Kategorie-Archiv: Literatur

WilliZ Welt der Literatur

Willis Plaudereien (2): Altwerden ist nichts für Feiglinge

Irgendwo habe ich den Spruch gelesen oder gehört. Er stammt vom Schauspieler und Moderator Joachim ‚Blacky‘ Fuchsberger und ist wohl der Titel eines Buchs von ihm. Zum Altwerden und zum Alter selbst gibt es viele ‚schlaue‘ Sprüche. Schon Jonathan Swift meinte: „Jeder möchte lange leben, aber keiner will alt werden.“ Und der Philosoph Arthur Schopenhauer sagte oder schrieb etwas weit ausholend: „Nur wer alt wird, erhält eine vollständige und angemessene Vorstellung vom Leben, indem er es in seiner Ganzheit und seinem natürlichen Verlauf, besonders aber nicht bloß wie die übrigen von der Eingangs- sondern auch von der Ausgangsseite übersieht.“ Nun, denn …

Die Schauspielerin Christine Kaufmann hingehen behauptete: „Ich interessiere mich für ein gutes Leben, nicht für ein langes.“ – Wie wäre es mit einem guten UND langen Leben?

Bemerkenswert, dass sich gerade Schauspieler zum Alter bekennen können, obwohl sie sich doch gern als Immerjunge zu präsentieren hoffen. So meinte Jack Nicholson: „Älter werden heißt auch besser werden.“ Und Walter Matthau: „Der zweite Frühling kommt mit den dritten Zähnen.“ Mühevoll werden hier die guten Seiten des Altwerdens hervorgekramt. Das klingt dann auch eher nach Beschönigung als nach Bestätigung durch eigene Erfahrung.

Robert Mitchum brachte es auf den Punkt: „Nichts macht so alt wie der ständige Versuch, jung zu bleiben.“ Oder gewissermaßen im Umkehrschluss: „Man wird alt, wenn die Leute anfangen zu sagen, daß man jung aussieht.“ (Karl Dall)

Aber genug der Sprüche!

Willi mit Helm in lila (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)
Willi mit Helm in lila (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)

Wann genau beginnt eigentlich der Prozess des Altwerdens? Okay, man könnte sagen: Mit der Geburt! Jeden Tag wird der Mensch dann älter. Ich meine natürlich etwas anderes: Wie eine Blume so wächst der Mensch zunächst. Und ab einem bestimmten Zeitpunkt fängt die Blume an zu blühen. Die Knospe springt auf, die Blütenblätter entfalten sich, bis … ja, bis der Augenblick kommt, in der die Blume zu verblühen beginnt. Diesen Wendepunkt im Leben meine ich.

Gehen wir von einem durchschnittlichen Alter von etwa 80 Jahren aus, dann wäre dieser Umschwung vom Jungsein ins Altwerden vielleicht in der Mitte, also im Alter von 40 Jahren auszumachen. Ich habe viele Frauen kennengelernt, als sie 40 Jahre alt waren: Sie standen ‚in voller Blüte‘, wie man (sic!) so schön sagt. Es ist also schon etwas dran mit der Altersmitte als Wendepunkt.

Ich erinnere mich allerdings daran, irgendwann und irgendwo (mit dem Alter ist das so etwas mit dem Erinnern) gehört oder gelesen zu haben, dass der Alterungsprozess bereits Anfang der Zwanziger-Jahre beginnt. Ab da geht es bereits ‚bergab‘!

Es ließe sich viel über das Altern sagen, kluge Köpfe haben sich darüber Gedanken gemacht. Und so gibt es Wissenschaften, die sich mit dem Alter beschäftigen wie die Gerontologie, die Alters- und Alternswissenschaft, oder die Geriatrie, die Alters- oder Altenmedizin.

Das Altern ist ein fortschreitender, bisher nicht umkehrbarer biologischer Prozess der meisten mehrzelligen Organismen, der graduell zum Verlust der gesunden Körper- und Organfunktionen, schließlich zum biologischen Tod führt.

Dabei ist Altern ein physiologischer Vorgang und keine Krankheit. Das British Medical Journal veröffentlichte 2002 eine ‚Liste der Nicht-Krankheiten‘ (dat dat dat gifft, wie der Bremer sagt: Was es nicht alles gibt – wortwörtlich etwa: Das es das gibt …). Die Leser wählten dabei ‚Altern‘ (ageing) an die erste Stelle der Nicht-Krankheiten. Aus dem Bereich der Anti-Aging-Bewegung vertreten einige die Meinung, dass Altern sehr wohl eine Krankheit ist, die zu bekämpfen sei.

Ob nun Krankheit oder nicht: Das Altern hat oft mit Krankheiten zu tun. Kaum einer (ich behaupte: keiner!), der nicht völlig gesund 100 Jahre alt wird. Das Altwerden erkennen wir meist daran, dass uns nach und nach Zipperlein, das eine oder andere Wehwehchen heimsucht. Natürlich lässt sich das meist hinauszögern (Sport treiben, gesund essen, kein Alkohol und kein Tabak), aber am Ende erwischt es trotzdem alle.

Am Schluss meiner Plaudereien möchte ich noch etwas politisch werden. Willy Brandt sagte einmal: „Eine Gesellschaft … die das Alter nicht erträgt … wird an ihrem Egoismus zugrunde gehen.“ – Ich kann junge Menschen sehr wohl verstehen, die sagen, dass sie die Renten der Alten finanzieren, die Alten aber über die Zukunft der Jungen entscheiden. Ich will mich hier nicht über das Rentensystem auslassen, nur darauf hinweisen, dass die Rentner ihren Rentenanspruch dadurch erworben haben, indem sie von ihrem Einkommen ebenfalls viel Geld in die Rentenkassen haben einzahlen müssen. Hinzu kommt, dass das sich sammelnde Kapital bei den Rententrägern dann für andere Zwecke (Renten für Ostbürger, Mütterrenten usw.) aufgebraucht wurde und die heutigen Renten im Grunde nur noch durch die aktuellen Beitragszahlungen (und Steuergelder) gedeckt werden. Es soll zudem alte Menschen geben, die durchaus auch an die Zukunft der jungen Menschen denken und sich z.B. für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. Es könnte doch sein, dass diese alten Leute Kinder haben, denen sie eine lebenswerte Zukunft wünschen. Und: Auch junge Menschen werden einmal alt (außer: Wer nicht alt werden will, muss vorher sterben!)

