Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (4) – Der Jäger Gracchus

    „Eine Barke schwebte leise, als werde sie über dem Wasser getragen, in den kleinen Hafen. […] Auf dem Quai kümmerte sich niemand um die Ankömmlinge […]“
    FRANZ KAFKA: Der Jäger Gracchus

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

    „A boat lightly slid into the small harbour, as if it were hovering over water. […] On the pier no one noticed the people who had just arrived“
    lt. Google Translater: A barge floated quietly, as if it were being carried over the water, into the small harbor. […] On the quay, no one paid any attention to the arrivals
    FRANZ KAFKA: The Hunter Gracchus

Zwischen 1916 und 1917 entstanden die Fragmente zum Thema ‚Der Jäger Gracchus‘, zu denen sich Franz Kafka durch seine Aufenthalte in Riva inspirieren ließ.

Diese Erzählung ist einzigartig unter allen Werken Kafkas, denn zum ersten Mal wird eine Stadt mit Namen erwähnt: Riva, das sein Schicksal als Landeplatz in seinem Namen trägt. Die Geschichte spiegelt die Erinnerung an Stätten und Denkmäler der kleinen Stadt wider: den alten Hafen, Piazza Benacense und ihre Arkaden, die „schmalen, stark abfallenden Gäßchen“, den Stadtturm Torre Apponale, Palazzo Pretorio, den Brunnen daneben – und nicht zuletzt das Standbild des Hl. Johannes Nepomuk, Schutzpatron von Prag und zugleich von Riva. Franz hatte das Gefühl, die Luft von zu Hause zu atmen und hier vielleicht ein neues Leben beginnen zu können.

Informationsschild in Riva

Ein Bezug des Namens Gracchus zu den Persönlichkeiten der römischen Geschichte, den Konsuln und Volkstribunen, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Die Bedeutung des lateinischen Namens („der Gnadenreiche“) wird hier auf jemanden angewendet, dem ausdrücklich die Gnade des ersehnten Todes versagt ist. Kafka wird eher auf gracchio, das italienische Wort für Dohle (im Tschechischen: Kavka = Dohle), angespielt haben, um so eine Identifizierung seiner eigenen Person mit der Gestalt des Jägers literarisch ins Spiel zu bringen.

Hier der Text der Erzählung ‚Der Jäger Gracchus‘

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (3) – 1913

Franz Kafka (Prag, 1883 – Kierling, 1924) liebte Riva auf den ersten Blick. Er war im September 1909 zum ersten Mal in Urlaub am Gardasee.

Im September 1913 kam er an den Gardasee wieder, getrieben von dem „Wunsch nach besinnungsloser Einsamkeit“. Diesmal wohnte er in dem vom berühmten Wiener Naturarzt Dr. Christoph von Hartungen in Riva gegründeten Reform-Sanatorium, das von einer kulturellen Elite aus ganz Mitteleuropa besucht wurde. Dort lernte Kafka eine junge Schweizerin kennen und verliebte sich in sie. Zwischen 1916 und 1917 entstanden die Fragmente zum Thema ‚Der Jäger Gracchus‘, zu denen er sich durch seine Aufenthalte in Riva inspirieren ließ.

Quelle: u.a. Informationsschild in Riva

Riva am Gardasee (Hafen)
Riva am Gardasee (Hafen)

Riva am Gardasee (Hafen)
Riva am Gardasee (Hafen)

21. SEPTEMBER [1913]

Desenzano am Gardasee ...
Desenzano am Gardasee (Die Mehrheit der Einwohner hat sich am 21. September 1913 zum Empfang des Vicesekretärs der Anstalt, Dr. Kafka, versammelt. Der aber liegt am Seeufer im Gras, „leer und sinnlos, selbst im Gefühl meines Unglücks. Ginge es doch jetzt statt ins Sanatorium auf eine Insel, wo niemand ist“)

-> DESENZANO
Tagebuch_ (2 Notizbuchblätter) „Mein einziges Glücksgefühl besteht darin, dass niemand weiss, wo ich bin.“ „Das Geniessen menschlicher Beziehungen ist mir gegeben, ihr Erleben nicht.“
-> GARDONE

22. SEPTEMBER
-> RIVA
Ankunft im ‚Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen‘. K. bezieht eine Lufthütte.
Ludwig Ullmann, Rezension von ‚Der Heizer‘, in: ‚Wiener Allgemeine Zeitung‘.

'Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen' in Riva am Gardasee: das Haupthaus
‚Sanatorium und Wasserheilanstalt Dr. von Hartungen‘ in Riva am Gardasee: das Haupthaus

… der Speisesaal
… der Speisesaal

… und die Strandliegehalle
… und die Strandliegehalle

nach 22. SEPTEMBER
[an Alfred Löwy]: (Karte) Glaubt, er sei seinem Onkel eine Erklärung schuldig.

24. SEPTEMBER
an Oskar Baum: (Ansichtskarte)
an Ottla Kafka: (2 Ansichtskarten) Bittet sie, den kostenlosen Katalog ‚Das Buch des Jahres 1913‘ zu besorgen.

vor 27. SEPTEMBER
[Max Brod an K.]: (2 Karten)

28. SEPTEMBER
an Max Brod: Bezeichnet die Beziehung zu Felice [Bauer] als „seit 14 Tagen vollständig beendet“. Muss dennoch zwanghaft daran denken. Bedürfnis nach Einsamkeit. „… die Vorstellung einer Hochzeitsreise macht mir Entsetzen“.
an Ottla Kafka: (Ansichtskarte) Über Malcesine.
Schiffsausflug nach Malcesine. K. sucht die Stelle auf, wo Goethe beim Zeichnen einer Schlossruine der Spionage verdächtigt wurde.

ANFANG OKTOBER
an Felix Weltsch: „Manchmal glaube ich, dass ich nicht mehr auf der Welt bi, sondern irgendwo in der Vorhölle herumtreibe.“ Über Schuldbewusstsein und Reue. Hat über Brod einen Brief an Felice Bauer erhalten, den er jedoch nicht beantworten will. Eine junge Russin hat einigen Sanatoriumsgästen die Karten gelegt, wobei K. Einsamkeit prophezeit wurde.
K. übersiedelt ins Hauptgebäude des Sanatoriums. Beginn der Freundschaft mit der jungen Schweizerin „G.W.“.

2. OBTOBER
an Ottla Kafka: (Ansichtskarte) Verspricht für den folgenden Tag einen Brief an die Eltern, die ihm schon mehrfach schrieben.

3. OKTOBER
K.s Tischnachbar, der 66-jährige Generalmajor Ludwig von Koch, begeht in seinem Zimmer im Sanatorium Selbstmord.

VOR 10. OKTOBER
K. trifft den in Nago bei Riva lebenden Carl Dallego.

10. OKTOBER
Carl Dallogo an Ludwig von Ficker: Über K.: „Ein wirklich sehr netter Mensch, der Wertvolles schafft.“

11.-12. OKTOBER
-> MÜNCHEN -> PRAG
K. hält sich einen Tag in München auf.

15. OKTOBER
Tagebuch: Über Riva: „Ich verstand zum ersten Mal ein christliches Mädchen und lebte fast ganz in seinem Wirkungskreis.“ […]

aus: Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (2) – Die Aeroplane in Brescia

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

Vom 5. – 13. September 1909 fand bei Brescia ein „Flugmeeting“ statt (das erste internationale in Italien), das Kafka und die beiden Brüder Brod von Riva aus besuchten. Kafkas Bericht „Die Aeroplane in Brescia“, der in der Prager Zeitung „Bohemia“ erschien, ist der erste über diese ‚Apparate‘ in der deutschen Literatur.

Im Oval: Louis Blériot ...
Im Oval: Louis Blériot, der kurz zuvor den Ärmelkanal überquert hatte, fliegt an den Tribünen vorbei. Im unteren Teil vorne rechts ein Curtiss-Flyer, mit dem Curtiss den ‚Großen Preis von Brescia‘ gewann: 50 Kilometer in 49 Minuten und 24 Sekunden.

