Leo Rosten: Jiddisch – eine kleine Enzyklopädie

Mit der jiddische Sprache habe ich mich hier in meinem Blog schon öfter befasst. Es ist nach allgemeiner Meinung eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische, mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und weiteren Sprachelementen angereicherte Sprache, die von den aschkenasischen Juden (die Juden in Mittel-, Nord- und Osteuropa und ihre Nachfahren, z.B. die in die USA ausgewandert sind) gesprochen und geschrieben wurde und noch wird. Geschrieben wird diese Sprache mit hebräischen Buchstaben, für die es allerdings unterschiedliche Transliterationen in lateinische Buchstaben gibt.

Von dem älteren meiner beiden Söhne habe ich mir jetzt ein lexikarisches Werk ausgeliehen und gelesen, das von Leo Rosten verfasst, inzwischen ergänzt und kongenial ins Deutsche von Lutz-W. Wolff übersetzt und bearbeitet wurde: Jiddisch: Eine kleine Enzyklopädie.

    Leo Rosten: Jiddisch - eine kleine Enzyklopädie

Was chuzpe, koscher und meschugge heißt, wissen Sie sicher. Einen bagel, gefilte fisch oder lox haben Sie vielleicht auch schon gegessen. Aber wissen Sie, was das alles mit der Tora, dem Talmud und dem jüdischen Glauben zu tun hat? Jiddisch ist diejenige europäische Sprache, die dem Deutschen am nächsten steht. Wenn es heute im amerikanischen Slang hunderte von deutsch/jiddischen Lehnwörtern gibt, dann verdanken wir das nicht zuletzt den jüdischen Auswanderern, die ihre aus dem Mittelhochdeutschen stammende Sprache nach Amerika importiert haben.

Leo Rosten hat Ende der sechziger Jahre ein vergnügliches Hausbuch geschaffen, das jiddische Wörter, jüdische Geschichte, Folklore und Witze mit einer zwanglosen Einführung in die Grundelemente des Judaismus verbindet und uns so mit einer Welt vertraut macht, die uns fast verloren gegangen wäre. Für die vorliegende deutsche Ausgabe wurde das Buch mit vielen Stichworten angereichert, die uns aus der deutschen Alltagssprache vertraut sind.

Leo Rosten wurde 1908 in Lodz geboren. Aufgewachsen ist er in einem Arbeiterviertel Chicagos. Seine ›Hyman Kaplan‹-Romane beruhen auf Personen aus dieser Umgebung. Sein Humor, der mit Scholem Alejchem und Mark Twain verglichen wird, machte ihn bald populär, aber keines seiner Bücher hatte eine so nachhaltige Wirkung wie die ›Joys of Yiddish‹, die nicht weniger als 17 Auflagen und Neuausgaben erlebten. Leo Rosten starb am 19. Februar 1997.
(aus dem Klappentext)

Wer sich fürs Judentum, für die Religion des Judaismus und speziell für die jiddische Sprache interessiert, dem sei das vorliegende Buch wärmstens ans Herz gelegt. Es ist als Lexikon konzipiert. Aber wer einmal einen Blick hingeworfen hat, wird es bald von A bis Z durchlesen wollen, vielleicht nicht in einem Rutsch, eher nach und nach. Es ist nicht nur aufschlussreich, sondern äußerst amüsant verfasst; zu vielen Stichworten gibt es auch typisch jüdische Witze. Ich mag den jüdischen Humor.

Viele der jiddischen Wörter stammen aus dem Deutschen, genauer: aus dem Mittelhochdeutschen. Aber es gibt auch viele hebräische Begriffe, die über das Jiddische in den deutschen Wortschatz eingeflossen sind. Fast jeder benutzt diese Begriffe, ohne deren Herkunft zu kennen: Bammel haben oder Massel haben (bzw. etwas vermasseln), blau machen/sein, Schmiere stehen, Tacheles reden (nein, kommt nicht aus dem Griechischen), einen guten Rutsch wünschen – oder auch Wörter wie Pleitegeier, Reibach, Tinnef, Techtelmechtel oder Zoff.

Viele heutige Redensarten, Grundsätze und Sprichwörter entstammen in dieser oder jener Formulierung dem Talmud [eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, das aufzeigt, wie die Regeln der Tora in der Praxis und im Alltag von den Rabbinern verstanden und ausgelegt wurden – Tora, der erste Teil der Bibel: die fünf Bücher Moses]:

„Urteile im Zweifel für den Angeklagten.“
„Auch der Dumme kann fromm sein.“
„Achte auf den Inhalt, nicht auf die Verpackung.“
„Eine gute Tat führt zur nächsten.“
„Du sollst deinem Kind nicht drohen. Bestrafe es oder vergib ihm.“
„Beginne den Unterricht stets mit einer heiteren Erläuterung.“
„Böse Nachbarn zählen das Einkommen eines Mannes, nicht seine Unkosten.“
[…]
„Wenn man in Rom ist, soll man seinen Bräuchen folgen.“
„Ende gut, alles gut.“ (Das vor allen Dingen!)

(S. 599)

Anhand eines Begriffs (fefillin bzw. tfiln = Gebetsriemen) zeige ich auf, wie sich dieses Lexikon gestaltet. Apropos Gebetsriemen: Viele haben diese zwar auf Bildern schon einmal gesehen, was sie aber bedeuten, wissen die wenigsten. Hier (auch nur in Auszügen) der Text dazu:

tefillin siehe tfiln.

tfiln (f. Pl.)
Aus dem hebräischen tefilín „Phylakterien, Gebietsriemen“. Hebräisch tefilá „Gebet“.

In Amerika: tfiln, tefillin, t‘fillin

Gebietsriemen. Tefillin sind zwei lange, dünne Lederriemen mit denen sich fromme Juden zwei quadratische Lederkapseln (von etwa fünf Zentimeter Länge und Breite) am linken Arm und an der Stirn befestigen, wenn sie beten. Die Kapseln enthalten kleine Pergamentstreifen mit vier Schriftversen aus Exodus (13,1-10; 13,11-16) und dem Deuteronomium (6,4-9; 11,13-21) in hebräischer Sprache. Die Tefillin werden von erwachsenen orthodoxen Juden beim Morgengebet getragen.

Der Gebrauch der Tefillin geht auf Exodus 13,9 zurück, wo es heißt: „Darum soll dir’s ein Zeichen sein in deiner Hand und ein Denkmal vor deinen Augen, auf dass des Herrn Gesetz sei in deinem Munde.“ Widerholt wird dieses Gebot im Deuteronomium 6,8.

Die Art und Weise, wie Tefillin angelegt werden, ist genau vorgeschrieben. Sie werden, zum Zeichen der Ehrfurcht, im Stehen getragen. Die eine Kapsel wird auf der Innenseite des linken Arms unmittelbar über dem Ellenbogen getragen (auf diese Weise ist sie beim Beten in der Nähe des Herzens); der Riemen wird sieben Mal um den linken Unterarm geschlungen. Die andere Kapsel wird auf der Stirn getragen, meist oberhalb des Haaransatzes; der Riemen wird um den Kopf geschlungen und verknotet. Die losen Enden werden über die Schulter gelegt und hängen nach vorn. Schließlich wird das Armband dreimal um den Mittelfinger der linken Hand gewickelt (das steht für den hebräischen Buchstaben schin, mit dem der kabbalistische Gottesname Schaddai beginnt).

