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Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Glastonbury Festival 2023: Cat Stevens: Wild World

Und seit vielen Jahren gibt es auch in der englischen Kleinstadt Glastonbury ein Open Air, das von bis zu über 200.000 meist jungen Zuschauern besucht wird. Glastonbury ist aufgrund der Ruinen der Glastonbury Abbey und der Mythen und Legenden um den nahegelegenen Hügel Glastonbury Tor bekannt, derentwegen der Ort den Anspruch erhebt, das sagenhafte Avalon zu sein.

Meine Frau war übrigens mit einer Reisegruppe 2014 in Glastonbury (nicht auf dem Festival).

Glastonbury Tor 2014
Glastonbury Tor 2014

Auf dem Sender ‚arte‘ gab es einen Zusammenschnitt des Glastonbury Festivals aus dem letzten Jahr 2023. Hier ein alter Bekannter: Cat Stevens aka Yusuf mit: Wild World

Ein alter Bekannter, weil ich mit meinem Bruder und Co. am 27.04.1976 ein Konzert von Cat Stevens in der Bremer Stadthalle besucht hatte.

Cat Stevens: ‚Majikat‘-Tour 27.04.1976 (Stadthalle Bremen)
Cat Stevens: ‚Majikat‘-Tour 27.04.1976 (Stadthalle Bremen)

Wenn ich die Menschenmengen sehe, dann wird mir ganz schummrig. Das war schon früher nicht meine Sache und ist es heute natürlich noch viel weniger (am besten legt man sich einen Katheterbeutel, denn zum Pinkeln kommt man aus solchen Massen so schnell nicht raus).

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (6) – Max Brod und Franz Kafka: Richard und Samuel

4. SEPTEMBER [1909]
-> RIVA
Gemeinsam mit Max Brod, Abfahrt 13 Uhr. Brod überreicht K. auf dem Bahnhof ein Notizbuch mit der Bemerkung: „wir werden parallele Reisetagebücher führen“. Otto Brod folgt mit einem späteren Zug.

aus: Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Nun in Riva kam es nicht zu diesen ‚parallele[n] Reisetagebücher[n]‘. Erst zwei Jahre später 1911 entstand diese Gemeinschaftsarbeit von Franz Kafka und seinem Freund Max Brod unter dem Titel ‚Richard und Samuel‘ Eine kleine Reise durch mitteleuropäische Gegenden‘ und kam dabei über ein erstes Kapitel mit dem Untertitel „Die erste lange Eisenbahnfahrt (Prag–Zürich)“ nicht hinaus.

Es handelt sich um die Beschreibung einer realen Reise beider Freunde. Sie führten jeder ein Reisetagebuch, beschreiben also aus ihrer jeweiligen Sicht die verschiedensten Abfolgen, Gegebenheiten und Befindlichkeiten auf der Reise. Die Zusammenarbeit wurde allerdings von beiden schnell als unbefriedigend empfunden, da sie dabei immer störender ihre große Verschiedenheit spürten. Sie beendeten daher diese Zusammenarbeit nach dem ersten Kapitel. Auf Betreiben von Brod wurde dieses erste Kapitel im Juni 1912 in den Herder-Blättern (entstanden als eine Art jüdische Studentenzeitung des Herausgebers Willy Haas), in der viele namhafte Prager Schriftsteller, darunter Franz Werfel und Paul Leppin, publizierten, veröffentlicht.
Die Zuordnung der beiden Personen ist nicht eindeutig geklärt, aber mit sehr großer Sicherheit dürfte die Texte von Richard Franz Kafka, die von Samuel Max Brod verfasst haben.

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

Unter dem Titel »Richard und Samuel – Eine kleine Reise durch mitteleuropäische Gegenden«, wird ein Bändchen die parallelen Reisetagebücher zweier Freunde verschiedenartigen Charakters enthalten:

Samuel ist ein weltläufiger junger Mann, der mit vielem Ernst sich Kenntnisse im grossen Stil und ein richtiges Urteil über alle Gegenstände des Lebens und der Kunst zu bilden bestrebt ist, ohne doch jemals nüchtern oder gar pedantisch zu werden. Richard hat keinen bestimmten Interessekreis, lässt sich von rätselhaften Gefühlen, noch mehr von seiner Schwäche treiben, zeigt aber in seinem engen und zufälligen Kreise so viel Intensität und naive Selbstständigkeit, dass er nie zu schrullenhafter Komik ausartet. Dem Berufe nach ist Samuel Sekretär eines Kunstvereines, Richard Bankbeamter. Richard hat Vermögen, arbeitet nur, weil er sich nicht für fähig hält, freie Tage zu ertragen; Samuel muss von seiner (überdies erfolgreichen und sehr geschätzten) Arbeit leben.

Die beiden, obwohl Schulkollegen, sind während dieser beschriebenen Reise zum erstenmal andauernd mit einander allein. Sie schätzen einander, obwohl sie einander unbegreiflich erscheinen. Anziehung und Abstossung wird vielartig gefühlt. Es wird beschrieben, wie sich dieses Verhältnis zunächst zu überhitzter Intimität anstachelt, dann nach manchen Zwischenfällen auf dem gefährlichen Boden von Mailand und Paris in männliches Verständnis gegenseitig beruhigt und ganz befestigt. Die Reise schliesst damit, dass die beiden Freunde ihre Fähigkeiten zu einem neuen eigenartigen Kunstunternehmen vereinigen.

Die vielen Nüancen, deren Freundschaftsbeziehungen zwischen Männern fähig sind, darzustellen und zugleich die bereisten Länder durch eine widerspruchsvolle Doppelbeleuchtung in einer Frische und Bedeutung sehn zu lassen, wie sie oft mit Unrecht nur exotischen Gegenden zugeschrieben werden: ist der Sinn dieses Buches.

Vorbemerkungen zum 1. Kapitel (aus Franz Kafka: Erzählungen – Fischer Taschenbuch Verlag April 1976)

Text der Zusammenarbeit von Franz Kafka und Max Brod

Colin Hogkinson (‚Back Door‘): 32-20 Blues

Komme ich heute zu einen der besten Bassisten, die ich kenne (habe ja selbst den E-Bass gezupft): Colin Hodgkinson (Jahrgang 1945), der mit vielen der großen Musiker aus Rock, Blues und Jazz zusammen musiziert hat (okay, auch bei Plattenaufnahmen von Peter Maffay). Am 14. April 1975 haben wir ihn in der Halle II der Bremer Stadthalle mit der Gruppe ‚Back Door‘ als Vorgruppe von Alexis Korner & Friends gehört und gesehen. Hodgkinson ist bekannt wegen seiner ungewöhnlichen Spielweise eines schwer handzuhabenen Akkordspiels und seiner ausgewiesenen Virtuosität. Hier ein Beispiel (mit Gesang): 32-20 Blues (von Robert Johnson)

Vorgruppe ‚Back Door‘ von Alexis Korner – Bremer Stadthalle (Halle II) – 14.April 1975
Vorgruppe ‚Back Door‘ von Alexis Korner – Bremer Stadthalle (Halle II) – 14.April 1975