Rougier bei seinem Höhenweltrekord: 198 m
Rougier bei seinem Höhenweltrekord: 198 m. Im Vordergrund der Signalmast und die Zielrichtertribüne

Rougier mit seinem Flugzeug
Rougier mit seinem Flugzeug

Situationsplan des Flugfeldes
Situationsplan des Flugfeldes

Die ersten Zeilen von Kafkas Artikel ‚Die Aeroplane in Brescia‘ in Prager Zeitung ‚Bohemia‘
Die ersten Zeilen von Kafkas Artikel ‚Die Aeroplane in Brescia‘ in Prager Zeitung ‚Bohemia‘

Quelle der Bilder: Klaus Wagenbach: Franz Kafka – Bilder aus seinem Leben – Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1983

Hier der Text des Artikels als PDF-Datei

Kafka 2024: Kafka in Riva am Gardasee (1) – 1909

Im Juli d.J. machte ein Sohn von mir mit seiner Freundin Urlaub in dem Örtchen Limone sul Garda am Gardasee (Lago di Garda) in Oberitalien Urlaub. Berühmt ist die Beschreibung der Zitronenhäuser von Limone durch J. Wolfgang Goethe in seiner „Italienischen Reise“ [Amazon], als er mit dem Schiff von Torbole nach Malcesine reiste; das Dorf, seine Gärten und Zitronen gingen plötzlich in die Weltliteratur ein. Natürlich fuhren die beiden auch nach Riva del Garda, das durch Franz Kafka in den Jahren 1909 und 1913 besucht wurde und somit auch ‚Geschichte‘ schrieb. So gibt es dort eine kleine Straße, die in die Nähe des Strandes gelegen ist mit dem Namen: Via Franz Kafka

Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (© Jan Albin)
Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (© Jan Albin)

Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (Quelle: Google Maps)
Via Franz Kafka in der Nähe des Strandes von Riva del Garda (Quelle: Google Maps)

Ich habe inzwischen nachgeforscht und in meinen Kafka-Büchern einiges an Material zu Kafkas zwei Urlaubsreisen nach Riva gefunden. Hier die Quellen:

Josef Čermák: Franz Kafka – Leben und Werk – Band: Dokumente – parthas berlin 2009

Klaus Wagenbach: Franz Kafka – Bilder aus seinem Leben – Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1983

Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Zunächst einiges zur 1. Reise Kafkas 1909 mit den Brüdern Max und Otto Brod nach Riva (heute: Riva del Garda). Max Brod war der Freund, dem wir es zu verdanken haben, dass die Manuskripte Kafkas entgegen seinem Wunsch nicht verbrannt, sondern veröffentlicht wurden. Der heutige Artikel ist der Auftakt zu einer sechsteiligen Reihe – zum 100. Todestag von Franz Kafka in diesem Jahr.

aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes
aus Kafkas Werken: Die Aeroplane in Brescia – Erzählungen – Beschreibung eines Kampfes

Franz Kafka (Prag, 1883 – Kierling, 1924) liebte Riva auf den ersten Blick. Er war im September 1909 zum ersten Mal in Urlaub am Gardasee.

Den Urlaub, den der neue Arbeitgeber gewährte, verbrachte Kafka oft mit Freunden. Das erste Mal brach er im September 1909 mit den Brüdern Max und Otto Brod in den Süden auf, ins oberitalienische Riva am Gardasee. Sie verlebten an dessen Ufern und in der Umgebung sorglose Tage. Eine große Sensation war, besonders für Kafka, eine internationale Flugschau auf dem Flughafen Montechiari in der Nähe von Brescia. Erstmals im Leben sahen die Freunde dort vom Nahem die Vorbereitungen der Flieger in den Hangars und tatsächlich auch das Abheben der „Aeroplane“ und die Künste der Piloten in ihren fliegenden Wundermaschinen. Eine exklusive Gesellschaft, darunter der Opernkomponist Giacomo Puccini und der Flugfanatiker und Schriftsteller Gabrielle d’Annunzio, verliehen diesem großartigen Spektakel besonderen Glanz. Kafka schrieb unmittelbar danach unter dem Titel ‚Die Aeroplane in Brescia‘ eine der ersten Reportagen zu diesem Thema in Böhmen und veröffentlichte sie im Feuilleton der Prager ‚Bohemia‘, wo er bereits zuvor und auch später noch kleinere Beiträge publizierte.

aus Josef Čermák: Franz Kafka – Leben und Werk – Band: Dokumente – parthas berlin 2009

4. SEPTEMBER [1909]
-> RIVA
Gemeinsam mit Max Brod, Abfahrt 13 Uhr. Brod überreicht K. auf dem Bahnhof ein Notizbuch mit der Bemerkung: „wir werden parallele Reisetagebücher führen“. Otto Brod folgt mit einem späteren Zug.

Kafka (rechts) mit Otto Brod
Kafka (rechts) mit Otto Brod (nach einem von Max Brod in seiner Biografie veröffentlichten Foto)

5. SEPTEMBER
10 Uhr Ankunft in Riva.

Riva am Gardasee
Riva am Gardasee

Riva am Gardasee
Riva am Gardasee

6. – 9. SEPTEMBER
Vormittägliches Bad in den >Bagni alla Madonnina< unterhalb der Ponalestraße. Kleinere Ausflüge in die Umgebung, u.a. Arco und Torbole. 7. SEPTEMBER an Elli Kafka [Kafkas älteste von drei Schwestern]: (Ansichtskarte) an Ottla Kafka [Kafkas jüngste Schwester/seine Lieblingsschwester]: (Ansichtskarte) Sie arbeitet im elterlichen Geschäft. Ansichtskarte an Ottla von der Reise mit Max Brod aus Riva (07.09.1909) Lago di Garda – Riva vom Hotel Lido aus: Ansichtskarte an Ottla von der Reise mit Max Brod aus Riva (07.09.1909)

Ansichtskarte an Ottla aus Riva … (07.09.1909)

9. SEPTEMBER
Aus der Zeitung ‚La Sentinella Bresciana‘ erfahren die Freunde von dem Flugmeeting im nahe gelegenen Brescia. K. drängt darauf, hinzufahren.

10. SEPTEMBER
-> BRESCIA
Ankunft spätestens 15 Uhr. Fahrt zum Komiteepalast in der Via Umberto I. Sehr schmutziges Hotelzimmer. Am späten Abend Streit mit dem Kutscher.

Uhrturm in Brescia (Stereoskopische Aufnahme)
Uhrturm in Brescia (Stereoskopische Aufnahme)

11. SEPTEMBER
Fahrt zum Flugfeld von Montichiari. Die Freunde beobachten die Piloten, darunter Louis Blériot und Glenn Curtiss, vor ihren Hangars; außerdem prominente Besucher, darunter Gabrielle d’Annunzio. Mahlzeit in einem riesigen Restaurant. Am Nachmittag verfolgen sie, auf Stühlen stehend, einige Flüge. K. und Max Brod vereinbaren, unabhängig voneinander Reportagen über das Flugmeeting zu verfassen.

Fotografie von der Flugschau in Brescia
Fotografie von der Flugschau in Brescia

-> DESENZANO
Übernachtung in einer Herberge am Hafen. Wegen zahlloser Wanzen verbringen die Freunde einen Teil der Nacht auf Bänken am Ufer.
AUVA [Arbeiterunfallversicherungsanstalt] an K.: Mitteilung der Beförderung zum Praktikanten zum 1. Okt. Mit einem jährlichen Gehalt von 1430 K.

12. SEPTEMBER
-> RIVA
Abfahrt mit dem Dampfer um 6 Uhr, Ankunft 11. 25 Uhr.

Dampfer der Linie Desenzano - Riva
Dampfer der Linie Desenzano – Riva

14. SEPTEMBER
-> PRAG
Abfahrt 6.12 Uhr

15. SEPTEMBER
7 Uhr Ankunft in Prag

aus: Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag – Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse – S. Fischer, Frankfurt am Main 2017

Abenteuer Ulysses von James Joyce (16): 14. Kapitel – Die Rinder des Sonnengottes Helios [Odyssee]

Das 14. Kapitel (von 18) des Ulysses von James Joyce hat es in sich. Es ist eine Zeitreise durch die Entwicklung der englischen Sprache – vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang, in der deutschen Übersetzung vom Alt- oder eher Mittelhochdeutschen zum Berliner Dialekt. Hier wieder einige Informationen zur Handlung und zu den auftretenden Personen, vor allem aber mein Versuch, den alt- bzw. mittelhochdeutschen Text in eine für uns heute verständliche Sprache zu übertragen.

