Kategorie-Archiv: Literatur

WilliZ Welt der Literatur

Der Frühling

    Wie wundervoll ist die Natur!
    Man sieht so viele Blüten,
    auch sieht man Schafe auf der Flur
    und Schäfer, die sie hüten.
    Ein leises Lied erklingt im Tal:
    der müde Wandrer singt es.
    Ein süßer Duft ist überall,
    bloß hier im Zimmer stinkt es!

Heinz Erhardt aus Die feiernden Deutschen: 789 brauchbare Gedichte

Heinz Erhardt: Noch 'nen Gedicht ...
Heinz Erhardt: Noch ’nen Gedicht …

Ach ja, Frühling ist’s, auch wenn es nicht so scheint (es scheint so, ist es aber nicht). Was nicht ist, kann noch werden, wenn auch nicht gleich, so doch in einigen Tagen (oder Wochen? Hoffentlich nicht …?!). Wenn es im Zimmer stinkt (wie beim guten Heinz Erhardt), dann liegt es daran, dass wir uns nicht ins Freie wagen (bei diesen Temperaturen, bei diesem kalten Wind, bei diesem verdammten April-Wetter!) und lieber die gute Stube (das besagte Zimmer) vollpupsen. 😉

P.S. Und gerade heute Morgen muss die Sonne scheinen, wenn auch nur bei 1 ° C. Brrr ….

Nach Ostern

Jetzt ist es bereits wieder eine Woche her, dass wir zum zweiten Mal unter Corona-Bedingungen das Osterfest feiern mussten (siehe hierzu: Osterbrunch 2020 per Skype und Nachösterliches Corona-Care-Paket).

Belarusische Ostern

In diesem Jahr stand es bei uns zudem unter den Ereignissen in Belarus. Die Freundin meines älteren Sohnes kommt aus diesem Land, das gekennzeichnet ist durch das gnadenlose Vorgehen der Sicherheitskräfte Lukaschenkos gegen die Opposition. Das orthodoxe Osterfest fällt in diesem Jahr auf den 2. Mai. Aber wir haben es einfach vorverlegt und feierten es gemeinsam mit unserem Ostern: In Belarus müssen die Eier rot gefärbt und auch der Kulitsch, ein runder Kuchen aus süßem Hefeteig mit Rosinen und kandierten Früchten gespickt, muss gebacken werden. Viele bereiten auch eine Quarkspeise, genannt Pascha, zu. Diese hat jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden Speisen keine religiöse Bedeutung.

Ostern 2021 nach belarusischem Brauchtum
Ostern 2021 nach belarusischem Brauchtum

Mit von meinem Sohn im Zwiebelsud gefärbte Eier, dem Kuchen und der besagten Quarkspeise begannen wir am Ostermontag unseren Brunch, zu dem noch vieles andere Leckere (u.a. viel Fischiges und Käse) hinzukam. So verweilten wir den halben Tag, da das bescheidene Wetter nicht gerade zu einem Aufenthalt im Freien einlud. Als wir am Ostermontag unserer Sohn am Bahnhof verabschiedeten, begann es auch noch zu schneien.

Literarische statt wirklicher Reise

Ja, bei diesem Wetter – Ende März hatten wir noch Temperaturen von über 20 ° C – kann man schon Depressionen bekommen: nie über 10 ° C, fast immer kalter Wind, wenn Sonne, dann wechselte sich diese meist mit Graupel-, Schnee- oder Regenschauern ab. Statt einer Reise hatte ich mich so im warmen Stübchen auf eine literarische Reise begeben und bin in die Welt des Herrn Franz Kafka eingetaucht. Da musste sich auch dieser Blog einige Zeit gedulden.

Corona und keine Ende

Es erstaunte mich keinesfalls, dass sich Politiker an der Coronakrise bereicherten (Stichwort: Maskenaffäre). Ärger ist dagegen das Corona-Management, das nur schleppend in die Gänge kommt. Jeden Tag (ich kann es schon nicht mehr hören und sehen) neue Meldungen und neue Verordnungen, die nur verdeutlichen, wie sehr sich die Politiker um Wählerstimmen zu bemühen, aber nicht um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu kümmern scheinen.