Das ganze Ritual hat die psychologische Wirkung, dass es dem Betenden hilft, weltliche Sorgen abzuschütteln und sich auf den Gottesdienst zu konzentrieren. […]

Am Sabbat wurden keine Gebietsriemen getragen. Der Sabbat war ein heiliger Tag und bedurfte zusätzlicher Heiligung durch die Gebetsriemen nicht. […]

All dies deutet daraufhin, dass es sich bei den „Phylakterien“ – das griechische Wort phylakterion bedeutet „Schutz“ oder „Festung“ – ursprünglich um eine Art Amulett handelte. Die Juden glaubten, dass jeder, der die Tefillin trägt, vor Schaden geschützt sei, weil „Gottes Glanz“ auf ihn falle. Deshalb war es auch verboten, die Gebetsriemen mit dem Gebetsschal zu verdecken. Es war sogar üblich, die Tefillin auf der Straße zu tragen, aber da dies die Aufmerksamkeit von Antisemiten erregte und Verfolgungen auslöste, setzt sich diese Sitte nie wirklich durch. […]
(S. 606 f.)

    Tefillin – Gebetsriemen der Juden

„Dieses Wörterbuch ist eine Freude.“ (Viola Roggenkamp in der ‚Zeit‘)

„Leo Rostens Standardwerk erklärt die jiddischen Begriffe äußerst amüsant mit Synonymen, Anekdoten und Witzen Es ist also auch ein Lexikon des jüdischen Lebens, der jüdischen Soziologie und Geschichte wie auch der Religion. Die deutsche Ausgabe wurde nicht nur kongenial übersetzt, sondern auch kommentiert und um viele wichtige Teile ergänzt. Rostens Buch zu lesen ist ein Vergnügen.“ (Arno Lustiger in der ‚Welt‘)

siehe auch: Jiddische Seiten – Yiddishe Saiten

Streik und Bombenentschärfung

Bekanntlich kommt ein Unglück selten allein (Schlimmer geht immer!). ‚Die Fratze des Grauens‘, Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL, hat wieder ‚zugeschlagen‘. Der siebte Lokführerstreik innerhalb weniger Monate betrifft wieder Millionen Pendler. Gestreikt wird noch bis heute Abend 21 Uhr. Und dabei geht’s längst nicht nur um Lohnerhöhungen, sondern darum, wer die Lokführer in Zukunft vertritt. Dafür Millionen Arbeitnehmer büßen zu lassen, ist schon ein starkes Stück.

In Hamburg kam es dann gestern besonders dicke: Wegen einer Bombenentschärfung zur allerbesten Verkehrszeit mussten die Elbbrücken ab 15.30 Uhr für Bahn- und Straßenverkehr gesperrt werden. Die US-amerikanische 500-Pfund-Sprengbombe wurde in einer Baugrube an der Zweibrückenstraße (HafenCity) entdeckt.

Tatort (944) aus Köln: Dicker als Wasser (2015) und mehr

Hätte nicht Armin Rohde in dem neuesten Kölner Tatort mitgespielt, die Folge (944) Dicker als Wasser würde man schnell wieder vergessen. Denn irgendwie zog sich das Alles gehörig in die Länge. Da half auch der neue Assistent Tobias Reisser (gespielt von Patrick Abozen) wenig, der bereits in einer früheren Folge (nach dem Tod von Franziska Lüttgenjohann, Assistentin der Kriminalhauptkommissare Ballauf und Schenk von 2000 bis 2014) zu sehen war:

Laura Albertz findet ihren Freund Oliver Mohren nachts tot vor seinem Szenelokal „Sax Club“ auf. Bei der Befragung durch Max Ballauf und Freddy Schenk verwickelt sich Laura schnell in Widersprüche. Auch der ehemalige enge Freund von Oliver, Erik Trimborn, gerät unter Verdacht.

Nach und nach greift der Vater von Erik Trimborn (gespielt eben von Armin Rohde) ins Geschehen ein, ein Tyrann, wie er im Buche steht. Dieser wird auch gleich von Kommissar Freddy Schenk aufs Korn genommen, der aber schnell ins Hintertreffen gerät. Am Schluss muss Schenk froh sein, mit halbwegs heiler Haut davongekommen zu sein.

Rohde reißt förmlich jede Szene an sich, in der er auftritt. Spiegel online erweist ihm berechtigterweise in einer Hommage ganze Ehre: Diese Pranken können liebkosen. Und würgen. Manchmal beides zusammen. So viel Zärtlichkeit, so viel Zerstörungswille, wie der 100-Kilo-Koloss Armin Rohde am Sonntag in der ansonsten eher unterkühlten Kölner „Tatort“-Episode „Dicker als Wasser“ verstrahlte, kriegt man selten in ein und derselben Rolle zu sehen.


Tatort (944) aus Köln: Dicker als Wasser (2015)

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, das eben jener Armin Rohde in einer anderen Tatortfolge (937), diesmal aus Frankfurt, brillierte: Das Haus am Ende der Straße. Auch hier spielt er seinen Gegenpart, in Gestalt des Frankfurter Ermittlers Steier.(gespielt von Joachim Król) in seinem leider letzten Fall, an die Wand. Und das will schon einiges heißen, dann Król legte als Steier, der mit Alkoholproblemen zu kämpfen hat, immer eine sehenswerte Performance hin. Diese Tatort-Folge ist einerseits wortgewaltiges Kammerspiel, anderseits ein Thriller der Extraklasse. Vielleicht nichts für schwache Nerven, ansonsten wirklich sehenswert:


Tatort (937) aus Frankfurt: Das Haus am Ende der Straße (2015)

    Tatort – TV-Reihe der ARD (seit 1970)

Letzte Woche habe ich hier den ersten Tatort aus Nürnberg vorgestellt und damit den Schauspieler Fabian Hinrichs. Dieser war ja erst 2012 in dem Tatort (856) aus München: Der tiefe Schlaf als neuer Assistent Gisbert Engelhardt zu sehen gewesen, der die Hauptkommissare Batic und Leitmayr gehörig nervte – und am Schluss selbst Opfer eines Mordes wurde. Hinrichs hatte bekanntlich 2009 einen Auftritt im Kieler Tatort Borowski und die heile Welt als gewaltbereiter Vater Thies Nowak. Letztes Wochenende habe ich mir diese Folge noch einmal angeschaut. Axel Milberg als Kommissar Borowski (Bester Schauspieler Hauptrolle) und Fabian Hinrichs (Bester Schauspieler Nebenrolle) waren für den Deutschen Fernsehpreis 2009 nominiert.

Beide Schauspieler glänzen in einem Fall, den man ohne weiteres zu den besten dieser Fernsehreihe zählen darf. Borowski ist erschüttert vom Tod eines kleinen Mädchen. Hinzu kommt, dass die Polizeipsychologin Frieda Jung ihren Abschied verkündet. Sie hat ein lukratives Arbeitsangebot aus der Schweiz. Borowski und Jung haben ein ambivalentes Verhältnis miteinander. Beide fühlen sich zueinander hingezogen. Und doch kommen sie nicht zusammen. Borowski ist enttäuscht, als er erfährt, dass Frieda Jung ihn ‚verlassen‘ will. Erst, als er ihr ziemlich am Schluss sagt, dass er sie braucht (er meint es eigentlich rein dienstlich), da wirft sie den bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag in den Papierkorb.

Tatort Kiel: Kriminalhauptkommissar Klaus Borowski und Polizeipsychologin Frieda Jung

Selten habe ich mit einem Protagonisten so empfunden wie mit Thies Nowak, brillant gespielt von Fabian Hinrichs. Als ehemaliger Knasti hat er sich hochgearbeitet, eine Familie gegründet und ein Restaurant eröffnet. Immer wieder werden ihm Steine in den Weg gelegt, immer wieder versucht er sich trotz aller Probleme zu beherrschen („innerlich bis drei zählen“), was ihm nicht immer gelingt. Mir würde sicherlich auch der Kragen platzen.