Inhalt des 14. Kapitels:

Szene Krankenhaus Entbindungsstation • Uhrzeit 22 Uhr

Leopold Bloom kommt an der Holles Street 29 vorbei, der Frauenklinik von Dr. Andrew J. Horne, wo seine Bekannte Mrs. Purefoy seit drei Tagen in den Wehen liegt und schließlich unter großen Schmerzen einen Sohn zur Welt bringt. Da es jedoch für einen Besuch zu spät ist, wird Bloom nicht zu ihr vorgelassen. So nimmt ihn der Assistenzarzt Dixon mit in den Aufenthaltsraum der Ärzte und trifft dort auf Stephen, der mit Buck Mulligan und anderen Medizinstudenten ein Saufgelage abhält.

National Maternity Hospital in Holles Street, Dublin
National Maternity Hospital in Holles Street, Dublin

Bloom trifft hier erstmalig direkt Stephen. Er verfolgt, seines früh verstorbenen Sohnes gedenkend, die lästerlichen und zotigen Gespräche über unfreiwillige Vaterschaft und Empfängnisverhütung, d.h. den Verstoß gegen das göttliche Gesetz, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, und die katholische Doktrin, das Wohl des Kindes über das der Mutter zu stellen.

Wie die Gefährten des Odysseus sich an den Rindern des Sonnengottes Helios vergehen und sie schlachten, vergeht sich die Gruppe am Gebot der Fruchtbarkeit. Als ob Stephen seine Hybris bewusst wird und seine Gewissensbisse ertränken möchte, ruft er plötzlich nach einem Gewitterdonner dazu auf, das Gelage bei „Burke“ fortzusetzen. Dort fliegt die Gruppe zur Sperrstunde raus und will weiterziehen ins Hurenviertel Dublins zum Bordell der Bella Cohen. Bloom, in Sorge um Stephens Wohlergehen, folgt ihnen.

Dieses ist also das berühmte Kapitel, in dem die Entwicklung des Sprachstils und der Sprache selbst vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang das Wachstum des Embryos im Mutterleib widerspiegelt. Dabei imitiert Joyce den Prosastil verschiedener Epochen und entwirft passende Szenarien. Die Helden unseres Romans agieren abschnittweise wie typische Figuren dieser Texte.

So macht beispielsweise unser Protagonist im Laufe des Kapitels folgende Metamorphose durch (in der Übersetzung von Hans Wollschläger – die ersten vier Textteile habe ich wiederum in heute verständliches Deutsch ‚übersetzt‘):

„Ein man aldo stant der ein farensman waz an des hvs tor da nacht nider nu kam. Von Jisraels volc dise man waz vn haert gewandelet vil vnde gefaren vf erden.“
[Ein Mann [Leopold Bloom], der unterwegs war, stand nachts an der Haustür. Vom Israels Volk war jener Mann, der auf Erden weit gewandert war. Reines Mitgefühl war es allein, das ihn gebracht in dieses Haus]

„Unde Childe Leopold offent sin helmevenster umb daz er ihm gevellic seie und tat er ein lützel zoc under ougen uz vriuntschaft danne er niemer sunsten nit tranc iender ein met“,
[Und Kind Leopold öffnete sein Vesier, auf dass es ihm gefällig sei und tat er einen kleinen Zug unten den Augen aus Freundschaft, denn er trank nie einen Met.]

„Aber Sir Leopold war arg duster nun […] vnd er gedaht an sein gut frauwe Marion die jm ein einzicht menlich kint geboren welchs war am seim eilfften lebens tag gestorben vnt kont nit gerett werden vonne keins menschenkunzt also dunkel ist das schicksal.“
[Aber Sir Leopold war arg duster (…) und er gedachte an seine gute Frau Marion, die ihm ein einziges männliches Kind geboren, welches war an seinem elften Lebenstag gestorben und konnte nicht gerettet werden von keiner Menschenkunst, all so dunkel ist das Schicksal.]

„Leop. Bloom dort wegens einem schwechzufall den er hett, fühlte sich jetzund aber beßer, nemblich hett ein wunderlich gesicht gehabt dießen abend von seiner dame Mrs. Moll mit rothen pantoffelen und türckischen kniehosen welches von kennern wird für ein zeichen deß wechsels gehalten.“
[Leop. Bloom dort wegen einem Schwächeanfall, den er hatte, fühlte sich jetzt aber besser, hatte nämlich ein wunderliches Gesicht [seltsame Fantasie] diesen Abend gehabt von seiner Dame Mrs. Moll mit roten Pantoffeln und türkischen Kniehosen, was von Kennern für ein Zeichen des Wechsels [der Abwechslung] gehalten wird]

„Um nun zu Mr. Bloom zurückzukehren, so hatte dieser gleich bei seinem Eintritt wol so mancherley schamloses Gespötte bemerkt, dasselbe jedoch als die Früchte jenes Alters ertragen, welches gemeinhin dafür gilt, daß es kein Mitleid kennet. Die jungen Spunte steckten, das ist wahr, so voller Streiche als wie große Kinder: die Worte ihrer lärmenden Debatten waren nur schwer zu verstehen und oftmalen nicht eben lieblich.“

„[So] brach bald ein lebhafter Zank der Zungen aus […] und im beiderseitigen Konsens wurde die schwierige Frage dem Herrn Inseratensammler Bloom mit dem Auftrage vorgelegt, sie alsbald dem Herrn Koadjutor Diakon Dedalus zu submittiren. Bisher schweigsam, ob aus dem Grunde, durch übernatürlichen Ernst nur um so besser jene wunderliche Würde des Gehabens zu entfalten, welche ihm eigen war, oder aus Gehorsam gegen eine innere Stimme, zitierte er kurz und, wie einige meinten, recht obenhin die geistliche Regel, welche dem Menschen zu scheiden verbietet, was Gott zusammengefügt.“

„Nicht länger mehr ist Leopold, wie er dort sitzt, sinnierend, das Futter der Erinnerung wiederkäuend, jener nüchterne Werbeagent und Inhaber eines bescheidenen Päckleins Obligationen. Er ist der junge Leopold, wie in retrospektivem Arrangement, ein Spiegel in einem Spiegel (he, presto!), er betrachtet sich selbst.“

„[J]ener wachsame Wanderer […], welch letzterer noch bedeckt war vom Reise- und Kampfesstaub und befleckt vom Kote einer untilgbaren Schändlichkeit, aus dessen standhaftem und beständigem Herzen jedoch nicht Lockung noch Gefahr noch Drohung noch Erniedrigung je konnte das Bild einer wollüstigen Lieblichkeit reißen, welches der begnadete Stift Lafayettes für alle künftigen Zeiten aufgezeichnet hat.“

„Hinaus stürzt unser Herr Stephen mit einem Schrei, und Krethi und Plethi hinter ihm her, der ganze Verein, Draufgänger, Maulaffen, Wettschwindler, Pillendoktor, Bloom der Pünktliche ihnen auf den Fersen, unter allgemeinem Gegrapsche nach Kopfbedeckung, Eschenstöcken, Degen, Panamahüten und Degenscheiden, Zermatt-Alpenstöcken und was nicht sonst noch allem.“

„Bravo, Isaacs, man immer wech mit ihnen aus dem Scheißrampenlicht. Komm’ Se mit, Verehrtester? Aber woher denn aufdringlich, im Leben nich. Bloom is sich serr gute Mann.“

„Wohnt nicht weit vom Mater. geht auch im süßen Joch der Ehe. Kennst seine Holde? Jau, klar doch, det tu ick. Janz flottet Pflänzken. Hab sie mal im Näcklischee jesehn. Also da kommt janz schön wat raus, wenn die Pelle runter jeht.“

„Von wem hast du den Tip gehabt eigentlich, für das Füllen? […] Von Meister Iste, ihrem vertrauten Manne. Kein Schmu, von dem ollen Leo. […] So ein Dreckskerl von einem scheinheiligen Lügner. […] Ja, also, sag ich, wenn das nich die typisch jiddsche mloche is, ja, dann will ich ne missemeschune haben. […] Was? Wein für den Schleimer Bloom. Was hör ich, was redst du da von Zwiebeln? Bloo? Schnorrt sich Anzeigen zusammen? Von der Photographin das Pappilein, schau mal einer an!“

(Quellen: swr.de/swr2/hoerspiel & de.wikipedia.org)

Personen des 14. Kapitels

Dr. Andrew J. Horne, der Leiter bzw. Oberarzt der Entbindungsklinik National Maternity Hospital Dublin, selbst tritt nicht auf. Er steht für den Sonnengott Helios, sein Name Horne („Horn“) ist ein Verweis auf den goldenen Ochsen bei Homer. Von der schwangeren Mina Purefoy, der der Besuch von Leopold Bloom gilt, erfahren wir nur, dass sie endlich einen Sohn gebiert, der Mortimer Edward getauft werden soll. Es ist schon ihr neuntes Kind (ein Sohn war gestorben).

