Kategorie-Archiv: Literatur

WilliZ Welt der Literatur

Siegfried Lenz: Deutschstunde

Heute zeigt das ZDF die 2019 entstandene Verfilmung eines Romans von Siegfried Lenz: Deutschstunde. Das Video ist in Deutschland bis zum 10.11.2021 in der ZDF-Mediathek verfügbar (Video in HDTV im Download)

Das Buch habe ich wie folgt vorliegen: Auflage April 1982: 481. – 510. Tausend – Deutscher Taschenbuch Verlag, München – 944 – und 2018 von mir gelesen (Genutzte Zeit zum Lesen).

Siggi Jepsen, Insasse einer Hamburger Besserungsanstalt, hat in der Deutschstunde versagt und muß den Aufsatz ‚Die Freuden der Pflicht‘ nachliefern. Dem in seiner Zelle Eingeschlossenen drängt sich das Bild des Vaters in die Erinnerung, wie dieser als Polizeihauptwachtmeister in Rugbüll, „dem nördlichsten Polizeiposten Deutschlands“, dem international geachteten Maler Max Ludwig Nansen im Jahre 1943 das Malverbot überbringt. Der Vater war außerdem beauftragt, die strikte Einhaltung des Verbots zu überwachen. Siggi, damals zehn Jahre alt, hatte heimlich gemalte Bilder des Malers in Sicherheit gebracht, um sie vor dem Zugriff des Vaters zu schützen, der bis über das Kriegsende hinaus an seiner nun schon krankhaften Pflichttreue festhält. Um diese Geschichte gegensätzlicher Pflichtauffassungen gruppiert sich eine Fülle von Nebenhandlungen, die sich wie selbstverständlich in den weitgespannten Rahmen fügen. „Die präzise Phantasie des Autors ist auf den Weiten zwischen Torf, Watt und Meer, aber auch in den geduckten Fischerkaten der Menschen mit dem zweiten Gesicht zu Hause. Eine in all ihrer Grenzenlosigkeit und wortkargen Größe doch beklemmend enge Welt aus Vorurteilen und starrer Beharrlichkeit entfaltet sich, mit hinreißender Sprachgewalt und epischer List porträtiert, zum Bild einer Epoche; jene ländliche Welt kleinbürgerlicher Pflicherfüllung, in der die Macht so leicht Wurzeln schlägt.“ (Stuttgarter Zeitung) – (aus dem Klappentext)

Siegfried Lenz, 1926 in Lyck (Ostpreußen) geboren, arbeitete zunächst für Zeitungen und Rundfunk und lebte als freier Schriftsteller in Hamburg, wo er 2014 starb. Ein großer Erfolg wurde seine Sammlung heiterer Geschichten aus Masuren: >So zärtlich war Suleyken> (1955).

Hier die wichtigsten Personen:
Siggi Jepsen — in Rugbüll, Bleekenwarf
Jens Ole Jepsen, Vater
Hilke, Schwester

Max Ludwig Nansen, Maler
Ditte, seine Frau

Karl Joswig, Wächter
Dr. Julius Korbjuhn
Himpel, Direktor

Pelle Kastner, Freund
Eddi Sillus, Freund
Kurtchen Nickel, Freund

Tetjus Prugel, Lehrer

Ole Plötz
Charlie Friedländer
Philipp Neff

Siegfried Lenz war wie mein Vater ein gebürtiger Ostpreuße, wurde dann aber nach dem 2. Weltkrieg in Hamburg heimisch. So spielen viele seiner Romane und Erzählungen in und um Hamburg. Und an der Nordsee:

Alles war an seinem Platz, aber alles sah anders aus jeden Tag, unter verändertem Licht, unter verändertem Himmel, mit wie vielen Überraschungen konnte allein die Nordsee aufwarten, die bei der Hinfahrt noch breit, fast verschlafen den Strand leckte, auf der Rückfahrt dann taumelige Wellen aus grünblauer Tinte gegen die Buhnen schleuderte. Oder die Höfe: einmal bescheiden und wie verdammt unter langen Regenschleiern, verloren unter Grau; dann wenn milchiges Weiß auf sie fiel oder wenn die Wiesen vor und hinter ihnen aufleuchteten, behäbig und selbstbewußt mit mittäglichem Stornsteinrauch. Oder der Wind: einmal pfiff er durch die Speichen und war vergnügt und wollte sich totlachen, wenn man ins Schleudern kam, dann warf er einem wütend den Regenumhang ins Gesicht oder ließ den Umhang flattern und schlagen oder schubste einen vom Deich. Wie oft alles wechselt hier, täglich, stündlich, wie oft man sich etwas denken kann über die Unterschiede, man kann sich auch erregen über die Unterschiede, wenn man nur will.
(S. 336)

Siegfried Lenz und Jan Fedder 2008 (anläßlich der Verfilmung 'Das Feuerschiff')
Siegfried Lenz und Jan Fedder 2008 (anläßlich der Verfilmung ‚Das Feuerschiff‘)

Einige der Werke von Siegfried Lenz wurden auch verfilmt, so Der Mann im Strom (2006), Das Feuerschiff (2008) und Arnes Nachlass (2013) mit Jan Fedder, der sich mit Lenz angefreundet hatte.