Altwerden ist nichts für Feiglinge! Da ist leider etwas dran: Mag es schon mit Anfang zwanzig oder erst mit vierzig Jahren langsam bergab gehen. Spätestens mit 60 geht es dann rapide den Berg hinunter. Ich habe manchmal das Gefühl, dass jeden Tag ein neues den sich schon reichlich angesammelten Leiden hinzukommt. Die Zähne und Knochen werden morsch, Rücken und Gelenke schmerzen, die Muskeln schwinden. Die Augen und Ohren werden schwächer. Das Gedächtnis lässt nach.

Bleibt uns im Alter nur noch die Weisheit der Alten. Damit ist es leider auch meist nicht weit her. Lasse ich dazu abschließend Leonardo da Vinci zu Wort kommen: „Was man in seiner Jugend erwirbt, dient im Kampf gegen das Elend des hohen Alters. Und wenn du willst, daß dein Alter sich aus Weisheit nähre, so sorge dafür, solange du jung bist, daß es in deinem Alter nicht an Nahrung mangelt.“

Fortsetzung siehe: Willis Plaudereien (4): Alt und blöd

Willis Plaudereien (1): Willi trägt Helm

Ich, Willi, trage Helm. Ähnlich wie Majestix, dem Ober-Gallier, trage ich die Sorge, der Himmel könne mir auf dem Kopf fallen. Eigentlich nicht, es könne mir ‚von oben‘ etwas auf das kluge Köpflein fallen, nein, eher dient der Helm zum Schutz gegen die ‚Gefahren‘ von den Seiten. Und es sind ja nicht die unmittelbaren Gefahren wie herumfliegende Gegenstände, sondern eher die, die mich indirekt bedrohen. Es ist all das, was uns alle gefährdet, wie der ‚Wandel‘, der auf leisen Tretern daherkommt.

Willi mit Helm (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)
Willi mit Helm (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)

Ojemine, der gute Willi dreht durch, denken jetzt viele von Euch. Nein, ich bin nicht zur Aluhut-Fraktion gewechselt, halte Verschwörungstheorien rund um Chemtrails für Unfug (aber man weiß ja nie?! 😉 ) und halte Impfungen für sinnvoll (leider gibt es bisher keinen Impfstoff gegen Dummheit).

Der Wandel, den ich meine, ist der, dem wir immer vermehrt begegnen. Der Wandel des Klimas (das Thema dieser Tage) und den Wandel unserer friedlichen in eine hasserfüllte Gesellschaft. Saßen all die Dumpfbacken früher an ihren Stammtischen, so bevölkern sie heute die sozialen Medien. ‚Nieder mit Facebook & Co.!‘ könnte man da rufen!

Mein Helm ist also nur ein Symbol für mein etwas anders geartetes Sicherheitsbedürfnis. Bleibt mir also vom Leib mit Euren hirnverbrannten Verschwörungstheorien, Hoaxes (davon berichtete ich in diesem Blog bereits Mitte 2005) und Fake News.

Und den Helm trage ich nicht täglich. Eigentlich trug ich ihn nur einmal, zuletzt während eines Besuchs der Edelsteinminen in Idar-Oberstein. Nicht, dass ich mich nun auf die Suche nach Wertvollem gemacht hatte, materiell Wertvollem. Edelsteine haben sicherlich etwas Anziehendes. Aber statt nach Achaten, glitzernden Bergkristallen, Amethysten, Rauchquarzen usw. (oder gar Diamanten) suche ich lieber nach geistigen Schätzen. Für die Fahndung nach ideellen Kostbarkeiten benötige ich dann auch keinen realen Helm. Und eine Spitzhacke ist dann auch nur im Sinnbildhaften notwendig.

Aber ich schweife ab. Wie so oft bei Plaudereien, wenn wir vom eigentlichen ‚Weg‘ abkommen und vom berühmten Hundertsten ins Tausendste kommen. Solange wir Ariadnes Faden nicht verlieren. Oder den roten Faden (hier: der Helm!)!

Aber für heute genug geplaudert. Das Wochenende naht. Schnell noch die Bleistifte gespitzt, damit ich mich in der neuen Woche am Montag gleich ohne Verzögerung auf die Arbeit stürzen kann (Wer lacht da?). Noch einmal die Däumchen 24 Mal um sich selbst gedreht! Und ab geht die Post: Euch schon mal ein schönes Wochenende (soll ja etwas stürmisch bei sommerlichen Temperaturen werden)!

Dit un dat im Internet (9)

Trump – Klappe, die erste: Und jetzt … NICHT ins fu**in‘ Weiße Haus

Auf die Frage in einem Interview hin, ob sie bei einem Sieg der US-amerikanischen Mannschaft bei der Fußball-WM der Frauen einer Einladung des Präsidenten ihres Landes in dessen Amtssitz Folge leisten würde, antwortete Megan Rapinoe: „Ich gehe nicht ins fu**ing Weiße Haus!“

Auf einer Pressekonferenz bei der Weltmeisterschaft in Frankreich nahm Rapinoe das Schimpfwort zurück, stand aber weiterhin klar zu ihrer Aussage, nicht ins Weiße Haus gehen zu wollen. Sie ermutigte auch ihre Teammitglieder, die Einladung nicht anzunehmen, um Trump keine Bühne zu bieten.

Donald Trumps Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Sie solle erstmal GEWINNEN bevor sie REDET! Beende den Job!

Nun sind die US-Amerikanerinnen Weltmeister geworden und Megan Rapinoe zudem beste Spielerin und beste Torschützin des Turniers. Sie hat also ihren Job getan! Da wurde selbst Trump kleinlaut …

Übrigens: Neben Rapinoe hatten unter anderem Alex Morgan, Ali Krieger und Becky Sauerbrunn angekündigt, sich den Ausflug nach Washington zu schenken.