Bei diesem Fall handelt es sich mehr um ein Familiendrama als um einen Kriminalfilm. Es geht um die Diskrepanz zwischen Täuschung und Wahrheit, zwischen Liebe und Selbstbetrug in Beziehungen. Eingefangen wurde das ohne jede Effekthascherei, ganz sensibel. Ich mag Axel Milberg als Klaus Borowski. Wunderbar sein mimisches Repertoire. In diesem Fall wird er ganz an seine Grenzen gedrängt. Welche Erleichterung muss es für ihn sein zu hören, dass Frieda Jung ihm erhalten bleibt.


Tatort (732) aus Kiel: Borowski und die heile Welt (2009)

Am Ostermontag gab es die neue Folge (942) der Ermittler Falke und Lorenz, dem ersten Tatort-Ermittlerteam der Bundespolizei: Frohe Ostern, Falke. Dieser Fall erinnert mich sehr an eine Folge (843) aus Bremen: Hochzeitsnacht (2012). Auch hier stürmen bewaffnete und maskierte Männer eine feiernde Gesellschaft.

So interessant der Bremer Fall war, so „an den Hasenohren herbeigezogen“ wirkt dieser, wie Holger Gertz in der Süddeutschen Zeitung schrieb. Es ist schon abstrus, einen Auftragsmord zu kaschieren, indem man eine zuvor friedliche Aktivistengruppe in eine solche Geiselnahme hineinzieht. Alle Action zum Trotz, das war nichts, Herr Falke.


Tatort (942) aus Hamburg: Frohe Ostern, Falke (2015)

Leid tut mir dabei Petra Schmidt-Schaller (in dem Tatort die Kommissarin Lorenz), die ich Tage später in dem Fernsehfilm Die kalte Wahrheit gesehen habe. Hier spielt sie die junge Ärztin Helen Liebermann, die an einem kalten, nebligen Wintermorgen auf der Landstraße einen jungen Mann anfährt und tötet. Obwohl sie von aller Schuld entlastet wird, macht sie sich auf, die Hintergründe dieses Unglücks zu erforschen: der junge Mann war ohne Jacke und ohne Schuhe unterwegs. Der Film ist ein „Psychodrama um das Thema Schuld und Schuldbewältigung“, in dem Petra Schmidt-Schaller „die Zweifel und Gewissensbisse der Helen Liebermann geradezu körperlich spürbar“ werden lässt:


Die kalte Wahrheit – Fernsehdrama 2015

Fünf Filme – das dürfte ‘Material’ genug sein für die nächsten sonnendurchtränkten Abende. Und die nächsten Tatort-Folgen warten ja bereits auf uns. Viel Spaß beim Gucken!

Misha Amouk: Goodbye, Jehova – Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ

Wem sind die Zeugen Jehovas noch nicht ‚über dem Weg gelaufen‘. Es gibt wohl keinen, bei dem sie noch nicht an der Haustür geklingelt haben. Meist ist man peinlich berührt, weil man einerseits keine Lust hat, mit denen längere Gespräche zu führen, andererseits aber höflich sein möchte, auch wenn man sie abweist. Die Zeitschrift Wachtturm hat jeder schon einmal in Händen gehalten, die wenigstens haben hineingeschaut. Wenn man etwas von den Zeugen Jehovas weiß, dann eigentlich nur, dass sie keine Feier- oder Festtagen wie beispielsweise Weihnachten oder Geburtstagen begehen und dass sie Bluttransfusionen ablehnen. Und da war dann noch etwas vom bevorstehenden Weltuntergang.

Was passiert eigentlich auf der anderen Seite der Tür, wenn du sie den Zeugen Jehovas vor der Nase zuschlägst?

Zeugen Jehovas kennen die meisten von uns nur aus der Fußgängerzone oder als lästigen Besuch an der Tür – häufig etwas bieder, vor allem aber harmlos. Misha Anouk weiß, wie es auf der anderen Seite aussieht. Er wuchs in einer Zeugen-Jehovas-Familie auf und lief im Predigtdienst von Haustür zu Haustür – stets hoffend, keine Mitschüler zu treffen. Mit erfrischendem Humor erzählt er von einer Kindheit ohne Weihnachten, aber mit Geistern, von ersten Zweifeln und Weltuntergängen, die auf sich warten lassen. In seinem mitreißenden Insiderbericht analysiert Misha Anouk die emotionale Verführung der Zeugen Jehovas, beschreibt Organisation und Struktur der Wachtturm-Gesellschaft und erzählt, weshalb er schließlich eine Sünde beging, um die bekannteste Sekte der Welt zu verlassen.
(Umschlagtext)

Während meines Osterurlaubs habe ich das Buch Goodbye, Jehova!: Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ gelesen. Es ist wirklich sehr ausschlussreich und düfte alle die ansprechen, dies sich für die Verführbarkeit der Menschen, insbesondere durch Sekten, speziell durch die Zeugen Jehovas, interessieren. Es geht sehr in die Tiefe und wird ausreichend durch Zitate aus den Publikationen der Wachtturm-Gesellschaft, der organisatorischen Zentraleinrichtung der Zeugen Jehovas, belegt. Bei mir kann noch ein besonderes persönliches Interesse hinzu (s.u.).

    Buch und Autor Misha Anouk: Goodbye, Jehova!

Misha Anouk wurde in die Wahrheit hineingeboren. So bezeichnen Zeugen Jehovas ihren Glauben. Kein Wunder, das er fast 20 Jahre lang überzeugt war, Teil der wahren Religion zu sein. Doch dann kommen erste Zweifel. Er begreift, dass sein Platz woanders ist, jenseits der sich von der Außenwelt abschottenden Glaubensgemeinschaft. „Für mich ist und war die Frage nie, ob Zeugen Jehovas gute oder schlechte Menschen sind. Die Frage war immer nur, ob dieser Glaube für mich gut war.“ Goodbye, Jehova! Ist ein glänzend geschriebener Insiderbericht von einem, der jeden Aspekt der Glaubensgemeinschaft hautnah miterlebt hat. Mit Hilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen und anhand der Wachtturm-Literatur analysiert Misha Anouk unaufgeregt und mit viel Witz das „System Wachtturm“ und beschreibt, mit welchen psychologischen Tricks neue Mitglieder angeworben werden, wie sich die Organisation intern und extern gegen Kritik immunisiert und warum der Weltuntergang noch immer auf sich warten lässt.
(Klappentext)

Misha Anouk, geboren 1981 auf Gibraltar, ist freier Autor und widmet sich als Redner und in der täglichen Arbeit der Aufklärung über Bewusstseinskontrolle, Verschwörungstheorien, politische und gesellschaftliche Entwicklungen, Social-Media-Phänomene sowie der Medienkritik. Mit seiner Familie lebt er in Wien. Misha Anouk bloggt regelmäßig auf www.indub.io, twittert unter @mishaanouk und hat eine Facebook-Seite.