„Die deutsche erzählende Literatur seit 1945 ist, fast durchwegs, eine ‚Deutschstunde‘; Arbeit an der Vergangenheit, mit der Vergangenheit; Arbeit zur Gegenwart. Vieles in ihr ist thesenhaft auffällig; zeitbedingte Aufgabe, Strafaufgabe. Aus dieser manchmal etwas grämlichen Literatur setzt sich Siegfried Lenz mit einem Meisterwerk ab, dessen Ernst voller Trauer ist – wie es nur bei einem Beobachter sein mag, der Humor hat.“ (Die Zeit)

Franz Kafka: Das Schloss

    Es war spätabends, als K. ankam.
    Kafka: Das Schloss – das erste Kapitel

Immer wieder stolpert der werte Leser meines Blogs über … Franz Kafka. Zu einem ist es ein Artikel über Kafka und/oder sein Werk, zum anderen ziehe ich Vergleiche mit ihm. Kafka schrieb drei Romane, die allesamt unvollendet blieben. Viele Kafka-Kenner sagen, dass diese nicht ohne Grund unvollendet blieben: Ein Ende, ein Schluss wäre nicht möglich. Open End wird das beim Film genannt.

Franz Kafka 1924
Franz Kafka 1924

Nach Kafkas Roman Der Prozess habe ich nun Das Schloss erneut gelesen. Es liest sich leicht und locker, ist gespickt mit Dialogen, ähnelt einem Drehbuch. Kafka ist eigentlich unkompliziert – aber was so real beschrieben ist, gleicht doch eher einem Alptraum: Da ist K., der Landvermesser, der gekommen ist, um seine Arbeit aufzunehmen. Er versucht, Zugang zum Schloss zu bekommen, gerät dabei in die Mühlen der Schlossverwaltung …. (soviel zur Inhaltsangabe).

Es ist viel in diesen Roman hineingedeutet worden. In der existentialistisch geprägten Interpretation von Albert Camus steht der ergebnislose Versuch K.s sich dem Schloss anzunähern für die berechtigte aber erfolglose Sinnsuche des Menschen in einer sinnentleerten Welt.

Max Brod sah in dem Roman ein theologisches Modell, nämlich den Ort göttlicher Gnade. Als enger Vertrauter und Nachlassverwalter Kafkas konnte er dies mit einer gewissen Berechtigung vorbringen. Adorno interpretierte das Werk als Darstellung von Hierarchie- und Machtstrukturen auch künftiger totalitärer Systeme. Weitere Deutungen sehen eine schwarze Satire auf Macht, Willkür und Überbürokratisierung von Behörden und Staatsapparaten. Das „Schloss“ könnte nach psychoanalytischer Deutung auch die Welt der Väter darstellen, die zu erobern der Sohn sich vergeblich bemüht. Peter Weiss erklärt in seinem Roman-Essay Ästhetik des Widerstands Kafkas Roman zu einem Proletarierroman.

In dem japanischen Film Guilty of Romance aus dem Jahre 2011 von Sion Sono wird „Das Schloss“ (japanisch: 城) von Franz Kafka zum Sinnbild für eine vergebliche Suche. Wie K., der Landvermesser aus dem Roman, finden sie nicht das ‚Tor’, keinen Zugang zum Schloss, also keinen Zugang zum eigenen Ich.

Guilty of Romance (2011) – an der Wand steht 城 – 'Das Schloss'
Guilty of Romance (2011) – an der Wand steht 城 – „Das Schloss“

Nun ich habe Kafkas Erzählungen und Romane als Gesammelte Werke – herausgegeben von Max Brod – in einer Taschenbuchausgabe in sieben Bänden – Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main – Ungekürzte Ausgabe – April 1976. Die Bildbände, die Sekundärliteratur u.v.m. zu Kafka füllen bei mir inzwischen zwei Regalreihen aus. Für mich ist er die faszinierendste Person der deutschsprachigen Literatur.

Obwohl die Anzahl der wichtigsten Protagonisten des Romans Das Schloss durchaus übersichtlich ist, so habe ich in einer Übersicht auch die Randfiguren aufgeführt:

Personen:

[das Schloß des Herrn Grafen Westwest]

K., der Landvermesser [zu Hause ‚das bittere Kraut‘ genannt]
Hans, Wirt im Wirtshaus ‚Zur Brücke‘
Gardena, Frau des Wirtes
[Kastellan Schwarzer]
Unterkastellan Fritz
Gerbermeister Lasemann
Artur – vom Schloss, Gehilfe von K.
Jeremias – vom Schloss, Gehilfe von K. – später Zimmerkellner im ‚Herrenhof“
Fuhrmann Gerstäcker

Herr Oswald, Telefonat mit dem Schloss
Barnabas, ein Bote
Barnabas‘ Eltern
Olga, Schwester Barnabas‘
Amalia Schwester Barnabas‘
Klamm, Vorstand
{der X. Kanzlei]
Wirt im ‚Herrenhof‘

Frieda, Ausschankmädchen im ‚Herrenhof‘, angeblich Geliebte von Klamm
Vorsteher im Dorf
Mizzi, seine Frau
Sordini, Referent in Abteilung B [des Schlosses]
Otto Brunswick, Schustermeister [in der Madeleinegasse] und Gemeinderat, Schwager von Lasemann, dem Gerbermeister
Hans Brunswick, sein junger Sohn, Schüler der 4. Klasse
Frieda Brunswick, Schwester von Hans

Pepi, Nachfolgerin von Frieda als Ausschankmädchen im ‚Herrenhof‘
Henriette und Elilie, Pepis Freundinnen
Momus, Dorfsekretär Klamms [und für Vallabene]

Schwarzer, Sohn des Kastellans, Hilfslehrer [liebt Gisa]
der Lehrer
Gisa, Lehrerin im Dorf

Sortini, großer Beamter [nicht mit Sordini verwandt]
Seemann, Obmann der Feuerwehr
Galater, Vertreter von Klamm
Erlanger, erster Sekretär Klamms