Trump – Klappe, die zweite: Ehrliche Einschätzung eines Botschafters

Die britische Zeitung „Mail on Sunday“ hatte am letzten Sonntag die eigentlich für das Außenministerium in London bestimmten Berichte des britischen Botschafters in den USA, Kim Darroch, publik gemacht. Der schrieb u.a., dass er Zweifel hege, ob das Weiße Haus „jemals kompetent wirken“ werde. Mit Trump könne man sich nur verständigen, indem man sich mit einfachen Worten und unverblümt ausdrücke. Er hält die Regierung Trump für dysfunktional, unberechenbar; gespalten, diplomatisch ungeschickt und unfähig.

Wem erzählt er das?

Horde oder Individuum

Für mich zählt er zu den bedeutendsten Schriftstellern unserer Zeit: Mario Varga Llosa. Jetzt hat er mit Der Ruf der Horde eine intellektuelle Autobiografie verfasst:

Er begann als Kommunist und entwickelte sich zu einem glühenden Verfechter des Liberalismus. Das Leben des Schriftstellers Mario Vargas Llosa hat selbst das Zeug zum Gesellschaftsroman. Nächtelang stritt er mit Fidel Castro, speiste mit Margaret Thatcher und eroberte mit seinem Freund Gabriel García Márquez die literarische Welt. Nun hat der peruanisch-spanische Nobelpreisträger unter dem Titel «Der Ruf der Horde» seine intellektuelle Autobiographie vorgelegt. Darin lässt er unter anderen Adam Smith oder Karl Popper aufleben: Philosophen, die sein liberales Denken geprägt haben.

Mario Marqués de Vargas Llosa
Foto: Daniele Devoti – Padova, Italien (13. Juni 2010)

Gegen den „Ruf der Horde“ (Karl Popper), gegen den weltweit grassierenden, primitiven Populismus vergegenwärtigt Mario Vargas Llosa die Traditionen des Liberalismus, die ihn geprägt, bereichert und ein ganzes Leben lang geleitet haben – als politischen Schriftsteller wie als schreibenden Politiker.

Für seine politischen Überzeugungen ist der peruanische Nobelpreisträger jahrzehntelang kritisiert, beschimpft und angefeindet worden – aber was, wenn er recht hatte? Und welche Denker, welche Bücher haben ihm zu diesen Überzeugungen verholfen?

Mit essayistischer Verve und analytischem Scharfsinn schreibt Mario Vargas Llosa über seine Heroen des historischen Liberalismus, über Adam Smith, José Ortega y Gasset, Friedrich Hayek, Karl Popper, Raymond Aron, Isaiah Berlin und Jean-François Revel. Denn sie haben ihn mit einer ganz anderen Denkungsart vertraut gemacht, mit einer Denkungsart, die das Individuum stets höher stellte als die „Horde“, die Nation, die Klasse oder die Partei und die die freie Meinungsäußerung immer schon als fundamentalen Wert für das Gedeihen von Demokratie zu verteidigen wusste.

„Perfektes Gegenmittel gegen einen derzeitigen Trend, der so viele Menschen in die Arme von Scharlatanen, ruchlosen Mächtigen, charismatischen Demagogen zu treiben droht.“ (El Imparcial)

Zu Hause in Madrid erklärt Vargas Llosa, was ein wahrhaft freies Leben ausmacht – und welche politischen Strömungen dieses derzeit besonders bedrohen.

Er ist einer der großen Schriftsteller unserer Zeit, und einer der wichtigsten politischen Denker. Im Gespräch mit Wolfram Eilenberger spricht der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa über die Kraft der Fiktion, dem Sieg der Bilder über die Ideen, die Bedrohung durch den Populismus und die philosophischen Quellen seines Schaffens.


Mario Vargas Llosa: Freiheit, die ich meine (Sternstunde Philosophie) – SRF 2019

Zuletzt:

Für die, die es nicht schlimm finden, wenn sie aller Orten (im Internet, per Videokamera usw.) überwacht werden:

„Zu sagen, das Recht auf Privatsphäre sei egal, weil man nichts zu verbergen hat, ist nicht anders als zu sagen, Meinungsfreiheit sei egal, weil man keine Meinung hat.“ Edward Snowden

… wie 70 Einheiten Strafarbeit

Lange ist es ja nicht mehr hin. Aber je näher das Ziel kommt, umso anstrengender wird es. Marathonläufer kennen das bestimmt: Zehn Kilometer sind hinter sich gebracht worden, dann zwanzig, gar dreißig. Aber längst schmerzen die Muskeln, und statt sich mit jedem Meter dem Ziel zu nähern, scheint es sich von einem zu entfernen.

Ich sehe mich schon torkelnd und taumelnd der Ziellinie nähern. Noch einmal tief Luft holen. Vielleicht auch noch ein kräftiger Schluck aus der Buddel! Das Ziel heißt: Rente!

Es sind gerade noch 70 Tage, die ich – ziehe ich Urlaub, Wochenend- und Feiertage ab – noch zu arbeiten habe. Wäre im März 2007 von einer schwarz-roten Bundesregierung nicht die Rente mit 67 Jahren beschlossen worden, dann wäre ich längst im Ziel. So aber darf ich dank einer Übergangslösung zu meinen 65 Lenzen noch acht weitere Monate den Bleistift schwingen resp. die Computermaus schütteln.

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Das Rotlicht(-Milieu) bekommt mir nicht

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Natürlich gibt es viele Faktoren, die mir diese letzten Tage wie eine nicht enden wollende Durststrecke vorkommen lassen, z.B. schönstes Sonnenwetter, das mich lieber im Garten verweilen sähe als in einem muffigen Büroraum. Die vertane Zeit für Fahrten zwischen Heim und Arbeit. Vom Generve auf der Arbeit ganz zu schweigen (genug ist genug!).

Ich sehe mich wie der Wanderer in der Wüste, der nahe der Quelle in der rettenden Oase doch noch zusammenbricht, um zu verdursten. Wie der angeschlagene Boxer, den nur der nächste Gongschlag vor dem K.O. retten kann, für den aber jede Sekunde wie eine Unendlichkeit vorkommt. Es ist Strafarbeit wie Steineklopfen, die längst nicht mehr freiwillig getan wird. Selbst Jesus flehte am Ende seiner Qualen darum, den Kelch an sich vorbeiziehen zu lassen.