Sonntagsmorgen, im Bett

Was – was ist?
Ach so. Heute ist Sonntag. Da kann ich noch liegen.
Mit den Schultern kuscheln. Mich ans Kopfkissen schmiegen –
Aus alter Gewohnheit wacht man Sonntags immer
so früh auf wie wochentags – das kommt vielleicht von dem Schimmer
da von den Jalousien – was ist denn das für ein Geratter und Gebraus?
Na, jedenfalls heute muß ich nicht raus.

 
Ich kann heute ganz stille liegen und ruhn.
Und muß gar nichts. Und hier kann mir keiner was tun.
So ein Bett ist eigentlich eine schöne Sache –
da müßte noch so eine Sonnenplache
drüber sein, und dann fährt man damit überall hin –
Woher kommt das, daß ich heute so furchtbar müde bin –?

 
Gestern abend haben wir wesentlich zu viel Schwedenpunsch getrunken,
Paul war zum Schluß ganz in seinen Sessel versunken;
ich habe auch noch so einen komischen Geschmack im Mund und –

 
Halb neun! Da muß ich richtig wieder eingeschlafen sein.
Sonntagsmorgen im Bett, das ist fein.
Das heißt: Was nun noch kommt, ist weniger schön …
Heute muß ich zu Onkel Otto und Tante Frieda gehn –
Margot ist auch da, die keusche Lilie …
Warum, lieber Gott, ist man sonntags stets in Familie?
Vor Tisch sind sie beleidigt, und nach Tisch sind sie satt –
wenn ich dran denke, wird mir jetzt schon ganz matt.

 
Abends ist Theater… morgen muß ich unbedingt mal mit Kempner telephonieren:
Er muß mir die Diele billiger tapezieren –
achtzig ist zu viel – der Junge ist wohl nicht ganz gesund! Und – –

 
Halb zehn!
»Willi! Aufstehn! Aufstehn!«
Ja doch, ja!
Ich stehe ja schon auf, Mama.

 
Jetzt geht der Sonntag los! Nein: eigentlich ist er jetzt vorbei.
Jetzt kommen die Zeitungen und Briefe und Telephon und Geschrei.
Das ist nun weniger geruhsam und labend …

 
Aber so ist das im Leben:
Das Schönste vom Sonntag ist der Sonnabend abend.

Kurt Tucholsky

Moin! Is al wedder Sönndag!
Moin! Is al wedder Sönndag!

Ach ja, wie kenne ich das. Und mir ging es früher ähnlich: Der Sonntag war schon so etwas für den Arsch, abgesehen von der buckligen Verwandtschaft, die durch ihren Besuch diesen freien Tag verdarb, da graute am Horizont bereits der MONTAG so grau in grau. Da war mir der Samstagabend doch um einiges lieber, auch wenn er die mir innewohnende Freude eines Freitagabends bereits um einiges verpasste.

Aber ich bin ja jetzt im Stand der Gnade, in the state of grace – wie der Angelsachse sagt. Gnade ist vielleicht nicht das richte Wort – ich bekomme die über viele Jahre von mir persönlich und von meinen Arbeitgebern eingezahlten Beiträge in die Rentenversicherung als monatliche Zahlungen zurück. Da ist jeder Tag ein Sonntag und jeden dieser Morgen (Mz.) kann so lange im Bett verbracht werden, wie es meinem Gutdünken entspricht.

Kurz und spitz (12): Schreiben oder erst ein Bier

    Wenn ich weiß, was ich nicht schreiben will oder nicht mehr beschreiben muss und was bereits beschrieben wurde, kann ich ja schon mal eine Menge aussortieren. Und dann das erste Bier öffnen.
    Tex Rubinowitz im ‚Standard‘

Kurz und spitz: Schreiben oder erst ein Bier
Kurz und spitz: Schreiben oder erst ein Bier

Auch auf die Gefahr hin, dass ich für einen Trinker gehalten werde (aber wo liegt da die Gefahr), so komme ich auch heute erneut aufs Trinken zurück. Wie Herr Rubinowitz habe ich ‚eine Menge aussortieren‘ können und suche nur noch den Flaschenöffner, um mir mein erstes Bier für heute zu öffnen …

Kurz und spitz (11): Trinken

    Das Trinken ist gescheiter,
    Das schmeckt schon nach Idee,
    Da braucht man keine Leiter,
    Das geht gleich in die Höh‘.