[Friedrich, Beamter im Schloss]
Bürgel, Verbindungssekretär zwischen Friedrich und dem Dorf

Der Roman gliedert sich in folgende Kapitel:

1. Ankommen – Gerbermeister/Kutscher
2. Telefon Errlaubnis – Barnabas, der Bote
3. Herrenhof – Frieda – Schlaf
4. Gespärch mit Wirtin – Dachboden
5. Gespräch Vorsteher
6. Gespräch Wirtin – Verschlag / Küche
7. Gespräch mit Lehrer
8. Herrenhof Kutsche – Warten auf Klamm
9. Herrenhof Verhör – Gespräch mit der Wirtin
10. Heimweg – Treffen Barnabas – Brief Klamms
11. Im Schulzimmer nachts
12. Lehrer und Lehrerin im Schulzimmer
13. Entlassung der Gehilfen – Gespräch mit Hans Brunswick – Vorwurf Friedas
14. Schwarzer – Olga – Amalia
15. Gespräch Olga über Barnabas‘ Botentätigkeit – Vorwurf
– Amalias Geheimnis
– Amalias Strafe
– Bittgänge
– Olgas Pläne
16. Gespräch mit dem Gehilfen Jeremias (Galater) – Barnabas -> Erlanger Vermittlung
17. Waren auf Erlanger
18. Gespräch mit Frieda (Abschied?)
19. Bei Erlanger – Auf dem Flur
20. Gespräch mit Pepi – Herrenhofs Wirtins Kleider
Fragmente und gestrichene Stellen

Wie ich oben erwähnte, ähnelt Kafkas Roman in großen Teilen einem Drehbuch. In meinem Beitrag Kafka, der Prozess und das Kino schrieb ich vor nun fast 10 Jahren:

Kafka interessierte sich sehr für ein neues Medium, den Cinémato- bzw. Kinematographen – also das Kino […]. Liest man die besagten gut 13 Seiten des Romananfangs [von ‚Der Prozess‘], dann fällt einem sehr bald der „filmische Blick“ des Erzählers auf. Diese Seiten (und überhaupt das gesamte Werk) weisen einen hohen Grad an Visualität auf. Besonders die vielen Gesten der Handelnden werden – ähnlich wie in einem Drehbuch – sehr präzise beschrieben und erläutert. Franz Kafka war ein stetiger Besucher von Kinos. So wiederholen sich in seinen Romanen Szenen (z.B. im Prozess), die einem Running Gag entsprechen. Und es gibt Slapstickeinlagen, z.B. auf Seite 70: „Die so lange unbeachteten Gehilfen und Mizzi hatten offenbar den gesuchten Akt nicht gefunden, hatten dann alles wieder in den Schrank sperren wollen, aber es war ihnen wegen der ungeordneten Überfülle der Akten nicht gelungen. Da waren wohl die Gehilfen auf den Gedanken gekommen, den sie jetzt ausführten. Sie hatten den Schrank auf den Boden gelegt, alle Akten hineingestopft, hatten sich mit Mizzi auf die Schranktüre gesetzt und suchten jetzt so, sie langsam niederzudrücken.“

Jonathan Swift: Gullivers Reisen

Vor zweihundert Jahren [inzwischen sind es schon fast dreihundert Jahre] sind in England kurz nacheinander zwei Bücher geschrieben worden, welche sich rasch über die ganze Welt verbreitet haben und seither in tausend Bearbeitungen, Übersetzungen und Nachdichtungen zu den weitverbreitetsten Büchern der Welt gehören. Es sind Dafoes Robinson und Swifts Gulliver, beides halbphantastische Reiseromane, beide ursprünglich durchaus für Erwachsene geschrieben, beide im Laufe der Zeit zu höchst haltbaren und ermeßlich einflußreichen Kinderbüchern geworden.
[zu Jonathan Swifts Gullivers Reisen:] „Es steht also Zeitloses, es steht Menschliches in diesem Buch, das uns alle angeht, heut wie damals.“ (aus dem Vorwort von Hermann Hesse)

Wer hat noch nie davon gehört, es vielleicht auch nicht gelesen, wenn auch in einer für Kinder bzw. Jugendliche verkürzten Fassung: Jonathan Swifts Gullivers Reisen?! Wer hat noch nie etwas vom Land Lilliput gehört?! (Es ist noch nicht so lange her, da wurden bei uns kleinwüchsige Menschen als ‚Lilliputaner‘ gezeichnet.) – Wohl nur die Wenigsten, die Nichtleser, die Yahoos!

Jonathan Swift: Gulliver im Land Lilliput (Illustration: Grandville)
Jonathan Swift: Gulliver im Land Lilliput (Illustration: Grandville)

Jonathan Swift, geboren am 30.11.1667 in Dublin, ist am 19.10.1745 dort gestorben.
Er gehörte in Deutschland lange Zeit zu den verkannten, das heißt eben auch nichtübersetzten Schriftstellern. Eine Ausnahme bildete schon immer sein Werk: „Reisen – zu mehreren entlegenen Völkern der Erde – in vier Teilen von – Lemuel Gulliver – erst Wundarzt – später Kapitan mehrerer Schiffe“ – kurz: Gullivers Reisen.
Dieses Buch aber wurde leider alsbald, verstümmelt und verkürzt, zur Kinder- und Jugendlektüre verniedlicht
[auch Erich Kästner hat das Buch für Kinder bearbeitet].
Dabei handelt es sich bei diesem Buch um eine hochkarätige Satire auf die Lebensgewohnheiten und politischen Gepflogenheiten der damaligen Zeit, der der Autor das fadenscheinige Mäntelchen der exotischen Reisebeschreibung umhing. (aus dem Klappentext)

Das gilt besonders für die Beschreibung der dritten und vierten Reise: Was Swift hier schreibt lässt sich (leider!) auch auf heutige Zeiten anwenden, in denen es weiterhin an korrupten Politikern und gnadenlosen Staatsführern nur so wimmelt.

