soll zur Oma in die Ferien fahren. „Hast du auch deinen Waschlappen eingepackt?“ fragt die Mutter. „Waschlappen?“ fragt Oliver, „ich denke, ich fahre in die Ferien.“ Das ist nun nicht boshaft, sondern rührend. Worin liegt dann die Komik? Was diese Formulierung witzig macht, ist wohl eher Widersinn. Sie sind paradox. Die Bezeichnungen „Riesenfaultier“ oder „Drehtür“ sind überzogen; das Wörtlichnehmen der Bilder „Laternenpfahl“ oder „Hundeleben“ ist verblüffend und verrückt. Am deutlichsten wird das wohl in den Worten „gesund husten können“. Das ist fast ein Selbstwiderspruch. Aber nur fast. Es ist eher paradox.

Und nun wollen Sie sicherlich wissen, was ich denn für einen Unterschied zwischen Widerspruch und paradox mache. Doch, da gibt es einen. Im Paradox ereignet sich zwar auch ein harter Zusammenstoß, aber sozusagen nicht frontal. Die Begegnung erweist sich als fruchtbar, und sie kann unseren Blick erweitern. „Gesund husten“ ist doch eine etwas bizarre, aber durchaus kreative Bezeichnung für die raue Sangesart des Rock. Und Ferien als „Ferien vom Waschzwang“ ist doch auch nicht nur verrückt. Eben. Und damit ist schon fast alles über den Witz gesagt.

Die Spontisprüche an den Betonwänden – auch sie definieren – sind manchmal ebenfalls paradox: „Spontaneität will wohl überlegt sein“, zum Beispiel. Oder „Als Gott den Mann schuf, übte sie noch.“ Das gefällt mir sogar besonders gut, weil sich noch eine Überraschung ergibt mit dem „sie“. Und da es gerade um Theologie geht, noch diesen Spruch: „Gott ist nicht tot, er ist gerade beim Wort zum Sonntag eingeschlafen.“ Das ist nun schon fast die platte Wahrheit.

Es wird Ihnen gar nicht aufgefallen sein, daß meine Beispiele diesmal nicht (wie sonst) Wortspiele enthalten haben. Das war Absicht, weil ich Ihnen zeigen wollte, daß bloße „Gedankenwitze“ genauso gut sein können wie Wortwitze.

Die Edelausgabe der paradoxen Definition ist der Aphorismus, den ich zum Schluß wenigstens noch erwähnen will. „Man kann einer Versuchung nur entgehen, indem man ihr erliegt“, das ist vom dekadenten Oscar Wilde. Unsinn mit Tiefsinn. Von Karl Kraus stammt das berühmte Wort gegen seinen Wiener Mitbürger Sigmund Freud: „Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.“

Zu ganzer Größe und Weisheit steigt die Gattung der witzigen Definition auf in diesem Dialog, der anonym überliefert ist: „Alles Unglück kommt von den Juden .“ „Nein, von den Radfahrern.“ „Wieso von den Radfahrern?“ „Wieso von den Juden?“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 35/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (7): Im Kopf, wo es blitzt

Fortsetzung von: (6): Ein Gemisch wird verdichtet

Des Witzes Knalleffekt ist dessen Pointe. Wer die verpasst oder nicht begreift, dem ist ein Witz kein Witz. Aber lesen wir, was Eike Christian Hirsch im 7. Teil seiner Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschien, dazu zu sagen hat.

Ulli spricht eine dufte Biene auf der Straße an: „Wohin auf den hübschen Beinen?“ „Ins Kino“, ruft sie, „wenn nichts dazwischenkommt.“ Kuno Fischer, wir kennen ihn schon (vor hundert Jahren Philosophieprofessor in Heidelberg), hat vom Wortspiel gesagt, es habe „nicht bloß zwei Bedeutungen, sondern zwei Gesichter, das eine ist Maske, das andere das wahre Gesicht; jenes sieht harmlos aus, dieses hat den Schalk im Nacken“. Noch ein Beispiel?