Kurz und spitz: Trinken
Kurz und spitz: Trinken

Da kann ich nur eines sagen:

Prost! Gëzuar! Eskerriska! Yec’hed mat! Наздраве! Skål! Cheers! Kippis! À votre santé! εις υγείαν! !לחיים Sláinte! Salute! 乾杯 Salut! Uzdravlje! في صحتك Sveikatą! Saħħa! Proost! ممنون- شادباش Na zdrowie! Noroc! Эа здоровье! Na zdravie! Salud! ไชโย Şerefe! Будьмо! Egészségedre! sự Cạn ly, nâng cốc chúc mừng! Iechyd da! На ўра! Na strowje! Gejuig! ቺርስ Alqışlayır! 干杯 Huraon!င်္ Rõõmuhõisked! Tsjoch! Murna! Ke aloha! Nwee ekele! Skál! 건배 Badenoş! Iubentium! Mahafaly! Sorakan! Harikoa! баяр хүргэе! Jubel! به سلامتی Felicidades! ਚੀਅਰਸ Manuia! Thabisang! Mufaro! Farxad! Surak! Саломатӣ! Begenýär! Masinwabe! Kubabaza! Prosit!

„Na denn, Prost, wer nix hat de host!“

Literarische Reise: Kafka – Biographie in drei Bänden von Reiner Stach samt Zusatzband „Kafka von Tag zu Tag“

Keinem anderen Schriftsteller habe ich mehr Aufmerksamkeit in diesem Blog gewidmet als Franz Kafka. Und von keinem habe ich mehr Bücher als von ihm, genauer: Bücher über Kafka. Denn das Werk des Prager Schriftstellers ist verhältnismäßig schmal. Und wie mich Kafka interessiert (ein hier eher unpassendes Wort), so faszinierte er auch immer wieder viele andere Leser – vom Schriftsteller bis zum Philologen.

Nun habe ich es gewagt, mich auf eine spezielle literarische Reise zu machen. Ich habe mir das über 2000 Seiten starke (mit Anmerkungen usw. noch um einiges umfassendere) Opus von Reiner Stach gegönnt, seine Kafka-Biographie in drei Bänden samt Zusatzband „Kafka von Tag zu Tag“ und einer historischen Karte von Prag zu Kafkas Lebzeiten.

Reiner Stach: Kafka-Biographie in drei Bänden
Reiner Stach: Kafka-Biographie in drei Bänden

18 ganze Jahre hat Stach an dieser Biographie gearbeitet und dabei besonders die Hintergründe der Lebensumstände des Prager Schriftstellers zur Jahrhundertwende um 1900 beleuchtet. So tauche ich als Leser in die Welt der k. und k.-Monarchie ein, die in Prag von Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutsch sprechenden Bürger geprägt war, bei denen Juden wie Kafka oft zwischen die Fronten gerieten. So ist dieses Werk viel mehr als die Lebensbeschreibung eines außergewöhnlichen Schriftstellers. Es ist das Ergebnis einer umfangreichen Recherche der Zeit vor rund 100 Jahren.

Die Biogrphie ist in folgende Bände gegliedert:

Die frühen Jahre 1883-1910
Die Jahre der Entscheidungen 1910-1915
Die Jahre der Erkenntnis 1916-1924

Zusatzband: Kafka von Tag zu Tag (Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse)

Mit Reiner Stach gibt es ein Interview, in dem er aufschlussreich über seine Arbeit an diesem umfassenden Werk berichtet:

Reiner Stach, Literaturwissenschaftler und Kafka-Biograf – Interview aus dem Jahr 2016 (ARD Alpha)

Ähnlich wie Kafka seinen Helden Gregor Samsa in seiner Erzählung Die Verwandlung in ein Ungeziefer verwandeln ließ, so habe ich mir vor einiger Zeit herausgenommen, Kafka sich in mich verwandeln zu lassen. Er wird mir meine Spielerei sicherlich verzeihen:

Kafka verwandelt sich zu 'Willi'
Kafka verwandelt sich zu ‚Willi‘

Auf der Suche nach dem ‚Schnee von gestern‘

Wintereinbruch – auch bei uns im hohen Norden. Wann hatten wir zuletzt ein solches Winterwetter mit Schnee und fast 10 Tagen Dauerfrost? Und nur wenige Tage danach: Frühling! Statt minus 12 Grad plötzlich 18 Grad plus. Und Sonne! Da zieht es uns ins Freie.

So wie der Schnee kam, so schnell war er dann auch wieder weg. Dahingeschmolzen, Dreck hinterlassend!