Ich habe das Buch mit den vielen grandiosen (sic!) Illustrationen von Grandville – Vorwort von Hermann Hesse – aus dem Englischen übersetzt von Franz Kottenkamp – vervollständigt und bearbeitet von Roland Arnold – als Insel Taschenbuch 58 – vierte Auflage, 30. – 35. Tausend 1981 vorliegen. Ich lese das Buch zz. mit Hochgenuss. Da kann es draußen trübe sein. In meinem Zimmer leuchten die Zeilen und erleuchten die wunderschönen Illustrationen (lateinisch illustrare „erleuchten, erklären, preisen“) von Grandville.

Hier die vier Reisen Gullivers im Überblick:
Erster Teil: Eine Reise nach Lilliput
Zweiter Teil: Eine Reise nach Brobdingnag
Dritter Teil: Eine Reise nach Laputa, Balnibarbi, Luggnagg, Glubbdubdrib und Japan
Vierter Teil: Eine Reise in das Land der Houyhnhnms (sprich: ‚Huinəm)

siehe auch François Rabelais: Gargantua und Pantagruel (von dem Swift einige Ideen gemopst hat)

Vergessene Stücke (16): Peter Weiss: Der neue Prozeß

    Leni: Die Firma brauchte jemanden in der Leitung, den kein Argwohn treffen konnte, auf dessen Redlichkeit man sich bei allen Vorstößen, allen Abschlüssen berufen konnte. Sie brauchen nur genannt zu werden, und das ganze Unternehmen ist die Wahrheit selbst.
    K: Auch wenn ich nicht mehr daran glaube, noch etwas tun zu können –
    Leni: Ihre Unschuld paßt auf alles, was – ohne Ihr Wissen – vorgenommen wurde.
    K: So ein Geringer wie ich –
    Leni: So ein Geringer kann der Macht ihr Gesicht geben.
    K: Ohne auf sie einzuwirken?
    Leni: Ohne auf sie einzuwirken.

Gestern hatte ich mich mit Peter Weiss‘ Roman Die Ästhetik des Widerstands, in dem er sich auch mit Kafkas fragmentarischen Roman Das Schloss (dazu später etwas mehr), beschäftigt. Heute nun noch einmal Peter Weiss – und Franz Kafka: Der Prozess

Josef K. wird befördert. In rasantem Tempo steigt er auf. Eben noch hatte er sich in seine Position als Prokurist in der Versicherungsabteilung eingewöhnt und sich in seinem Büro eingerichtet, da befördert man ihn in die Hauptverwaltung des Konzerns. Von dort geht es blitzschnell weiter in die Direktion. Herr K. weiß bald nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Vor allem aber weiß er nicht, warum man ihn in das so verantwortungsvolle Amt des Direktors eingesetzt hat. Die einzige Konstante in seinem Leben bildet bald nur noch sein Zimmer in der alten Pension, und seine heimliche Liebe zu Frau Bürstner. Auch die hat einen steilen Aufstieg hinter sich und ist ebenfalls zur Direktorin berufen worden. Aber anders als K. ist sie sich ihrer Aufgabe bewußt. Die Machtansprüche des riesigen Konzerns weiten sich immer weiter aus, bis er sogar auf der Regierungsebene alle Fäden in der Hand hält und über Krieg und Frieden entscheiden kann. Das Personal des Konzerns scheint dabei beliebig ausgetauscht zu werden, ganz nach den Fähigkeiten und der Kompromißlosigkeit des Ange­stellten. Einzig und allein Herr K. scheint unverzichtbar. Und bevor selbst er unter die Räder des Kapitalismus kommt, erfährt er auch den Grund: Er gibt der Firma sein Gesicht, das nach jahrelangem geflissentlichen Arbeiten zu einem Aushängeschild der Moral geworden ist. (Quelle: suhrkamptheater.de)

Das Stück Der neue Prozeß – Stück in drei Akten – Franz Kafka gewidmet – habe ich als Taschenbuch (1. Auflage 1984 – edition suhrkamp 1215 – Neue Folge Band 215) vorliegen.

Peter Weiss 1982
Peter Weiss 1982

Während der Arbeit am ersten Band der Ästhetik des Widerstands dramatisierte Peter Weiss Kafkas Prozeß. Unmittelbar nach dem Abschluß der Roman-Trilogie, im Jahr 1981, begann er ein Stück zu schreiben, Der neue Prozeß, sein letztes Werk. Er inszenierte es zusammen mit Gunilla Palmstierna-Weiss am 12. März 1982 in Stockholm [Rolle des Josef K.: Stellan Skarsgård – genau der! – deutschsprachige Erstaufführung: Freie Volksbühne, Berlin, 25. März 1983 (Regie: Roberto Ciulli)]. Josef K. ist der „Held“ auch dieses Stückes – aber die Welt des Neuen Prozesses ist nicht mehr diejenige Kafkas, sondern die Gegenwart. Josef K. wird nicht eines Morgens verhaftet, „ohne daß er etwas Böses getan“ hätte, Josef K. ist Prokurist in einem großen Konzern. Wegen seiner Kenntnis der jeweils aktuellen politischen und ideologischen Strömungen, seiner Verantwortungsbereitschaft, seinem Eingehen auf die Nöte der Menschen ist sein Aufstieg, der Aufstieg des Intellektuellen zum Direktor des Konzerns, unumgänglich. Und auch dort, wo der multinationale Konzern die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ausschaltet, verfügt K. über die große Menschheitspersepektive: „Wenn es keine Konkurrenz mehr gibt, ist auch der Eigennutz behoben. Dann dienen wir nur noch dem Allgemeinwohl.“ Für die Militärs und Minister ist er unersetzlich. Der neue Prozeß, den die Mächtigen dem Direktor K. machen, besteht gerade darin, daß er „ohne etwas Böses getan zu haben“, der Macht ihr Gesicht gegeben hat. (aus dem Klppentext)