Ich übertreibe? Erst wenn ich im Ziel bin, werde ich von meinem Leiden erlöst sein. Hier ist der Weg längst nicht mehr das Ziel. Das Ziel ist der Weg, der dann erst kommt! Der Weg fern vom alltäglichen Trott, weg von Problemen, die nicht die meinen sind. Sich nicht mehr mit Dingen beschäftigen müssen, die mich eigentlich nicht betreffen.

Aber bis dahin sind es noch 70 lange Tage (eher weniger!), 70 viel zu lange Tage …

Empfehlung – Zum Welttag des Buches 2019

Du bist nervös. Drum lies doch mal
Das Buch, das man dir anempfahl.
Es ist beinah wie eine Reise
Im alten wohlbekannten Gleise.
Der Weg ist grad und flach das Land,
Rechts, links und unten nichts wie Sand.
Kein Räderlärm verbittert dich,
Kein harter Stoß erschüttert dich,
Und bald umfängt dich sanft und kühl
Ein Kaumvorhandenseinsgefühl.
Du bist behaglich eingenickt.
Dann, wenn du angenehm erquickt,
Kehrst du beim »stillen Wirte« ein.
Da gibt es weder Bier noch Wein.
Du schlürfst ein wenig Apfelmost,
Ißt eine leichte Löffelkost
Mit wenig Fett und vieler Grütze,
Gehst früh zu Bett in spitzer Mütze
Und trinkst zuletzt ein Gläschen Wasser.
Schlaf wohl und segne den Verfasser!

    Wilhelm Busch

Wilhelm Busch (hierzu meine Buchempfehlung: Das große farbige Wilhelm Busch Album)

Valentin und Rilke

Und da war da noch der Valentinstag, der heutzutage besonders der Floristik- und der Süßwarenindustrie dient. An unsere besonders Lieben gedenken wir doch eigentlich jeden Tag. Wenn wir heute an jemanden allen heiligen Valentinen zum Trotz ‚besonders‘ (ge-)denken, dann sicherlich an Karl Valentin (mit scharfem V). Und so verneigen wir uns vor diesen Sprachanarchisten und Wortzerklauberer ungeachtet der Aversionen der Norddeutschen gegen alles Bajuwarische – wie sagte er u.a.: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“ (siehe auch weitere Valentin-Zitate).

    Prost, Karl Valentin

Damit’s hier doch noch etwas poetisch wird, greifen wir zu Rilke, der übrigens u.a. auch Karl hieß, und widmen das kleine Gedicht all denen, die ‚mit uns gehen mögen wollen; sie dürfen sich gern trauen.‘

Weißt du, ich will mich schleichen

Weißt du, ich will mich schleichen
leise aus lautem Kreis,
wenn ich erst die bleichen
Sterne über den Eichen
blühen weiß.

Wege will ich erkiesen,
die selten wer betritt
in blassen Abendwiesen –
und keinen Traum, als diesen:
Du gehst mit.

Rainer Maria RilkeDas dichterische Werk

Martin Walser: Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte

    Aber darstellen will ich mich nicht als Wortjongleur, sondern als Mensch, als Person.
    Martin Walser: Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte (S. 7)

Was das Sexuelle angeht, wird in der einschlägigen Literatur relativ gesichert festgestellt: Männer fantasieren anders als Frauen. Sie reagieren viel stärker auf optische Schlüsselreize. Frauen finden es erotischer, Geschichten zu hören. Männer reagieren auf das, was sie sehen. (Quelle: zeit.de/zeit-magazin/)

Ein gutes Jahr nach seinem Roman Statt etwas oder Der letzte Rank veröffentlichte Martin Walser sein nächstes Werk, den vor gut 10 Monaten erschienenen Roman Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte, 1. Auflage (27. März 2018) – Rowohlt, Reinbek bei Hamburg. Felicitas von Lovenberg schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Seit einem halben Jahrhundert ist Martin Walser unser Gewährsmann für Liebe, Ehe, Glaube und deutsche Befindlichkeiten. Ein Lustwandler seiner Ausdruckswelt.“ Und natürlich kommen dabei der Sex und speziell Männerphantasien nicht zu kurz. Walser beschreibt. Aber mit zunehmendem Alter, und Martin Walser ist inzwischen über 90 Jahre alt, wird ihm nunmehr das von ihm Geschriebene persönlich angelastet: das Wort, der Vorwurf der Altersgeilheit findet sich in vielen Rezensionen zu seinen Romanen.

Nein, ich will Martin Walser hier nicht verteidigen. Aber ich kann nicht den oft vernommenen Kritiken dieser lediglich den eigenen reflexhaften Vorurteilen erliegenden Walser-Beurteilern folgen, die mit Freuden den Köder schlucken, den Walser auslegt. Ich gestehe allerdings, dass es mir der Roman ‚ Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte‘ nicht leicht gemacht hat, wenn der Protagonist des Romans mit Donald Trump sympathisiert oder sich permanent von „Weibsattacken“ tyrannisiert fühlt.

Jener Justus Mall, der sich aufgrund eines ‚Vorfalls‘ vom Oberregierungsrat namens Dr. Gottfried Schall zum Philosophen ‚mausert‘, macht es dem Leser wirklich nicht leicht. Aber beginnen wir am Anfang. Im so genannten Klappentext steht geschrieben:

„Was, bitte, wäre ich lieber als ich? Alles andere als ich.“ Das sagt Justus Mall, der früher einmal anders hieß. Oberregierungsrat war er, zuständig für Migration, aber dann kam der Tag, an dem er etwas Unbedachtes machte, und seitdem ist er Philosoph, zuständig für alles und nichts. Doch das ist nicht das einzige Dilemma seines Lebens. Tag und Nacht liegt er im Streit mit den Umständen, zu denen er es als Liebender hat kommen lassen. Ist es vielleicht leichter, keine Frau zu haben als nur eine? Er jedenfalls liebt zwei, und weil das nicht gehen kann, beginnt er, einen Blog zu schreiben – auf der Suche nach einem Menschen, der genau das ist, was ihm fehlt.