Der Schnee von gestern: Ein Haufen Dreck und Matsch
Der Schnee von gestern: Ein Haufen Dreck und Matsch

Letzte Woche Donnerstag hatte ich mich auf den Weg gemacht, auf der Suche nach dem ‚Schnee von gestern‘ und fand nur zusammengekratzten Schneematsch, im Wald auch noch unberührten Nassschnee: eben der ‚Schnee von gestern‘.

Der Schnee von gestern: Düvelshöpen/Tostedt
Der Schnee von gestern: Düvelshöpen/Tostedt

Den Schnee von gestern kennen wir als Redewendung, die besagt, das etwas Vergangenheit ist, das nicht mehr gilt, eine Sache, die einmal wichtig war, jetzt aber nicht mehr von Bedeutung ist.

Ursprünglich lautete die Redewendung „Schnee vom vergangenen Jahr “ und stammt aus dem späten 19. Jahrhundert. Der Dichter des französischen Spätmittelalters Francois Villon soll den Ausdruck geprägt haben. Er ist Teil seiner Ballade des dames du temps jadis („Ballade der Frauen von einst“): „Mais ou sont les neiges d’antan?“ – „Aber wo ist der Schnee vom letzten Jahr?“ Villon nutzt die Redewendung als Refrain und verweist damit auf Vergangenes wie historische Ereignisse und Personen und eine längst vergangene Schönheit.

16 Jahre Willizblog

Ich habe nichts gegens Feiern. Manche haben zum Feiern ja immer einen Anlass. Ich gehöre zu denen, die keinen Anlass brauchen. Und gibt es einen Anlass, dann komme ich eher ohne Feier aus. Corona hin, Corona her. Auch ohne Corona würde ich heute aufs Feiern verzichten. Aber erwähnt möchte ich es doch haben: heute vor 16 Jahren habe ich diesen Blog eröffnet. Damals sicherlich mit der Gewissheit, 16 Jahre später NICHT einen solchen Beitrag schreiben zu können. Ihr versteht, was ich meine?!

    Willi in WilliZ Welt - schottlandmäßig
    Willi in WilliZ Welt – schottlandmäßig

Nun also keine Glückwünsche und keine ‚Dankesbekundungen‘. Ich mache das hier zu meinem eigenen Vergnügen, gewissermaßen als Training für den Kopf. Und auch manchmal, um ‚Luft abzulassen‘. Und wenn sich der eine oder die andere hin und wieder zu meinen geistigen Ergüssen per Kommentar äußert, so soll es mir Recht sein. Besonders dann, wenn es in meinem Sinne ist. Ich hoffe, Ihr versteht auch das …

siehe auch: 60 Jahre Willi – 9 Jahre Willizblog

Imaginäre Interviews (01): Willi Kojote, Schamane

I[nterviewer]: Willi Kojote, wie muss ich Sie ansprechen: Mit Namen oder mit Schamane?
W[illi Kojote]: Sagen Sie ganz einfach: Willi! Beim ‚Sie‘ dürfen Sie aber gern bleiben.

Imaginäre Interviews
Imaginäre Interviews

I: Was habe ich unter Schamane zu verstehen? Soviel ich weiß, ist ein Schamane einer mit heilenden Kräften, der die Verbindung zur Geisterwelt herzustellen versteht, oder?
W: Das Wort Schamane kommt aus der mandschu-tungusischen Sprache und bedeutet „jemand, der weiß“. Sie haben schon Recht: ein Schamane ist, wenn Sie so wollen, ein spiritueller, vielleicht auch religiöser, meist ein heilerischer, vor allem aber ein ritueller Spezialist, dem magische Fähigkeiten zugesprochen werden

I: Sie besitzen also magische Kräfte?
W: Nicht mehr als Sie!

I: Einen Schamanen stellen wir uns immer als Mann im biblischen Alter vor. Wie alt sind Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?
W: In wenigen Tagen werde ich 267. [Pause]. Nein, ist ein Witz. Ich werde 67. Ist ja auch schon fast biblisch, oder?

I: Um Schamane zu sein, muss dieser dort gewisse Qualifikationen besitzen, bzw. eine entsprechende Ausbildung absolviert haben.
W: Das Leben ist Ausbildung genug. Wer in meinem Alter nicht die notwendige Reife erlangt hat, wer nicht den nötigen Abstand zu den Aufgeregtheiten der Zeit besitzt, der wird sich natürlich nicht zum Schamanen eignen. Aber da sind erfahrene Menschen genug, die sich zu diesem Amt eignen, ohne es zu wissen.