siehe auch: Vergessene Stücke (13): Peter Weiss: Marat/Sade

Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands

Die dreibändige Ausgabe des Romans Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss habe ich in einem Band (1. Auflage 1988 – edition suhrkamp 1501) als Taschenbuch vorliegen und es in diesem Sommer zum 2. Mal gelesen. Die drei Bände umfassen über 940 Seiten und sind in zehnjähriger Arbeit zwischen 1971 und 1981 entstand. Das Werk stellt den Versuch dar, die historischen und gesellschaftlichen Erfahrungen und die ästhetischen und politischen Erkenntnisse der Arbeiterbewegung in den Jahren des Widerstands gegen den Faschismus zum Leben zu erwecken und weiterzugeben. Zentral ist der Gedanke der zu erreichenden Einheit: zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten wie zwischen der künstlerischen Moderne und der Arbeiterbewegung. Aufgrund seines besonderen formalen Aufbaus ist Die Ästhetik des Widerstands auch als Roman-Essay bezeichnet worden. (Quelle u.a. Wikipedia.org)

Peter Weiss 1982
Peter Weiss 1982

Das erst kurz vor dem Tod des Autors abgeschlossene Werk zeichnet ein umfassendes Bild der faschistischen Epoche in Europa aus der Sicht des antifaschistischen Widerstands und könnte als eine eigenständige Geschichtsinterpretation gedeutet werden, die eine Sicht aufzeigt, die die allgemeine Geschichtsschreibung zu gern unterdrückt sähe. Von daher kam auch die Kritik, die dem Roman eine gewisse Einseitigkeit vorwarf.

Ich will hier nicht in die Tiefe gehen, aber anhand von Stichworten einen Einblick in dieses Werk vornehmen:

Erster Band
Bergamon-Fries (erste Sicht einer Ästhetik des Widerstands aus der Antike – der Aufstand der Niederen gegen die gottgleichen Herrschenden – siehe Kunstwerke in der „Ästhetik des Widerstands“)
– Nazi-Herrschaft
Spanischer Bürgerkrieg
Sagrada Familia (Gaudí)
Guernica (Picasso)
Kafkas Das Schloss (S. 171 ff).

Zweiter Band
– Paris
GéricautsMedusa
– Montmartre
Spiegelgasse, Zürich (Lenin & Co.)
-Stockholm
– u.a. Ossietzkys Tod
Bert Brecht
Margareta, u.a. Königin von Schweden, 14. Jh.
Engelbrekt, Freiheitskämpfer, 15. Jh.

Dritter Band
– Stockholm
Karin Boye: Kallocain
BayonAngkor Wat, Kambodscha
Angkor Thom
Dürers Melencolia (S. 132)
– Hinrichtungen Plötzensee (S. 210)

… denn die Offenheit, die uns zu eigen war und die unsre Selbstandigkeit begründete, sollte aufgerieben werden, und wie viele schon auf der Strecke geblieben waren, so zerstört, daß sie die Verunstaltungen, denen sie anheimfielen, nicht einmal mehr erkannten, das hatte mit großer Detailschärfe einer geschrieben, dessen Werk, Das Schloß, ich in der Buchhandlung am Marktplatz fand. (S. 171)

Peter Weiss setzt sich mit Kafkas ‚Erzählung vom Landvermesser‘ (S. 175) detailiert auseinander und kommt zu dem Ergebnis: ‚Was Kafka geschrieben hatte, war ein Proletarierroman.‘ (S. 179)

Der Roman Die Ästhetik des Widerstands ist, seit dem Erscheinen des dritten Bandes im Jahre 1981, zu einem Kultbuch geworden. Peter Weiss gelingt nämich eine erzählerische Synthese der politischen und ästhetischen Strömungen des 20. Jahrhunderts: er entfaltet eine Ästhetik, die Widerstand gegen jede Art der Unterdrückung ist, und zugleich dem Widerstand eine Ästhetik einschreibt, die ihn vor jeder Dogmatik bewahrt. Was erzählt dieser Roman? Sein erstes Buch berichtet von einigen Freunden, jungen Arbeitern, die im September 1937 in Berlin ihren Standort umreißen. Unter ihnen befindet sich der Erzähler. Über die Tschechoslowakei, wo seine Eltern ansässig sind, gelangt er nach Spanien und nimmt teil am bewaffneten Widerstand, bis zum September 1938, dem Zusammenbruch der Republik. Er geht nach Paris. Die letzten Bemühungen um die Bildung einer Volksfront, einer Einheitsfront der beiden zerschlagenen deutschen Arbeiterparteien, verfolgt er hier. Es ergibt sich die Gelegenheit, nach Stockholm zu reisen. Geschildert wird im zweiten Buch die Vielschichtigkeit der Erlebnisse dort, bei den Gängen durch die Stadt, in der Zerzinnungsabteilung der Fabrik, bei der Anstrengung, Zugang zu künstlerischen Ausdrucksmitteln zu finden. In den ersten beiden Bänden der Ästhetik des Widerstands wurde die Auseinandersetzung mit Werken der Kunst geführt; im abschließenden Teil der Trilogie stehen die Schicksale der Menschen im Vordergrund. Der Autor verfolgt ihre Wege: Endstation für viele von ihnen sind die Hinrichtungsstätten des „Dritten Reichs“. Dennoch bleibt der Widerstand ihr Vermächtnis. (aus dem Klappentext).