Was für ein sagenhaftes Paradox. Ein Mann, für den Wirklichkeit ein Gespinst aus erfundenen Fäden ist, hofft, ausgerechnet in einem Weblog so etwas wie Nähe zu finden. Er richtet seine Selbstgespräche an eine unbekannte Geliebte und weiß doch, sie ist nicht mehr als eine Illusion. In früheren Romanen ließ Martin Walser noch Briefe und E-Mails hin und her gehen, in „Gar alles“ gibt es das nicht mehr. Hier ruft einer ins Irgendwo, ist zurückgeworfen auf sich selbst, hat für das, was er empfindet, keinen Adressaten mehr. Ein völlig geklärt geschriebener Roman über lauer Ungeklärtes, ein in seiner existenziellen Dringlichkeit ungeheuerliches, überwältigendes Buch.

Martin Walser: Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte
Martin Walser: Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte

Jener Justus Mall will „künftig nur noch Überflüssiges […] verfassen, um dadurch einen utopischen Kontrast zum zeitgenössischen Zweckrationalismus zu entwerfen.“

Aber konzentrieren wir uns auf jenen Vorfall, auf das Unbedachte, das Gottfried Schall tat, bevor er zum Philosophen Justus Mall wurde. Walser schreibt:

[…] Es geschah bei einem Opernbesuch, in der zweiten Pause von “Tristan und Isolde”. […]
Da sie auf einem Barhocker saß und er an der Bar stand, liefen an ihm in Brusthöhe vorbei ihre gleißenden Oberschenkel und ihr rot-schwarzes Rockrüschengewell. Auf einmal war sie nicht mehr der Bartheke zugewendet, sondern halb zu ihm gedreht. Warum, das erfuhr er erst später durch das von ihr verfasste Protokoll. Ein kleiner Wortwechsel zwischen ihr und ihrem Begleiter, der rechts neben ihr saß. Sie sagte: Franz, du spinnst, und drehte sich weg, also zu Justus Mall hin. Natürlich, ohne das zu wollen. Aber er, der dicht neben ihrem Hocker stand, erlebte das so, als habe sie sich zu ihm gedreht. Er wusste, dass sie ihn nicht meinte, nicht meinen konnte, aber er machte in der Laune, in der er durch „Tristan“ plus Alkohol war, einen Scherz, das heißt, er begrüßte sie, als habe sie sich absichtlich zu ihm gedreht, und mehr noch begrüßte er ihre Schenkel. Sink hernieder, Nacht der Liebe, singsangte er und tippte mit einem Zeigefinger auf die gleißende Schenkelrundung, als wolle er sagen: Du, Schenkel, bist die Nacht der Liebe. Dass er, was er da tat, selber als riskant empfand, drückte er dadurch aus, dass er ihr nur mit der Spitze des Zeigefingers seiner rechten Hand auf den Schenkel tippte, dann die Hand sofort zurückzog, als erschreckte er über das, was er da gerade getan hatte. Es war deutlich ein gespieltes Erschrecken! Er hatte doch die Hand so jäh zurückgezogen, als habe er die Zeigefingerspitze auf einer glühenden Herdplatte verbrannt. Um das Spielerische zu betonen, prostete er ihr sofort mit dem Champagnerrest zu, und sie, die auch ein Glas in der Hand hatte, erwiderte sein Prosit. Beide tranken. Dann drehte sie sich sofort wieder zur Bar und damit zu ihrem Begleiter. Auch er war gleich wieder bei seiner Frau, die auf dem Barhocker links neben ihm saß und nichts mitgekriegt hatte, weil sie sich vom Barkeeper sagen ließ, warum dieser Champagner so gut sei.

[…]

Natürlich hatte diese Frau ihn nicht wahrgenommen. Angeschaut hat sie ihn, wie man einen Irren anschaut. Jetzt noch spürte er, wie er sich, so angeschaut, gefühlt hat. Einsam. Er hatte gerade noch sein Um-bemerkt-werden-Betteln in etwas Lustiges hinübergelogen. Dieses Zugleich! Ihre Schenkel, die wilden Rockrüschen, sein Zeigefinger, der Satz aus der Oper, ihr Blick, sein Prosit, ihre Prosit-Entgegnung, das alles messbar kurz, unmessbar intensiv, unmessbar. (S. 79 ff.)

Dieser Vorfall, der stark an die Verbalattacke eines Herrn Brüderle erinnert, hatte Konsequenzen:

Einen Tag später gab es sie wieder. Und wie! In der Süddeutschen Zeitung berichtete die Praktikantin Suse Kranz, was ihr in der zweiten „Tristan“-Pause passiert ist. Ein Oberregierungsrat aus dem Justizministerium hat sie, die mit einem Freund an der Bar saß, grob begrapscht und hat dazu auch noch obszön geredet, nämlich: Ihr Rock sei kürzer, als es die Straßenverkehrsordnung erlaube, und jetzt sei dieser Rock auch noch so weit hochgerutscht, dass man von einer Schenkel-Emanzipation sprechen könne.

Am Tag darauf ein Interview mit der Praktikantin. Sie hat den Grapscher gekannt […].
Am Tag darauf war es in allen Zeitung: Frauen müssten geschützt werden vor den Grapschern der Altherren-Riege.
Die Süddeutsche brachte ein Interview mit dem Grapscher. Er konnte nicht abstreiten, was die Praktikantin zitiert hat, aber daran erinnern, dass er das und das gesagt habe, konnte er sich nicht. Dann wurde die Barszene genau rekonstruiert. Mit ihm. Im Gespräch. Er fand, dieses als Interview veranstaltete Gespräch sei ein Verhör. Das sagte er auch, und das stand dann auch in der Zeitung und was er zu seiner Rechtfertigung sagte.
Wie sehr ihn dieses Verhör aufregte, zeigen seine Formulierungen. Die Welt sei nicht mehr alles, was der Fall ist, sondern alles, was Frau ist! Wo du hinschaust, lächelt, lacht, grinst dir eine Frau entgegen und streckt dir alles hin, ihre Haare, ihre Brüste, ihre Beine. Er finde das, sagte er, nicht furchtbar, sondern herrlich. Aber er möchte auch reagieren dürfen. Er möchte sagen dürfen, dass er sich andauernd verführt fühle. Und wenn dann wirklich einmal ein solches Geschöpf in greifbare Nähe kommt, dann langt man eben eine Zehntelsekunde lang hin und sagt dazu noch irgendeinen Fast-Unsinn. Alles wegen dieses gleißenden Oberschenkels! Es gibt wahrscheinlich keinen Mann in der ganzen Welt, der, wenn ihm so ein Oberschenkel passiert, davon unberührt bleiben könnte. Vielleicht würde nicht jeder mit der Fingerspitze hintippen und dann den Erschreckten spielen, aber er könne, was er da getan hat, was ihm passiert sei, nicht nur nicht abstreiten, er müsse, was er mit einer Fingerspitze eine Zehntelsekunde lang vollbracht habe, immer noch bejahen, vertreten, ja sogar rühmen! Es sei eine Geste der Anbetung gewesen, der Verehrung, ein religiöser Akt. Allerdings gewidmet nicht einem unbekannten Gott, sondern dem wunderbaren Schenkel einer Frau.