Was passiert eigentlich auf der anderen Seite der Tür, wenn du sie den Zeugen Jehovas vor der Nase zuschlägst?“ Misha Anouk ist jahrelang an jedem Samstag von Tür zu Tür gezogen, um andere Menschen von der „Wahrheit“ zu überzeugen, wie die Zeugen Jehovas den Kern ihres Glaubens nennen. In seinem Buch „Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ“ beschreibt er den Ablauf der Hausbesuche. „Nachdem du die Tür geschlossen hast, wird hinter deiner Hausnummer ein Code notiert: M oder W für dein Geschlecht, NH für ‚Nicht zu Hause‘, KI für ‚Kein Interesse‘.“

So ein „KI“ ist gar nicht so leicht zu bekommen, denn die Zeugen Jehovas nehmen den Predigtdienst, so heißt das Missionieren, sehr ernst. Sie glauben an Harmagedon, den Weltuntergang, an dem Jehova alles Böse vernichten wird und nur die Zeugen und Menschen, die in Jehovas Gunst stehen, überleben und in einer Art Paradies weiterleben werden. Wann genau der Weltuntergang eintritt, ist nicht klar. Die Wachturmgesellschaft, die Leitung der Zeugen Jehovas, hat mit ihren Prognosen schon mehrfach falsch gelegen und hält sich nun mit genauen Aussagen zurück.
Quelle: stern.de

Zunächst: Gleich am Anfang des Buchs bin ich über den Namen Gilead gestolpert, den die theologische Hochschule der Wachtturm-Gesellschaft in Brooklyn, New York (S. 29), trägt. Vielleicht nicht von ungefähr haben in dem Buch Der Report der Magd von Margaret Atwood ‚fanatische religiöse Sektierer im Norden der USA die sogenannte Republik Gilead installiert.‘ Daneben grüßt, wenn man das Buch liest, nicht nur Orwells ‚Big Brother‘ aus 1984, sondern es winkt auch Huxleys ‚Brave New World’. Wären die Zeugen Jehovas nicht so real, man könnte sie für eine Ausgeburt eines Science fiction-Schriftstellers halten.

Nun ich habe das Buch, wie oben erwähnt, auch aus sehr persönlichem Interesse gelesen. Misha Anouks Eltern waren Zeugen Jehovas (der Vater ein ‚Ältester‘) und so wuchs er von Geburt an in einer ‚Versammlung‘ auf. Meine Eltern waren jahrelang ‚Offiziere‘ der Heilsarmee.

So kam es, dass ich als Zeuge Jehovas aufwuchs. Ob ich dabei Mitspracherecht hatte, ist Ansichtssache. Ich war mir in meiner Kindheit keiner Alternative bewusst. Wohin hätte ich denn auch sollen als Kind? (S. 30)

Ich kann die Gefühle, die hinter diesen wenigen Worte stecken, sehr gut nachempfinden. Obwohl die Heilsarmee sicherlich kaum mit den Zeugen Jehovas zu vergleichen ist, die religiöse Ausrichtung ist die einer christlichen Kirche protestantisch-freikirchlicher Prägung (ihre Wurzeln liegen im Methodismus), so bildet sie doch ähnlich einen geschlossenen Kreis. Ist man erst einmal Glied dieser Gemeinschaft (ich wie Misha Anouk durch Geburt), dann ist ein ‚Ausbruch‘, eine ‚Flucht‘ so schnell nicht möglich (zumindest nicht in jungen Jahren).

Als Kind von Heilsarmeeoffizieren wurde ich noch als Baby (ähnlich wie in ‚normalen‘ Kirchengemeinden) in der Heilsarmee getauft, nur heißt es hier ‚dem Herrn geweiht‘. Und meine Konfirmation (‚Einsegnung‘) geschah auch in der Heilsarmee (manchmal frage ich mich, warum ich eigentlich Kirchensteuer bezahle, nur weil meine Eltern trotz der Mitgliedschaft zur Heilsarmee auch weiterhin Mitglied der evangelischen Kirche waren?). Und abends wurde ich als Heilssoldat ‚eingereiht‘.

Hatte ich eine Wahl? Natürlich war es meine Entscheidung, Mitglied der Heilsarmee zu werden. Aber so ‚freiwillig‘, wie man denken könnte, war es sicherlich nicht. Ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen.

Je mehr man von mir beim Predigen erwartete, desto mehr hatte ich wiederholt mit Panikattacken zu kämpfen. Ich rede nicht gern mit fremden Menschen. Schon gar nicht wollte ich an deiner Für klingeln und mit dir über die Gute Botschaft sprechen. Ich habe es gehasst. (S. 137 )

Nun die Heilsarmee geht nicht von Haus zu Haus. Sie tritt höchstens durch ‚Freiversammlungen‘ an die Öffentlichkeit. Wer abends in der Stadt gern einmal ein Bierchen trinken geht, kennt sie vielleicht von ihren ‚Wirtschaftsmissionen‘ her, die dem ‚Predigtdienst‘ der Zeugen Jehovas durchaus ähnlich sind. Allerdings sind hier nur bestimmte Mitglieder der Heilsarmee unterwegs. Hierbei werden Spenden gesammelt und die Zeitschrift namens „Heilsarmee-Magazin“ (bis 31. Dezember 2007 hieß sie martialisch „Der Kriegsruf“) verteilt.

Wesentliches Merkmal der Heilsarmee sind die Uniformen der Mitglieder, Salutisten genannt. Wie schon der Name sagt, so ist die Heilsarmee militärisch organisiert. Der (oder durchaus auch die) Oberste ist der General/die Generälin, der/die Leiter/in der Gemeinschaft weltweit. Dieser (oder eben auch diese) residiert in London, wo sich auch das Internationale Hauptquartier (IHQ) befindet. Leiter der einzelnen Gemeinden (Korps genannt) sind überwiegend hauptamtliche Mitarbeiter (Offiziere, ich denke von Kadetten bis zum Oberst) und entsprechen einem Pastor oder Pfarrer einer Kirchengemeinde. Alle anderen Mitglieder sind Heilssoldaten. So wie man die Zeitschrift ‚Der Kriegsruf‘ inzwischen namentlich neutral als ‚Heilsarmee-Magazin‘ kennt, so spricht man wohl auch eher von Gottesdiensten statt Heils- (am Sonntagmorgen) oder Heiligungsversammlungen (am späten Sonntagnachmittag). Der Heimbund wurde inzwischen ebenso neutral in Frauenkreis oder Frauentreff umbenannt. Die Jugendliga nennt man wohl Kids- und Jugendclub.

Auch junge Heilssoldaten sind angehalten, Uniform zu tragen. Man kann sich vorstellen, wie ich mich mit 14 Jahren in einer solchen gefühlt habe. In dem Alter hat man schon pubertätsbedingt Schwierigkeiten genug mit sich selbst, da muss man sich nicht auch noch
dadurch outen, dass man einer Religionsgemeinschaft angehört, die durch ihr ‚kriegerisches‘ Aussehen in der Öffentlichkeit oft der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Die Wachtturm-Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Dabei: Es passiert nie etwas. Es droht bloß ständig etwas vorzufallen. Man ist gezwungen, immer auf Trab zu sein, die Spannung wird künstlich aufrechterhalten. Ein ständiger Stresstest. (S. 275)

Mein Stresstest war das Zeugnisablegen und die Bußbank. Ein Gottesdienst (zumindest zu meiner Zeit) sah in etwa so aus: Auf ein Lied folgte das Gebet, dann Zeugnisse. Mitglieder der Heilsarmee (aber durchaus auch Besucher) stehen auf und berichten, wie sie zu Jesus gefunden haben bzw. wie ihnen Jesus in der letzten Woche geholfen hat. Das hat einen durchaus spontanen Charakter. Begleitet wird das durch ‚Halleluja‘-Rufe. Ich kann mich zwar nicht mehr genau erinnern, aber ich denke, dass man auch von mir von Zeit zu Zeit erwartete, Zeugnis abzulegen. – Dem folgten erneut Lieder, die Kollekte, eine kurze Predigt und dann der Aufruf, „nach vorn“ zur Bußbank zu kommen (gewissermaßen als Ersatz für das Abendmahl bzw. für die Beichte). Ein Salutist kommt und betet mit dem „Suchenden“. Während des Aufrufs erfolgt das sogenannte „Fischen“ (Salutisten gehen durch die Reihen und sprechen Besucher des Gottesdienstes an, um sie zur Bußbank zu bitten). Nach dem Bußbankgebeten wird als Schluss ein weiteres Lied gesungen (siehe hierzu auch Uwe Heimowski: Die Heilsarmee in books.google.de)

    Bußbank der Heilsarmee

Wie bei den Zeugen Jehovas so gibt es (wie hier zu erkennen ist) auch bei der Heilsarmee viele Termini technici, also ‚Fachausdrücke‘, die markantes Merkmal für eine solch ‚geschlossene Gemeinschaft‘ sind. Diese sind zudem Ausdruck einer speziellen Lehre, die eben nur für die Gemeinschaft von Bedeutung ist. Sie sind vor allem aber auch Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen kirchlichen Gemeinschaften.