„Wir sagten: Ulysses – und das nicht allein, um den Rang der Weiss’schen Epopöe zu bezeichnen, sondern weil wir glauben, daß es sich bei der Ästhetik des Widerstands um einen ebenso listigen wie gelungenen Gegen-Entwurf zum Joyceschen Kompendium handelt – Herakles tritt auf den Plan und fordert Odysseus in die Schranken der Poesie!“ Walter Jens

Stanisław Lem: Die vollkommene Leere

Mitte September vor 100 Jahren, genauer am 12. September 1921, wurde der polnische Philosoph, Essayist und Science-Fiction-Autor Stanisław Lem geboren. Besonders durch seine ‚Zukunfts‘-Romane (z.B. Solaris und Golem XIV) ist er auch bei uns bekannt geworden. Lem gilt als brillanter Visionär und Utopist, der zahlreiche komplexe Technologien Jahrzehnte vor ihrer tatsächlichen Entwicklung erdachte.

Stanisław Lem 1966
Stanisław Lem 1966 (Quelle: wikipedia.org)

Ich selbst bin kein so großer Fan von Science Fiction. Viele Romane und Filme (ich denke da z.B. an Star Wars, Star Trek, alle die Superman und Superwoman-Filme) sind mehr oder weniger Märchen für Jugendliche und Erwachsene. Und so habe ich von Lem auch nur ein Buch in meiner Bibliothek, das keine Science-Fiction im herkömmlichen Sinne enthält: Die vollkommene Leere (suhrkamp taschenbuch st 707 – 1. Auflage 1981)

Das Buch enthält Rezensionen über nicht existierende Bücher. Als Erklärung schreibt Lem, dass der Autor Einfälle hatte, die er nicht in vollem Umfang zu realisieren vermochte; er konnte sie nicht niederschreiben … Es sind also Rezensionen über Bücher, die er selbst gern geschrieben hätte. Das ist übrigens nicht allein Lems Erfindung; nicht nur bei einem neuzeitlichen Schriftsteller – J.L. Borges – findet man derartige Versuche (z.B. Als „Besprechung des Werks von Herbert Quaine“ in dem Band „Labyrinthe“) […] auch Rabelais (Gargantua und Pantagruel) war nicht der erste … (S. 7)

Nun in der ersten Rezension schreibt Lem über ein Buch, dass diesem Buch den Namen gab: Stanisław Lem: Die vollkommene Leere – und schreibt am Ende: … Behauptung, nicht ich, der Kritiker, sondern er selbst, der Autor, hätte die vorliegende Rezension geschrieben … (S. 12) – und schafft so eine Art gedankliches Perpetuum mobile

Lem schafft Gedankenspiele der außerngewöhnlichen Art. In Les Robinsonades per Marcel Coscat schreibt er über Robinson Crusoes gesellschaftliches Leben, das es bekanntlich auf der einsamen Insel nicht gab. Er nennt es u.a. Soziologie der Einsamkeit oder eine Massenkultur einer menschenleere Insel. Höchst amüsant, wie ich finde.

In Patrick Hannahan – Gigamesh steht das Gilgamesch-Epos Pate (nur ohne den Buchstaben L) und wird in die Neuzeit ‚übersetzt‘. Hier wird „Gilgamesh“ zu einem G.I. J. Maesch mit einer „Vielfalt der Bezüge, die aus einem einzigen Wort entspringen, aus dem Titel nämlich.“ (S. 36)

Zu Simon Merril – Sexplosion nur ein Zitat: „… die […] Industrie der USA hatte die Stellungskünste des Ostens und des Westens verschlungen, aus den Fesseln des Mittelalters Gürtel der Untugend gemacht, die Kunst für die Projektierung von Beischlafstellungen, Seyarien, Magnopenissen, Megaklitoriden, Vaginetten und Pornotheken eingespannt, hatte sterilisierte Förderbänder in Betrieb genommen, von den Sadomobile, Kohabitatoren, Heimsodamäler und öffentlcihe Gomorkaden rollten, […] um den Kampf für die Befreiung des Geschlechts vom Dienst der Arterhaltung aufzunehmen.“ (S. 49) – Allerdings wird am Ende die Stellung, die der Sex eingenommen hatte, nun durch das Essen ersetzt.

In Alfred Zellermann – Gruppenführer Louis XVI. (Suhrkampf Verlag) versucht ein ehemaliger Gruppenführer der SS zusammen mit seinen ehemaligen Kameraden einen unabhängigen Staat zu bilden. Schauplatz der Handlung ist Argentinien im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Weltkrieges. Die Hauptstadt heißt „Parisia“ und befindet sich in einer Gegend, die mehrere hundert Meilen von den letzten Vorposten der Zivilisation entfernt liegt. Der SS-Gruppenführer Siegfried Taudlitz sieht sich als Reinkarnation Ludwigs XVI.