Hier das Konzert von ‚Back Door‘ – 10 Tage nach dem Bremer Konzert – vom 24. April 1975: Ansage übrigens von Alexis Korner, der hervorragend Deutsch spricht. Die Gruppe ‚Back Door‘ spielte in einer ungewöhnlichen Besetzung: Saxofon, Keyboard – Schlagzeug – Bass, also ohne Gitarre

Alexis Korner – April 1975 in Bremen (Stadthalle Halle II)

Alexis Korner (* 19. April 1928 in Paris als Alexis Andrew Nicholas Koerner; † 1. Januar 1984 in London) war ein englischer Blues-Musiker mit griechisch-österreichischen Wurzeln. Er gilt neben den vor wenigen Tagen erst verstorbenen John Mayall als Schlüsselfigur der britischen Bluesrockszene der 1960er Jahre. In seiner Band ‚Blues Incorporated‘ spielten britische musikalische Stars wie z. B. Mick Jagger (vertretungsweise 1962), Ginger Baker, Dick Heckstall-Smith, Charlie Watts, Cyril Davies, Jack Bruce, Brian Jones, Duffy Power – also ¾ von den ‚Rolling Stones‘ und 2/3 von ‚Cream‘ (das letzte Drittel, Eric Clapton, wurde bekanntlich bei John Mayall bekannt).

Am 14. April 1975 haben wir Alexis Korner & Friends in der Halle II der Bremer Stadthalle mit der Vorgruppe ‚Back Door‘ gehört und gesehen.

Alexis Korner & Friends – Bremer Stadthalle (Halle II) – 14.April 1975
Alexis Korner & Friends – Bremer Stadthalle (Halle II) – 14.April 1975

Hier ein Konzertausschnitt aus der Rheingoldhalle in Mainz vom 24.04.1975, also 10 Tage nach dem Konzert in Bremen: Ain’t That Peculiar? (Ist das nicht eigenartig?). Den Bass spielte übrigens Colin Hodgkinson, der bereits mit der Vorgruppe ‚Back Door‘ auf der Bühne stand (zu Hodgkinson demnächst mehr)

Alexis Korner sprach übrigens hervorragend Deutsch. 1972 moderierte Korner eine dreizehnteilige Sendung zur Geschichte von Rock und Blues namens „Sympathy for the Devil“. Diese Sendereihe wurde auch im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich) international ausgestrahlt. Hier ein Ausschnitt aus einer der Folgen dieser Sendereihe. Alexis Korner interpretiert hier Blues in deutscher Sprache (gewissermaßen eine musikalische Perle): Wenn Sorgen Geld wären

Musik von und mit Alexis Korner [Amazon]

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (5) – Klaus Wagenbach: Dr. von Hartungen, Sanatorium und Wasserheilanstalt – Riva am Gardasee

Ab Mitte 1979 erschien für 20 Jahre im Wagenbach-Verlag Freibeuter, eine Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik – herausgegeben u.a. von Klaus Wagenbach. Die Nr. 16 aus 1983 hatte als Schwerpunktthema Franz Kafka nachgestellt.

Zeitschrift ‚Freibeuter‘ Nr. 16 aus 1983: Franz Kafka
Zeitschrift ‚Freibeuter‘ Nr. 16 aus 1983: Franz Kafka

Der Verleger und Kafka-Kenner, Klaus Wagenbach, verfasste u.a. auch einen Artikel zu Kafkas Aufenthalt 1913 in dem Sanatorium und der Wasserheilanstalt des Dr. von Hartungen:

In Riva, das damals zu Österreich gehörte, war Kafka zweimal: im September 1909 für zehn Tage, gemeinsam mit Max und Otto Brod, in einer kleinen Pension unterhalb der Ponalestraße, und im September/Oktober 1913 für drei Wochen, allein, im Sanatorium Dr. von Hartungen.

'Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen' in Riva am Gardasee: das Haupthaus
‚Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen‘ in Riva am Gardasee: das Haupthaus

Kafka kam mit dem Schiff (aus Desenzano) in Riva an, wie der „Jäger Gracchus“, und wie er fühlte er sich (nach dem Bruch mit Felice [Verlobte in Berlin]) „leer und sinnlos“. „Mein einziges Glücksgefühl besteht darin, daß niemand weiß, wo ich bin.“ Der Jäger Gracchus sagt: „… niemand weiß von mir, und wüßte er von mir, so wüßte er meinen Aufenthalt nicht, und wüßte er meinen Aufenthalt, so wüßte er mich dort nicht festzuhalten, so wüßte er nicht, wie mir helfen. Der Gedanke, mir helfen zu wollen, ist eine Krankheit und muß im Bett geheilt werden.“

Die Krankheit, die Kafka mit nach Riva brachte und die noch immer „Neurasthenie“ hieß, war auch im Sanatorium Hartungen nicht zu heilen. Und sie überschattete auch das zweite (nach dem in Zuckmantel) große Liebeserlebnis: die Begegnung mit einer achtzehnjährigen Schweizerin, die ebenfalls im Sanatorium wohnte. Auch über diese Liebe hat Kafka fast vollständiges Stillschweigen bewahrt, es gibt kaum mehr als eine kurze Notiz im Tagebuch nach der Rückkehr aus Riva: „Die Süßigkeit der Trauer und der Liebe. Von ihr angelächelt werden im Boot. Das war das Allerschönste. Immer nur das Verlangen zu sterben und das Sich-noch-Halten, das allein ist Liebe.“ Auch dies ist Gracchus: Er lebt nicht, er kann nicht sterben.

In einem Prospekt aus dem Jahr 1910, verfaßt von Dr. Erhard und Dr. Ch. E. von Hartungen, hat sich eine Beschreibung des Sanatoriums und seiner Möglichkeiten erhalten:

Das Anstaltsgebäude liegt inmitten eines grossen Parkes, unmittelbar am Gardasee. 60 Zimmer und eine Lufthütten-Kolonie (20 Lufthütten) mit vornehmen, hygienischen Einrichtungen, mit herrlichem Ausblick auf den Gardasee. Zur Durchführung von Freiluftkuren dient ein grosses, geschlossenes Luftbad im Anstaltsparke, ebenso ein Luft- und Sonnenbad für Herren und Damen am Dach-Plateau der Wasserheilanstalt und die Liegehalle.

… und die Strandliegehalle
… und die Strandliegehalle

Licht-, Luft- und Sonnenbäder, Nacktgymnastik und schwedische Freiluftspiele in gedeckten und freien Luftbädern das ganze Jahr hindurch.

See-, Sonnen- und Sandbäder am Strande unmittelbar vor der Anstalt während der Sommermonate.

Aseptisch ermolkene Kur- und Kindermilch von tuberkelfreien, nur trocken gefütterten Kühen, ebenso auch pasteurisierte Kefir- und Yoghurt (bulgarische Sauermilch).
Auch dieses Sanatorium rühmte sich der Behandlung von „Nervenleiden“ an erster Stelle, erinnerte an die „segensvolle Bedeutung des Lichts, speziell des Sonnenlichts bei Nervenschwäche“ und erinnert die „Bewegungsfreunde“ (zu denen Kafka ohne Zweifel gehörte) daran, daß „die malerische Umgebung Rivas an Abwechslung zu Wasser und zu Lande mehr bietet, als irgend ein anderer Kurort zu bieten vermag“.