Was ich heute jedoch mit Sicherheit sagen kann: Ich habe es aus den falschen Gründen getan. Nicht, um Gott näherzukommen. Nicht aus Überzeugung. Sondern aus einer mir gegenüber an den Tag gelegten Erwartungshaltung, die zentnerschwer auf meinen Schultern lastete. (S. 320)

Theoretisch bin ich heute noch Mitglied der Heilsarmee. Ich weiß gar nicht, ob man von sich aus austreten oder ob man gewissermaßen wie bei den Zeugen Jehovas als Abtrünniger oder Abweichler ausgestoßen werden kann. Ist für mich auch egal. Ich habe nichts gegen die Heilsarmee. Sie tut viel Gutes, besonders im sozialen Bereich.. Aber sie ist nicht ‚mein Ding‘. Ich freue mich z.B. über meinen älteren Sohn, der sich von sich aus in der evangelischen Kirche engagiert. Von daher bin ich auch weiterhin bereit, Kirchensteuer zu zahlen.

Noch einmal kurz zurück zu den Zeugen Jehovas, zu denen sich weltweit sieben bis acht Millionen Menschen bekennen, die ihre spezielle Auslegung der Bibel haben:

Es gibt keine Hölle […]. Einen Himmel zwar auch nicht, zumindest für dich nicht; aber dafür ein Paradies [..…]. Die Toten werden wiederauferstehen, Gott wird alle Krankheiten abschaffen, wir werden ewig leben. (S. 325)

Als ich mit meinen jüngeren Sohn über das Buch sprach und die Vergleiche mit meiner Heilsarmee-‚Vergangenheit‘ zog, meinte er, ich könnte auch ein Buch schreiben. Sicherlich könnte ich, aber anders als bei Misha Anouk ist diese, meine Vergangenheit schon viel zu lange her. Außerdem ist die Heilsarmee mit Sicherheit keine Sekte wie die Zeugen Jehovas. Man muss z.B. nicht Mitglied sein, um sein ‚Heil‘ zu finden. Das hier Geschriebene soll genügen.

Stimmen zum Buch
Seine Geschichte zeigt, wie gut das System der Zeugen Menschen manipulieren kann. (Zeit online)

Misha Anouk hat etwas durchgemacht, an dem andere Menschen zerbrechen würden. (Morgenpost)

Das Buch erlaubt nicht nur tiefe Einblicke in den Alltag eines Zeugen zwischen Königreichssaal und Predigtdienst an fremden Haustüren, es blättert auch das ganze Spannungsfeld zwischen diametral gegenüber stehenden Denkrichtungen auf. (Lübecker Nachrichten)

Ein bemerkenswertes Buch, hervorragend geschrieben und akribisch recherchiert. (Hamburger Abendblatt)

Hervorragend recherchiert, wahnsinnig intim und sehr, sehr gut. (NDR Das!)

The Governing Body of Jehovah‘s Witnesses, 25 Columbia Heights, Brooklyn, New York 11 201 – 2483, USA (S. 304)

Ein sonniger Sonntag – Werder gewinnt 102. Nordderby

An manchen Tagen sollte man lieber im Bett verbleiben. Ein Unglück kommt selten allein. Manchem Murx folgt weiterer. Aber dann gibt es auch Tage, da lohnt sich das Aufstehen – wie gestern am Sonntag, als der Tag seinem Name Ehre bereitete und die Sonne schien. Da läuft vieles wie geschmiert.

Jetzt könnte man sagen, wenn der April schon so viele schöne Tage bereitet, dann wird’s nichts mit dem Sommer. Das mag stimmen, muss aber nicht. Mir reicht es, wenn’s im August sonnig sein wird. Klar, da habe ich Urlaub …

Zurück zum gestrigen Sonnensonntag. Fürs Frühstücken draußen war es noch etwas zu kalt. Aber unser Kaffeetrinken konnten wir bei angenehmer Temperatur auf der Terrasse genießen. Während meine Frau noch etwas im Garten werkelte, las ich ein Buch.

Und dann war da ja noch das 102. Nordderby zwischen dem SV Werder Bremen und dem HSV, dem Tabellenletzten der Fußballbundesliga. Mit neuem Trainer (Bruno Labbadia – dass der HSV Thomas Tuchel, der jetzt Jürgen Klopp in Dortmund ersetzen wird, an der Angel hatte, war wohl doch eher ein Gerücht) lief es auch nicht viel besser: Labbadia brachte nur zwei neue Spieler gegenüber der Heim-Pleite zuletzt gegen Wolfsburg, bei der noch Sportdirektor Peter Knäbel auf der Bank saß, ließ dafür deutlich defensiver und härter spielen, was u.a. Vestergaard (bis 23.) zu spüren bekam. Er musste nach einem Foul von van der Vaart frühzeitig mit einer „schweren Knieverletzung“ (Eichin) vom Feld.

    100 % SV Werder Bremen

Es war ein eher schwaches Spiel, besonders vom HSV, das dann die Bremer knapp mit 1:0 gewannen. Behrami hatte Junuzovic im Strafraum gefoult. Der Elfer war okay (auch wenn’s die Hamburger anders sahen): Behrami hatte den Bremer nicht nur in die Wade getreten, sondern ihn auch noch am Trikot festgehalten. Franco di Santo versenkte den fälligen Elfmeter souverän zum einzigen Tor des Spiels.

Es kommt etwas spät: Nach dem 1:0 im Nordderby korrigiert Werder Bremen langsam seine Ziele. Der Klassenerhalt ist abgehakt, jetzt geht der Blick in der Tabelle nach oben: Tabellenplatz sieben soll gehalten werden (was evtl. auch noch für die Qualifikation zur Europa League reichen könnte).

Und noch eines: Das Spiel wurde als Risikospiel (1000 Polizisten im Einsatz) eingestuft. Die Mehrkosten gegenüber einem normalen Bundesligaspiel (150 Polizisten im Einsatz) will sich das Land Bremen erstatten lassen. Grundlage ist ein Bürgerschaftsbeschluss vom Oktober 2014. Deshalb soll die Deutsche Fußball Liga (DFL) als Veranstalter erstmals einen Gebührenbescheid in Höhe von rund 300.000 Euro erhalten. Die hatte angekündigt, die Kosten an den SV Werder Bremen weiterzureichen. Ich bin gespannt, wie das Ganze ausgeht.

Mit diesem Sieg ‚in der Tasche‘ endete dieser Tag, wie er begonnen hatte: sonnig, also bestens!

Tatort (943) aus Nürnberg: Der Himmel ist ein Platz auf Erden (2015)

Die neuen Tatort-Ermittler aus der ARD-Krimireihe geben sich in diesen Wochen die Klinke in die Hand. Nach den Neuen aus Berlin, die mich eher enttäuschten, sind es nun die Kriminalhauptkommissare Felix Voss und Paula Ringelhahn aus Nürnberg, die Unterstützung durch die Kommissare Wanda Goldwasser und Sebastian Fleischer erhalten. Felix Voss wird von Fabian Hinrichs gespielt und ist den Tatort-Freunden kein Unbekannter. Erst 2012 war er in dem Tatort (856) aus München: Der tiefe Schlaf als neuer Assistent Gisbert Engelhardt zu sehen gewesen, der die Hauptkommissare Batic und Leitmayr gehörig nervte – und am Schluss selbst Opfer eines Mordes wurde.