Dann wurde er konfrontiert mit dem Wort Altersgeilheit. Er, wütend: Er bitte um Aufklärung! Nicht, dass er je mit so etwas zu tun habe, er wolle nur wissen, ob ein Fünfundfünfzigjähriger anders geil sein als ein Fünfundzwanzigjähriger! Gebe es dafür ein physiologisches Datum? (S. 82 f.)

Ohne Zweifel geht Martin Walser – auch in seiner Ausführlichkeit der Schilderung – viel zu weit. Wenn das sein Beitrag zur #MeToo-Debatte sein soll, dann hat er scheinbar nicht viel begriffen. Ich schreibe scheinbar, denn ich glaube immer noch, dass Walser sich hier bewusst in die Sichtweise des ‚Täters‘ versetzt hat, um – wie soll ich es sagen? – nicht allein das ‚Opfer‘ zu Wort kommen zu lassen. Christoph Schröder (Die Zeit) fasst es so zusammen:

Ganz im Unterschied zum vorangegangenen Buch Statt etwas oder Der letzte Rank, das in seiner Offenbarungskraft eine geradezu erschütternde Radikalität hatte, ist Gar alles ein matter Wiederaufguss. Der Tonfall ist nicht selbstreflexiv, sondern larmoyant. Statt etwas war ein hoch interessantes, poetologisch zu lesendes Buch; Gar alles ist bestenfalls der Versuch der Vorführung eines aktuell ins Visier der Öffentlichkeit geratenen Typus: Der alte, geile, weiße Mann zeigt sich in seiner ganzen Unappetitlichkeit.

Und dann ist da noch der Passus zu Donald Trump, dem derzeitigen US-Präsidenten:

[…] ich habe Mr. Trump von Anfang an, seit er im Wahlkampf gegen Mrs. Clinton angetreten ist, auch als eine Belebung erlebt. Nie hätte ich Hillary Clinton wählen können. Dass er Sätze gesagt hat, die peinlich sind, hat mich für ihn eingenommen. Nicht weil diese Sätze tatsächlich peinlich und unanständig waren, sondern weil er solche Sätze gesagt hat. Er hat sich deutlicher gezeigt als je ein Kandidat vor ihm. Er hat weniger gelogen als je ein Kandidat vor ihm. Ich wusste, woran ich bei ihm bin. Und das ist so geblieben. (S. 89).

Das Ganze steht unter dem Datum 1. April 2017. Also ein Aprilscherz? Wer halbwegs bei gesundem Menschenverstand ist, muss anerkennen, dass sich Trump tatsächlich deutlicher gezeigt hat und zeigt als je ein Kandidat vor ihm. Wie sonst lässt sich ein Urteil über ihn fällen, das ihn als Katastrophe ausweist. Wenn Trump lügt, dann lügt er offensichtlich und nachweisbar. Bei all den anderen Politikern ist der Nachweis ihrer Lügen weitaus schlechter zu führen.

Nun, Walsers Roman schmeckt nicht jedem. Auch bei mir verursachte er leichte Verdauungsstörungen. Wenn Walser provozieren wollte, so ist es ihm wohl gelungen. Er ist der immer noch der eloquente, in diesem Roman im Tonfall leider auch sentimental-weinerliche Wortjongleur.

Martin Walser: Statt etwas oder Der letzte Rank

Die Zeit seiner großen Romane ist längst vergangen. Aber trotz seiner mehr als 90 Jahre schreibt er immer noch: Martin Walser, einer der bekanntesten Nachkriegsliteraten (bezogen auf den 2. Weltkrieg und die Zeit nach 1945), wenn dieser Begriff auch lange schon nicht mehr verwendet wird. Heinrich Böll, Günter Grass, Max Frisch oder Uwe Johnson, um nur einige zu nennen, haben längst das Zeitliche gesegnet. Martin Walser ist der letzte noch lebende Autor, der sich als Berichterstatter der sich entwickelnden Bundesrepublik Deutschland hervorgetan hat. Mehrere seiner jüngsten Werke habe ich während meiner eher unfreiwillig freien Zeit in der 2. Jahreshälfte des letzten Jahres gelesen, so zunächst Statt etwas oder Der letzte Rank – 1. Auflage Januar 2017 – Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg.

Nach wie vor ist Walser ein Meister der deutschen Sprache, aber für Neueinsteiger in das Walser‘sche Werk sind diese letzten Bücher wenig geeignet. Da verweise ich auf die eingangs erwähnten großen Romane. Leser, die sich aber bereits ausführlich mit Martin Walser beschäftigt haben, kommen kaum um einen Roman wie diesen herum.