Als Kuren – neben den diätetischen – werden angeboten:

Hydriatische Kuren in Form von Teil- und Vollbädern, verschieden temperierten Halbbädern, Abreibungen, Güssen, Teil- oder Ganzpackungen, Dampf- und trockenheissen Luftbädern, des elektrischen Bogenlichtbades. Klinisch erprobte Mineral-, Kräuter- und Schlammbäder, sowie die Behandlung mit Radium in verschiedenster Form wurden schon seit vielen Jahren mit sehr günstigem Erfolge gehandhabt.

Atmosphärische Kuren durch methodischen Gebrauch von Sonnen-, Luft-, Marsch- und Ruderlichtbädern mit und ohne folgende Wasseranwendung.

Heilgymnastik, d.h. leichte Leibesübungen, werden unter Aufsicht den Indikationen entsprechend ausgeführt.

Elektrotherapie wird mittelst Vierzellenbades (nach Dr. Schnee) faradischer und galvanischer Ströme und Bäder, der Influenzmaschine etc. etc. angewendet; die Anwendung derselben findet nur durch die Ärzte statt.

Ein weiteres Therapieangebot zeigt, daß das Sanatorium Hartungen damals zu den modernsten Anstalten gehörte:

Die Psychotherapie spielt im Sanatorium keine untergeordnete Rolle, da die Ärzte täglich mit den Patienten verkehren, sich auf das intimste über deren Befinden informieren, so dass ausser der streng individuell diätetisch-physikalischen Behandlung gleichzeitig eine seelische Einwirkung als Korrektiv möglich wird, welche die Krankheitsfurcht oder andere schädliche Vorstellungen, wie Gemütsbeschwerden, beseitigt, und den Kranken einer gesundheitsfreudigen und daseinsfrohen Stimmung entgegenführt.

Spezialärztlich durchgeführte psychoanalytische Behandlung.

Die meisten Gebäude des Sanatoriums stehen heute noch und dienen, nach einem Besitzerwechsel, ähnlichen Zwecken.

siehe auch: Kafka „kehrt zur Natur zurück!“

Louis Malle: Fahrstuhl zum Schafott (1958) – Musik (Score): Miles Davis

Jeanne Moreau auf der Suche nach ihrem Freund im nächtlichen Paris des Jahres 1958. Ich habe ein Faible für französische Filme. So habe ich jetzt den Film ‚Fahrstuhl zum Schafott‘ vom Regisseur Louis Malle eben aus dem Jahr 1958 gesehen. Als der Jazz-verrückte Malle sich um die Filmmusik bemühte, war es ein Glücksfall, dass sich gerade zu dieser Zeit Miles Davis in Paris aufhielt. Boris Vian, Schriftsteller, Jazztrompeter und Direktor der Jazzmusikabteilung des Plattenlabels Philips, war Malle dabei behilflich, den Kontakt zu Davis herzustellen. In nur einer Nacht, zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr morgens, spielte Davis den Soundtrack in einem Studio an den Champs-Élysées komplett improvisiert ein.

Louis Malle
Louis Malle

Louis Malle bewertet den Beitrag von Miles Davis zum Film sehr hoch: „Was er machte, war einfach verblüffend. Er verwandelte den Film. Ich erinnere mich, wie er ohne Musik wirkte; als wir die Tonmischung fertig hatten und die Musik hinzufügten, schien der Film plötzlich brillant.“

Miles Davis ist nicht jedermanns Sache. Aber der Filmausschnitt ist schon eine Besonderheit: Jazz trifft französischen Film – Miles Davis trifft Louis Malle

Filme von Louis Malle [Amazon]
Musik von Miles Davis [Amazon]

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (4) – Der Jäger Gracchus

    „Eine Barke schwebte leise, als werde sie über dem Wasser getragen, in den kleinen Hafen. […] Auf dem Quai kümmerte sich niemand um die Ankömmlinge […]“
    FRANZ KAFKA: Der Jäger Gracchus

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

    „A boat lightly slid into the small harbour, as if it were hovering over water. […] On the pier no one noticed the people who had just arrived“
    lt. Google Translater: A barge floated quietly, as if it were being carried over the water, into the small harbor. […] On the quay, no one paid any attention to the arrivals
    FRANZ KAFKA: The Hunter Gracchus

Zwischen 1916 und 1917 entstanden die Fragmente zum Thema ‚Der Jäger Gracchus‘, zu denen sich Franz Kafka durch seine Aufenthalte in Riva inspirieren ließ.

Diese Erzählung ist einzigartig unter allen Werken Kafkas, denn zum ersten Mal wird eine Stadt mit Namen erwähnt: Riva, das sein Schicksal als Landeplatz in seinem Namen trägt. Die Geschichte spiegelt die Erinnerung an Stätten und Denkmäler der kleinen Stadt wider: den alten Hafen, Piazza Benacense und ihre Arkaden, die „schmalen, stark abfallenden Gäßchen“, den Stadtturm Torre Apponale, Palazzo Pretorio, den Brunnen daneben – und nicht zuletzt das Standbild des Hl. Johannes Nepomuk, Schutzpatron von Prag und zugleich von Riva. Franz hatte das Gefühl, die Luft von zu Hause zu atmen und hier vielleicht ein neues Leben beginnen zu können.

Informationsschild in Riva

Ein Bezug des Namens Gracchus zu den Persönlichkeiten der römischen Geschichte, den Konsuln und Volkstribunen, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Die Bedeutung des lateinischen Namens („der Gnadenreiche“) wird hier auf jemanden angewendet, dem ausdrücklich die Gnade des ersehnten Todes versagt ist. Kafka wird eher auf gracchio, das italienische Wort für Dohle (im Tschechischen: Kavka = Dohle), angespielt haben, um so eine Identifizierung seiner eigenen Person mit der Gestalt des Jägers literarisch ins Spiel zu bringen.

Hier der Text der Erzählung ‚Der Jäger Gracchus‘

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (3) – 1913

Franz Kafka (Prag, 1883 – Kierling, 1924) liebte Riva auf den ersten Blick. Er war im September 1909 zum ersten Mal in Urlaub am Gardasee.

Im September 1913 kam er an den Gardasee wieder, getrieben von dem „Wunsch nach besinnungsloser Einsamkeit“. Diesmal wohnte er in dem vom berühmten Wiener Naturarzt Dr. Christoph von Hartungen in Riva gegründeten Reform-Sanatorium, das von einer kulturellen Elite aus ganz Mitteleuropa besucht wurde. Dort lernte Kafka eine junge Schweizerin kennen und verliebte sich in sie. Zwischen 1916 und 1917 entstanden die Fragmente zum Thema ‚Der Jäger Gracchus‘, zu denen er sich durch seine Aufenthalte in Riva inspirieren ließ.