Für diese Rolle erhielt Fabian Hinrichs sehr viel Aufmerksamkeit in den Medien und sozialen Netzwerken. Sicherlich ein Grund, warum wir ihn jetzt im zweiten (nach dem Münchener) Tatort-Team des Bayerischen Fernsehens sehen. Aber es gab noch weitere Tatort-Auftritte von Hinrichs, u.a. in dem Tatort (732) aus Kiel (2009): Borowski und die heile Welt als gewaltbereiten Vater Thies Nowak (werde ich mir in den nächsten Tagen wohl noch einmal angucken – ich weiß nur noch, dass Hinrichs auch diese Rolle meisterlich bewältigte).

    Tatort – TV-Reihe der ARD (seit 1970)

Aber kommen wir auf das neue Ermittler-Team aus Nürnberg zurück, dessen erster Fall (Tatort-Folge 943) Der Himmel ist ein Platz auf Erden am letzten Sonntag gesendet wurde:

Kriminalhauptkommissar Voss kommt zu seiner neuen Arbeitsstelle nach Nürnberg und lernt seine Kollegen am Tartort kennen. Der Professor der Erlanger Universität Christian Ranstedt wird in seinem Auto im Wald tot aufgefunden. Der verheiratete Vater zweier Kinder wurde mit Kopfschüssen aus nächster Nähe geradezu hingerichtet. Offensichtlich hatte er Sex im Wagen; beide Türen stehen offen, der Fahrersitz mit dem toten Ranstedt ist weit zurückgeschoben.

(Video tgl. ab 20 Uhr) | Video verfügbar bis 19.04.2015
Tatort (943) aus Nürnberg: Der Himmel ist ein Platz auf Erden

„Färberböck [der Regisseur und Mitautor des Drehbuchs] wagt die Revolution im modernen Tatort: Er bringt Ermittler, die keinen an der Klatsche haben. Sie sind eher warm als innerlich erfroren, eher linkisch als cool. Und berührbar von dem, was passiert. […] Dieser Fall […] hat ein paar Längen, aber die Geschichte nimmt Fahrt auf, sie findet einen Sound, und tatsächlich alle Darsteller sind mit Liebe ausgesucht“, schreibt Holger Gertz in der Süddeutschen Zeitung.

Auch mein jüngster Sohn, inzwischen längst Tatort-Spezialist, fand die neuen Tatort-Kommissare äußerst sympathisch. Dem schließe ich mich gern an. Dabei erinnert mich Felix Voss aka Fabian Hinrichs doch sehr an den Saarbrücker Kommissar Jens Stellbrink (gespielt von Devid Striesow), nicht nur äußerlich. Und Paula Ringelhahn kommt der Bremer Kommissarin Inga Lürsen ziemlich nah, in ihrer Art, vom Aussehen und auch vom Alter her.

Ähnlich wie im letzten Berlin-Tatort so ist auch in dem ersten Nürnberger Fall die Stadt eine der Hauptfiguren des Films. Und es ist eine Frau, die geradezu unauffällig ins Zentrum der Handlung rückt, die Nachbarin des Mordopfers, gespielt von Ulrike C. Tscharre, die ebenfalls schon in mehreren, früheren Tatort-Folgen zu sehen war. Diese weibliche Figur zeigt sich sowohl verletzlich wie verletzend und wird vom Regisseur einmal von nah, dann von fern in Szene gesetzt, ohne ihr letztes Geheimnis zu offenbaren. Sie ist der Schlüssel zur Auflösung des Falles.

Trotz mancher Längen (die dann irgendwie sogar Sinn machten) gefällt mir dieses neue Ermittlerteam. Und es entspricht besonders einem der drei Tatort-Grundregeln, Kriminalfälle regional anzusiedeln: Nürnberg und das fränkische Umland, sowohl Land wie Leute, stehen im Mittelpunkt. Ich habe gar nicht gewusst, dass Franken manchmal so schweigsam sind …

Der ‘Blechtrommler’ schweigt

Am Montag starb Günter Grass im Alter von 87 Jahren in einem Lübecker Krankenhaus an einer Lungenentzündung Mit dem Roman „Blechtrommel“, 1959 erschienen und 1980 verfilmt, schreib er einen der wichtigsten Romane der deutschen Nachkriegsliteratur und avancierte mit seinem Gesamtwerk zum international bekanntesten deutschen Gegenwartsautor. 1999 erhielt er den Literaturnobelpreis. Der unbequeme Nationaldichter hielt darüber hinaus politischen Einspruch für eine historische Pflicht – und erregte Anstoß.

Mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ äußerte sich Grass kritisch gegenüber dem Staat Israel. Ein Antisemit, wie ihm auch vorgeworfen wurde, war er nicht.

Am 16. Oktober 1927 kommt „Ginterchen“ in Danzig-Langfuhr zur Welt. Die Eltern, ein deutscher Protestant und eine kaschubische Katholikin, besitzen einen Kolonialwarenladen, viele Kunden lassen anschreiben. Die Wohnung ist klein, Günter und seine Schwester Waltraud haben unter dem Fensterbrett eine eigene Ecke. Kein Bad, das Klo auf dem Flur. Katholisch wächst Grass auf, ist Messdiener. „Eine Kindheit zwischen Heiligem Geist und Hitler“, schreibt Michael Jürgs in seiner Grass-Biografie. Verwundet überlebt Grass mit 17 den Krieg, nach grauenhaften Erlebnissen.

Dass er die letzten Monate bei der Waffen-SS war, berichtet Grass erstmals 2006 in dem autobiografischen Meisterwerk „Beim Häuten der Zwiebel“ – nach mehr als 60 Jahren. Scham, ein nie zu tilgender Makel, ein Kainsmal, so Grass. Kaum einer hält die NS-Verführung des Jugendlichen für ein Problem, wohl aber wird ihm das lange Schweigen darüber angekreidet. (Quelle: heute.de)

Der Zug ist abgefahren

Es hat schon etwas ziemlich Blamables, beim Tabellenletzten der Fußball-Bundesliga, der nur noch mit 10 Mann auf dem Rasen steht, in der Nachspielzeit ein Tor und damit eine Niederlage zu kassieren – so geschehen gestern in Stuttgart (2:3). Schaut eigentlich vor einem Spiel keiner auf die Tabelle? Da haben Augsburg und Hoffenheim verloren (und Schalke sich zu einem mageren Unentschieden bemüht), d.h. die Europa League könnte bei einem Sieg wieder in erreichbare Nähe rücken. Und dann spielt man, als ginge es um nichts mehr …

Wenn, dann ist spätestens jetzt der Zug in Richtung Europa abgefahren … Oh Mann, Leute!

Ein Gutes hat das allerdings: der Hamburger Sportverein, der angeblich ‚Unabsteigbare‘ (Werder und HSV waren Gründungsmitglieder – der HSV ist der einzige Verein, der seit der Gründung in der Bundesliga spielt – Werder war nach der Spielzeit 1979/80 ein Jahr zweitklassig), ist durch den Sieg der Stuttgarter nach hinten durchgereicht worden, da auch Paderborn drei Punkte einfahren konnte. Und dieser HSV kommt nun am Sonntag nach Bremen.

Werder Bremen: Alles für den Derbysieg!