Willi Kojote, der Schamane
Willi Kojote, der Schamane

I: Das klingt etwa so, als könnte man sich selbst zum Schamanen erklären.
W: Könnte man, machen ja in diesen Tagen auch viele …

I: Sie sprechen da den Schamanen mit den Büffelhörnern an, der mit Gesinnungsgenossen das Kapitol in Washington besetzt hatte.
W: Der ist gerade halb so alt wie ich und denkt, die eben angesprochene Reife bereits erlangt zu haben. Ein Wicht ist das. Allein dadurch, dass er sich eine indianische Schamanen-Kopftracht mit Bisonhörnern und Kojotenfell mit zwei Schwänzen anlegt, ist er noch lange kein Schamane. Hinter diesem bison man, wie man diesen armseligen Menschen auch nennt, verbirgt sich ein aufgeblasener Dummkopf, der nur nach Aufmerksamkeit heischt, der ersten Stufe der Egomanie. Es folgen Geldgier und dann Machtbesessenheit. Trump hat übrigens die letzte Stufe erreicht.

I: Was macht dann einen Schamanen aus?
W: Ein Schamane ‚wirkt‘ wie ein Medikament. Medizin allein heilt nicht. Wenn der Körper nicht mitspielt – Stichwort: Selbstheilungskräfte des Körpers -, dann wird das nichts. So wie jeder halbwegs vernünftig denkende Mensch anderen Menschen durch Rat und Tat helfen kann, so versucht auch ein zum Schamanen Tauglicher zu helfen.

I: Das klingt ganz normal und hat wenig mit Handauflegen, Verabreichung von Kräutersäften und ähnlichem zu tun. Dinge, die wir eigentlich mit einem Schamanen in Verbindung bringen.
W: In erster Linie braucht ein Schamane das, was wir gesunden Menschenverstand nennen. Die Handlungen, die Sie eben nannten, können den Heilungsprozess unterstützen, sind aber nicht vorrangig wirksam.

I: Gesunder Menschenverstand?
W: Ich weiß: Leider ist dieser dank unserer Politiker, die sich immer wieder auf ihn berufen,
längst verpönt.Aber ich glaube an ihn. Er geht einher mit Logik. Was nicht Ergebnis einer
vernünftigen Schlussfolgerung ist, was nicht Bestand hat vor ordnungsgemäßem Denken, das taugt nichts, auch wenn es gut gemeint ist.

I: Demnach war z.B. Albert Einstein so etwas wie ein Schamane, oder?
W: Ohne Zweifel. Sein logisches Denken diente nicht nur naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen, sondern ermöglichte ihm auch Einsichten im Alltäglichen, wie wir sie uns vor allem von den Personen wünschen, die meinen, über uns bestimmen zu können, z.B. Politiker.

I: Ich danke Ihnen für dieses aufschlussreiche Gespräch.
W. Ich habe zu danken!

Kurz und spitz (10): Vorgedrängelt

    In der Skisaison ist es wie im Sozialismus: Man muss anstehen und an den Fortschritt glauben. Wie man sich erfolgreich vordrängelt, bleibt aber auch in anderen Monaten des Jahres eine wertvolle Kulturtechnik. Zum Beispiel, wenn man nach dem Opernbesuch schnell ein Taxi erwischen will oder nach dem Fussballmatch das nächste Tram.
    NZZ am Sonntag

Aber:

    Wer kennt sie nicht – die Leute, die sich immer vordrängen und doch nie vorn sind.
    Johannes Gross

Kurz und spitz: Vorgedrängelt
Kurz und spitz: Vorgedrängelt

Ich bekenne mich schuldig: Auch wenn es jetzt über ein Jahr her ist, aber ich gehörte auch zu diesen Dränglern. Aber was ist eigentlich schlimmer: Die drängeln oder die, die immer im Weg stehen?