Quelle: u.a. Informationsschild in Riva

Riva am Gardasee (Hafen)
Riva am Gardasee (Hafen)

Riva am Gardasee (Hafen)
Riva am Gardasee (Hafen)

21. SEPTEMBER [1913]

Desenzano am Gardasee ...
Desenzano am Gardasee (Die Mehrheit der Einwohner hat sich am 21. September 1913 zum Empfang des Vicesekretärs der Anstalt, Dr. Kafka, versammelt. Der aber liegt am Seeufer im Gras, „leer und sinnlos, selbst im Gefühl meines Unglücks. Ginge es doch jetzt statt ins Sanatorium auf eine Insel, wo niemand ist“)

-> DESENZANO
Tagebuch_ (2 Notizbuchblätter) „Mein einziges Glücksgefühl besteht darin, dass niemand weiss, wo ich bin.“ „Das Geniessen menschlicher Beziehungen ist mir gegeben, ihr Erleben nicht.“
-> GARDONE

22. SEPTEMBER
-> RIVA
Ankunft im ‚Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen‘. K. bezieht eine Lufthütte.
Ludwig Ullmann, Rezension von ‚Der Heizer‘, in: ‚Wiener Allgemeine Zeitung‘.

'Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen' in Riva am Gardasee: das Haupthaus
‚Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen‘ in Riva am Gardasee: das Haupthaus

… der Speisesaal
… der Speisesaal

… und die Strandliegehalle
… und die Strandliegehalle

nach 22. SEPTEMBER
[an Alfred Löwy]: (Karte) Glaubt, er sei seinem Onkel eine Erklärung schuldig.

24. SEPTEMBER
an Oskar Baum: (Ansichtskarte)
an Ottla Kafka: (2 Ansichtskarten) Bittet sie, den kostenlosen Katalog ‚Das Buch des Jahres 1913‘ zu besorgen.

vor 27. SEPTEMBER
[Max Brod an K.]: (2 Karten)

28. SEPTEMBER
an Max Brod: Bezeichnet die Beziehung zu Felice [Bauer] als „seit 14 Tagen vollständig beendet“. Muss dennoch zwanghaft daran denken. Bedürfnis nach Einsamkeit. „… die Vorstellung einer Hochzeitsreise macht mir Entsetzen“.
an Ottla Kafka: (Ansichtskarte) Über Malcesine.
Schiffsausflug nach Malcesine. K. sucht die Stelle auf, wo Goethe beim Zeichnen einer Schlossruine der Spionage verdächtigt wurde.

ANFANG OKTOBER
an Felix Weltsch: „Manchmal glaube ich, dass ich nicht mehr auf der Welt bi, sondern irgendwo in der Vorhölle herumtreibe.“ Über Schuldbewusstsein und Reue. Hat über Brod einen Brief an Felice Bauer erhalten, den er jedoch nicht beantworten will. Eine junge Russin hat einigen Sanatoriumsgästen die Karten gelegt, wobei K. Einsamkeit prophezeit wurde.
K. übersiedelt ins Hauptgebäude des Sanatoriums. Beginn der Freundschaft mit der jungen Schweizerin „G.W.“.

2. OBTOBER
an Ottla Kafka: (Ansichtskarte) Verspricht für den folgenden Tag einen Brief an die Eltern, die ihm schon mehrfach schrieben.

3. OKTOBER
K.s Tischnachbar, der 66-jährige Generalmajor Ludwig von Koch, begeht in seinem Zimmer im Sanatorium Selbstmord.

VOR 10. OKTOBER
K. trifft den in Nago bei Riva lebenden Carl Dallego.

10. OKTOBER
Carl Dallogo an Ludwig von Ficker: Über K.: „Ein wirklich sehr netter Mensch, der Wertvolles schafft.“

11.-12. OKTOBER
-> MÜNCHEN -> PRAG
K. hält sich einen Tag in München auf.

15. OKTOBER
Tagebuch: Über Riva: „Ich verstand zum ersten Mal ein christliches Mädchen und lebte fast ganz in seinem Wirkungskreis.“ […]

aus: Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (2) – Die Aeroplane in Brescia

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

Vom 5. – 13. September 1909 fand bei Brescia ein „Flugmeeting“ statt (das erste internationale in Italien), das Kafka und die beiden Brüder Brod von Riva aus besuchten. Kafkas Bericht „Die Aeroplane in Brescia“, der in der Prager Zeitung „Bohemia“ erschien, ist der erste über diese ‚Apparate‘ in der deutschen Literatur.

Im Oval: Louis Blériot ...
Im Oval: Louis Blériot, der kurz zuvor den Ärmelkanal überquert hatte, fliegt an den Tribünen vorbei. Im unteren Teil vorne rechts ein Curtiss-Flyer, mit dem Curtiss den ‚Großen Preis von Brescia‘ gewann: 50 Kilometer in 49 Minuten und 24 Sekunden.

Rougier bei seinem Höhenweltrekord: 198 m
Rougier bei seinem Höhenweltrekord: 198 m. Im Vordergrund der Signalmast und die Zielrichtertribüne

Rougier mit seinem Flugzeug
Rougier mit seinem Flugzeug

Situationsplan des Flugfeldes
Situationsplan des Flugfeldes

Die ersten Zeilen von Kafkas Artikel ‚Die Aeroplane in Brescia‘ in Prager Zeitung ‚Bohemia‘
Die ersten Zeilen von Kafkas Artikel ‚Die Aeroplane in Brescia‘ in Prager Zeitung ‚Bohemia‘

Quelle der Bilder: Klaus Wagenbach: Franz Kafka – Bilder aus seinem Leben – Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1983

Hier der Text des Artikels als PDF-Datei

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (1) – 1909

Im Juli d.J. machte ein Sohn von mir mit seiner Freundin Urlaub in dem Örtchen Limone sul Garda am Gardasee (Lago di Garda) in Oberitalien Urlaub. Berühmt ist die Beschreibung der Zitronenhäuser von Limone durch J. Wolfgang Goethe in seiner „Italienischen Reise“ [Amazon], als er mit dem Schiff von Torbole nach Malcesine reiste; das Dorf, seine Gärten und Zitronen gingen plötzlich in die Weltliteratur ein. Natürlich fuhren die beiden auch nach Riva del Garda, das durch Franz Kafka in den Jahren 1909 und 1913 besucht wurde und somit auch ‚Geschichte‘ schrieb. So gibt es dort eine kleine Straße, die in die Nähe des Strandes gelegen ist mit dem Namen: Via Franz Kafka

Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (© Jan Albin)
Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (© Jan Albin)

Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (Quelle: Google Maps)
Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (Quelle: Google Maps)

Ich habe inzwischen nachgeforscht und in meinen Kafka-Büchern einiges an Material zu Kafkas zwei Urlaubsreisen nach Riva gefunden. Hier die Quellen:

Josef Čermák: Franz Kafka – Leben und Werk – Band: Dokumente – parthas berlin 2009

Klaus Wagenbach: Franz Kafka – Bilder aus seinem Leben – Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1983

Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Zunächst einiges zur 1. Reise Kafkas 1909 mit den Brüdern Max und Otto Brod nach Riva (heute: Riva del Garda). Max Brod war der Freund, dem wir es zu verdanken haben, dass die Manuskripte Kafkas entgegen seinem Wunsch nicht verbrannt, sondern veröffentlicht wurden. Der heutige Artikel ist der Auftakt zu einer sechsteiligen Reihe – zum 100. Todestag von Franz Kafka in diesem Jahr.

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

Franz Kafka (Prag, 1883 – Kierling, 1924) liebte Riva auf den ersten Blick. Er war im September 1909 zum ersten Mal in Urlaub am Gardasee.