Zwei Studentinnen treffen sich nach dem Karneval. „Bin ich froh, daß die Tage vorbei sind“, sagt die eine. Erwidert die andere: „Ich wäre froh, sie kämen wieder.“ Anspielungen durch Doppelsinn kommen immer da vor, wo Tabus herrschen, deswegen finden sie sich auf sexuellem Gebiet und in Diktaturen. Warum bekommen verdiente Beamte den Führer als Büste und nicht als Bild? Weil sie sonst nicht wissen, ob sie ihn aufhängen oder an die Wand stellen sollen.

Wer eine Anspielung geboten bekommt, muß aufpassen, daß er sie versteht. Schließlich sind Witze darin mit dem Rätsel verwandt, daß man die Lösung finden muß. Ein junger Anwalt trifft einen ebenfalls noch jungen Arzt. „Wie geht es Ihnen?“ „Gut, ich kann nicht klagen. Und Ihnen?“ „Schlecht, ich kann nicht klagen.“

Zur Technik solcher Wortspiele ist kaum mehr viel zu sagen. Um so mehr lockt uns hier die Aufgabe herauszufinden, wie die Verständnisarbeit des Hörers funktioniert. Das Thema ist ja auch dran, denn das letzte Mal haben wir über die Witzentstehung nachgedacht. Sie werden nun vielleicht erwarten, daß ich mich auch diesmal an Sigmund Freud orientiere. Aber das ist nicht so. So treffend er die andere Seite (die Witzentstehung) beschrieben hat, so sehr hat er die Rolle des Witzhörers verkannt. Er meinte nämlich, daß der Zuhörer „die Lust des Witzes mit sehr geringem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt“. Sogar Theodor Reik, Freuds Schüler und dem Meister sonst sehr ergeben, wagte hier eine Korrektur: der Witz werde dem Hörer nicht geschenkt, „sondern nur unter dem Selbstkostenpreis verkauft“. Damit ist die Mitarbeit des Zuhörers aber immer noch unterschätzt. Vielleicht möchten Sie das einmal im Selbstversuch nachprüfen an Hand dieser Geschichte:

Ein Gardeoffizier, jung, arm, aber schneidig, bemüht sich um die Gunst einer Schönheit im Garnisonsstädtchen, die, sagen wir mal, als zugänglich gilt. Doch sie weist ihn ab mit den Worten: „Mein Herz ist schon vergeben.“ Da erwidert der Leutnant: “So hoch hatte ich eigentlich auch nicht gezielt“.

Witzableiter (7)

Nun, wie ist es Ihnen ergangen? Ich glaube, Sie fühlen sich, als hätten Sie selbst die treffende Bemerkung gemacht. Zu Recht sagt Arthur Koestler, der Zuhörer müsse „den Vorgang der Erfindung des Witzes bis zu einem gewissen Grade wiederholen, ihn in seiner Phantasie neu schaffen“. Was ist ein Junggeselle? Das ist einer, dem zum Glück die Frau fehlt. Wenn man es verstanden hat, war man selbst geistvoll.

Wir wissen schon, daß Freud der Ansicht war, nicht nur beim Wortlaut des Witzes herrsche das Prinzip der Ersparung, sondern auch die Lust des Hörers stamme aus Ersparung. Dagegen haben sich viele gewandt, auch Helmuth Plessner, ein deutscher Anthropologe, dessen Buch über „Lachen und Weinen“ in der Emigration erscheinen mußte. Er rechnet vor, daß die Sparsamkeit in Worten nur dazu führt, daß der Hörer mehr Aufwand treiben muß, um den Witz zu verstehen. Wo liegt dann aber die Quelle für die Lust an dieser Technik der Verkürzung?