Die Gattung Roman trifft wenig auf dieses Buch zu. „Gedankenlyrik in Prosa“ wurde es genannt und es sind 52 Abschnitte voller Welt- und Selbstergründung, die nicht frei sind von einer ziemlich typisch Walser’schen Egozentrik. Das Werk handelt so von persönlichen Verletzungen und sexuellen Andeutungen und abstrahiert Biografisches in knappen pointierten Epigrammen. Und wenn diese oftmals ‚formlos, pathetisch, egozentrisch, sprachlich banal und dem intellektuellen Gehalt nach absolut uninteressant‘ erscheinen, ‚so faszinieren‘ sie ‚auf anderer Ebene. Mit „Statt etwas“ entsagt Walser allen Konventionen und wendet sich der Innerlichkeit zu, entblößt sich und seine Gedankenwelt und das in einer Konsequenz, die an Erbarmungslosigkeit grenzt‘. (Quelle: Roman Bucheli – Neue Züricher Zeitung vom 04.01.2017)

Zur Erklärung des Begriffs Rank – aus: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm

rank, m. wendung, drehung
1. schweiz. rank, wendung, krümmung des weges
2. rank, namentlich auch im wettlaufe und bei der jagd, die wendung, die der verfolgte nimmt, um dem verfolger zu entgehen

„Mit der Unwahrheit ein Glückskunstwerk zu schaffen, das ist die menschliche Fähigkeit überhaupt.“ Wer sagt das? Seine Frau nennt ihn mal Memle; mal Otto, mal Bert, er versucht zu erkennen, wie aus Erfahrungen Gedanken werden. Den Widerstreit von Interessen hat er hinter sich gelassen, Gegner und Feinde auch, sein Wesenswunsch ist, sich herauszuhalten, zu schweigen, zu verstummen. Am liebsten starrt er auf eine leere, musterlose Wand, sie bringt die Unruhe in seinem Kopf zur Ruhe. „Mir geht es ein bisschen zu gut“, sagt er sich dann, „zu träumen genügt.“

„Statt etwas oder der letzte Rank“ ist ein Roman, in dem er in jedem Satz ums Ganze geht – von größter Intensität und Kraft der Empfindung, unvorhersehbar und schön. Ein verwobenes Gebilde, auch wenn es seine Verwobenheit nicht zeigen will oder sogar versteckt. Ein Musikstück aus Worten, das dem Leser größtmögliche Freiheit bietet, weil es von Freiheit getragen ist: der Freiheit des Denkens, des Schreibens, des Lebens. So nah am Rand der Formlosigkeit, ja so entfesselt hat Martin Walser noch nie geschrieben. Ein Höhepunkt in Martin Walsers Alterswerk, ein Roman als Summe und Bilanz. (aus dem Klappentext)

Das Buch beginnt wie folgt:

Mir geht es ein bisschen zu gut. Seit dieser Satz mich heimsuchte, interessierte ich mich nicht mehr für Theorien. Alles Besitzergreifende mied ich mühelos. Das war mein Zustand: ich merkte, dass mich auch das Umständliche nicht mehr interessierte. Dazu war ich von selbst gekommen. Glaube ich. Genau weiß ich nichts. Zum Glück war das Bedürfnis, etwas genau wissen zu wollen, erloschen.

[…]

Mir geht es ein bisschen zu gut.
Dass ich noch Sätze brauchte, war kein gutes Zeichen. Erstrebenswert wäre gewesen: Satzlosigkeit. Ein Schweigen, von dem nicht mehr die Rede sein müsste. Und ich hörte mich sagen: Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt.
Das war einer der Sätze, die mir den Wesenswunsch zu verstummen aufschiebbar machten.

Gewissensbisse? Dann ist dein Charakter deinen Taten nicht gewachsen!
Gewissen, das sei die innerste Einsamkeit des Menschen.

Und hier noch einige andere interessante ‚Buchstücke‘ aus dem Roman:

…, ich habe den wirklich elenden Zustand unserer Sprache, wenn es um Liebe geht, durch Sprachgirlanden ersetzt, die dem, der sie genießen kann, das Kompliment höherer Zurechnungsfähigkeit macht.

Wie lernt man vergessen, was man nicht erträgt?

Ich konnte nicht denken, was ich wollte.

Weitere Leseproben bei books.google.de

    Martin Walser: Statt etwas oder Der letzte Rank
    Martin Walser: Statt etwas oder Der letzte Rank

Hier erzählt einer, der auf sein Leben zurückblickt und begreift. Das fulminante Porträt eines Menschen, ein Roman, wie es noch keinen gab.

„In der schönsten und klarsten Sprache, die in Deutschland zurzeit geschrieben wird, verdichtet Martin Walser Erfahrung und Empfindung.“ Denis Scheck

„Es gibt keine Sätze außerhalb der Zeit. Und doch versucht Martin Walser, sich einem idealen Schreiben anzunähern, das so unmittelbar sein müsste wie Musik.“ Jörg Magenau, Die Tageszeitung

Worte zum Wochenende (3. KW 2019): Wochenend‘ und Sonnenschein

Für den, der im Berufsleben steht, gibt es kaum schönere Begriffe als Urlaub und Wochenende. Zum ersteren dichtete schon Heinz Erhardt: „Ich geh‘ im Urwald für mich hin… Wie schön, daß ich im Urwald bin: man kann hier noch so lange wandern, ein Urbaum steht neben dem andern. Und an den Bäumen, Blatt für Blatt, hängt Urlaub. Schön, daß man ihn hat!“

Worte zum Wochenende (3. KW 2019 – WilliZBlog)

Und vom letzteren sangen bereits Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre die Comedian Harmonists und verbanden es mit dem von jedem von uns so geliebten Sonnenschein.

Nach trostlosen Tagen, nasskalt und verregnet (ich nenne es Totensonntagswetter), ist es endlich bei uns hier im Norden soweit: die Sonne lässt sich wieder blicken. Und das auch noch gerade recht zum Wochenende. Da packen wir unsere Alltagsdepression in den Koffer, verschließen diesen und verstauen ihn auf dem Dachboden (wenn wir einen haben, sonst im Keller).

Allen ein schönes, sonniges Wochenende!

Genutzte Zeit zum Lesen

So einmal gut sieben Monate ohne die werktägliche Arbeit zu tun oder gar tun zu müssen, nicht morgens viel zu früh aufzustehen, nicht in vollen Bahnen zu fahren und abends eher erschöpft nach Hause zu kommen – ich habe mich daran gewöhnt. Die Zeit nach der Knie-OP und der Rehabilitation hat mir viel freie Zeit beschert, die ich genutzt habe: Endlich bin ich wieder einmal zum Lesen gekommen, habe mir auch den einen oder anderen guten Film angeguckt, war wieder für Wochen da, wohin ich gern wollte. Und wo ich am Ende des Jahres wieder sein werde.

