- „Es muß ja kein eigentlicher Feind sein, dem ich die Lust errege, mir zu folgen, es kann recht gut irgendeine beliebige kleine Unschuld, irgendein widerliches kleines Wesen sein, welches aus Neugier mir nachgeht und damit, ohne es zu wissen, zur Führerin der Welt gegen mich wird, es muß auch das nicht sein, vielleicht ist es – und das ist nicht weniger schlimm als das andere, in mancher Hinsicht ist es das schlimmste – vielleicht ist es jemand von meiner Art, ein Kenner und Schätzer von Bauten …“
Franz Kafka: Der Bau
Es gibt mehrere ‚Tier‘-Geschichten, die Franz Kafka verfasst hat. Die wohl bekannteste Erzählung ist Die Verwandlung, in der ein gewisser „Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ In Ein Bericht für eine Akademie legt der ehemalige Affe namens Rotpeter einer Akademie einen Bericht über seine Menschwerdung vor. In den 1980-er Jahren habe ich diese Erzählung als Ein-Personen-Theaterstück in Bremen gesehen, wozu es sich bestens eignet.
Weitere Tiergeschichten von Kafka sind u.a. Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse, Forschungen eines Hundes und Der Bau. Der Bau „schildert den vergeblichen Kampf eines Tieres um die Perfektionierung seines riesigen Erdbaues zum Schutz vor Feinden. Die Erzählung handelt von der Verstrickung in die zwanghafte Beobachtung einer selbstgeschaffenen labyrinthartigen Anlage, die zunehmende Paranoia erzeugt.“
Die Erzählung muss als unvollendet gelten, denn „der letzte Satz, mit dem die Erzählung abbricht, lautet: ‚Aber alles blieb unverändert, das –‘. Dieser Satz steht am Schluss einer Seite, was vermuten lässt, dass Kafka noch mehr geschrieben und einen Schluss verfasst hat. Um die Erzählung damals jedoch als abgeschlossen veröffentlichen zu können, änderte Max Brod [Freund und später Herausgeber der Werke Kafkas] den vermeintlich letzten Satz um in: ‚Aber alles blieb unverändert.‘“ – Kafka hat sich „bei seinen Tiergeschichten, insbesondere in der vorliegenden, stark an den Schilderungen aus Brehms Tierleben orientiert, hier diente als Vorlage der Dachs.“
Wie so oft bei Kafka, so lässt sich auch diese Erzählung nicht eindeutig interpretieren. „Kafka hat 1915 unter dem Kriegseindruck einen für Publikum gestellten Schützengraben mit seiner klaustrophobischen Enge besichtigt und eine Vorstellung vom Grabenkrieg erhalten. Denkbar ist, dass er diese Eindrücke noch acht Jahre später in der Schilderung des beklemmenden unterirdischen Labyrinths verarbeitet hat.“ Möglich wäre es aber auch, dass Kafka den Bau auf seine damaligen Lebens- und Wohnverhältnisse bezogen hat. Es gibt zudem die Deutung, dass das Geräusch gar nicht von außen, sondern aus dem Protagonisten selbst kommt und so ein Hinweis auf Kafkas fortschreitende Lungentuberkulose sein könnte.
Eine etwas andere Interpretation bietet der Kinofilm Kafkas Der Bau von Jochen Alexander Freydank (2009 Oscar in der Kategorie Bester Kurzfilm für Spielzeugland), der auch das Drehbuch schrieb. Der Film erschien 2014 und zeigt Axel Prahl in der Hauptrolle des Franz.
Der Film „erzählt die Geschichte der ‚Verwandlung‘ eines Menschen. Franz lebt in einem festungsartigen Wohnkomplex. Er glaubt, es geschafft zu haben. Aber immer mehr Zweifel kommen auf. Ist er wirklich so autark, wie er hofft? Die Welt um ihn herum verändert sich. Er selbst verändert sich. Der Film endet in einer bildgewaltigen postapokalyptischen Welt, in der Franz zwar alles verloren hat, aber auch befreit ist von seinen Ängsten.“
Kafkas Der Bau (2014)
Der Kafka’sche Bau wird hier in dem großen Wohngebäude abgebildet und steht für die Einsamkeit und Verlorenheit des modernen Menschen, die Freydank in kühlen, klaustrophobischen Bildern darstellt. Der Film bewegt sich dabei zwischen psychologischem Drama und Science-Fiction-Film. Wie in Gedanken rezitiert Franz (Axel Prahl) längere Auszüge aus der Original-Erzählung, was das Befremdliche noch um einiges steigert. Geradezu beängstigend wirkt der schnelle Verfall des Gebäudes – und parallel dazu der ganzen Umwelt samt dem Niedergang der Menschen. Vielleicht kann man den ‚Bau‘ als wankende Festung Europas interpretieren oder auch als Abbild der scheiternden (Selbst-)Überwachung. Kafka is watching us?! – Ähnlich paranoide Zustände wie beim Protagonisten Franz lassen sich sicherlich auch in einem Teil unserer Bevölkerung erkennen, die sich um Volk und Land zu sorgen scheinen.