Von der bekannten Schauspielerin wird gesagt, sie halte sich zwei Hausärzte. Den einen rufe sie, wenn sie was hat; den andern, wenn ihr was fehlt. Falls Sie an dieser Anspielung Freude gehabt haben sollten, möchte ich Ihnen auf den Kopf zusagen, daß sie sich weniger über ein Geschenk (oder einen billigen Kauf) gefreut haben als über eine eigene Leistung. Der Witz, dessen Wortlaut ja immer unvollständig und bloß andeutend ist, wurde erst in Ihrem Kopf fertig! „Was haben ein BH und ein Pullover gemeinsam?“ „Das eine hält, was der andere verspricht.“

Auch hier sind Sie von einer Wortbedeutung zur anderen geschwebt, haben ein Kunststück vollbracht und können stolz auf sich sein. Zu Recht spricht Arthur Koestler von der „Befriedigung, daß man schlau genug ist, um die Pointe zu erfassen“. Ich möchte sogar noch weiter gehen. Wir verstehen nicht nur. Ich glaube, wir fühlen uns, als seinen wir diejenigen, die den Witz gemacht hätten. Was ja auch halbwegs stimmt, denn wo hat es denn geblitzt? In unserem Kopf!

Für diese Ansicht, unsere Lust sei der Stolz auf eine Leistung, habe ich Unterstützung bei Theodor Reik gefunden, der schreibt, beim Verstehen übernähmen wir die Leistung des Witzerzählers und identifizierten uns mit ihm. So ist es wohl. Schließlich erhalten wir den Witz ja nur als eine Art Halbfertig-Produkt, das wir selbst erst vollenden. Wir machen nur das Finish, aber sind glücklich, als seinen wir die Erfinder.

Beim Familienausflug merkt die Mutter, daß das junge Ehepaar verschwunden ist. Sie fragt ihren Mann: „Was werden die Kinder wohl machen.“ „Nachkommen“, brummt er.

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 34/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (6): Ein Gemisch wird verdichtet

Fortsetzung von: Der Witzableiter (5): Ein Spiel mit Worten

Kommen wir heute zu Teil 6 von Eike Christian Hirschs Kolumne „Der Witzableiter“, 1984 im ZEITmagazin erschienen, und erfahren etwas über die Herkunft des Witzes aus dem Unbewussten und wie er dem Charakter eines ungewollten Einfalls entspricht.

Zwei Freunde treffen sich. „Was sehe ich an deiner Hand, hast du geheiratet?“ „Ja, Trauring, aber wahr!“ Jeder Witz ist, seiner Form nach, zu knapp erzählt; er überläßt dem Hörer wenigstens einen Schritt zur Mitarbeit. Diese Verknappung kann man selten so deutlich sehen wie an den Mischbildungen. Lenin hatte einen Radikahlschädel. Als Bundeskanzler Schmidt abgewählt war, die SPD aber in Hamburg bei der Landtagswahl siegte, sprachen die Grünen erklärend von einem Schmidtleidseffekt. Verknappung ist oft als die auffallendste Technik des Witzes beschrieben worden. Man nennt das auch „Verdichten“.

Auf einer Party versucht ein Gast, seine Rachenbeschwerden dem bekannten Hals-Nasen-Ohren-Arzt vorzustellen, der sich aber ständig der kostenlosen Konsultation zu entziehen sucht. Als einem weiteren Gast die Sache zu dumm wird, ruft er dem Professor zu: „Nun schauen Sie ihm doch schon in den Geizhals!“ Der jüdische Witz brillierte oft mit solchen Mischwortbildungen. Leopold Jessner, Generalintendant in Berlin und sehr empfindlich hatte den Spitznamen Mimoses.

Heinrich Heine läßt einen Hühneraugen-Operateur sagen, Baron Rothschild sei zu ihm „ganz famillionär“ gewesen, ein Wortspiel, das sich durch alle Witztheorien zieht und in diesem Jahr sogar die Plakatwände erreicht hat – als Werbegag für ein millionenfach verkauftes Familienauto. Als sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in Wien viele Juden in der Votiv-Kirche taufen ließen, sagte man, dem dortigen Meßdiener steige schon die „Schammesröte“ ins Gesicht (der Schammes ist der Synagogendiener).