Leopold Bloom ist als „moderner Held“ als Kontrast zu dem homerischen Helden Odysseus zu verstehen. Er hat die Rolle eines Außenseiters, die sich vor allem darin spiegelt, dass er als Jude im katholischen Dublin lebt und dort einem antisemitischen Klima ausgeliefert ist. In dem Roman, der am 16. Juni 1904 spielt, wird die Wanderung des Leopold Bloom durch Dublin geschildert. Er wird dem Leser als Annoncenakquisiteur präsentiert, dabei ist er jedoch wenig erfolgreich. Zudem ist ihm den ganzen Tag bewusst, dass seine Frau Molly eine Affäre mit dem attraktiven Blazes Boylan hat. Auch der Tod seines Sohns Rudy, der vor elf Jahren im Alter von einigen Tagen verstorben ist, bedrückt ihn. Im Laufe des Romans nimmt Bloom eine vaterähnliche Rolle für Stephen Dedalus, der zweiten Hauptperson des Romans, an. Wie erwähnt, begegnen sich beide hier zum ersten Mal.

Weitere Personen sind die Krankenschwester Callan und Dr. Dixon, junger Arzt in der Entbindungsanstalt und verantwortlich für Medizinstudenten. Außerdem begegnen wir Vincent Lynch, Medizinstudent und Freund von Stephen Dedalus – Dr. Madden, ein Arzt – Matt Lenehan, aufdringlicher Witzeklopfer – und Costello, ein weiterer Medizinstudent. Später kommen mit Stephen Dedalus Malachi ‚Buck‘ Mulligan, Medizinstudent und Mitbewohner sowie Antagonist von Stephen – und Alec Bannon, Freund von Mulligan, hinzu.

Anmerkungen zu diesem 14. Kapitel

Auch zu diesem Kapitel hier einige Anmerkungen und Erklärungen, die vielleicht helfen, mehr Verständnis für den Text zu erlangen. Natürlich bin ich mir nicht sicher, immer ‚das Richtige‘ gefunden zu haben. Für Korrekturen und weitere Anregungen bin ich dankbar:

Das 14. Kapitel hat es in sich. Eine Übersetzung ist fast nicht möglich, da das Original von James Joyce von Alliterationen und alten germanischen Wörtern (auch einer weitaus einfacheren Syntax) geprägt ist und in dem die Entwicklung des Sprachstils und der Sprache vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang das Wachstum des Embryos im Mutterleib widerspiegelt. Der Übersetzer Hans Wollschläger hat es nach meiner Meinung etwas zu gut gemeint, wenn er dieses Kapitel in althochdeutscher Sprache beginnt – ich denke inzwischen, dass es eher noch die mittelhochdeutsche Sprache ist. Ich musste schon einige Phantasie entwickeln, um den ‚deutschen‘ Text halbwegs zu verstehen. Immer wieder griff ich auf das Original zurück und bediente mich des Google Translaters, bei einigen Wörtern half mir das Dictionary von Wiktionary, das auch altenglische Begriffe enthält. Ich habe nicht den ganzen Text ‚übersetzt‘ (nur die Seiten 539 bis 558), denn ab dort sollten es die meisten Leser selbst ‚verstehen‘. Ab dieser Seite 558 habe ich dann nur noch die Begriffe und Sentenzen ins Deutsche übertragen, wenn diese vielleicht nicht ohne weiteres verstanden werden können. Ich hoffe, dass mir die Übersetzung (also vom Alt- bzw. Mittelhochdeutschen in ein uns heute verständliches Hochdeutsch) wirklich bis ins Detail halbwegs geglückt ist. Dabei habe ich mich eines meist nahezu gleichen Duktus bedient. Für Korrekturen wäre ich sehr dankbar …

Hier zunächst die angesprochenen ersten rund 20 Seiten des Kapitels (S. 537 bzw. 539 bis 558 ausgehend von der Wollschläger-Übersetzung) mit dem 1. Originaltext aus der Webversion (mit diversen Links) – 2. Übersetzung von Hans Wollschläger – 3. meine ‚Übersetzung‘ des Wollschläger-Textes (mit diversen Links). Alles habe ich in einer PDF-Datei gespeichert (musste mich dabei des Formats DIN A 3 bedienen): Ulysses – 14. Kapitel S. 537 bzw. 539 bis 558

PDF-Datei Beginn des 14. Kapitels: Oxen oft he Sun (Die Rinder des Sonnengottes Helios)
PDF-Datei Beginn des 14. Kapitels: Oxen oft he Sun (Die Rinder des Sonnengottes Helios)

Hier nun die weiteren Erläuterungen (nach Seite 558) des 14. Kapitels:

S. 558: Secktmolken [im O. sackpossets = Sackmolke, hier wohl als Schimpfwort gemeint]
S. 559: Kerry-Kühe … Seuch [gemeint ist die Maul- und Klauenseuche]
Weckfleisch [eingemachtes Fleisch -> ‚einwecken‘]
Mort aux vaches [Tod den Kühen!]
S. 561: Remedium [Gegenmittel]
S. 564: inhibitorisch [hemmend]
prohibitorisch [verhindernd, vorbeugend]
aimable [liebenswert]
Roués [Wüstling]
caressiren [schmeicheln, liebkosen]
S. 565: Allodium [Art Lehnsgut, ‚Ganzbesitz‘]
Omphalos [‚Nabel, Mittelpunkt‘, Kultstein in Delphi]
S. 566: Talis ac tanta depravatio hujus seculi, O quirites, ut matresfamiliarum nostrae lascivas cujuslibet semiviri libici titillationes testibus ponderosis atque excelsis erectionibus centurionum Romanorum magnopere anteponunt, [So und so ist die Verderbtheit dieses Zeitalters, oh ihr Chiriten (Bürger des antiken Roms), dass die lasziven Kitzelungen jeder selbstsüchtigen Libidin (Wollüstige), der Mütter unserer Familien, den gewichtigen Zeugen und erhabenen Erektionen der römischen Zenturionen (Hundertschaftsführer, Offizier der römischen Legion) weit vorgezogen werden.]
Enkomien [‚festlicher Umzug‘, Lobgedicht auf die Tugenden einer Person]
S. 567: Ventripotenz [Dickbäuchigkeit, Gefräßigkeit]
ovoblastisch [ovo- = Eier- / Blasten = Vorläuferzellen der weißen Blutkörperchen, die normalerweise nur im Knochenmark zu finden sind]
Utrikel [‚Schlauch‘]
Antichambre [Vorzimmer]
Werg [niedere Faserqualität z.B. von Leinen oder Hanf, Faserabfall]
Mais bien sûr, … et mille compliments. [Aber natürlich … und tausend Komplimente]
S. 569: marchand de capotes [Kondomverkäufer]
livre [frz. Münze]
Fécondateur [Befruchter]
avec lui [mit ihm]
ventre biche [Rehbauch ?]
sans blague [im Ernst]
il y a deux choses [es gibt zwei Dinge]
S. 570: Tilbury [Kutsche]
S. 571: enceinte [schwanger]
Entreprise [Unternehmung]
S. 573: Antidotum [Gegengift]
Insolenz [Unverschämtheit]
Auspicien [Vorbedeutung, Aussichten, ‚Vogelschau‘]
zweite Matrone von Ephesus [bezieht sich wohl auf die Göttin Artemis, Tempel in E. in Kleinasien -> 7 Weltwunder]
S. 574: Metempsychose [Seelenwanderung]
Dormitorium [Schlafraum, eigentl. Im Kloster]
S. 575: Hagar [im Alten Testament die Magd von Sara, Nebenfrau von Abraham – Sohn Ismael -> Stammvater der Araber]
bukolisch [ländlich einfach, das Hirtenleben betreffend]
Gilead [biblisches Land]
S. 576: Adjunkt [Gehilfe]
Posthumität [‚nach dem (menschlichen) Leben‘, ‚die letzten der menschlichen Gattung‘]
S. 577: foetus in foetu [Phänomen, das bei einer von 500.000 Lebendgeburten vorkommt, wird im Körper eines Zwillings ein deformierter Fötus gefunden]
Aprosopie [Mißbildung, wobei das Gesicht fehlt]
Kongestion [lokaler Blutandrang bei Entzündungen]
Agnatie [angeborenes Fehlen des [Ober- oder] Unterkiefers]
Kinese [‚Bewegung‘]
Gravidität [Schwangerschaft]
Matrix [Gebärmutter]
Insemination [Samenübertragung]
Syringe [Spritze]
Multigeminalität [mehrfache Merkmalsgleichheit]
Katamenien [Menstruationsblut]
Gravita [Schwangere]
S. 578: primafacie [Beweis des ersten Anscheins]
plasmisch [im Zusammenhang mit Plasma – Materie mit hohem, instabilem Energieniveau]
Kohabitation [Geschlechtsverkehr]
Allocutio [Ansprache]
S. 579: ersische Sprache [schottisch-gälische Sprache]
Vendetta Mananaans [Blutrache M., Sagengestalt der keltischen Mythologie Irlands]
Lex talionis [Vergeltungsgesetzt -> ‚Auge um Auge …‘]
S. 581: fiat! [Lass es geschehen!]
S. 582: Upupa [Vogel Wiedehopf]
Netaim [biblischer Ort]
Parallax [scheinbare Änderung der Position eines Objektes, wenn der Beobachter seine eigene Position durch eigene Bewegungen verändert]
Lacus Mortis [Totes Meer]
Zodiakal [‚Tierkreis-‘]
S. 585: mesmerisiert [hypnotisiert, animalischer Magnetismus nach Franz Anton Mesmer, 1834-1815]
S. 586: Bass-Flaschen [englische Biermarke]
S. 588: Nemaspermen [Spermatozoon, bestehend aus Filament, aus langen Molekülketten bestehend]
nisus formativus [‚Bildungstrieb‘, die Vorgänge von „Generation, Nutrition und Reproduktion“ regelnde Lebenskraft]
succubitus felix [‚glücklicher‘, weiblicher, lüsternder Dämon – von succumbere ‚unten liegen‘]
Inquirent [Untersuchungsführer]
adenoidal [Vergrößerung der Rachenmandeln betreffend]
pulmonal [Erkrankung der Lungengefäße betreffend]
Duennas [ältere Frau, die als Gouvernante und Begleiterin für Mädchen fungiert, insbesondere in einer spanischen Familie; eine Begleitperson]
Kalipädie [Kallipädie – bezeichnet die besonders im 18. Jahrhundert populären Lehren von der Zeugung schöner Kinder durch bewussten Einsatz der Einbildungskraft]
S. 590: Kollation [Vergleich einer Abschrift mit der Urschrift zur Prüfung der Richtigkeit]
Staggering bob [‚umwerfender Bob‘ – Fleisch von einem jungen Kalb]
Minuzien [Kleinigkeiten]
S. 591: accouchement [Entbindung, Niederkunft]
S. 594: piazzetta [kleiner Marktplatz]
S 595: celest [himmlisch]
coelum [Himmel]
Progenitor [Vorfahr]
Malthusiast [Anhänger von Malthus, 1766-1834 – Theorie Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelangebot betreffend]
Vegetabilien [Produkte/Lebensmittel pflanzlicher Herkunft]
S. 596: Per deam Partulam et Pertundam nunc est bibendum! [Bei der Göttin Partula (eine der drei Parzen = Schicksalsgöttinnen in der römischen Mythologie, ursprünglich waren diese Geburts- und Geburtshilfegöttinnen) und Pertunda (römische Göttin der sexuellen Penetration) müssen wir jetzt trinken!]
Benedicat vos omnipotens Deus, Pater et Filius. [Allmächtiger Gott, Vater und Sohn, segne dich.]
S. 597: En avant, mes enfants! [Vorwärts, meine Kinder!]
Ma mère m’a mariée [Meine Mutter hat (mich) geheiratet]
Ratamplan Digidi Bum Bum [im O. Retamplan Digidi Boum Boum]
Bäderastie [im O. buggery = Sodomie, also Päderastie]
Pektoraltauma [pektoral – die Brust betreffend]
S. 598: Ardilaun [Lord Ardilaun, u.a. Teilhaber einer großen Brauerei in Dublin – hier wohl als Trinkspruch gemeint]
Hoi polloi [die Masse – Volk, Pöbel]
S. 599: Machree, macruiskeen [Gra machree ma cruiskeen, slainte geal mavourneen…. – irisches Trinklied = Oh! Die Liebe meines Herzens ist mein kleiner Krug, Strahlende Gesundheit für meinen Schatz)
Rows of cast [‚Besetzungsreihen‘]
S. 600: misse-me-schune [im O. misha mishinnah – ein böser, gewalttätiger Mensch, der weder auf den Tod noch auf das Ende vorbereitet ist]
Libation [[altrömische] Trankspende für die Götter und die Verstorbenen]
Nos omnes biberimus viridum toxicum diabolus capiat posterioria nostria. [Wir alle trinken das grüne Gift, der Teufel nimmt das Hinterste … ‚the devil take the hindmost‘: der Spruch beschreibt eine Situation, die missbilligt wird, weil Menschen nur das tun, was für sie selbst am besten ist, ohne an andere Menschen zu denken]
Bonsoir la compagnie. [Guten Abend, Gesellschaft]
S. 601: A la vôtre! [Prost!]
Geerdibung [Beerdigung – trunkend]
Tiens [halten]
S. 602: Laetabuntur in cubilibus suis. [Lasst sie auf ihren Betten laut singen]
Ut implerentur scripturae. [Damit die heiligen Schriften erfüllt würden.]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (05): 4. Kapitel – Kalypso [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (06): 5. Kapitel – Lotophagen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (07): 6. Kapitel – Hades [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (08): 7. Kapitel – Äolus [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (09): 8. Kapitel – Lästrygonen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (10): 9. Kapitel – Scylla & Charybdis [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (11): 10. Kapitel – Symplegaden (Irrfelsen) [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (12): 11. Kapitel – Sirenen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (13): 12. Kapitel – Der Zyklop [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (14): 13. Kapitel – Nausikaa [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (15): 120 Jahre Bloomsday

John Mayall dies at the age of 90 – John Mayall mit 90 Jahren gestorben

Neben Alexis Korner (auf den komme ich noch zu sprechen) war John Mayall der Vater des britischen Blues. Die Karriere eines Eric Clapton wäre ohne Mayall sicherlich anders verlaufen. Clapton war nur einer seiner erfolgreichen Schüler. Und auch die Laufbahn der Gruppe ‚Jethro Tull‘ mit Ian Anderson ist in der bekannten Form kaum denkbar. Das erste Album von ‚Jethro Tull‘ war überwiegend eine Blues-Scheibe – gewissermaßen im Windschatten von John Mayall and the Bluesbreakers. Anderson entschied sich damals für die Querflöte, weil er sich sicher war, niemals so Gitarre spielen zu können wie Clapton. Ein dickes Kompliment.