Dass das ein ganz besonderes Spiel wird, ist klar. In Bremen sind die Hamburger nicht gerade beliebt, nicht nur wegen der hanseatischen Rivalität (das Spiel HSV – Werder ist zudem der Klassiker im Norden). Gibt der SV Werder dem HSV den ‚Gnadenschuss‘? In Hamburg fordert man jetzt ein ‚kollektives Auflehnen‘. Als Werder-Fan fordere ich von den Bremern, dem HSV nichts, aber auch gar nichts zu schenken. Ich bin hochgradig gespannt …

April, April … und Orkantief Niklas

April, April – der macht, was er will … Den Spruch kennt jedes Kind. Man meint das wettermäßig. Und gleichsam aprilwettermäßig hat sich der März verabschiedet. Als Krönung dann zwei Tiefs, die nicht nur Bäume zum Umstürzen (und damit fast zwangsläufig Züge zum Stillstand) brachten, sondern auch in Deutschland mehrere Tote forderten, von den Milliardenschäden ganz zu schweigen. Besonders gruselig Orkantief Niklas gestern am letzten Märztag, da hätte man gleich zu Hause bleiben sollen, wenn man hätte bleiben können …

Orkantief Niklas über Deutschland (31.03.2015) - Quelle: DWD Deutscher Wetterdienst

Gestern habe ich bereits um 12 Uhr 30 die Koffer auf der Arbeit gepackt und bin dann auch gut mit meinem Zug nach Hause gekommen. Es stürmte zwar schon kräftig, aber der große Orkan stellte sich bei uns hier in Norddeutschland erst später ein: Die Züge durften so ab 15 Uhr nur noch mit Tempo 80 km/h fahren. Kurz nach 17 Uhr war die Strecke Bremen-Hamburg gesperrt (noch um 19 Uhr war kein ‚Schienenersatzverkehr‘ durch Busse eingerichtet; wäre ja auch zu schön … bei der Metronom Eisenbahngesellschaft ist es irgendwie nicht angekommen, dass ein Orkantief nach dem anderen über Niedersachsen fegen wird).

Froh bin ich so, ab heute meinen Osterurlaub zu haben. Da lassen mich Graupelschauern und Gewitter völlig ‚kalt‘. Man ist dann fast erstaunt, wenn plötzlich die Sonne hervorkommt. Aber so ist das Wetter nun einmal im April. Immerhin ist Orkantief Niklas weitergezogen und spätestens ab Karfreitag soll sich das Wetter beruhigt haben, auch wenn’s durch kalte Polarluft eher frisch werden soll.

April, April – der macht halt, was er will …

Tatort (941) aus Kiel: Borowski und die Kinder von Gaarden (2015)

Ich mag Borowski, den Kieler Kriminalhauptkommissar der ARD-Tatort-Reihe. Ich mag seine nordische Brummigkeit, seine Distanz und Sturheit. Sein „Ich höre …“, wenn er sich am Telefon meldet, erweitert er jetzt schon auf den Tatort, wenn er seine Kollegin Sarah Brandt nach dem Stand der ersten Ermittlungen fragt und die ihm in ihrer akribischen Art bis hin zum möglichen Tatmotiv alles haargenau erläutert.

Borowski wird kongenial dargestellt von Alex Milberg. Manchmal frage ich mich, wer eigentlich wer ist: Milberg Borowski oder umgekehrt? Seine Kollegin Sarah Brandt, dargestellt von Sibel Kekilli, die Milberg höchst persönlich für die Rolle ausgesucht haben soll, ergänzt sich auf eine wundersame Art mit ihm.

Klaus Borowski (Axel Milberg) und Frieda Jung (Maren Eggert)
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Frieda Jung (Maren Eggert)

Klaus Borowski hat so seine Probleme mit Frauen (mit Sicherheit später einmal noch etwas mehr dazu). Er ist geschieden und hat eine Tochter, die in den ersten Folgen mit ihm öfter zu sehen war. Gleich in seinem ersten Fall (Tatort Nr. 549) Väter aus dem Jahr 2003 hat Borowski Ärger mit seinen Vorgesetzten, weil er eine anerkannte Lokalgröße in der Rotlichtszene nackt auf dem Dach eines Bordells angekettet hat. Er entgeht gerade noch einer Suspendierung, muss dafür aber ein Gespräch mit der Betriebspsychologin Frieda Jung führen. Mit Frieda Jung entwickelt sich so über viele Folgen eine Hassliebe, die in der Tatort-Episode 741 Borowski und die Sterne (2009) sogar in einer gemeinsamen Übernachtung in einem Hotelzimmer (mit allem Drum und Dran?) endet. Diese krisenreiche Beziehung endet dann tatsächlich in Folge 761 Tango für Borowski (2010) in Finnland. Es stellt sich die Frage, was aus den beiden werden soll. Darauf sagt Frieda Jung, dass sie beide doch heiraten könnten. Borowski antwortet sinngemäß mit der Frage: Aber wen denn? Am nächsten Morgen ist Frieda Jung für immer verschwunden. Ach, Borowski, diesen dummen Spruch verzeiht keine Frau. In Folge 873 Borowski und der brennende Mann gibt es ein typisch Borowski‘sches Missverständnis mit der dänischen Kollegin, Kommissarin Einigsen. Und in Folge 892 Borowski und der Engel (2013) scheint es gar, als habe sich unser Kieler Ermittler in eine Tatverdächtige verliebt. Zu seiner jungen Kollegin Sarah Brandt hat Borowski ein eher väterliches Verhältnis. Man kommt halt in die Jahre.

Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli)
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli)

Auch wenn es nicht groß gefeiert wurde, aber Borowskis neuester Fall, der am vergangenen Sonntag ausgestrahlt wurde, war sein inzwischen 25. Glückwunsch!

In einem Kieler Arbeiterbezirk wird der 60-jährige Alkoholiker Onno Steinhaus erschlagen aufgefunden. Steinhaus war wegen Pädophilie vorbestraft und lebte, wie Borowski und Brandt schnell herausfinden, völlig isoliert. Ausgerechnet eine Gruppe Kinder jedoch schien bei dem Toten ein- und ausgegangen zu sein. Anscheinend haben sie das Begehren des Toten ausgenutzt, aber – wie sie zumindest behaupten – dessen Wünschen nie entsprochen. Der für den Bezirk zuständige Polizist Thorsten Rausch scheint angesichts der sozialen Verwahrlosung seines Viertels kapituliert zu haben.

Sarah Brandts Ermittlungen bringen ein Video zu Tage, dass einen Jungen – Timo Scholz – in einer verfänglichen Situation mit Onno Steinhaus zeigt. Timo bestreitet, missbraucht worden zu sein. Borowski muss beobachten, dass Sarah Brandt auffällig häufig die Nähe zu dem Polizeikollegen Rausch sucht … (Quelle: tatort-fundus.de)

Ohne Zweifel war dieser Fall, der im Kieler Problemstadtteil Gaarden spielt, nicht der beste der jetzt also bereits 25 Tatortfolgen mit Borowski aus Kiel (übrigens gab es bereits 2002 eine Borowski-Folge in der damals neu aufgelegten TV-Serie Stahlnetz mit dem Titel PSI, in der ein fast unglaublicher Entführungsfall gelöst wird – und der damals noch in Hannover spielte). Das oft sehr hohe Niveau der Kieler Fälle (z.B. in Borowski und der Engel) lässt sich nicht auf ewig durchhalten. Und doch ist der Fall nicht nur sehenswert, sondern auch von seiner Konstellation her äußerst interessant, ist es ein Krimi aus dem Geiste eines realistischen Sozialdramas. Allerdings ist diese soziale Enge offensichtlich nicht der Raum, „in dem einer wie Borowski zur ganz großen Form aufläuft. Dieser Kommissar, der undenkbar ist ohne seinen Darsteller Axel Milberg, bleibt einer für das Weite im weitesten Sinne: für die Freiheit der Gedanken, für (kranke) Phantasien, für merkwürdige Interaktionen, für (nordische) Landschaft. Unrecht, Ignoranz oder Dummheit können Borowski ungeheuer wütend machen, aber Moral & Betroffenheit stehen anderen Kommissaren besser.“ (Quelle: tittelbach.tv)