Kurz und knapp ist der Witz mit vielen Mitteln zum Beispiel auch dann, wenn er nur darauf verzichtet, ein Wort zu wiederholen. Als der Arzt mit seiner Frau spazierengeht, lächelt ihn eine aufgedonnerte Schöne vertraulich an. „Die kenne ich aus dem Beruf“, erklärt der Arzt eilig. Fragt seine Frau zurück: „Aus deinem oder aus ihrem?“ Oder die Technik besteht doch darin, einem harmlosen Wort eine tiefere Bedeutung beizugeben: „Acht Jahre waren meine Frau und ich die glücklichsten Menschen.“ „Und dann?“ „Dann haben wir uns kennengelernt.“

Es ist auffallend und nicht leicht zu verstehen, warum eine solche Verkürzung zum Witz gehört. Warum muß derjenige, der den Witz macht, sich so sparsam ausdrücken – und warum kann der Witzhörer nur lachen, wenn er eine Bemerkung hört, die er selbst erst vervollständigen muß? Damit sind wir zum ersten Mal an ein zentrales Problem der Witztheorie geraten. Fragen wir uns zunächst: Wie entsteht der Witz spontan im Kopf dessen, der eine witzige Bemerkung macht? Wenn zum Beispiel der Chef fragt: „Ist eigentlich auf unsere letzte Mahnung etwas von Schulz und Krause eingegangen?“ und der weibliche Lehrling antwortet: „Ja, die ganze Firma.“ Was ist da passiert?

Witzableiter (6)

Freud hat eine glänzende Beschreibung davon gegeben; wer auch nur einmal selbst einen spontanen Witz gemacht hat, wird sich darin wiederfinden können. „Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten Einfalls. Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird … Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten einer Absenz, einem plötzlichen Auslassen der intellektuellen Spannung vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist gleichzeitig mit einer Einkleidung.“ Zwei Ideen werden gemischt, verdichtet und explodieren.

Der Witz komme (anders als Humor und Komik) aus dem Unbewußten, meint Freud. Übrigens hat Freud gerade das nicht als erster gesagt; dafür konnte er sich auf den Münchner Psychologen Theodor Lipps berufen, den er auch sonst anerkennend rühmt.

„Sag mal, kennst du den Mike?“ „Klar, dem hab’ ich doch gerade fünfzig Mark geliehen.“ „So? Ich dachte, du kennst ihn.“

Einen Witz „macht“ man eigentlich nicht, er geschieht. Freud sagte, man lasse den Grundgedanken fallen, „der dann plötzlich als Witz aus dem Unbewußten auftaucht“. Sein Schüler Theodor Reik verglich die Witzbildung mit „der Durchfahrt eines Eisenbahnzuges durch einen Tunnel“. Nach Arthur Koestler entsteht der Witz, „indem man sozusagen ‚wegdenkt’ und die Aufmerksamkeit auf einen Grundzug der Situation verschiebt, den man früher ignoriert hat.“ Als bescheidenes Beispiel mag dies gelten: Zu Beginn der Hitlerzeit trifft Parteigenosse Müller seinen alten Nachbarn Kohn und sagt neckend: „Heil Hitler!“ Antwortet Kohn: „Bin ich Psychiater?“

Die Annahme eines Unbewußten, die uns heute so selbstverständlich ist, war zu Freuds Zeiten noch heftig umstritten. Volkes Stimme meldete sich in einem Buch über den Witz, das 1920 erschien und an dem nur der Name des Autors originell ist: Sophus Hochfeld. Dieser deutsch denkende Mann meinte, ein Unbewußtes brauche er nicht. „Ich sehe z.B. eine Diakonisse daherkommen“, erzählt er, „und wehre dem Lamento meines Begleiters über den mühseligen Beruf der alleinstehenden Frau mit dem Worten: ‚Aber, was willst du? Sie ist ja unter die Haube gekommen.’ Anlaß zum Witz wurde die blendend weiße Haube auf dem Köpfchen der Samariterin.“ Stolz fügt Sophus Hochfeld hinzu: „Ich brauche wirklich nicht ins Unbewußte zu tauchen.“

Nein, dazu wirklich nicht.

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 33/1984 (10. August 1984)

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (5): Ein Spiel mit Worten

Fortsetzung von: Der Witzableiter (4): Reime, die sich schütteln

In Eike Christian Hirschs Kolumne, 1984 im ZEITmagazin erschienen, geht es diesmal um Wortspiele, so genannte Bonmots. Und um grundlegende Erkenntnisse den Witz betreffend. Etwas Theorie muss eben auch sein.