Willi lässt sich treiben
Willi lässt sich treiben

Liegengeblieben waren die letzten Werke von Martin Walser, der ja 2017 inzwischen seinen 90. Geburtstag feierte. Zunächst ein Gespräch zwischen Walser und seinem Sohn Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich

Dann drei Romane von Martin Walser:
Statt etwas oder Der letzte Rank (2017)
Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte (2018)
Ehen in Philippsburg (sein erster Roman aus dem Jahre 1957)

Von Halldór Laxness hatte ich mir vor geraumer Zeit einmal ein ganzes Bündel Taschenbücher zum Sonderpreis zugelegt. Viele seiner Romane habe ich inzwischen gelesen – es verblieben trotzdem noch vier Romane und ein Band mit Erzählungen, die ich in der freien Zeit gelesen habe. Hinzu kommt noch eine Biografie Halldór Laxness – Sein Leben von Halldór Gudmundsson.

Die glücklichen Krieger (hier bereits besprochen)
Atomstation
Die Litanei von den Gottesgaben
Das wiedergefundene Paradies
Ein Spiegelbild im Wasser – Erzählungen

Verbleibt für mich nur noch ein Roman von Laxness, der bisher leider nicht verfügbar war, nun aber Ende Februar neu aufgelegt wird: Das Fischkonzert

Über Suzanne Vegas Album Lover, Beloved: Songs from An Evening With Carsonaus dem Jahr 2016 bin ich auf dem Roman Das Herz ist ein einsamer Jäger von Carson McCullers gekommen.

Im letzten Jahr war es fünfzig Jahre her, dass der Roman Deutschstunde von Siegfried Lenz erschien. Den Fernsehfilm dazu aus dem Jahre 1971 kannte ich. So wurde es Zeit, jetzt auch den Roman zu lesen. Inzwischen ist der Roman erneut verfilmt worden und wird ab 03.10.2019 in den Kinos gezeigt.

Außerdem hatte ich das letzte Werk von Günter Grass Vonne Endlichkait einige Zeit liegen – und während meiner ‚Freizeit‘ endlich gelesen.

Ich bin ein Freund der kleinen Bücher des Insel-Verlags. Diese muten etwas altmodisch an. Aber genau das mag ich an ihnen. Hermann Hesses Aufzeichnungen Wanderung mit Zeichnungen des Autors sind poetische Protokolle einer Wanderung und Wandlung und passen sehr gut in diese Reihe.

David Zane Mairowitz war es, der sich speziell Kafkas Roman Der Prozess annahm und daraus mit der französischen Comiczeichnerin Chantal Montellier eine Graphic Novel zauberte: Der Process – endlich habe ich das Buch zur Hand genommen.

Und wenn ich schon bei Kafka bin: Von Peter Weiss habe ich dessen Theaterstück Der neue Prozess, das am 12. März 1982 in Stockholm uraufgeführt wurde, erneut gelesen

1997 war es ein Bestseller, der Roman Die Asche meiner Mutter von Frank McCourt, in dem er seine Kindheitserinnerungen in Irland veröffentlichte. Einer meiner Schwager hatte das Buch ausgesondert, so habe ich es zu mir genommen – und im letzten Jahr gelesen.

Tom Coraghessan Boyle ist ein ziemlich schräger Vogel – und ein hervorragender Schriftsteller, der in Amerika dem historischen Roman zu neuem Ansehen verholfen hat. In seinem Roman Wassermusik erzählt er die Geschichte des (historischen) schottischen Afrikaforschers Mungo Park, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts zwei Entdeckungsreisen ins Innere Afrikas unternimmt. Er ist besessen von dem Wunsch, den Niger zu entdecken, was ihm nach allerlei Mühen auch gelingt.

Ich habe eine gewisse Vorliebe für Krimis (allerdings eher in Form von Filmen, lese aber ab und zu auch einmal einen Kriminalroman). So habe ich von Martha Grimes aus der Inspektor Jury-Reihe, von der bisher vier Folgen verfilmt wurden, den Roman Inspektor Jury geht übers Moor gelesen. Den Kriminalroman Eismond von Jan Costin Wagner habe ich erneut gelesen. Er begründete ebenfalls eine Krimi-Reihe, hier um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa.

Es las während meiner (unfreiwilligen) Freizeit noch das eine und andere Buch. Den hier erwähnten Bücher werde ich sicherlich noch etwas Aufmerksamkeit zukommen lassen, um diese zumindest in gewisser Kürze zu besprechen.

Worte zum Wochenende (2. KW 2019): Die Jungs kommen

Unsere zwei Söhne sind längst erwachsen und leben ihr eigenes Leben. Beide haben nette und hübsche Freundinnen. Der eine lebt und studiert in Mannheim; der andere wohnt bei uns im Ort, okay, zu Fuß in fünf Minuten zu erreichen (‚Dreimal lang hinschlagen und schon ist man da!‘).

Früher waren es meine Frau und ich, die Weihnachten zu unseren Eltern fahren mussten. Heiligabend waren wir noch unter uns. Am ersten Feiertag ging es dann zu meinen Eltern und am 2. Feiertag zu den Eltern meiner Frau. Jetzt sind wir es, meine Frau und ich, die zu Weihnachten besucht werden. Das ist eben der Lauf der Zeit.

So waren wir am Heiligabend zu sechst. Der jüngere der Söhne kochte (mit der Unterstützung seiner Freundin und mir). Alles war lecker und der Abend gemütlich und geruhsam. Der ältere der Söhne blieb mit seiner Freundin dann noch bis zum 28. Dezember, kochte ebenfalls etwas Leckeres für uns verbliebene Vier. Auch wenn das Wetter nicht berauschend war, so waren wir an zwei Tagen doch längere Zeit unterwegs.

Worte zum Wochenende (2. KW 2019 – WilliZBlog)

Weihnachten liegt nun schon über zwei Wochen hinter uns. Und an diesem Wochenende treffen wir uns wieder. Unsere Jungs kommen. Diesmal koche ich.