So bekommt Borowski „zu spüren, dass seine Beamtenautorität hier nichts zählt; schon gar nicht im Umgang mit strafunmündigen Kindern.“ Borowski hat also auch ein Problem mit Kindern. Erstaunlich dann aber doch, wie er in diesem Fall das Problem löst: Er lässt sich mit den Kindern in einen mit Drahtverhau vergitterten Sportplatz einsperren, zeigt Geduld und kommt so am Ende doch zu den Antworten auf seine Fragen. Und auch mit dem jugendlichen Timo Scholz, von dem alle glauben, dass er der Täter ist, kommt der Kommissar überraschend klar, „ist er vor allem einer, der sich Gedanken macht: ‚Du kannst entweder alles falsch oder ganz falsch machen; richtig gibt’s hier nicht.‘ Dieser ‚kleine Philosoph‘ imponiert Borowski. Kann so einer ein Mörder sein?!“ Am Ende hält er sogar ein Kind im Arm. Nur gegenüber seiner Kollegin Sarah Brandt geht er auf leichte Distanz, als auch sie sich an seine Schulter anlehnt: „Ich ruf Ihnen jetzt ein Taxi und dann schlafen Sie Ihren Rauschi aus.“

Ja, ich liebe diesen Borowski!


Tatort (941) aus Kiel: Borowski und die Kinder von Gaarden

Tatort (940) aus Berlin: Das Muli (2015)

Am Sonntagabend haben sich die neuen Tatort-Ermittler aus Berlin vorgestellt: Nina Rubin (gespielt von Meret Becker) und Robert Karow (gespielt von Mark Waschke): Das Muli, die 940. Tatort-Folge.

Natürlich müssen die neuen Protagonisten erst einmal vorgestellt werden. Das wirkte noch ziemlich unausgegoren: Kriminalhauptkommissarin Rubin, die es außerehelich mit einem Kollegen treibt (die schnelle Nummer im Biergarten der Disko war ziemlich abgeschmackt) und zu Hause dadurch Probleme mit ihrem Mann und den beiden Söhnen hat (sie wirkt eher wie ein in die Jahre gekommener Single, dem man über Nacht zwei Kinder untergeschoben hat). Und der Kriminalhauptkommissar Karow, neu abgestellt, nachdem er bei der Drogenfahndung seinen Kollegen, der auf bisher unaufgeklärte Weise verstarb, verloren hat (er soll undurchsichtig wirken, tut’s aber irgendwie nicht).

Das Tatort-Team Berlin (2015): Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke)

Ähnlichkeit mit dem Ermittlerteam aus Dortmund (Faber und Bönisch) sind nicht zu übersehen, wobei die Dortmunder aber weitaus authentischer, echter erscheinen. Auch ist gleich der erste Fall nicht neu: Mulis bzw. Bodypacker, also Personen, die Drogen durch Verschlucken in ihrem Körper transportieren, gab es schon im Kölner Tatort (841): Fette Hunde (2012). Auch dort starb einer der Kuriere, weil ein mit Rauschgift gefülltes Kondom im Magen geplatzt war. Und auch dort wurde das Opfer anschließend ‚ausgeweidet‘. Übrigens: Die Bodypackerin aus ‚Fette Hunde‘ spielt im neuen Berliner Tatort die Rechtsmedizinerin Nasrin Reza (dargestellt von Maryam Zaree). Und der Bruder der jungen Johanna (in ‚Das Muli‘) spielte im Kölner Tatort den Sohn des Afghanistan-Heimkehrers (gespielt von Theo Trebs). Ist schon seltsam.

Schnell war geklärt, um was es bei dem Fall geht, sodass so etwas wie Spannung nicht aufkommen konnte. Spannung erzeugte lediglich das undurchsichtige Handeln von Kommissar Karow, bei dem man nicht so recht wusste, ob er nun auf der Seite der Guten steht oder nicht. Aber auch das wirkte eher gekünstelt. Wenig nachvollziehbar war für mich, dass man gleich vier Menschen (und einen Wachhund) töten musste, um an Drogen im lächerlichen Wert von rund 40.000 € zu gelangen. Im Drogengeschäft geht es um weitaus mehr Geld.


Tatort (940) aus Berlin: Das Muli (2015)

Ein durchaus bedeutender Pluspunkt war für mich die Tatsache, dass mehr als bei dem Vorgängerteam Ritter und Stark die Stadt Berlin optisch in den Vordergrund gestellt wurde. Regisseur Stephan Wagner, rettete so, was zu retten war (Wagner inszenierte zuvor die absoluten Tatort-Highlights Borowski und die Frau am Fenster (2011) und Gegen den Kopf (2013) mit dem Berliner Ermittlerteam Ritter und Stark). So gab auch einen Abstecher zum neuen Flughafen Berlin Brandenburg (BER) , der zum Mittelpunkt des Showdowns wurde.

Schwachpunkt für mich ist das Drehbuch von Stefan Kolditz, der zuvor hauptsächlich Drehbücher für die Polizeiruf 110-Serie geschrieben hat. Da konnten auch die Schauspieler nicht viel richten. Erwähnenswert ist dabei neben dem bereits erwähnten Theo Trebs als liebevoll für die Schwester sorgenden Bruder Carolyn Genzkow als junge Hospitantin Anna Feil, die wesentlich zur Auflösung des Falles beitrug. Allein die Namen (Rubin und Karow – statt Rubin war zunächst Rothe geplant – warum nicht Diamant und Viereck?) sind bescheiden.

Das Open End des Falles lässt vermuten, dass uns diese Drogengeschichte (samt Vorgeschichte zu Kommissar Karow) noch eine weitere Episode verfolgen wird. Es kann dann eigentlich nur besser werden.

Okay, dieser Tatort kam reichlich rasant daher. Allein die Eingangssequenz von rund 13 Minuten wartete mit mehr als einem Dutzend Spielorten und mit noch mehr Akteuren auf. Aber ein Aktionsgewitter macht noch keinen wirklich guten Tatort aus. Ähnlichkeiten mit den Till-Schweiger-Tatorten (z.B. Schauplatz Bauruine Elb-Philharmonie hier, Schauplatz Bauruine BER dort) sind nicht von der Hand zu weisen. Psychologische Schärfe geht dabei verloren oder zeigt sich nur plakativ. Zeichnet sich so ein Generationswechsel beim Tatort ab? Warten wir die anderen neuen Teams ab, die sich bereits in den Startlöchern befinden (Nürnberg/Franken mit dem Team Voss/Ringelhahn/Goldwasser/Fleischer am 12. April, Frankfurt mit Brix/Janneke am 17. Mai und danach Dresden mit den Ermittlern Gorniak/Sieland/Mohr/Schnabel).

Nicht, dass ich Ritter und Stark unbedingt nachtrauere. Der groß gewachsene Großstadtcowboy Till Ritter und sein eher klein geratener Kollege mit dem Sportrad, Felix Stark, hatten deutlich mehr Charisma als die neuen Tatort-Ermittler aus Berlin. Und mit der Folge ‚Vielleicht‘ hatte Boris Aljinovic als Felix Stark (Dominic Raacke hatte schon zuvor das Handtuch geworfen) auch noch einen interessanten, vielleicht starken Abgang.