Abenteuer Ulysses von James Joyce (14): 13. Kapitel – Nausikaa [Odyssee]

Mit dem 13. Kapitel des Ulysses von James Joyce (von 18) haben wir die Hälfte des Romans endlich ‚geschafft‘. Hier wieder einige Informationen zur Handlung und zu den auftretenden Personen, auch wieder einige erklärende Anmerkungen zum Text.

Gemäß der Odyssee von Homer bricht die junge und Göttinnen in der Schönheit ähnliche Nausikaa (Tochter des phaiakischen Königs Alkinoos), im Traum durch Athene dazu ermuntert, morgens mit ihren Dienerinnen zum Strand von Scheria auf und wäscht dort mit ihren Dienerinnen am Fluss in der Nähe des Strandes Wäsche. Nach dem Essen machen sie ein Ballspiel. Durch das Kreischen der Mädchen, als der Ball weit wegfliegt, wird ein Schiffbrüchiger geweckt, der in einem nahe gelegenen Gebüsch schlief. Die anderen Mädchen fürchten sich vor ihm, Nausikaa jedoch hat keine Angst. Sie gibt ihm zu essen und Kleidung. Mir hat diese Nausikaa schon in jungen Jahren sehr gefallen. Ihre Schönheit konnte ich nur erahnen. Besonders gefiel mir aber, wie sie dem Schiffbrüchigen Odysseus Asyl gewährte.

Inhalt des 13. Kapitels:

Szene Felsen am Strand von Sandymount • Uhrzeit 20.00 Uhr

Drei junge Mädchen gehen am Strand von Sandycove spazieren, wo sich auch Bloom aufhält. Die Mädchen necken sich gegenseitig und wollen gerade den Heimweg antreten, als ein Feuerwerk beginnt. Zwei von ihnen gehen ein Stück weiter, um eine bessere Sicht zu haben, die dritte, die – Nausikaa symbolisierende – gehbehinderte Gerty MacDowell, aus deren Perspektive die erste Hälfte des Kapitels erzählt wird, bleibt. Sie und ihre Welt werden sprachlich in der Form sentimentaler viktorianischer Trivialromane dargestellt: „Gerty MacDowell, die unweit von ihren Gespielinnen saß, in Gedanken verloren, den Blick in die weite Ferne gerichtet, war wirklich und wahrhaftig ein Muster liebreizender junger irischer Weiblichkeit […]. Die wächserne Blässe ihres Gesichts wirkte fast vergeistigt in ihrer elfenbeingleichen Reinheit, obschon ihr Rosenknospenmund ein echter Amorsbogen war, griechisch vollkommen.“

Sie setzt sich auf einen Stein, hebt ihre Röcke, um Bloom zu erregen. Dabei stilisiert sie diese Anmache zu einer romantisch-wilden großen Liebe: „Sie hätte gerne nach ihm, erstickend fast, hätte gern die schneeigen Arme ausgestreckt nach ihm, daß er käme, daß sie seine Lippen auf ihrer weißen Stirn fühlte, eines jungen Mädchens Liebesschrei.“

Bloom, aus dessen Sicht der zweite Teil des Kapitels geschildert ist, war an den Strand gekommen, um etwas Ruhe zu finden. Er geht auf die Anmache ein, wobei das junge Mädchen in seinen Gedanken – um sich aufzugeilen – zum „durchtriebenen Luder“ wird: „Teufelinnen sind sie, wenns über sie kommt. Dunkles teuflisches Aussehen.“ – Er masturbiert in der Hosentasche, wobei ihm – in welchem Grade bewusst, lässt sich wie so oft in diesem Roman auch hier schwerlich sagen – Assoziationen an Molly und ihren Liebhaber durch den Sinn gehen: „War das vielleicht grad der Moment, wo er, sie?/ Oh, er hats. In ihr. Sie hats. Geschafft/ Ah!/ Mr. Bloom zog sich mit sorgsamer Hand das nasse Hemd zurecht. Meingott, dieser kleine hinkende Teufel. Fühlt sich langsam doch kalt an und klamm. Die Nachwirkung nicht gerade angenehm. Trotzdem, irgendwie muß mans ja loswerden.“ Blooms Orgasmus wird durch die Beschreibung des gleichzeitig stattfindenden Feuerwerks geschildert.

Gegen Ende des Kapitels beschäftigt Bloom sich noch mit dem Brief von Martha, der somit – zusammen mit seinem voyeuristischen Erlebnis am Strand – den Status einer kleinen Rache an seiner ihn ständig betrügenden Frau erhält.