„Wie geht’s denn in Charleys neuer Ehe?“ „Na, wie soll’s schon gehen. Sie wirft ihm das Trinken vor – und er ihr das Essen nach.“ Zu den ersten Witzen, die in Umlauf kamen, gehörten geistvolle Wortspiele. Im vorigen Jahrhundert haben sich daher die Theoretiker des Witzes hauptsächlich mit solchen Bonmots beschäftigt. Als einen „geradezu diabolisch guten Witz“ zitiert Sigmund Freud diese Vermutung über den erstaunlichen Wohlstand eines Ehepaares: „Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben.“

Aber wenn wir hier nur die Technik des Witzes betrachten, gibt es schon genug zu staunen, so reibungslos läuft alles und ist doch in dem Wort „zurückgelegt“ nur angedeutet. Nebenbei hat dieser Witz auch noch eine herrlich böse Tendenz, die jetzt nicht unser Thema ist. Dies Bonmot wurde durch einen Wiener Journalisten verbreitet und war zu Freuds Zeiten sehr bekannt. Daß Freud gerade dieses Bonmot am meisten schätzte, ist uns nun wiederum Anlaß, Freud mit der Frage zu necken, ob er nicht wirklich in finanzieller Not war. (Und gewinnt nicht Freuds These, Lust stamme aus Ersparung, einen ganz neuen Sinn, wenn wir hier hören, daß Erspartes aus Lust stammen kann?)

Der junge Lyriker fragt den Verleger: „Sie meinen, ich sollte mehr Feuer in meine Gedichte legen?“ „Umgekehrt“, antwortet der Verleger, „mehr Gedichte ins Feuer.“ Es wirkt immer besonders elegant, wenn dasselbe Wortmaterial zweimal verwendet wird, weil dabei mit der schwierigen Materie Sprache anscheinend so mühelos gespielt wird. Es gibt zwei große Enttäuschungen im Leben eines Mannes. Das erste Mal, wenn es das zweitemal nicht mehr klappt, und das zweite Mal, wenn es das erstemal nicht mehr klappt.

Man nennt das zu Recht ein Wortspiel, wobei ich das Wort „Spiel“ betonen möchte. Wahrscheinlich ist unsere Lust am Witz überhaupt die gleiche wie die am Spiel. Beim Wortspiel mag sich darüber hinaus noch ein besonderer Reiz einstellen. Freud bemerkt, daß dabei „jedes Mal etwas Bekanntes wiedergefunden wird“, und daß dieses Wiederfinden „lustvoll“ sei. Ich glaube, noch etwas Drittes kommt hinzu. Die Eleganz der Technik macht uns Freude, weil wir uns plötzlich so fühlen, als hätten wir die widerspenstige Materie Sprache selbst spielend besiegt. Zum Beispiel so: Unter uns wohnt ein kinderloses Ehepaar, über uns ein eheloses Kinderpaar. Na, bitte.

So fortgeschritten die Technik bei diesen Witzen auch ist, die Lust beim Witz stammt weniger aus der Technik (also aus dem Schliff der Worte und aus der Mechanik der Pointe) als aus der Tendenz. Das habe ich schon einmal erwähnt. Hier noch mal ausführlicher: Die Technik ist bestenfalls das Hämmerchen, das den Zündfunken auslöst. Was dann explodiert, ist von anderer Art; das ist unser angestautes Gefühl, das sich, durch den Witz befreit, endlich entladen kann. Nehmen wir wieder ein Beispiel: Besser ein Haar in der Suppe als Suppe im Haar. Die Technik kann uns zwar erfreuen, was aber wirklich komisch ist, ist allein die peinliche Vorstellung von Suppe im Haar; komisch ist auch der scheinbar so nüchtern gezogene Vergleich selbst. Diesen Unterschied von Technik und Tendenz, der uns heute so unentbehrlich scheint, hat übrigens erst Sigmund Freud entdeckt und beschrieben.