In diesem Stile geht es weiter (siehe Die vollkommene Leere bei wikipedia.org). In Arthur Dobb: Non serviam erzeugen Wissenschaftler im Computer Welten aus mathematischen Axiomen, in denen sich dann Personoiden entwickeln. Der Programmierer spielt Gott.

Zuletzt in Alfred Testa: Die neue Kosmogonie wird die Rede eines Professors anlässlich der Verleihung des Nobelpreises widergegeben. U.a.spekuliert der Redner, dass die Naturgesetze nicht unveränderlich sind, sondern durch uns überlegene Intelligenzen in einer Art Spiel umgeformt werden und darüber, was die Gründe für bestimmte momentane Naturgesetze sein könnten und ob sich mit den Naturgesetzen auch die Mathematik verändern könnte.

Aus dem Klappentext: In dem Maße, in dem Lem seine spiegelfechtenden Rezensionen und ausgedachten Autoren den Wirklichkeitsverlust von Denken und Sprache feststellen läßt, verdichten sich brillante literarische Parodie und ironische Berechnung wissenschaftlicher Aussagen zu einem rein literarischen hermetischen Gebilde – letztmögliche, hochartifizielle Reaktion eines utopischen Genres auf die fragwürdige Authentizität technologisch inspirierter Zukunftsvisionen. (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Wer sich auf das Buch einlässt, dass ohne Zweifel einen hohen Anspruch an den Leser stellt, wird sich eines außergewöhnlichen Lesegenusses erfreuen. Den Namen J.L. Borges habe ich oben erwähnt. Beide spielen mit ihren phantastischen Gedankenspielen in einer Liga.

Der Frühling

    Wie wundervoll ist die Natur!
    Man sieht so viele Blüten,
    auch sieht man Schafe auf der Flur
    und Schäfer, die sie hüten.
    Ein leises Lied erklingt im Tal:
    der müde Wandrer singt es.
    Ein süßer Duft ist überall,
    bloß hier im Zimmer stinkt es!

Heinz Erhardt aus Die feiernden Deutschen: 789 brauchbare Gedichte

Heinz Erhardt: Noch 'nen Gedicht ...
Heinz Erhardt: Noch ’nen Gedicht …

Ach ja, Frühling ist’s, auch wenn es nicht so scheint (es scheint so, ist es aber nicht). Was nicht ist, kann noch werden, wenn auch nicht gleich, so doch in einigen Tagen (oder Wochen? Hoffentlich nicht …?!). Wenn es im Zimmer stinkt (wie beim guten Heinz Erhardt), dann liegt es daran, dass wir uns nicht ins Freie wagen (bei diesen Temperaturen, bei diesem kalten Wind, bei diesem verdammten April-Wetter!) und lieber die gute Stube (das besagte Zimmer) vollpupsen. 😉

P.S. Und gerade heute Morgen muss die Sonne scheinen, wenn auch nur bei 1 ° C. Brrr ….

Nach Ostern

Jetzt ist es bereits wieder eine Woche her, dass wir zum zweiten Mal unter Corona-Bedingungen das Osterfest feiern mussten (siehe hierzu: Osterbrunch 2020 per Skype und Nachösterliches Corona-Care-Paket).

Belarusische Ostern

In diesem Jahr stand es bei uns zudem unter den Ereignissen in Belarus. Die Freundin meines älteren Sohnes kommt aus diesem Land, das gekennzeichnet ist durch das gnadenlose Vorgehen der Sicherheitskräfte Lukaschenkos gegen die Opposition. Das orthodoxe Osterfest fällt in diesem Jahr auf den 2. Mai. Aber wir haben es einfach vorverlegt und feierten es gemeinsam mit unserem Ostern: In Belarus müssen die Eier rot gefärbt und auch der Kulitsch, ein runder Kuchen aus süßem Hefeteig mit Rosinen und kandierten Früchten gespickt, muss gebacken werden. Viele bereiten auch eine Quarkspeise, genannt Pascha, zu. Diese hat jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden Speisen keine religiöse Bedeutung.

Ostern 2021 nach belarusischem Brauchtum
Ostern 2021 nach belarusischem Brauchtum

Mit von meinem Sohn im Zwiebelsud gefärbte Eier, dem Kuchen und der besagten Quarkspeise begannen wir am Ostermontag unseren Brunch, zu dem noch vieles andere Leckere (u.a. viel Fischiges und Käse) hinzukam. So verweilten wir den halben Tag, da das bescheidene Wetter nicht gerade zu einem Aufenthalt im Freien einlud. Als wir am Ostermontag unserer Sohn am Bahnhof verabschiedeten, begann es auch noch zu schneien.

Literarische statt wirklicher Reise

Ja, bei diesem Wetter – Ende März hatten wir noch Temperaturen von über 20 ° C – kann man schon Depressionen bekommen: nie über 10 ° C, fast immer kalter Wind, wenn Sonne, dann wechselte sich diese meist mit Graupel-, Schnee- oder Regenschauern ab. Statt einer Reise hatte ich mich so im warmen Stübchen auf eine literarische Reise begeben und bin in die Welt des Herrn Franz Kafka eingetaucht. Da musste sich auch dieser Blog einige Zeit gedulden.

Corona und keine Ende

Es erstaunte mich keinesfalls, dass sich Politiker an der Coronakrise bereicherten (Stichwort: Maskenaffäre). Ärger ist dagegen das Corona-Management, das nur schleppend in die Gänge kommt. Jeden Tag (ich kann es schon nicht mehr hören und sehen) neue Meldungen und neue Verordnungen, die nur verdeutlichen, wie sehr sich die Politiker um Wählerstimmen zu bemühen, aber nicht um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu kümmern scheinen.