Odysseus und Nausikaa (Pieter Lastman, Odysseus und Nausikaa, Ölbildnis, 1619, Alte Pinakothek, München)
Odysseus und Nausikaa (Pieter Lastman, Odysseus und Nausikaa, Ölbildnis, 1619, Alte Pinakothek, München)

Im Nausikaa-Kapitel strandet Odysseus auf der Insel des Königs Alkinoos. Dessen Tochter Nausikaa vertreibt sich dort mit ihrem Gefolge beim Ballspiel die Zeit. Sie hat keine Angst vor dem plötzlich auftauchenden Fremden, der ihre Schönheit preist, und nimmt ihn mit in den Palast, wo er sich schließlich als lang vermissten Herrscher von Ithaka zu erkennen gibt. In der malerischen Abenddämmerung spaziert die schöne Gerty MacDowell, begleitet von den Freundinnen Edy Boardmann und Cissy Caffrey mit ihren jüngeren Geschwistern, am Strand von Sandymount.

Morgens machte hier Stephen seinen Spaziergang. Gerty, Tochter nicht eines Königs, sondern eines Trinkers, gibt sich ihren Träumen von der großen Liebe hin. Zur gleichen Zeit findet eine Messe in der nahegelegenen kleinen Kirche statt. Da bemerkt Gerty zwischen den Felsen einen Fremden. Bloom sucht dort Ruhe, nachdem er dem Bürgermob entkam. Gerty lässt ihre Freundinnen weitergehen und bleibt allein zurück unter den ihrer Schönheit bewundernden Blicken von Bloom. Es beginnt eine einvernehmliche Verführungsszene aus der Distanz.

Parallel zum Verlauf der Messe, die mit dem Beginn eines Feuerwerks endet, wird das Geschehen zuerst aus Gertys Perspektive im Stile viktorianischer Trivialromane ausgemalt. Danach wechselt die Erzählhaltung zum inneren Monolog Blooms mit sexuell expliziterer Sprache. Gerty weiß, dass Bloom sie beobachtet, von ihr sexuell erregt ist und onaniert. Sie entblößt mehr und mehr ihre Reize. Als sie Bloom schließlich ihren Schoß zeigt, überschneidet sich Blooms sexueller Höhepunkt mit dem Ende des Feuerwerks.

Das Spektakel ist vorbei. Gerty geht. Mitleidig bemerkt Bloom, dass sie hinkt. Er lässt das Geschehen des Tages nochmals an sich vorbeiziehen, der Ruf einer Kuckucksuhr zur vollen Stunde erinnert ihn erneut an Mollys vollzogenen Ehebruch. Schließlich schläft Bloom ein.
(Quellen: swr.de/swr2/hoerspiel & de.wikipedia.org)

Personen des 13. Kapitels

Die handelnden Personen sind bereits genannt. Zum einen die Hauptfigur des Romans, Leopold Bloom, zum anderen jene Gertrude ‚Gerty‘ MacDowell, die die erwähnte Nausikaa symbolisiert. Daneben sind es Gertys Freundinnen, Cissy Caffrey und Edy Boardman – „mit dem Baby im Kinderwagen und Tommy und Jacky Caffrey, zwei kleine krausköpfige Jungen, die Matrosenanzüge trugen […] kaum vier Jahre alt […]“. Beide Freundinnen sind eifersüchtig auf ihre Schönheit. Gerty lahmt auf einem Fuß; sie wurde kürzlich von Reggy Wylie verlassen. Der Name Gertrud ist eine Parallele zu der tragischen und untreuen Mutter von Hamlet.

Anmerkungen zu diesem 13. Kapitel

Auch zu diesem Kapitel hier einige Anmerkungen und Erklärungen, die vielleicht helfen, mehr Verständnis für den Text zu erlangen. Natürlich bin ich mir nicht sicher, immer ‚das Richtige‘ gefunden zu haben. Für Korrekturen und weitere Anregungen bin ich dankbar:

S. 484: mehr eine Giltrap als eine MacDowell war [Giltrap – Großvater mütterlicherseits, der Besitzer von Garryowen, Hund in Zyklopen]
hauteur [‚Höhe‘]
S. 487: Chenille [‚Raupe‘ – weicher Textilstoff]
petite [klein, zierlich]
(… rucke di guck, die rechte Braut sitzt noch daheim) [im O.: and never would ash, oak or elm = und niemals würde Esche, Eiche oder Ulme]
S. 489: T.C.D. [Trinity College Dublin]
Schaltjahr [1904]
S. 491 Senge [Prügel]
S. 493: Unsere Lieben Frauen von Loreto [italienische Gemeinde]
S. 494: Dessins [Zeichnungen]
S. 495: halkyonische Tage [griech.: 14 Tage um die Wintersonnenwende]
S. 498: Martin Harvey [engl. Bühnenschauspieler]
retroussée [gestülpt]
S. 499: Ora pro nobis [Bete für uns]
Sieben Schmerzen (Mariens) [1. Darstellung Jesu im Tempel mit Weissagung Simeons (Lk 2,34–35) – 2. Flucht nach Ägypten vor dem Kindermörder Herodes (Mt 2,13–15 ) – 3. Verlust des zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,43–45) – 4. Jesus begegnet seiner Mutter auf dem Kreuzweg (unbiblische Szene) – 5. Kreuzigung und Sterben Christi (Joh 19,17–39) – 6. Kreuzabnahme (vgl. Mt 27,57–59) und Übergabe des Leichnams an Maria (Beweinung Christi) – 7. Grablegung Christi (Joh 19,40–42)]
Novene [Gebete an neun aufeinander folgenden Tagen]
S. 501: Tableau! [Bild]
Tantum ergo [nach Thomas von Aquin: Kommt und lasst uns tief verehren ein so großes Sakrament]
Tantumer gosa cramen tum [eigentlich: tantum rosa sa cramentum = das Geheimnis der Rose]
S. 504: Panem de coelo praestitisti eis [Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben]
S. 506: contretemps [Rückschlag]
Velum [‚Schleier‘]
S. 507: Miss Cummins [Mary Susanna C. – amerikanische Schriftstellerin – 1827-1866]
Bist real du, Ideal du? [im O. Art thou real, my ideal?]
S. 508: Gesellschaft mit großem Ge [im O. Society with a big ess]
S. 509: Laudate dominum omnes gentes [Preist den Herrn aller Völker]
holterdipolter [im O. helterskelter]
S. 511: Nainsook [weiche, leichte Form von Musselin]
Und dann sprang eine Rakete hoch … [Onan lässt grüßen!]
S. 513: … und sehr langsam, denn Gety MacDowell … Zu enge Schuh? Nein, sie hinkt! Ach! [Perspektivwechsel Gerty/Bloom]
Tranquilla-Kloster [italienisches Ruhekloster]
S. 514: Mutoskop [Guckkasten]
lingerie [Unterwäsche]
deshabillé [Morgenrock]
Also ich bin ganz sauber gekommen und hab mich vollgesaut [im O. I’m all clean come an dirty me]
S. 517: Nell Gwynn [engl. Schauspielerin, 17. Jh., Mätresse von Charles II]
Mrs. Bracegirdle [Anne B., 17./18. Jh., Schauspielerin]
Maud Branscombe [19. Jh., stand Modell für Fotos]
Lacaus esant taratara [phonetisch -> it.: La causa e santa = Die Sache ist heilig, Oper von Meyerbeer]
S. 518: Lord Mayor [Bürgermeister von Dublin]
Val Dillon. Apoplektiker. [neigt bzw. hatte Schlafanfälle]
S. 521: Dolphin’s Barn [1. Kuss mit Molly]
Irishtown [Vorort von Dublin]
Jedes Bällchen findet sein Ställchen. [im O. Every bullet has its billet]
S. 522: die Vorhaut … [demnach ist Bloom nicht beschnitten?!]
S. 524: Opoponax [Gummiharz – Myrrhe]
S. 525: der Lange John [J. Fanning, Subsheriff von Dublin]
Meagher [irischer Nationalist, 19. Jh.]
S. 526: Der Bailey-Leucht. [Leuchtturm – Halbinsel bei Dublin]
Grace Darling. [Tochter eines Leuchtturmwärters, berühmt durch Einsatz bei einem Schiffsunglück]
Roggbiv [i.O. Roygbiv – Abfolge der Farbtöne: rot, orange, gelb, grün usw.]
S. 527: Homerule-Sonne [Selbstregierung (Irlands)]
S. 528: Rip van Winkle – Sleepy Hollow [Erzählungen von Washington Irving – …schläfrige Schlucht … – kopfloser Reiter]
Metempsychose [Seelenwanderung]
S. 530: Faugh a ballagh [Schlachtruf: Mach den Weg frei!]
Skapulier [Überwurf/Schulterkleid]
Tephilim [Gebetsriemen]
S. 532: Kalomel [Mineral = Hornquecksilber]
Dick in Mode … [im O. fat]
El hombre ama la muchacha hermosa. [Der Mann liebt das schöne Mädchen]
Leah, die Lilie von Killarney [Melodram]
S. 533: Damen-Bloomer [Frauenoberhose]
S. 535: Kish [iranische Insel im Persischen Golf]
Agendath [Siedlung in Palästina]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (05): 4. Kapitel – Kalypso [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (06): 5. Kapitel – Lotophagen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (07): 6. Kapitel – Hades [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (08): 7. Kapitel – Äolus [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (09): 8. Kapitel – Lästrygonen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (10): 9. Kapitel – Scylla & Charybdis [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (11): 10. Kapitel – Symplegaden (Irrfelsen) [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (12): 11. Kapitel – Sirenen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (13): 12. Kapitel – Der Zyklop [Odyssee]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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