John Mayall (1933 - 2024)
John Mayall (1933 – 2024)

Am Montag, den 22.07.2024, ist John Mayall, der noch vor zwei Jahren mit 88 Jahren ein Album herausbrachte, mit 90 Jahren gestorben. Hier ein Liveauftritt mit Eric Clapton aus dem Jahr 2003 zu Mayalls 70. Geburtstag (vielleicht sollte ich mir mit meinen 70 Jahren auch die Haare etwas länger wachsen lassen): John Mayall feat. Eric Clapton: All You Love (Liverpool 2003)

Alongside Alexis Korner, John Mayall was the father of British blues. Eric Clapton’s career would certainly have been different without Mayall. Clapton was just one of his successful students. And the career of the group ‚Jethro Tull‘ with Ian Anderson is also hardly conceivable in the form we know it. The first album by ‚Jethro Tull‘ was mainly a blues record – in the slipstream of John Mayall and the Bluesbreakers, so to speak. Anderson decided to play the flute because he was sure he would never be able to play the guitar like Clapton. A huge compliment.

On Monday (22nd July 2024) , John Mayall, who released an album just two years ago at the age of 88, died at the age of 90. Here is a live performance with Eric Clapton from 2003 for Mayall’s 70th birthday (maybe I should let my hair grow a little longer at 70): John Mayall feat. Eric Clapton: All You Love (Liverpool 2003)

Abenteuer Ulysses von James Joyce (15): 120 Jahre Bloomsday

Heute vor nun 120 Jahren, am 16. Juni 1904, geschahen ‚Ereignisse‘ die in Dublin spielten und einen gewissen Leopold Bloom als Hauptakteur hatten. Die Geschehnisse waren natürlich fiktiv und finden sich in dem Roman Ulysses von James Joyce beschrieben. Und es spielte sich alles an einem Tag, eben jenem 16. Juni 1904, ab. Seit 1954 wird der 16. Juni als Bloomsday gefeiert und seitdem werden in Dublin jährlich Veranstaltungen zu Ehren von Joyce sowie seines Romans und dessen Figuren organisiert. Nicht selten arten diese in eine Sauftour aus

Bloomsday in Dublin – jeweils am 16. Juni
Bloomsday in Dublin – jeweils am 16. Juni

Wenngleich der Bloomsday kein gesetzlicher Feiertag in Irland ist, ist er doch in englischsprachigen Kalendern inzwischen gleichwertig neben dem Saint Patrick’s Day verzeichnet. Er ist weltweit der einzige Feiertag, der einem Roman gewidmet ist.

Der Bloomsday erhöht die Anziehungskraft der Stadt Dublin erheblich: Er gehört zu den größten Touristenattraktionen der Stadt. Im Jahr 2004 fanden in Dublin aus Anlass des hundertsten Jahrestages unter dem Motto „ReJoyce Dublin 2004“ vom 1. April bis 31. August fünf Monate währende Festlichkeiten statt.

Und eine gute Nachricht zu ‚meinem‘ Abenteuer Ulysses: Ich bin beim letzten Kapitel, dem 18. (Penelope), angelangt, habe mich sicherlich etwas zu ausführlich mit dem Roman beschäftigt (und am Ende dann doch eher nicht). Dank dem Internet habe ich jede Menge Material gesammelt, verarbeitet und dieses (bisher bis zum 13. Kapitel auch in diesem Blog nachlesbar) zu Papier gebracht (bzw. werde es noch zu Papier bringen).

… demnächst in diesem Theater
… demnächst in diesem Theater

In den nächsten Tagen (oder eher Wochen) werde ich auch den Rest des Romans hier mit einer Menge Bemerkungen vorstellen. Also Geduld, liebe Joyce-Freunde. Der Beitrag zum 14. Kapitel (Die Rinder des Sonnengottes – es spielt in einer Entbindungsanstalt) ist schon geschrieben, muss aber noch überarbeitet werden. Diese Kapitel ist eine Zeitreise durch die Entwicklung der englischen Sprache – vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang, in der deutschen Übersetzung vom Althochdeutschen bzw. Mittelhochdeutschen zum Berliner Dialekt. Und da die meisten von uns des Alt- bzw. Mittelhochdeutschen nicht mächtig sind, so habe ich die anfänglichen Seiten 539 bis 558 des Kapitels in der Übersetzung von Hans Wollschläger [amazon] aus dem Jahr 1975 in eine heute verständliche Sprache übersetzt, mich dabei aber vom sprachlichen Duktus her an dem alt- resp. mittelhochdeutschen Text gehalten. Viel Arbeit für einen Laien in deutscher Philologie.

Alles bis bald (und Franz Kafkas 100. Todestag ist auch noch gebührend zu würdigen).

Kafka 2024: ‚Der Prozess‘ im Thalia-Theater, Hamburg – Verfilmung von Orson Welles 1962

Zum Geburtstag habe ich von meinen Söhnen ein Abo für das Thalia-Theater in Hamburg geschenkt bekommen, vielen Dank an meine Jungs. Und zum Kafka-Jahr 2024 (100. Todestag) gab und gibt es noch ein Stück von Kafka nach dessen Roman ‚Der Prozess‘:

Obwohl im Leben Josef K.s alles in einigermaßen geregelten Bahnen läuft, wird er an seinem 30. Geburtstag von einer mysteriösen Behörde verhaftet. Eine konkrete Anklage gibt es nie –nur die Konfrontation mit einem System, das K. nicht versteht: eine Albtraum-Logik, die sich seinen Erwartungen immer wieder entgegensetzt. Sein Alltag überreizt sich mit Gesetzesstrukturen. Verstörende Figuren reden auf ihn ein. Der Mensch K. wartet also auf einen Gerichtsprozess. Aber welchen Prozess durchläuft er wirklich? Macht sich K. – ganz naiv und nervös – schuldig, ohne es zu wissen?

Franz Kafka: Der Prozess (24.03.2024 – Thalia- Theater Großes Haus)
Franz Kafka: Der Prozess (24.03.2024 – Thalia- Theater Großes Haus)

Die Aufführung war typisches Regie-Theater, d.h. die Regie, die Art der Aufführung, ging deutlich vor dem Stück selbst. Nichts in meinem Sinne. Und Christa, die mit mir die Aufführung sah, erboste sich über einen nackten Josef K., der sicherlich unsere Nacktheit vor dem Gesetz symbolisierte, aber ganz dem eher prüden Autoren (Franz Kafka) widersprach.

Ganz anders die Verfilmung des Romans von Orson Welles aus dem Jahr aus dem Jahr 1962 mit Anthony Perkins (bekannt aus Hitchcocks ‚Psycho‘), Jeanne Moreau, Romy Schneider und natürlich Orson Welles selbst. In einer Kritik zum Film heißt es: Von Beginn an war klar, dass die Verfilmung von Kafkas Buch ein gewagtes, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen war. […] In der Zeitschrift cinema 63 stand: ‚Kafka hat durch diese Umwandlung nichts gewonnen, und seine Leser sind zu Recht enttäuscht. Das Kino ist jedoch um einen großen Film reicher geworden. Wer will sich also beklagen?‘

Kafka 2024: Denkmäler in Prag

Als ich 1982 mit einem Kumpel in der Zeit vor Ostern (und zu Zeiten des noch real existierenden Sozialismus) Prag besuchte, waren wir nicht nur des Bieres wegen dort, sondern auch um ein wenig auf Franz Kafkas Spuren zu wandeln. Viel gab es damals noch nicht von dem jüdischen Schriftsteller deutscher Sprache im Prag der k. u. k.-Monarchie Österreich-Ungarn, seiner Geburts- und fast lebenslanger Wohnstadt. Es gab lediglich eine Gedenktafel mit Kafkas Bildnis an seinem Geburtshaus (Námestí Franze Kafky, also Franz-Kafka-Platz). Immerhin. Heute scheint die tschechische Hauptstadt Prag geradezu durchtränkt von Kafka zu sein.

Kafkas Geburtshaus
Kafkas Geburtshaus

Hier einige weitere Beispiele, die mein Sohn samt Freunden bei einem Besuch in Prag im Dezember 2019 festgehalten hat.