Den Urlaub, den der neue Arbeitgeber gewährte, verbrachte Kafka oft mit Freunden. Das erste Mal brach er im September 1909 mit den Brüdern Max und Otto Brod in den Süden auf, ins oberitalienische Riva am Gardasee. Sie verlebten an dessen Ufern und in der Umgebung sorglose Tage. Eine große Sensation war, besonders für Kafka, eine internationale Flugschau auf dem Flughafen Montechiari in der Nähe von Brescia. Erstmals im Leben sahen die Freunde dort vom Nahem die Vorbereitungen der Flieger in den Hangars und tatsächlich auch das Abheben der „Aeroplane“ und die Künste der Piloten in ihren fliegenden Wundermaschinen. Eine exklusive Gesellschaft, darunter der Opernkomponist Giacomo Puccini und der Flugfanatiker und Schriftsteller Gabrielle d’Annunzio, verliehen diesem großartigen Spektakel besonderen Glanz. Kafka schrieb unmittelbar danach unter dem Titel ‚Die Aeroplane in Brescia‘ eine der ersten Reportagen zu diesem Thema in Böhmen und veröffentlichte sie im Feuilleton der Prager ‚Bohemia‘, wo er bereits zuvor und auch später noch kleinere Beiträge publizierte.

aus Josef Čermák: Franz Kafka – Leben und Werk – Band: Dokumente – parthas berlin 2009

4. SEPTEMBER [1909]
-> RIVA
Gemeinsam mit Max Brod, Abfahrt 13 Uhr. Brod überreicht K. auf dem Bahnhof ein Notizbuch mit der Bemerkung: „wir werden parallele Reisetagebücher führen“. Otto Brod folgt mit einem späteren Zug.

Kafka (rechts) mit Otto Brod
Kafka (rechts) mit Otto Brod (nach einem von Max Brod in seiner Biografie veröffentlichten Foto)

5. SEPTEMBER
10 Uhr Ankunft in Riva.

Riva am Gardasee
Riva am Gardasee

Riva am Gardasee
Riva am Gardasee

6. – 9. SEPTEMBER
Vormittägliches Bad in den >Bagni alla Madonnina< unterhalb der Ponalestraße. Kleinere Ausflüge in die Umgebung, u.a. Arco und Torbole. 7. SEPTEMBER an Elli Kafka [Kafkas älteste von drei Schwestern]: (Ansichtskarte) an Ottla Kafka [Kafkas jüngste Schwester/seine Lieblingsschwester]: (Ansichtskarte) Sie arbeitet im elterlichen Geschäft. Ansichtskarte an Ottla von der Reise mit Max Brod aus Riva (07.09.1909) Lago di Garda – Riva vom Hotel Lido aus: Ansichtskarte an Ottla von der Reise mit Max Brod aus Riva (07.09.1909)

Ansichtskarte an Ottla aus Riva … (07.09.1909)

9. SEPTEMBER
Aus der Zeitung ‚La Sentinella Bresciana‘ erfahren die Freunde von dem Flugmeeting im nahe gelegenen Brescia. K. drängt darauf, hinzufahren.

10. SEPTEMBER
-> BRESCIA
Ankunft spätestens 15 Uhr. Fahrt zum Komiteepalast in der Via Umberto I. Sehr schmutziges Hotelzimmer. Am späten Abend Streit mit dem Kutscher.

Uhrturm in Brescia (Stereoskopische Aufnahme)
Uhrturm in Brescia (Stereoskopische Aufnahme)

11. SEPTEMBER
Fahrt zum Flugfeld von Montichiari. Die Freunde beobachten die Piloten, darunter Louis Blériot und Glenn Curtiss, vor ihren Hangars; außerdem prominente Besucher, darunter Gabrielle d’Annunzio. Mahlzeit in einem riesigen Restaurant. Am Nachmittag verfolgen sie, auf Stühlen stehend, einige Flüge. K. und Max Brod vereinbaren, unabhängig voneinander Reportagen über das Flugmeeting zu verfassen.

Fotografie von der Flugschau in Brescia
Fotografie von der Flugschau in Brescia

-> DESENZANO
Übernachtung in einer Herberge am Hafen. Wegen zahlloser Wanzen verbringen die Freunde einen Teil der Nacht auf Bänken am Ufer.
AUVA [Arbeiterunfallversicherungsanstalt] an K.: Mitteilung der Beförderung zum Praktikanten zum 1. Okt. Mit einem jährlichen Gehalt von 1430 K.

12. SEPTEMBER
-> RIVA
Abfahrt mit dem Dampfer um 6 Uhr, Ankunft 11. 25 Uhr.

Dampfer der Linie Desenzano - Riva
Dampfer der Linie Desenzano – Riva

14. SEPTEMBER
-> PRAG
Abfahrt 6.12 Uhr

15. SEPTEMBER
7 Uhr Ankunft in Prag

aus: Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Abenteuer Ulysses von James Joyce (16): 14. Kapitel – Die Rinder des Sonnengottes Helios [Odyssee]

Das 14. Kapitel (von 18) des Ulysses von James Joyce hat es in sich. Es ist eine Zeitreise durch die Entwicklung der englischen Sprache – vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang, in der deutschen Übersetzung vom Alt- oder eher Mittelhochdeutschen zum Berliner Dialekt. Hier wieder einige Informationen zur Handlung und zu den auftretenden Personen, vor allem aber mein Versuch, den alt- bzw. mittelhochdeutschen Text in eine für uns heute verständliche Sprache zu übertragen.

Inhalt des 14. Kapitels:

Szene Krankenhaus Entbindungsstation • Uhrzeit 22 Uhr

Leopold Bloom kommt an der Holles Street 29 vorbei, der Frauenklinik von Dr. Andrew J. Horne, wo seine Bekannte Mrs. Purefoy seit drei Tagen in den Wehen liegt und schließlich unter großen Schmerzen einen Sohn zur Welt bringt. Da es jedoch für einen Besuch zu spät ist, wird Bloom nicht zu ihr vorgelassen. So nimmt ihn der Assistenzarzt Dixon mit in den Aufenthaltsraum der Ärzte und trifft dort auf Stephen, der mit Buck Mulligan und anderen Medizinstudenten ein Saufgelage abhält.

National Maternity Hospital in Holles Street, Dublin
National Maternity Hospital in Holles Street, Dublin

Bloom trifft hier erstmalig direkt Stephen. Er verfolgt, seines früh verstorbenen Sohnes gedenkend, die lästerlichen und zotigen Gespräche über unfreiwillige Vaterschaft und Empfängnisverhütung, d.h. den Verstoß gegen das göttliche Gesetz, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, und die katholische Doktrin, das Wohl des Kindes über das der Mutter zu stellen.

Wie die Gefährten des Odysseus sich an den Rindern des Sonnengottes Helios vergehen und sie schlachten, vergeht sich die Gruppe am Gebot der Fruchtbarkeit. Als ob Stephen seine Hybris bewusst wird und seine Gewissensbisse ertränken möchte, ruft er plötzlich nach einem Gewitterdonner dazu auf, das Gelage bei „Burke“ fortzusetzen. Dort fliegt die Gruppe zur Sperrstunde raus und will weiterziehen ins Hurenviertel Dublins zum Bordell der Bella Cohen. Bloom, in Sorge um Stephens Wohlergehen, folgt ihnen.