Witzableiter (5)

Ein passionierter Jäger kauft beim Hundezwinger von Herrn Schindler einen Schweißhund, der seinen hohen Preis wert sein soll. Empört schreibt der Jäger nach zwei Wochen einen Brief: „Sehr geehrter Herr Schindler, das W. das in Ihrem Namen fehlt, hat Ihr Schweißhund zuviel!“

Wir nehmen uns an dieser Stelle ein wenig Zeit zur Theorie. Worin besteht überhaupt die Technik eines Witzes? In jedem Witz stoßen zwei unabhängige Gedanken plötzlich aufeinander. Bergson nannte das, wie wir gehört haben, „Interferenz“. Koestler sprach von „Bisoziation“. Diese Beobachtung aber hat, soviel ich weiß, als erster Immanuel Kant gemacht und in seiner Vorlesung über Anthropologie 1798 veröffentlicht: „Der Witz paart (assimiliert) heterogene Vorstellungen, die oft nach dem Gesetz der Einbildungskraft (der Assoziation) weit auseinanderliegen.“ Das ist schon eine sehr vollkommene Definition.

Populär geworden ist diese Gedanke durch den Dichter und Witztheoretiker Jean Paul (den wir in dieser Eigenschaft auch schon kennengelernt haben), der 1804 vom Witz sagte, er sei „der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert“. Wenn wir diese Erkenntnis nun auf Herrn Schindlers Schweißhund anwenden, merken wir, daß der Witz den Familiennamen des Verkäufers und den Gattungsnamen des Hundes (die beide „heterogen“ sind) überraschend paart.

„Alle Achtung, Sie fahren Mercedes?“ „Nun, das bin ich meinem Beruf schuldig.“ „Und woher haben Sie so viel Geld?“ „Nun, das bin ich meiner Bank schuldig.“ Die Brautleute gleichen sich völlig. Der verkleidete Priester aber hat in Wirklichkeit das Paar „schuldig sein“ und „Schulden haben“ getraut – das zu paaren sich unser Verstand nicht getraut hätte.

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 32/1984

[Fortsetzung folgt]

Der Witzableiter (4): Reime, die sich schütteln

Fortsetzung von: Der Witzableiter (3): Freud und etwas zum Stöhnen

Schüttelreime sind eine besondere Art von Witz. Denn witzig sind Schüttelreime (fast) immer. Es mag an ihrer „witzigen“ Technik liegen. Aber lasse ich weiter Eike Christian Hirsch in seiner 1984 im ZEITmagazin erschienenen Kolumne sprechen:

Buddha nach der netten Fabel / starrt auf seinen fetten Nabel. Keine Frage, es geht hier um Schüttelreime. Wie Sie wissen, werden da die Konsonanten am Anfang der Reimpaare vertauscht, eine Technik, die vor hundert Jahren von ein paar preußischen Studenten erfunden worden sein soll. Oft hängt bei einem forschen Mädchen / die Tugend nur am morschen Fädchen. Das stammt von dem großen Pianisten Artur Schnabel, der von sich selbst in gespielter Bescheidenheit gereimt hat: Am Anfang war auch Schnabel nur / das Ende einer Nabelschnur.

Sind das überhaupt Witze? Ich sehe, daß ich mich rechtfertigen muß. Friedrich Hollaender war dagegen („mit Witzen haben die Dinger glatterdings nichts zu tun“). Hans Weigel rechnet sie auch nicht dazu („eine uralte, sehr literarische Hochform des Blödeln“). Aber Sigmund Freud bescheinigte im Jahr 1905 den „neuerdings beliebt gewordenen Schüttelreimen“, daß unser Wohlgefallen an ihnen „das nämlich ist, an dem wir den Witz erkennen“. Als Beispiel wählte Freud übrigens: Und weil er Geld in Menge hatte / lag stets er in der Hängematte, was uns nun wiederum fragen läßt: Warum liebte Freud gerade diesen Vers? (War er doch in finanziellen Nöten? Zog er Lust aus Ersparung?)

Am Schüttelreim können wir wirklich etwas über Witze lernen. Auch Schüttelreime vergreifen sich im Ausdruck, was zynisch oder ungeschickt wirken kann. Die Boxer aus der Meisterklasse / die hauen sich zu Kleistermasse. Oder von den römischen Christenverfolgungen heißt es: Mit den Bekennern neuer Lehren / ließ Nero manchen Leu ernähren.