Beispiel 1: Kafka-Denkmal (Kafka auf den Schultern seines körperlosen Vaters) in Prag
Beispiel 1: Kafka-Denkmal (Kafka auf den Schultern seines körperlosen Vaters) in Prag

Beispiel 2: Ein weiteres Kafka-Denkmal in Prag
Beispiel 2: Ein weiteres Kafka-Denkmal in Prag

Kafka 2024: 3. Juni 2024 – 100. Todestag

Neben Musik (und natürlich auch Film) ist es die Literatur, die mich ‚beschäftigt‘. Neben Hermann Hesse gibt es natürlich eine Menge anderer Autoren, die ich gelesen habe und die ich interessant, lesenswert finde. Nicht alles ist leichte Kost (seit geraumer Zeit schlage ich mich mit dem ‚Ulysses‘ von James Joyce herum – und ich will es in diesem Fall dann schon genauer wissen: habe auch das englische Original vorliegen, d.h. aus dem Internet gefischt), aber es gibt auch einen Autor wie Franz Kafka, der eigentlich einen für heutige Zeiten noch sehr modernen Stil geschrieben hat: leicht und locker – aber von Inhalt her alptraumhaft. Es wurde sogar ein Adjektiv erschaffen, das seinen ‚Stil‘ zu definieren versucht: kafkaesk (wie grotesk). Am 3. Juni 1924, also vor 100 Jahren, starb der Prager Schriftsteller Franz Kafka. Es ist also ein Kafka-Jahr. Und verwunderlich finde selbst ich es als Kafka-Fan, wie sehr sich die Welt mit diesem Schriftsteller beschäftigt – besonders das Ausland. Instagram, TikTok – kein soziales Medium, in dem Kafka nicht ‚Freunde‘, Followers usw. anzieht. Besonders junge Menschen sind von Kafka begeistert. Die wohl meistgelesene Erzählung ist ‚Die Verwandlung‘ [amazon.de], in der ein gewisser Gregor Samsa am Morgen erwacht und sieht, dass er sich in einen Käfer verwandelt hat. Alptraum pur!

Kafka verwandelt sich zu ‚Willi‘
Kafka verwandelt sich zu ‚Willi‘

Weitere Beiträge zu Franz Kafka in willizblog.de

Abenteuer Ulysses von James Joyce (14): 13. Kapitel – Nausikaa [Odyssee]

Mit dem 13. Kapitel des Ulysses von James Joyce (von 18) haben wir die Hälfte des Romans endlich ‚geschafft‘. Hier wieder einige Informationen zur Handlung und zu den auftretenden Personen, auch wieder einige erklärende Anmerkungen zum Text.

Gemäß der Odyssee von Homer bricht die junge und Göttinnen in der Schönheit ähnliche Nausikaa (Tochter des phaiakischen Königs Alkinoos), im Traum durch Athene dazu ermuntert, morgens mit ihren Dienerinnen zum Strand von Scheria auf und wäscht dort mit ihren Dienerinnen am Fluss in der Nähe des Strandes Wäsche. Nach dem Essen machen sie ein Ballspiel. Durch das Kreischen der Mädchen, als der Ball weit wegfliegt, wird ein Schiffbrüchiger geweckt, der in einem nahe gelegenen Gebüsch schlief. Die anderen Mädchen fürchten sich vor ihm, Nausikaa jedoch hat keine Angst. Sie gibt ihm zu essen und Kleidung. Mir hat diese Nausikaa schon in jungen Jahren sehr gefallen. Ihre Schönheit konnte ich nur erahnen. Besonders gefiel mir aber, wie sie dem Schiffbrüchigen Odysseus Asyl gewährte.

Inhalt des 13. Kapitels:

Szene Felsen am Strand von Sandymount • Uhrzeit 20.00 Uhr

Drei junge Mädchen gehen am Strand von Sandycove spazieren, wo sich auch Bloom aufhält. Die Mädchen necken sich gegenseitig und wollen gerade den Heimweg antreten, als ein Feuerwerk beginnt. Zwei von ihnen gehen ein Stück weiter, um eine bessere Sicht zu haben, die dritte, die – Nausikaa symbolisierende – gehbehinderte Gerty MacDowell, aus deren Perspektive die erste Hälfte des Kapitels erzählt wird, bleibt. Sie und ihre Welt werden sprachlich in der Form sentimentaler viktorianischer Trivialromane dargestellt: „Gerty MacDowell, die unweit von ihren Gespielinnen saß, in Gedanken verloren, den Blick in die weite Ferne gerichtet, war wirklich und wahrhaftig ein Muster liebreizender junger irischer Weiblichkeit […]. Die wächserne Blässe ihres Gesichts wirkte fast vergeistigt in ihrer elfenbeingleichen Reinheit, obschon ihr Rosenknospenmund ein echter Amorsbogen war, griechisch vollkommen.“

Sie setzt sich auf einen Stein, hebt ihre Röcke, um Bloom zu erregen. Dabei stilisiert sie diese Anmache zu einer romantisch-wilden großen Liebe: „Sie hätte gerne nach ihm, erstickend fast, hätte gern die schneeigen Arme ausgestreckt nach ihm, daß er käme, daß sie seine Lippen auf ihrer weißen Stirn fühlte, eines jungen Mädchens Liebesschrei.“

Bloom, aus dessen Sicht der zweite Teil des Kapitels geschildert ist, war an den Strand gekommen, um etwas Ruhe zu finden. Er geht auf die Anmache ein, wobei das junge Mädchen in seinen Gedanken – um sich aufzugeilen – zum „durchtriebenen Luder“ wird: „Teufelinnen sind sie, wenns über sie kommt. Dunkles teuflisches Aussehen.“ – Er masturbiert in der Hosentasche, wobei ihm – in welchem Grade bewusst, lässt sich wie so oft in diesem Roman auch hier schwerlich sagen – Assoziationen an Molly und ihren Liebhaber durch den Sinn gehen: „War das vielleicht grad der Moment, wo er, sie?/ Oh, er hats. In ihr. Sie hats. Geschafft/ Ah!/ Mr. Bloom zog sich mit sorgsamer Hand das nasse Hemd zurecht. Meingott, dieser kleine hinkende Teufel. Fühlt sich langsam doch kalt an und klamm. Die Nachwirkung nicht gerade angenehm. Trotzdem, irgendwie muß mans ja loswerden.“ Blooms Orgasmus wird durch die Beschreibung des gleichzeitig stattfindenden Feuerwerks geschildert.

Gegen Ende des Kapitels beschäftigt Bloom sich noch mit dem Brief von Martha, der somit – zusammen mit seinem voyeuristischen Erlebnis am Strand – den Status einer kleinen Rache an seiner ihn ständig betrügenden Frau erhält.

Odysseus und Nausikaa (Pieter Lastman, Odysseus und Nausikaa, Ölbildnis, 1619, Alte Pinakothek, München)
Odysseus und Nausikaa (Pieter Lastman, Odysseus und Nausikaa, Ölbildnis, 1619, Alte Pinakothek, München)

Im Nausikaa-Kapitel strandet Odysseus auf der Insel des Königs Alkinoos. Dessen Tochter Nausikaa vertreibt sich dort mit ihrem Gefolge beim Ballspiel die Zeit. Sie hat keine Angst vor dem plötzlich auftauchenden Fremden, der ihre Schönheit preist, und nimmt ihn mit in den Palast, wo er sich schließlich als lang vermissten Herrscher von Ithaka zu erkennen gibt. In der malerischen Abenddämmerung spaziert die schöne Gerty MacDowell, begleitet von den Freundinnen Edy Boardmann und Cissy Caffrey mit ihren jüngeren Geschwistern, am Strand von Sandymount.

Morgens machte hier Stephen seinen Spaziergang. Gerty, Tochter nicht eines Königs, sondern eines Trinkers, gibt sich ihren Träumen von der großen Liebe hin. Zur gleichen Zeit findet eine Messe in der nahegelegenen kleinen Kirche statt. Da bemerkt Gerty zwischen den Felsen einen Fremden. Bloom sucht dort Ruhe, nachdem er dem Bürgermob entkam. Gerty lässt ihre Freundinnen weitergehen und bleibt allein zurück unter den ihrer Schönheit bewundernden Blicken von Bloom. Es beginnt eine einvernehmliche Verführungsszene aus der Distanz.