Sonntagsmorgen, im Bett

Was – was ist?
Ach so. Heute ist Sonntag. Da kann ich noch liegen.
Mit den Schultern kuscheln. Mich ans Kopfkissen schmiegen –
Aus alter Gewohnheit wacht man Sonntags immer
so früh auf wie wochentags – das kommt vielleicht von dem Schimmer
da von den Jalousien – was ist denn das für ein Geratter und Gebraus?
Na, jedenfalls heute muß ich nicht raus.

 
Ich kann heute ganz stille liegen und ruhn.
Und muß gar nichts. Und hier kann mir keiner was tun.
So ein Bett ist eigentlich eine schöne Sache –
da müßte noch so eine Sonnenplache
drüber sein, und dann fährt man damit überall hin –
Woher kommt das, daß ich heute so furchtbar müde bin –?

 
Gestern abend haben wir wesentlich zu viel Schwedenpunsch getrunken,
Paul war zum Schluß ganz in seinen Sessel versunken;
ich habe auch noch so einen komischen Geschmack im Mund und –

 
Halb neun! Da muß ich richtig wieder eingeschlafen sein.
Sonntagsmorgen im Bett, das ist fein.
Das heißt: Was nun noch kommt, ist weniger schön …
Heute muß ich zu Onkel Otto und Tante Frieda gehn –
Margot ist auch da, die keusche Lilie …
Warum, lieber Gott, ist man sonntags stets in Familie?
Vor Tisch sind sie beleidigt, und nach Tisch sind sie satt –
wenn ich dran denke, wird mir jetzt schon ganz matt.

 
Abends ist Theater… morgen muß ich unbedingt mal mit Kempner telephonieren:
Er muß mir die Diele billiger tapezieren –
achtzig ist zu viel – der Junge ist wohl nicht ganz gesund! Und – –

 
Halb zehn!
»Willi! Aufstehn! Aufstehn!«
Ja doch, ja!
Ich stehe ja schon auf, Mama.

 
Jetzt geht der Sonntag los! Nein: eigentlich ist er jetzt vorbei.
Jetzt kommen die Zeitungen und Briefe und Telephon und Geschrei.
Das ist nun weniger geruhsam und labend …

 
Aber so ist das im Leben:
Das Schönste vom Sonntag ist der Sonnabend abend.

Kurt Tucholsky

Moin! Is al wedder Sönndag!
Moin! Is al wedder Sönndag!

Ach ja, wie kenne ich das. Und mir ging es früher ähnlich: Der Sonntag war schon so etwas für den Arsch, abgesehen von der buckligen Verwandtschaft, die durch ihren Besuch diesen freien Tag verdarb, da graute am Horizont bereits der MONTAG so grau in grau. Da war mir der Samstagabend doch um einiges lieber, auch wenn er die mir innewohnende Freude eines Freitagabends bereits um einiges verpasste.

Aber ich bin ja jetzt im Stand der Gnade, in the state of grace – wie der Angelsachse sagt. Gnade ist vielleicht nicht das richte Wort – ich bekomme die über viele Jahre von mir persönlich und von meinen Arbeitgebern eingezahlten Beiträge in die Rentenversicherung als monatliche Zahlungen zurück. Da ist jeder Tag ein Sonntag und jeden dieser Morgen (Mz.) kann so lange im Bett verbracht werden, wie es meinem Gutdünken entspricht.

Kurz und spitz (12): Schreiben oder erst ein Bier

    Wenn ich weiß, was ich nicht schreiben will oder nicht mehr beschreiben muss und was bereits beschrieben wurde, kann ich ja schon mal eine Menge aussortieren. Und dann das erste Bier öffnen.
    Tex Rubinowitz im ‚Standard‘

Kurz und spitz: Schreiben oder erst ein Bier
Kurz und spitz: Schreiben oder erst ein Bier

Auch auf die Gefahr hin, dass ich für einen Trinker gehalten werde (aber wo liegt da die Gefahr), so komme ich auch heute erneut aufs Trinken zurück. Wie Herr Rubinowitz habe ich ‚eine Menge aussortieren‘ können und suche nur noch den Flaschenöffner, um mir mein erstes Bier für heute zu öffnen …

Kurz und spitz (11): Trinken

    Das Trinken ist gescheiter,
    Das schmeckt schon nach Idee,
    Da braucht man keine Leiter,
    Das geht gleich in die Höh‘.

Kurz und spitz: Trinken
Kurz und spitz: Trinken

Da kann ich nur eines sagen:

Prost! Gëzuar! Eskerriska! Yec’hed mat! Наздраве! Skål! Cheers! Kippis! À votre santé! εις υγείαν! !לחיים Sláinte! Salute! 乾杯 Salut! Uzdravlje! في صحتك Sveikatą! Saħħa! Proost! ممنون- شادباش Na zdrowie! Noroc! Эа здоровье! Na zdravie! Salud! ไชโย Şerefe! Будьмо! Egészségedre! sự Cạn ly, nâng cốc chúc mừng! Iechyd da! На ўра! Na strowje! Gejuig! ቺርስ Alqışlayır! 干杯 Huraon!င်္ Rõõmuhõisked! Tsjoch! Murna! Ke aloha! Nwee ekele! Skál! 건배 Badenoş! Iubentium! Mahafaly! Sorakan! Harikoa! баяр хүргэе! Jubel! به سلامتی Felicidades! ਚੀਅਰਸ Manuia! Thabisang! Mufaro! Farxad! Surak! Саломатӣ! Begenýär! Masinwabe! Kubabaza! Prosit!

„Na denn, Prost, wer nix hat de host!“