Dieses ist also das berühmte Kapitel, in dem die Entwicklung des Sprachstils und der Sprache selbst vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang das Wachstum des Embryos im Mutterleib widerspiegelt. Dabei imitiert Joyce den Prosastil verschiedener Epochen und entwirft passende Szenarien. Die Helden unseres Romans agieren abschnittweise wie typische Figuren dieser Texte.

So macht beispielsweise unser Protagonist im Laufe des Kapitels folgende Metamorphose durch (in der Übersetzung von Hans Wollschläger – die ersten vier Textteile habe ich wiederum in heute verständliches Deutsch ‚übersetzt‘):

„Ein man aldo stant der ein farensman waz an des hvs tor da nacht nider nu kam. Von Jisraels volc dise man waz vn haert gewandelet vil vnde gefaren vf erden.“
[Ein Mann [Leopold Bloom], der unterwegs war, stand nachts an der Haustür. Vom Israels Volk war jener Mann, der auf Erden weit gewandert war. Reines Mitgefühl war es allein, das ihn gebracht in dieses Haus]

„Unde Childe Leopold offent sin helmevenster umb daz er ihm gevellic seie und tat er ein lützel zoc under ougen uz vriuntschaft danne er niemer sunsten nit tranc iender ein met“,
[Und Kind Leopold öffnete sein Vesier, auf dass es ihm gefällig sei und tat er einen kleinen Zug unten den Augen aus Freundschaft, denn er trank nie einen Met.]

„Aber Sir Leopold war arg duster nun […] vnd er gedaht an sein gut frauwe Marion die jm ein einzicht menlich kint geboren welchs war am seim eilfften lebens tag gestorben vnt kont nit gerett werden vonne keins menschenkunzt also dunkel ist das schicksal.“
[Aber Sir Leopold war arg duster (…) und er gedachte an seine gute Frau Marion, die ihm ein einziges männliches Kind geboren, welches war an seinem elften Lebenstag gestorben und konnte nicht gerettet werden von keiner Menschenkunst, all so dunkel ist das Schicksal.]

„Leop. Bloom dort wegens einem schwechzufall den er hett, fühlte sich jetzund aber beßer, nemblich hett ein wunderlich gesicht gehabt dießen abend von seiner dame Mrs. Moll mit rothen pantoffelen und türckischen kniehosen welches von kennern wird für ein zeichen deß wechsels gehalten.“
[Leop. Bloom dort wegen einem Schwächeanfall, den er hatte, fühlte sich jetzt aber besser, hatte nämlich ein wunderliches Gesicht [seltsame Fantasie] diesen Abend gehabt von seiner Dame Mrs. Moll mit roten Pantoffeln und türkischen Kniehosen, was von Kennern für ein Zeichen des Wechsels [der Abwechslung] gehalten wird]

„Um nun zu Mr. Bloom zurückzukehren, so hatte dieser gleich bei seinem Eintritt wol so mancherley schamloses Gespötte bemerkt, dasselbe jedoch als die Früchte jenes Alters ertragen, welches gemeinhin dafür gilt, daß es kein Mitleid kennet. Die jungen Spunte steckten, das ist wahr, so voller Streiche als wie große Kinder: die Worte ihrer lärmenden Debatten waren nur schwer zu verstehen und oftmalen nicht eben lieblich.“

„[So] brach bald ein lebhafter Zank der Zungen aus […] und im beiderseitigen Konsens wurde die schwierige Frage dem Herrn Inseratensammler Bloom mit dem Auftrage vorgelegt, sie alsbald dem Herrn Koadjutor Diakon Dedalus zu submittiren. Bisher schweigsam, ob aus dem Grunde, durch übernatürlichen Ernst nur um so besser jene wunderliche Würde des Gehabens zu entfalten, welche ihm eigen war, oder aus Gehorsam gegen eine innere Stimme, zitierte er kurz und, wie einige meinten, recht obenhin die geistliche Regel, welche dem Menschen zu scheiden verbietet, was Gott zusammengefügt.“

„Nicht länger mehr ist Leopold, wie er dort sitzt, sinnierend, das Futter der Erinnerung wiederkäuend, jener nüchterne Werbeagent und Inhaber eines bescheidenen Päckleins Obligationen. Er ist der junge Leopold, wie in retrospektivem Arrangement, ein Spiegel in einem Spiegel (he, presto!), er betrachtet sich selbst.“

„[J]ener wachsame Wanderer […], welch letzterer noch bedeckt war vom Reise- und Kampfesstaub und befleckt vom Kote einer untilgbaren Schändlichkeit, aus dessen standhaftem und beständigem Herzen jedoch nicht Lockung noch Gefahr noch Drohung noch Erniedrigung je konnte das Bild einer wollüstigen Lieblichkeit reißen, welches der begnadete Stift Lafayettes für alle künftigen Zeiten aufgezeichnet hat.“

„Hinaus stürzt unser Herr Stephen mit einem Schrei, und Krethi und Plethi hinter ihm her, der ganze Verein, Draufgänger, Maulaffen, Wettschwindler, Pillendoktor, Bloom der Pünktliche ihnen auf den Fersen, unter allgemeinem Gegrapsche nach Kopfbedeckung, Eschenstöcken, Degen, Panamahüten und Degenscheiden, Zermatt-Alpenstöcken und was nicht sonst noch allem.“

„Bravo, Isaacs, man immer wech mit ihnen aus dem Scheißrampenlicht. Komm’ Se mit, Verehrtester? Aber woher denn aufdringlich, im Leben nich. Bloom is sich serr gute Mann.“

„Wohnt nicht weit vom Mater. geht auch im süßen Joch der Ehe. Kennst seine Holde? Jau, klar doch, det tu ick. Janz flottet Pflänzken. Hab sie mal im Näcklischee jesehn. Also da kommt janz schön wat raus, wenn die Pelle runter jeht.“

„Von wem hast du den Tip gehabt eigentlich, für das Füllen? […] Von Meister Iste, ihrem vertrauten Manne. Kein Schmu, von dem ollen Leo. […] So ein Dreckskerl von einem scheinheiligen Lügner. […] Ja, also, sag ich, wenn das nich die typisch jiddsche mloche is, ja, dann will ich ne missemeschune haben. […] Was? Wein für den Schleimer Bloom. Was hör ich, was redst du da von Zwiebeln? Bloo? Schnorrt sich Anzeigen zusammen? Von der Photographin das Pappilein, schau mal einer an!“

(Quellen: swr.de/swr2/hoerspiel & de.wikipedia.org)

Personen des 14. Kapitels

Dr. Andrew J. Horne, der Leiter bzw. Oberarzt der Entbindungsklinik National Maternity Hospital Dublin, selbst tritt nicht auf. Er steht für den Sonnengott Helios, sein Name Horne („Horn“) ist ein Verweis auf den goldenen Ochsen bei Homer. Von der schwangeren Mina Purefoy, der der Besuch von Leopold Bloom gilt, erfahren wir nur, dass sie endlich einen Sohn gebiert, der Mortimer Edward getauft werden soll. Es ist schon ihr neuntes Kind (ein Sohn war gestorben).