Parallel zum Verlauf der Messe, die mit dem Beginn eines Feuerwerks endet, wird das Geschehen zuerst aus Gertys Perspektive im Stile viktorianischer Trivialromane ausgemalt. Danach wechselt die Erzählhaltung zum inneren Monolog Blooms mit sexuell expliziterer Sprache. Gerty weiß, dass Bloom sie beobachtet, von ihr sexuell erregt ist und onaniert. Sie entblößt mehr und mehr ihre Reize. Als sie Bloom schließlich ihren Schoß zeigt, überschneidet sich Blooms sexueller Höhepunkt mit dem Ende des Feuerwerks.

Das Spektakel ist vorbei. Gerty geht. Mitleidig bemerkt Bloom, dass sie hinkt. Er lässt das Geschehen des Tages nochmals an sich vorbeiziehen, der Ruf einer Kuckucksuhr zur vollen Stunde erinnert ihn erneut an Mollys vollzogenen Ehebruch. Schließlich schläft Bloom ein.
(Quellen: swr.de/swr2/hoerspiel & de.wikipedia.org)

Personen des 13. Kapitels

Die handelnden Personen sind bereits genannt. Zum einen die Hauptfigur des Romans, Leopold Bloom, zum anderen jene Gertrude ‚Gerty‘ MacDowell, die die erwähnte Nausikaa symbolisiert. Daneben sind es Gertys Freundinnen, Cissy Caffrey und Edy Boardman – „mit dem Baby im Kinderwagen und Tommy und Jacky Caffrey, zwei kleine krausköpfige Jungen, die Matrosenanzüge trugen […] kaum vier Jahre alt […]“. Beide Freundinnen sind eifersüchtig auf ihre Schönheit. Gerty lahmt auf einem Fuß; sie wurde kürzlich von Reggy Wylie verlassen. Der Name Gertrud ist eine Parallele zu der tragischen und untreuen Mutter von Hamlet.

Anmerkungen zu diesem 13. Kapitel

Auch zu diesem Kapitel hier einige Anmerkungen und Erklärungen, die vielleicht helfen, mehr Verständnis für den Text zu erlangen. Natürlich bin ich mir nicht sicher, immer ‚das Richtige‘ gefunden zu haben. Für Korrekturen und weitere Anregungen bin ich dankbar:

S. 484: mehr eine Giltrap als eine MacDowell war [Giltrap – Großvater mütterlicherseits, der Besitzer von Garryowen, Hund in Zyklopen]
hauteur [‚Höhe‘]
S. 487: Chenille [‚Raupe‘ – weicher Textilstoff]
petite [klein, zierlich]
(… rucke di guck, die rechte Braut sitzt noch daheim) [im O.: and never would ash, oak or elm = und niemals würde Esche, Eiche oder Ulme]
S. 489: T.C.D. [Trinity College Dublin]
Schaltjahr [1904]
S. 491 Senge [Prügel]
S. 493: Unsere Lieben Frauen von Loreto [italienische Gemeinde]
S. 494: Dessins [Zeichnungen]
S. 495: halkyonische Tage [griech.: 14 Tage um die Wintersonnenwende]
S. 498: Martin Harvey [engl. Bühnenschauspieler]
retroussée [gestülpt]
S. 499: Ora pro nobis [Bete für uns]
Sieben Schmerzen (Mariens) [1. Darstellung Jesu im Tempel mit Weissagung Simeons (Lk 2,34–35) – 2. Flucht nach Ägypten vor dem Kindermörder Herodes (Mt 2,13–15 ) – 3. Verlust des zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,43–45) – 4. Jesus begegnet seiner Mutter auf dem Kreuzweg (unbiblische Szene) – 5. Kreuzigung und Sterben Christi (Joh 19,17–39) – 6. Kreuzabnahme (vgl. Mt 27,57–59) und Übergabe des Leichnams an Maria (Beweinung Christi) – 7. Grablegung Christi (Joh 19,40–42)]
Novene [Gebete an neun aufeinander folgenden Tagen]
S. 501: Tableau! [Bild]
Tantum ergo [nach Thomas von Aquin: Kommt und lasst uns tief verehren ein so großes Sakrament]
Tantumer gosa cramen tum [eigentlich: tantum rosa sa cramentum = das Geheimnis der Rose]
S. 504: Panem de coelo praestitisti eis [Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben]
S. 506: contretemps [Rückschlag]
Velum [‚Schleier‘]
S. 507: Miss Cummins [Mary Susanna C. – amerikanische Schriftstellerin – 1827-1866]
Bist real du, Ideal du? [im O. Art thou real, my ideal?]
S. 508: Gesellschaft mit großem Ge [im O. Society with a big ess]
S. 509: Laudate dominum omnes gentes [Preist den Herrn aller Völker]
holterdipolter [im O. helterskelter]
S. 511: Nainsook [weiche, leichte Form von Musselin]
Und dann sprang eine Rakete hoch … [Onan lässt grüßen!]
S. 513: … und sehr langsam, denn Gety MacDowell … Zu enge Schuh? Nein, sie hinkt! Ach! [Perspektivwechsel Gerty/Bloom]
Tranquilla-Kloster [italienisches Ruhekloster]
S. 514: Mutoskop [Guckkasten]
lingerie [Unterwäsche]
deshabillé [Morgenrock]
Also ich bin ganz sauber gekommen und hab mich vollgesaut [im O. I’m all clean come an dirty me]
S. 517: Nell Gwynn [engl. Schauspielerin, 17. Jh., Mätresse von Charles II]
Mrs. Bracegirdle [Anne B., 17./18. Jh., Schauspielerin]
Maud Branscombe [19. Jh., stand Modell für Fotos]
Lacaus esant taratara [phonetisch -> it.: La causa e santa = Die Sache ist heilig, Oper von Meyerbeer]
S. 518: Lord Mayor [Bürgermeister von Dublin]
Val Dillon. Apoplektiker. [neigt bzw. hatte Schlafanfälle]
S. 521: Dolphin’s Barn [1. Kuss mit Molly]
Irishtown [Vorort von Dublin]
Jedes Bällchen findet sein Ställchen. [im O. Every bullet has its billet]
S. 522: die Vorhaut … [demnach ist Bloom nicht beschnitten?!]
S. 524: Opoponax [Gummiharz – Myrrhe]
S. 525: der Lange John [J. Fanning, Subsheriff von Dublin]
Meagher [irischer Nationalist, 19. Jh.]
S. 526: Der Bailey-Leucht. [Leuchtturm – Halbinsel bei Dublin]
Grace Darling. [Tochter eines Leuchtturmwärters, berühmt durch Einsatz bei einem Schiffsunglück]
Roggbiv [i.O. Roygbiv – Abfolge der Farbtöne: rot, orange, gelb, grün usw.]
S. 527: Homerule-Sonne [Selbstregierung (Irlands)]
S. 528: Rip van Winkle – Sleepy Hollow [Erzählungen von Washington Irving – …schläfrige Schlucht … – kopfloser Reiter]
Metempsychose [Seelenwanderung]
S. 530: Faugh a ballagh [Schlachtruf: Mach den Weg frei!]
Skapulier [Überwurf/Schulterkleid]
Tephilim [Gebetsriemen]
S. 532: Kalomel [Mineral = Hornquecksilber]
Dick in Mode … [im O. fat]
El hombre ama la muchacha hermosa. [Der Mann liebt das schöne Mädchen]
Leah, die Lilie von Killarney [Melodram]
S. 533: Damen-Bloomer [Frauenoberhose]
S. 535: Kish [iranische Insel im Persischen Golf]
Agendath [Siedlung in Palästina]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (05): 4. Kapitel – Kalypso [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (06): 5. Kapitel – Lotophagen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (07): 6. Kapitel – Hades [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (08): 7. Kapitel – Äolus [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (09): 8. Kapitel – Lästrygonen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (10): 9. Kapitel – Scylla & Charybdis [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (11): 10. Kapitel – Symplegaden (Irrfelsen) [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (12): 11. Kapitel – Sirenen [Odyssee]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (13): 12. Kapitel – Der Zyklop [Odyssee]