Wie bei allen Witzen ist auch beim Schüttelreim die Pointe kurz, überraschend und unausweichlich. Von der Kürze sagte schon der große Theoretiker des Witzes, Jean Paul, im Jahre 1804, Shakespeare zitierend, sie sei „der Körper und die Seele des Witzes“. Prüfen wir das gleich am Vierzeiler über die alte Sängerin: Krumme Beine / Mieder leer / brumme keine / Lieder mehr.

Die Verwandtschaft der Schüttelreime mit den Witzen mag nun wirklich am Tage liegen. Aber was ist das Besondere an den Schüttelreimen? Ich glaube, es ist diese starre Form, mit der sich die Pointe ankündigt (Da klagt unser Sängerlein / mein Auftritt sollte länger sein!). Unweigerlich schlägt der Schlußreim zu. Das ist die Mechanik der Mausefalle. Hier der Eunuch, der hodenlose / was trägt er in der Lodenhose?

Und noch etwas: Mit dieser Strenge der Form kontrastiert angenehm der oft alberne Sinn der Reime. Und dieser Gegensatz ist komisch. Zwecks Heirat lief die Nichte Schi / doch klappte die Geschichte nie. Immerhin: Mit der Pointe klappt es immer.

Witzableiter (4)

Auch in dem Schmähvers über Probleme beim Stillen: Nicht immer hat die feiste Mutter / fürs Baby auch das meiste Futter. Als der französische Philosoph Henri Bergson (wir kennen ihn schon) im Jahre 1900 sein Buch über das Lachen veröffentlichte, hat er den deutschen Schüttelreim gewiß nicht gekannt. Und doch paßt seine Theorie des Komischen besonders gut auf dies deutsche Produkt. Bergson hat sich nämlich zur Erklärung des Komischen auf Kinderspielzeug berufen, auf Hampelmann und Springteufelchen (das ist der Teufel, der aus dem Kasten sprint, sobald man den Deckel aufmacht). Nach Bergson ist es immer komisch, wenn eine Mechanik lebendig wirkt (oder etwas Lebendiges mechanisch). Gilt das nicht besonders vom Schüttelreim? Er folgt einem starren Schema und lebt doch. So manchem gilt die Treue nix / der sinnt auf immer neue Tricks.

Bergson schreibt: „Komisch ist jede Anordnung von ineinandergreifenden Handlungen und Geschehnissen, die uns die Illusion von wirklichem Leben und zugleich den deutlichen Eindruck von mechanischer Einwirkung vermittelt.“ Ich weiß nicht, ob das von aller Komik gilt – vom Schüttelreim bestimmt.

Da springt der Sinn lebendig aus der Mechanik. Auch bei dieser Berufsberatung für Journalisten: Bei wem sich Geist und Fresse paaren / wird gut stets bei der Presse fahren. Man kann auch sagen: Der lebendige Vers ist komisch, weil er wie mechanisch läuft. Zum Beispiel dieser, den sich Österreichs Juden gern erzählten: Gut jodeln kann der Steiermärker / im Jüdeln ist der Meyer stärker. So laufen Schüttelreime. Mechanisch und doch lebendig. Ich könnte auch sagen, unabänderlich und doch daneben. Das ist ihr Witz. Der Braten: schwarz, die Sauce: grau / die Köchin: eine große Sau.

Am liebsten würde ich Ihnen noch die ganz kurzen Schüttelreime vorführen (Altes Haus, halt es aus!) und dem Kampf um den kürzesten, den wohl dieser gewinnt: Du bist / Buddhist. Recht knapp sind auch „Latente Talente“ und „Weh diesen Devisen!“ Oder der, der besser nur mit einem Wort zitiert wird, seinem zweiten übrigens: „ … / Kosacken.“

Man kann mechanisch und unausweichlich auf unpassende Worte zurollen. Das tut auch der Zweizeiler, der von dem Cembalisten Fritz Neumeyer stammen soll, der morgens im Schwarzwald Skilaufen war und abends zur Orchesterprobe nach Freiburg hinunter mußte: Morgens der Berge schimmernde Weiße / abends der Geigen …“.

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 31/1984

[Fortsetzung folgt]