Mir ging es nicht darum, erster, ganz vorn zu sein. Am frühen Morgen, wenn ich mich auf dem Weg zur Arbeit machte, mich zeitig zum Ausgang im Nahverkehrszug begab, um diesen möglichst schnell zu verlassen, damit ich noch meinen Anschlusszug bekomme: Der Bahnsteig ist brechend voll. Da hilft nur, sich durchzuschlängeln. Und dann die Rolltreppe: blockiert durch zwei geschwätzige, aber für mich taube Gestalten! Ich will nicht drängeln, aber der Zug wartet nicht …

Oder zum Feierabend hin: Am Hauptbahnhof ankommend wird die Tür in der S-Bahn von einem Typen versperrt, der unbedingt noch per Handy ein Telefonat führen muss. Überhaupt oben auf dem Verbindungssteg die auf ihre Smartphones stierenden Käuze, die sich genau dann mir in den Weg stellen, wenn ich sie überholen will?!

Zwangsläufig wurde ich da zum Drängler, zum Hinwegschubser: Step aside, aus dem Weg, ihr Narren, der Meister hat es eilig!

Weihnachtliche Ferkelei

Ach ja, das Weihnachtsfest steht vor der Tür. Auch wenn durch Corona die Weihnachtseinkäufe im Gewühle der Kaufhäuser seit Tagen unterbunden sind – wir haben uns eben online eingedeckt – der Festbraten ist bestellt, zu Heiligabend wird er abgeholt und landet dann am 1. Weihnachtstag in den Ofen. Wir sind auch dieses Jahr gut vorbereitet.

Eigentlich bin ich nicht der große Weihnachtsliebhaber. Schön, dass die Söhne zum Fest kommen (die Corona-Regeln erlauben das gerade noch), aber eigentlich bin ich dafür, zu einem anderen Termin – unabhängig von der Jahreszeit – die Sau bzw. das Ferkel rauszulassen. Freitag, der 13. wäre nicht schlecht, dann hätte wir auch noch das Wochenende (also wie Weihnachten zwei ½ Tage). 2021 wäre das im August, da ist es noch herrlich warm, wir könnten draußen feiern (und das Ferkel grillen).

Weihnachtsbaum bei Albinz
Weihnachtsbaum bei Albinz

Apropos Ferkel:

Unser Weihnachtsfest, das beginnt schon im Maien,
dann wird das Ferkel gemästet im Freien.
Es grunzt und es schmatzt und es frißt sich satt
und wenn’s im November gefroren hat.

 
Ferkel! Du wirst nun abgeknallt.
Ferkel! Weihnachten kommt schon bald.
Ferkel! Der Onkel trinkt dein Blut.
Ferkel! Wir feiern frohgemut.

 
Ahnungslos räkelt sich der gemästete Eber.
Ein Schaudern läuft mir über die Leber.
Mein Bruder wetzt schon sein Messerlein.
Bald trennen sich Fleisch und Gebein vom Schwein.

 
Ferkel! Wir brauchen Pökelsalz
Ferkel! für zarten Schweineschmalz.
Ferkel! Komm in die Ofenglut.
Ferkel! Dein Hinterteil schmeckt gut.

 
Im Gewühle der Kaufhäuser sucht man Geschenke,
drängelt mit dem Ellbogengelenke.
Wer das aber sieht, der guckt lieber weg:
Hier wälzt sich der Mensch im eignen Dreck.

 
Ferkel! Wie Papa kaut und kaut
Ferkel! das ist schon halb verdaut.
Ferkel! Dein Leben endet grad’
Ferkel! im Magensäurebad.

Unser Schinken, der schmort bei Oberhitze
während ich vor dem Backherd sitze.
Ich brate bei zweihundertfünfzig Grad,
Weihnachten kenne ich keine Gnad’.

 
Ferkel! Nun schneide Schinken ab.
Ferkel! Der Gürtel wird schon knapp.
Ferkel! Das Leben ist so kurz
Ferkel! und endet doch als Furz.

 
Weihnachtskarpfen, Weißwurst, Puter und Schinken,
Braten, Süßes und Schnäpse zu trinken.
Man erkennt, wenn das Fest dann vorüber ist:
Der Mensch ist wirklich, was er ißt.

M. A. Numminen & Juice Leskinen : Ferkel

Das Gedicht entstammt einem Ratgeber für Weihnachtsverächter, Weihnachtsvermeider und heimliche Weihnachtsliebhaber, deren Liebe einseitig blieb: „Das wüste wilde Weihnachts-Buch“

Apropos Finnland:

In den letzten Tagen habe ich zwei ältere Filme des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki gesehen: Ariel aus 1988 und Der Mann ohne Vergangenheit aus 2002. Besonders der letzte Film hat es mir angetan und kommt in die Top 100 meiner liebsten Filme.