Leopold Bloom ist als „moderner Held“ als Kontrast zu dem homerischen Helden Odysseus zu verstehen. Er hat die Rolle eines Außenseiters, die sich vor allem darin spiegelt, dass er als Jude im katholischen Dublin lebt und dort einem antisemitischen Klima ausgeliefert ist. In dem Roman, der am 16. Juni 1904 spielt, wird die Wanderung des Leopold Bloom durch Dublin geschildert. Er wird dem Leser als Annoncenakquisiteur präsentiert, dabei ist er jedoch wenig erfolgreich. Zudem ist ihm den ganzen Tag bewusst, dass seine Frau Molly eine Affäre mit dem attraktiven Blazes Boylan hat. Auch der Tod seines Sohns Rudy, der vor elf Jahren im Alter von einigen Tagen verstorben ist, bedrückt ihn. Im Laufe des Romans nimmt Bloom eine vaterähnliche Rolle für Stephen Dedalus, der zweiten Hauptperson des Romans, an. Wie erwähnt, begegnen sich beide hier zum ersten Mal.

Weitere Personen sind die Krankenschwester Callan und Dr. Dixon, junger Arzt in der Entbindungsanstalt und verantwortlich für Medizinstudenten. Außerdem begegnen wir Vincent Lynch, Medizinstudent und Freund von Stephen Dedalus – Dr. Madden, ein Arzt – Matt Lenehan, aufdringlicher Witzeklopfer – und Costello, ein weiterer Medizinstudent. Später kommen mit Stephen Dedalus Malachi ‚Buck‘ Mulligan, Medizinstudent und Mitbewohner sowie Antagonist von Stephen – und Alec Bannon, Freund von Mulligan, hinzu.

Anmerkungen zu diesem 14. Kapitel

Auch zu diesem Kapitel hier einige Anmerkungen und Erklärungen, die vielleicht helfen, mehr Verständnis für den Text zu erlangen. Natürlich bin ich mir nicht sicher, immer ‚das Richtige‘ gefunden zu haben. Für Korrekturen und weitere Anregungen bin ich dankbar:

Das 14. Kapitel hat es in sich. Eine Übersetzung ist fast nicht möglich, da das Original von James Joyce von Alliterationen und alten germanischen Wörtern (auch einer weitaus einfacheren Syntax) geprägt ist und in dem die Entwicklung des Sprachstils und der Sprache vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang das Wachstum des Embryos im Mutterleib widerspiegelt. Der Übersetzer Hans Wollschläger hat es nach meiner Meinung etwas zu gut gemeint, wenn er dieses Kapitel in althochdeutscher Sprache beginnt – ich denke inzwischen, dass es eher noch die mittelhochdeutsche Sprache ist. Ich musste schon einige Phantasie entwickeln, um den ‚deutschen‘ Text halbwegs zu verstehen. Immer wieder griff ich auf das Original zurück und bediente mich des Google Translaters, bei einigen Wörtern half mir das Dictionary von Wiktionary, das auch altenglische Begriffe enthält. Ich habe nicht den ganzen Text ‚übersetzt‘ (nur die Seiten 539 bis 558), denn ab dort sollten es die meisten Leser selbst ‚verstehen‘. Ab dieser Seite 558 habe ich dann nur noch die Begriffe und Sentenzen ins Deutsche übertragen, wenn diese vielleicht nicht ohne weiteres verstanden werden können. Ich hoffe, dass mir die Übersetzung (also vom Alt- bzw. Mittelhochdeutschen in ein uns heute verständliches Hochdeutsch) wirklich bis ins Detail halbwegs geglückt ist. Dabei habe ich mich eines meist nahezu gleichen Duktus bedient. Für Korrekturen wäre ich sehr dankbar …

Hier zunächst die angesprochenen ersten rund 20 Seiten des Kapitels (S. 537 bzw. 539 bis 558 ausgehend von der Wollschläger-Übersetzung) mit dem 1. Originaltext aus der Webversion (mit diversen Links) – 2. Übersetzung von Hans Wollschläger – 3. meine ‚Übersetzung‘ des Wollschläger-Textes (mit diversen Links). Alles habe ich in einer PDF-Datei gespeichert (musste mich dabei des Formats DIN A 3 bedienen): Ulysses – 14. Kapitel S. 537 bzw. 539 bis 558

PDF-Datei Beginn des 14. Kapitels: Oxen oft he Sun (Die Rinder des Sonnengottes Helios)
PDF-Datei Beginn des 14. Kapitels: Oxen oft he Sun (Die Rinder des Sonnengottes Helios)

Hier nun die weiteren Erläuterungen (nach Seite 558) des 14. Kapitels:

S. 558: Secktmolken [im O. sackpossets = Sackmolke, hier wohl als Schimpfwort gemeint]
S. 559: Kerry-Kühe … Seuch [gemeint ist die Maul- und Klauenseuche]
Weckfleisch [eingemachtes Fleisch -> ‚einwecken‘]
Mort aux vaches [Tod den Kühen!]
S. 561: Remedium [Gegenmittel]
S. 564: inhibitorisch [hemmend]
prohibitorisch [verhindernd, vorbeugend]
aimable [liebenswert]
Roués [Wüstling]
caressiren [schmeicheln, liebkosen]
S. 565: Allodium [Art Lehnsgut, ‚Ganzbesitz‘]
Omphalos [‚Nabel, Mittelpunkt‘, Kultstein in Delphi]
S. 566: Talis ac tanta depravatio hujus seculi, O quirites, ut matresfamiliarum nostrae lascivas cujuslibet semiviri libici titillationes testibus ponderosis atque excelsis erectionibus centurionum Romanorum magnopere anteponunt, [So und so ist die Verderbtheit dieses Zeitalters, oh ihr Chiriten (Bürger des antiken Roms), dass die lasziven Kitzelungen jeder selbstsüchtigen Libidin (Wollüstige), der Mütter unserer Familien, den gewichtigen Zeugen und erhabenen Erektionen der römischen Zenturionen (Hundertschaftsführer, Offizier der römischen Legion) weit vorgezogen werden.]
Enkomien [‚festlicher Umzug‘, Lobgedicht auf die Tugenden einer Person]
S. 567: Ventripotenz [Dickbäuchigkeit, Gefräßigkeit]
ovoblastisch [ovo- = Eier- / Blasten = Vorläuferzellen der weißen Blutkörperchen, die normalerweise nur im Knochenmark zu finden sind]
Utrikel [‚Schlauch‘]
Antichambre [Vorzimmer]
Werg [niedere Faserqualität z.B. von Leinen oder Hanf, Faserabfall]
Mais bien sûr, … et mille compliments. [Aber natürlich … und tausend Komplimente]
S. 569: marchand de capotes [Kondomverkäufer]
livre [frz. Münze]
Fécondateur [Befruchter]
avec lui [mit ihm]
ventre biche [Rehbauch ?]
sans blague [im Ernst]
il y a deux choses [es gibt zwei Dinge]
S. 570: Tilbury [Kutsche]
S. 571: enceinte [schwanger]
Entreprise [Unternehmung]
S. 573: Antidotum [Gegengift]
Insolenz [Unverschämtheit]
Auspicien [Vorbedeutung, Aussichten, ‚Vogelschau‘]
zweite Matrone von Ephesus [bezieht sich wohl auf die Göttin Artemis, Tempel in E. in Kleinasien -> 7 Weltwunder]
S. 574: Metempsychose [Seelenwanderung]
Dormitorium [Schlafraum, eigentl. Im Kloster]
S. 575: Hagar [im Alten Testament die Magd von Sara, Nebenfrau von Abraham – Sohn Ismael -> Stammvater der Araber]
bukolisch [ländlich einfach, das Hirtenleben betreffend]
Gilead [biblisches Land]
S. 576: Adjunkt [Gehilfe]
Posthumität [‚nach dem (menschlichen) Leben‘, ‚die letzten der menschlichen Gattung‘]
S. 577: foetus in foetu [Phänomen, das bei einer von 500.000 Lebendgeburten vorkommt, wird im Körper eines Zwillings ein deformierter Fötus gefunden]
Aprosopie [Mißbildung, wobei das Gesicht fehlt]
Kongestion [lokaler Blutandrang bei Entzündungen]
Agnatie [angeborenes Fehlen des [Ober- oder] Unterkiefers]
Kinese [‚Bewegung‘]
Gravidität [Schwangerschaft]
Matrix [Gebärmutter]
Insemination [Samenübertragung]
Syringe [Spritze]
Multigeminalität [mehrfache Merkmalsgleichheit]
Katamenien [Menstruationsblut]
Gravita [Schwangere]
S. 578: primafacie [Beweis des ersten Anscheins]
plasmisch [im Zusammenhang mit Plasma – Materie mit hohem, instabilem Energieniveau]
Kohabitation [Geschlechtsverkehr]
Allocutio [Ansprache]
S. 579: ersische Sprache [schottisch-gälische Sprache]
Vendetta Mananaans [Blutrache M., Sagengestalt der keltischen Mythologie Irlands]
Lex talionis [Vergeltungsgesetzt -> ‚Auge um Auge …‘]
S. 581: fiat! [Lass es geschehen!]
S. 582: Upupa [Vogel Wiedehopf]
Netaim [biblischer Ort]
Parallax [scheinbare Änderung der Position eines Objektes, wenn der Beobachter seine eigene Position durch eigene Bewegungen verändert]
Lacus Mortis [Totes Meer]
Zodiakal [‚Tierkreis-‘]
S. 585: mesmerisiert [hypnotisiert, animalischer Magnetismus nach Franz Anton Mesmer, 1834-1815]
S. 586: Bass-Flaschen [englische Biermarke]
S. 588: Nemaspermen [Spermatozoon, bestehend aus Filament, aus langen Molekülketten bestehend]
nisus formativus [‚Bildungstrieb‘, die Vorgänge von „Generation, Nutrition und Reproduktion“ regelnde Lebenskraft]
succubitus felix [‚glücklicher‘, weiblicher, lüsternder Dämon – von succumbere ‚unten liegen‘]
Inquirent [Untersuchungsführer]
adenoidal [Vergrößerung der Rachenmandeln betreffend]
pulmonal [Erkrankung der Lungengefäße betreffend]
Duennas [ältere Frau, die als Gouvernante und Begleiterin für Mädchen fungiert, insbesondere in einer spanischen Familie; eine Begleitperson]
Kalipädie [Kallipädie – bezeichnet die besonders im 18. Jahrhundert populären Lehren von der Zeugung schöner Kinder durch bewussten Einsatz der Einbildungskraft]
S. 590: Kollation [Vergleich einer Abschrift mit der Urschrift zur Prüfung der Richtigkeit]
Staggering bob [‚umwerfender Bob‘ – Fleisch von einem jungen Kalb]
Minuzien [Kleinigkeiten]
S. 591: accouchement [Entbindung, Niederkunft]
S. 594: piazzetta [kleiner Marktplatz]
S 595: celest [himmlisch]
coelum [Himmel]
Progenitor [Vorfahr]
Malthusiast [Anhänger von Malthus, 1766-1834 – Theorie Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelangebot betreffend]
Vegetabilien [Produkte/Lebensmittel pflanzlicher Herkunft]
S. 596: Per deam Partulam et Pertundam nunc est bibendum! [Bei der Göttin Partula (eine der drei Parzen = Schicksalsgöttinnen in der römischen Mythologie, ursprünglich waren diese Geburts- und Geburtshilfegöttinnen) und Pertunda (römische Göttin der sexuellen Penetration) müssen wir jetzt trinken!]
Benedicat vos omnipotens Deus, Pater et Filius. [Allmächtiger Gott, Vater und Sohn, segne dich.]
S. 597: En avant, mes enfants! [Vorwärts, meine Kinder!]
Ma mère m’a mariée [Meine Mutter hat (mich) geheiratet]
Ratamplan Digidi Bum Bum [im O. Retamplan Digidi Boum Boum]
Bäderastie [im O. buggery = Sodomie, also Päderastie]
Pektoraltauma [pektoral – die Brust betreffend]
S. 598: Ardilaun [Lord Ardilaun, u.a. Teilhaber einer großen Brauerei in Dublin – hier wohl als Trinkspruch gemeint]
Hoi polloi [die Masse – Volk, Pöbel]
S. 599: Machree, macruiskeen [Gra machree ma cruiskeen, slainte geal mavourneen…. – irisches Trinklied = Oh! Die Liebe meines Herzens ist mein kleiner Krug, Strahlende Gesundheit für meinen Schatz)
Rows of cast [‚Besetzungsreihen‘]
S. 600: misse-me-schune [im O. misha mishinnah – ein böser, gewalttätiger Mensch, der weder auf den Tod noch auf das Ende vorbereitet ist]
Libation [[altrömische] Trankspende für die Götter und die Verstorbenen]
Nos omnes biberimus viridum toxicum diabolus capiat posterioria nostria. [Wir alle trinken das grüne Gift, der Teufel nimmt das Hinterste … ‚the devil take the hindmost‘: der Spruch beschreibt eine Situation, die missbilligt wird, weil Menschen nur das tun, was für sie selbst am besten ist, ohne an andere Menschen zu denken]
Bonsoir la compagnie. [Guten Abend, Gesellschaft]
S. 601: A la vôtre! [Prost!]
Geerdibung [Beerdigung – trunkend]
Tiens [halten]
S. 602: Laetabuntur in cubilibus suis. [Lasst sie auf ihren Betten laut singen]
Ut implerentur scripturae. [Damit die heiligen Schriften erfüllt würden.]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (05): 4. Kapitel – Kalypso [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (06): 5. Kapitel – Lotophagen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (07): 6. Kapitel – Hades [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (08): 7. Kapitel – Äolus [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (09): 8. Kapitel – Lästrygonen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (10): 9. Kapitel – Scylla & Charybdis [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (11): 10. Kapitel – Symplegaden (Irrfelsen) [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (12): 11. Kapitel – Sirenen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (13): 12. Kapitel – Der Zyklop [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (14): 13. Kapitel – Nausikaa [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (15): 120 Jahre Bloomsday